goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Friedrich Overbeck:
Der Triumph der Religion in den Künsten

Kommentar und Kritik
– eine Dokumentation
Teil II

 

Eingestellt: Februar 2005
Stand: November 2010
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 Friedrich Overbeck, 1837

 

Gliederung 

 

 


Ein Werk ist erschienen, welches den späteren Geschlechtern ein Denkmal würdigen Aufschwungs deutscher Kunstkraft und der reinsten Kunstgesinnung, nach einer Periode des Versinkens in schale Profanität, sein wird, Overbeck's "Triumph der Religion in den Künsten," so hat er selbst das in verflossenem Sommer für das Städel'sche Kunstinstitut beendete Gemälde in seiner gedruckten Erklärung genannt.

Die Allgemeine Zeitung (1), die in ihrer löblichen Vielseitigkeit alle Ideen, auch außer der Politik, beachtet, welche Europa bewegen, gedachte, gleich nach der Ankunft dieses Bildes in Frankfurt, des ausgezeichneten Eindrucks, den das treffliche Werk dort hervorbrachte (Nr. 288.)

[...]

Overbeck nun, der historische Maler im höchsten Sinne des Worts, nachdem er uns in Schönheit der Gestalten, im Glanze der Farbe die Kunstblüthe des Zeitabschnittes der Geschichte, dem wir uns zurechnen, in einem Bilde gezeigt, er, der unsere Seele weltbeflügelt durch die Jahrhunderte geistigen Glanzes führt und schwelgen läßt in sympathetischem Stolze: er, nach Vollendung seines außerordentlichen Werks, legt seinen Pinsel bei Seite und unternimmt es, auch in tönenden Worten auszusprechen, was wir hier sehen und was darüber denken sollen.

Lehrreiche und gründliche Betrachtungen, in philosophischem Nachdenken gereift, legen uns in diesen sechszehn Seiten den Ideenreichthum seines Bildes vor Augen. Willkommen ist die Entwickelung des großen Sinnes desselben im Ganzen und in den einzelnen Theilen; erbaulich und heilsam dem Kunstjünger, an den er sich richtet, die ausgesprochene Bezeichnung des Standpunktes, auf welchem der Meister eines solchen Werks sich befindet, und lehrreich jenem der Weg gezeigt, um zu solchen Regionen, den erhabensten, sich emporzuschwingen. Wir segnen seine Worte, wenn er dem Jünglinge einschärft, daß nur die gottbegeisterte Hand die hohe Kunst ausüben könne.

Aber, in Anhörung seiner goldenen Reden, zu christlich-milder Begeisterung gestimmt, stehen wir versteinert da, betroffen erstaunt und erschrocken der Kunstjünger, diesen beredten christlichen Mund des mildesten Mannes, des Verherrlichers unserer Religion in einem unsterblichen Gemälde, Verachtung aussprechen und anpreisen zu hören gegen alle jene hohen Männer, welche vor ihm und vor den in seinem Bilde dargestellten ebenfalls göttlich-begeisterte Künstler waren.

Overbeck ist ein eben so wahrhafter als frommer Mann, und sein Wort als Künstler muß den Kunstjünger lebhaft ergreifen, wenn er vernimmt, daß er die verachten soll, welche Jahrhunderte lang mit Ehrfurcht genannt, und ihm stets als die weisesten Lehrer gepriesen wurden.

"Die Männer zu verachten," erwiedert vielleicht Hr. Overbeck, "habe ich dem christlichen Künstler nicht geboten, sondern gesagt: das Heidenthum, als solches, soll er mit entschiedener Verachtung liegen lassen." Soll hier also vielleicht das Heidenthum nur als Religion gemeint sein? Die Religion kann nicht gedacht werden ohne die, welche sich zu derselben bekennen. Jene Religion aber, die feinste Lebensluft der höchsten Künstler, der höchsten Weisen, der höchsten Dichter, kann weder verachtet noch von jenen großen Männern getrennt werden; folglich sind diese, so wie ihre Religion, in "dem Heidenthum, als solchem," begriffen; die Verachtung des Heidenthums, in Beziehung auf religiöse Kunst, wie in dem Overbeck'schen Aufsatze ausgesprochen, ist also nicht etwa auf Barbaren, sondern gerade auf die edelsten, die erhabensten Alten gerichtet.

Dem lernenden Jünglinge in dieser schweren Verlegenheit zu Hülfe zu kommen, ist daher die Pflicht derer, welche, in gleicher Liebe zu ihm, klare Anschauung zu befördern haben, für die Sache der Wissenschaft wie der Kunst, der Menschheit wie des Christenthums.

Glücklich preisen wollen wir den Jüngling, wenn er als ein frommer Christ, wie dieser sein Lehrer, seine Vorschriften begriffen, und zu seiner Höhe sich aufschwingen kann; glücklich, wenn er nur mit christlichem Ohr die unschuldige Sprache der Natur vernimmt. Und dennoch befinden wir uns in dem seltsamen Falle, gegen den frömmsten Christen die Sache der Menschheit, folglich der Christenheit, zu vertreten.

Nach der von Hrn. Overbeck dem Kunstjünger gebotenen Verachtung des Heidenthums und der sogenannten heidnischen Kunst, hat dieser das Recht zu fragen: Was denn waren die Schandthaten jener großen Männer, daß ich sie verabscheuen muß?

Und, beseelt von unumstößlicher Wahrheit und Gerechtigkeit, haben wir mit lächelndem Munde ihm zu antworten: Ihr Verschulden war

    • sie haben nicht gethan, was unmöglich war, haben Christus nicht angebetet, der erst nach ihrem Tode sich offenbart hat.
    • Sie haben, in Uebung ihrer Kunst, Werke zur Welt gebracht, die, ein Stolz der Menschheit, wie unerreichbare Ideale vor unseren erstaunten Augen stehen.

 

Diese beiden unumstößlichen Sätze stehen in directem Widerspruche mit der befremdenden Aufforderung des trefflichen Mannes zur Verachtung des Ehrwürdigen. Es wird daher unerläßlich, zur Erleuchtung des Kunstjüngers und der Wissenschaft, den belehrenden Stoff seiner Worte, den wir so eben erhoben, von übertriebenen Folgerungen zu trennen.

Künstler sind zuweilen gute Schriftsteller gewesen, aber mehr im Handeln, als im Reden geübt, fühlen sie sich in unabhängiger und unbefangener Anschauung eines Gegenstandes der Kunst durch ihr Treiben beschränkt und behindert. Gar verschieden ist die künstlerische von der philosophischen Anschauung. Der Philosoph, der nur mit Begriffen umgegangen, faßt den Begriff allein in's Auge, der Künstler hingegen, gewohnt die Begriffe in Werke der Hand zu verwandeln, kann sie nur schwer trennen von der Anwendung auf seine Werke. So auch hier sehen wir den christlichen Künstler außer Fassung, ja, wir möchten sagen, verletzt in der Anschauung vorchristlicher Kunst. Mit uns Anderen fühlt er die Größe griechischer Werke als Mensch; aber als Künstler anderer Richtung will er sich seine Freude nicht gestehen, macht sich dieselbe zum Vorwurf, und wird ein Widersacher seines eigenen Gefühls.

Das Verhältniß der neueren Kunst zur antiken ist hier in Frage. Ueben sollen wir jene, der Christ soll christlich malen; denn sein höchster Beruf ist – so sagen wir mit Overbeck – das Heilige zu verherrlichen. Nicht aber kann er dieses mit fremden, sondern nur mit seinen eigenen Heiligthümern erfüllen. In die Natur versenkt, soll er hienieden ihre heilige Sprache vernehmen, die ihn lehrt, die Sprache der himmlischen Offenbarung bildend zu sprechen.

Mit dieser Anerkennung fühlen wir, die wir neben der christlichen Kunst mit gleicher Innigkeit den Kunstjünger, wie unsern Wohlthäter Overbeck und die griechische Kunst lieben, uns berufen, zu verfechten und zu beweisen, daß Gott eine Verachtung der letzteren keineswegs von uns fordert, sondern daß wir, als Christen, heitern und freien Blicks in die reiche Welt schauen dürfen und sollen, nach seinem Beispiele. Und das beweisen wir so: Du bist ein Künstler, reden wir ihm zu, liebst also das Schöne. Du bist ein Künstler und weißt folglich, daß das Schöne von keinem Volke so hoch erfüllt wurde, als von den Griechen. Was das Schöne sei, können wir zwar nicht aussprechen, aber wir kennen es, und wissen, daß es von Gott kommt. Gott muß es folglich den Griechen gegeben haben, und mit Freude hat Er gewiß, um menschlich zu reden, auf Griechenland hingeschaut. Ist das nun Gott nachahmen, wenn wir sauer sehen und die Stirn finster ziehen, weil es nicht christlich ist? Ein Wald, eine Quelle, Thäler und Hügel sind schön, und sind weder christlich noch heidnisch. Und was soll die Verachtung? Da ist nicht etwa ein theologischer Grund, der Religion der Griechen einen schlechten Namen zu machen. Sie ist gestorben, und es ist Niemand, der sie aufwecken will. Als sie gestorben war, ward das Schöne geringer auf der Erde. Nicht Alles auf einmal können die Menschen besitzen. Es kam eine höhere Religion, aber eine geringere Kunst, ein Beweis, daß die frühere Religion der Kunst günstiger war. Denn Gott leitete den Blick der Menschen früher auf seine Werke als auf sich selbst, und seitdem unser Blick aufwärts sich in den höchsten Regionen der Geister verliert, kann die Seele nicht mehr, wie in der Vorzeit, vertieft sein in die Schöpfung um uns her. Dieses ist die schlichte Erzählung von dem Erscheinen der Schönheit. Sei sie was sie wolle, sie ist die Seele der Kunst. [...] Eine treffliche Sache, und ein Reichthum ist es, unabhängig zu denken und zu empfinden.

Also, gleichwie jeder Mensch jedem seiner Nebenmenschen sein Recht zu existiren einräumen muß, so kann auch kein Zeitalter das Recht haben, ein früheres Zeitalter zu annulliren. Gott übernimmt die Verantwortung, beide nach unbegreiflichen Weltgesetzen geschaffen zu haben, und bedarf von seinen Kindern weder Lobes noch Tadels. Eigenlob wird Ihm am wenigsten gefällig sein. Und gar verachten? Verachtung, wissen wir, blickt abwärts, die unsere aber würde ja hinaufblicken. Und in dieser Verachtung sah unser Verfasser nicht, daß er den würdigsten und schönsten Lehren, die er dem Kunstjünger zu seiner Leitung gegeben, selbst eine empfindliche Wunde versetzt; denn hat er diesem nicht selbst so eben gelehrt, daß die Kunst nur auf dem Boden der Religion gedeihe, und daß nur die gottbeseelte Hand in der Kunst Hohes erschaffe? Wenn dieses von unserer Kunst, der geringeren, gilt, wie viel mehr von der Kunst der Griechen, die er selbst, so wahr er ein hoher Künstler ist, als die höchste erkennen muß, die, so weit unsere Weltgeschichte reicht, je von Völkern geübt wurde. Also Overbeck ist, ohne es zu wissen, der Meinung des Phidias, und ein Blick auf das Wesen der Völkerentwickelung läßt ihn erkennen, daß der Glauben der Nationen mit ihrem intellectuellen und schöpferischen Vermögen, wie Wurzel, Stamm, Zweige und Früchte, unzertrennlich zusammenwirken, und sich wechselseitig bedingen. Wenn er also die Kunst will – und als bewundernder Künstler will er sie – so muß er auch die Religion wollen; unmöglich ist es, die Folgerung zu lieben und den Grundsatz zu hassen.

Gegen die ganze civilisirte Welt wollen wir die Frage richten: ob die Bilder des Jupiter, Apollo, der Minerva, Juno – erhaben sind? Wenn aber diese erhabene Kunst, nach seinen eigenen Worten, von der Religion unzertrennlich, und also auch die Kunst der Griechen Religion ist, muß nicht diese Religion erhaben sein, deren Seele in solchen Gestalten uns sichtbar wird?

So unfolgerecht diese Verachtung gedacht ist – um hier nicht vom Gefühl zu reden – so beleidigt fühlt sich die Menschheit in der Bezeichnung so erhabener Werke durch das Schmähwort: "Götze." Kaum verträglich mit klaren Begriffen ist selbst der Ausdruck: "Heidnische Kunst." Denn von der Benennung Heide ist nach dem Sprachgebrauche der Begriff von Rohheit unzertrennlich; die Existenz der Kunst hingegen setzt eine hohe Stufe der Völkercultur voraus. "Heidnische Kunst" würde demnach heißen: barbarische Verfeinerung, und ist folglich ein Unding. Außerdem treibt uns keine Nothwendigkeit zu jenem unpassenden Ausdrucke, da die üblichen Benennungen: Kunst des Alterthums, antice Kunst, classische Kunst u.s.w. denselben Begriff weit besser bezeichnen.

Wenn Phidias ein Heide war, so vollbrachte er nie eine heidnischere That, als in den Göttergestalten, die noch von dem Parthenon übrig sind. Denn was die größesten Küstler, die Heroen der Kunst, zur Ehre ihrer Gottheiten bilden, spricht bekanntlich, in Folge historischer Entwickelung, die innerste Seele ihrer Nation aus. Vor diesen Heiligthümern nun, wenn gleich nur in verstümmelten Resten auf uns gekommen, stehen wir mit dem wonnigsten Erstaunen – und so auch Overbeck, so wahr er ein hoher Künstler ist – und müssen den Kunstjünger herbeirufen, um auch ihm die Freude am Erhabenen und Schönen zu lehren. Was aber soll der glühende Jüngling von uns denken, wenn wir mitten in seinen edelsten Seelengenüssen ihm zurufen: "Von diesen Werken lerne, aber die großen Urheber derselben, deine Lehrer, sollst du verachten."

Nur dem schreibenden Maler also können wir es verzeihen, wenn er die Erscheinung nicht anschauen kann, ohne sie mit den Gedanken an sein eigenes Treiben zu vermischen, wenn er, befangen durch dieses, zwischen seinem richtigen Gefühl und seinem Unwillen gegen nicht-christliches Treiben hin- und hergeworfen, mit einigen dürftigen Ausdrücken in die tiefsten Regionen der Kunst sich hineinwagt, und durch folgewidrige Schlüsse seine eigenen Worte zerstört. Nicht sein übler Wille ist es, sondern die Schuld, in momentaner Aufwallung übereilten Ausspruches, wenn er auf Seite 10 seiner fraglichen Eröffnungen in den auffallendsten Widerspruch verfällt. "Sehet dort in meinem Bilde," sagt er, "den Nicolas Pisani auf einen antiken Sarkophag aufmerksam machend, durch welchen er (nach Vasari's Erzählung) die Sculptur wieder gehoben hat." Und so hat Overbeck historischrichtig [!] die antike Sculptur der neueren zum Muster hingestellt; am Ende derselben Seite jedoch läßt er sich durch seinen Unwillen gegen das sogenannte heidnische Werk verleiten, diesen antiken Sarkophag in einen christlichen zu verwandeln, und die richtige Andeutung, daß die neuere Kunst aus den Trümmern der antiken sich erhoben, ist wieder umgestoßen. Und was für ein christlicher Sarkophag? "Ein solcher," sagt Hr. Overbeck, "der jener frühesten christlichen Periode angehört, wo die Kunst sich noch keine selbständige Form geschaffen hatte." Mit andern Worten: von diesem Sarkophag konnten die in dem Gemälde versammelten Schüler nicht das Mindeste lernen; der Lehrer Pisano that daher sehr unrecht, ein so rohes Werk ihnen zum Muster hinzustellen.

"Mit dem auf dem Boden liegenden zertrümmerten Götzen," welcher, wie der Verfasser hinzufügt, die heidnische Kunst bedeuten soll, kommen folglich unsere Gedanken in das äußerste Gedränge.

Zertrümmert wurde dieser "Götze" von der Geschichte, und dieses hat der historische Maler ein Recht darzustellen. Wenn aber der Künstler diese Zertrümmerung nicht selbst beweint, sondern durch den verachteten Ausdruck Götze gutheißt, so vergißt er, daß er ein Künstler sei. Denn er weiß, daß es Barbaren gewesen sind, die den erhabenen Kunstschatz zerschlugen, Barbaren, seine Feinde, da er ein Kind der Cultur ist. Ja noch mehr, er, ein Christ, führt hier eine Handlung im Triumphe auf, welche das Oberhaupt der Christenheit selbst mit dem Tode bestraft. Denn würde nicht der Papst demjenigen den Kopf abschlagen lassen, der ins Belvedere hereinbräche und den Götzen Apollo zerschlüge? Doppelt haben wir gerade von ihm, dem Künstler, zu verlangen, daß er den Verlust beweine, da er noch mehr, als wir, die Unersetzlichkeit desselben zu ermessen vermag, da kein heutiger Mann das Werk der größeren Vorfahren, auch mit äußerster Anstrengung, wieder machen kann; denn es fehlen uns die großen Jahrhunderte, auf denen der uns unbegreifliche Riese, Phidias, ruhete [...]

Jene erhabenen Riesen schauen auf uns herab mit königlichen Mienen und antworten aus ihrer Geisterwelt: "Die Götzen, welche Venus von Melos, Minerva, Niobe, Juno – heißen, werden in göttlicher Ruhe noch nach Jahrtausenden die edelsten Menschen erquickend anlächeln, unbekümmert über die mancherlei Worte, die in mancherlei Zeiten um sie her in den Lüften verwehten.

"Heiden nennt ihr uns?" rufen sie aus. "Uns ist gesagt, Demuth, Schonung und Liebe seien christliche Tugenden. Uebet sie denn an uns. Nennt ihr uns mit demselben Namen, den ihr den Hunnen und Vandalen gebt, so ist dies heidnischste Handlung die es gibt. […] Christus hat die Menschheit erhöht; so übertrefft uns denn in der Tugend. Bei uns aber war Dankbarkeit eine heilige Pflicht. Wir sind eure Wohlthäter, die wir eure edelsten Kräfte erhöhen und veredeln. Euer Wissen und Können erhob sich aus den Trümmerstaube, aus welchem unsere längst verloschenen Stimmen euch belebend empordrangen, und wird nur dann tüchtig genannt, wenn es uns, den Mustern, gleicht. Darum sendet ihr eure Kinder zu uns in die Schule, und belohnt und liebkoset sie, wenn sie fleißig gelernt haben, und nun, statt des Dankes, wollt ihr uns beschimpfen mit dem verächtlichen Namen der Heiden, in dem Wahne, Gott gefälliger als wir zu sein, da Gott und doch reicher gesegnet, als euch, mit Harmonie der mächtigsten Seelen- und Geisteskräfte, mit Hoheit der Gedanken und Adel der Rede, wie ihr selbst bezeuget, da ihr zu uns zu lernen kommt. Schauet hin zur christlichen Hauptstadt. Die schwachen Trümmer unserer glänzenden Welt sind ihr Stolz. Die Werke des Teufels sind es nicht, mit welchen das Oberhaupt der Christenheit seine Säle ziert, und die ganze Welt willkommen heißt, hier zu lernen und sich des Schönen zu freuen. […]

Durch diese Geisterstimmen den Kunstjünger zu der Verehrung zurückführend, die wir unsern Wohlthätern schuldig sind, müssen wir ihm indessen die verheißene Belehrung leisten, die auch in seines Lehrers unwilligen Ausdrücken enthalten ist. Mit Nachdruck wiederholen wir des Letzteren Warnung […] vor einem unbedingten (wir möchten sagen unbedachtsamen) Studium der Antike. Die unsrige aber fließt aus ganz andern Gründen, als aus Verachtung. Herbeirufen wollen wir ihn zu den erhabenen Werken, und seine Seele zu erheben suchen zu ihrem Verständniß. Aber warum rufen wir ihm zu: Berauschend ist der Nektar, den du trinkst in diesen Werken. Warte ihn ab, bevor zu zur Arbeit dich wendest, damit nicht der Glanz der Menschenwerke der ewigen Natur dich entreiße. Nur sie soll deine Quelle bleiben, und die großen Künstler nur dich lehren, aus ihr zu schöpfen. Sobald ihre Werke dich bewältigen, sie für Natur zu nehmen, dann ist es um dich geschehen.

Bei Gelegenheit der Alten sagten wir oben, wir wollen mit Jedem und an Jedem uns freuen, der ein unschuldiges Herz hat, und dreist fügen wir hinzu, daß sie auch hierin besser waren als wir; denn wir bedecken das Nackte der Statuen, auf welches sie, den Kindern gleich, ihre arglosen Augen richteten.

Aber noch in anderen Beziehungen sehen wir uns durch Overbeck's Eröffnungen aufgefordert, jenen Grundsatz in Anspruch zu nehmen.

Wer, von der Hoheit der bildenden Kunst durchdrungen, ihre Geschichte in der Höhe der Nationen angeschaut hat, wird sie, wie schon oben ausgesprochen, mit Overbeck am liebsten im Dienste der Gottheit erfüllt sehen. Nur in dieser Sphäre nimmt sie die Würde der Geschichte an.

Aber so wie nicht jeder Kriegshauptmann ein Feldherr sein kann, und so wie die Nachtigallen, Amseln, Zeisige und Finken in den Wäldern, ja selbst die Papageyen auch etwas gelten, ohngeachtet des Adlers in den Höhen, so haben die Künstler ihre verschiedenen Bahnen und Ziele; den höchsten Beruf aber jedem Künstler aufdringen zu wollen, ohne daß die Natur ihre Gaben dazu gewährte, ist die fruchtloseste Gewaltthat. Die Malerei ist in Mannigfaltigkeit der Dichtkunst ähnlich und jeder, der sein Feld mit Treue bebaut, verdient Achtung. Tadelnswürdig ist ja Jeder, der nach etwas trachtet, was er nicht besitzen kann, Jeder daher zu loben, der die ihm zu Theil gewordenen Gaben genau erkennend, eine weise Beschränkung auf sein Eigenthum über sich gewinnen kann. Nachdem wir gebetet, dürfen wir auch andern edlen Freuden unser Herz eröffnen, und das ist Gott gefällig, wie Alles, was ein schuldloses Herz thut.

[…]

Herr Overbeck hatte das Glück, von einer durch erleuchtete Männer geleiteten Anstalt einen Auftrag zu erhalten, in welchem seine hohen Gaben Thätigkeit fanden; König Ludwig und wenige andere Große haben mit anderen Talenten große Gedanken ausgeführt. Aber wer denn gibt so manchen anderen Künstlern eines solchen Berufs ähnliche Beschäftigungen? Und gäbe es noch hunderte seines Talents, wer verlangt ihre Werke?

Die Künstler machen keine Christen, sondern müssen sie vorfinden, und zur Pflicht kann es billigerweise Niemanden gemacht werden, gegen den Strom zu schwimmen und darin umzukommen. Ihre Schuld, die Schuld der Individuen, ist es nicht, daß man heut zu Tage die Kirchengemälde in die Wohnzimmer stellt. Also haben wir nicht mit den Künstlern zu zanken, sondern mit ihnen zu klagen. […]

Was den Raffael betrifft, so ist es freilich bekannt, daß er nur bis zu einer gewissen Epoche seines Lebens ein ausschließlich religiöser Maler war. Aber die harte Verdammung der Gottvergessenheit kann der nicht verdienen, den der Tod überraschte bei seiner erhabensten Schöpfung, welche würdig war, im Angesicht des ganzen Roms seinen Todtenkranz zu schmücken, und, man möchte sagen, diesen in eine Ruhmeskrone zu verwandeln. Und wenn sein unermeßlicher Ideenreichthum nach allen Seiten hin ausstrahlte, kann man wünschen, daß von dem größten Maler ein einziges Werk, auch das kleinste, so fern dieser Gegenstand nicht verwerflich, nicht existiren möchte? Von Ihm, der nur in schönen Gestalten dachte, mußte auch Scherz und Muthwillen, ohne welche ein großer Mann nicht leben kann, zu Gestalten werden: von ihm, den alle seine Zeitgenossen nur mit Liebe nennen, von dem wir göttliche Gaben in unermeßlicher Zahl angenommen haben, sollten wir uns bedenklich zeigen, seine Wohlthaten in jeder Miene seiner Laune anzunehmen? Unhistorisch erscheint jener harte Ausspruch ferner darin, daß seine Tapeten, welche sämmtlich religiösen Inhalts sind, und zu seinen vollkommensten Werken gehören, während sie eine glänzende Befruchtung seines Genie's mit antiker Kunst bekunden, in die späteste Zeit seines Lebens fallen.

Den Michelangelo, den leidenschaftlichen und edlen Bounarroti, anlangend, ihm wollen wir selbst überlassen, die, so ihn angreifen, in seine eigene Schöpfung einzuladen, wo er Alles größer und erhabener wiedergebar, als Menschen es sehen; und Jeder, der in die Grenzen seines Wunderlandes tritt, wird dieselbe Macht des Heroen an sich erkennen. In dieser Wunderwelt sehen wir keine Götzen, sondern huldigen der gewaltigen Schöpfer- und Herrschermacht, welche die Natur, wie die Antike bändigend, zwingt, Michelangelo zu sein.

[…]

Wer diese Zeilen liest, wird keine Gesinnung darin stärker ausgesprochen finden, als die höchste Achtung für den Mann, von welchem einige Worte bestritten, weit mehrere aber gepriesen werden. Wenige Worte sind es nur; aber die Gegenstände, die sie betreffen, der Mund, der sie sprach, geben dem Wenigen großes Gewicht. Die persönliche Beziehung unter Zweien kann daher sich nicht geltend machen bei dem Gegenstande, der Millionen und Jahrtausende betrifft. Wer aber selbst Jahrhunderte malte, wird in der Meinung nur die Jahrtausende und Völker, aber nicht die Person sehen. Immerhin wird er in seiner Milde erwägen, daß in einem dankbaren Herzen die ganze Zahl der Gaben, denen der Name des Wohlthäters aufgedrückt ist, sich in Pfeile zu seiner Vertheidigung verwandeln, wenn ihm Leids geschieht, und das erschütterte Herz die Ungeduldigen nicht bändigen kann. Nicht zum Angriff, aber zur Vertheidigung rufen die Wohlthäter Homer, Sophokles, Plato, Thucydides, Phidias, Pyrgoteles, und weisen auf tausende seliger Stunden, in welchen sie unsere Seelen mit edlen Schätzen bereichert haben. Unzertrennbar aber bleibt unter edlen Menschen das Band gemeinsamen Strebens nach Wahrheit im Schönen, im Guten und Heiligen.

 

Anmerkungen

1 Allgemeine Zeitung: politische Tageszeitung gemäßigt-liberaler Richtung, mit wissenschaftlicher Beilage, die 1798 von J. F. Cotta in Stuttgart begründet wurde. Als sie 1803 von der württembergischen Regierung verboten ward, siedelte sie nach Ulm und 1810 nach Augsburg über, wo sie bis 1882 ihren Sitz behielt und ihre Blütezeit erlebte. (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. 1905-09; Bd. 1, S. 347; Digitale Bibliothek 100, S. 4319). zurück

 

Autor: August Kestner, Diplomat und Kunstförderer, Hannover 28.11.1777 - 5.3.1853 Rom; "studierte in Göttingen Rechtswissenschaft, hörte daneben aber auch die kunstgeschichtlichen Vorlesungen von Fiorillo und wurde nach Beendigung seiner Studien Hofgerichtsauditor und 1803 Geheimer Kanzleisekretär. Nachdem Hannover 1810 an das Königreich Westfalen gekommen war, schied K. aus dem Staatsdienst. Vorher (vom Sommer 1808 bis Herbst 1809) hatte er sich in Italien aufgehalten, wo er mit Thorwaldsen, Koch, den Riepenhausen und andern Künstlern in nähern Verkehr getreten war. Nach mehreren Versuchen, andre Berufe zu ergreifen, ließ sich K. in Linden bei Hannover als Notar nieder. Bei dem Ausbruch des Krieges gegen Napoleon nahm er im Beaulieuschen Korps am Feldzuge teil, und als nach eingetretenem Frieden die alten Verhältnisse in Hannover wiederhergestellt wurden, trat er in den Staatsdienst zurück. Im Frühjahr 1817 wurde er mit einer hannoverschen Gesandtschaft, die mit der päpstlichen Regierung über die Verhältnisse der katholischen Kirche in Hannover verhandeln sollte, als Legationssekretär nach Rom geschickt. Nach Beendigung dieser Verhandlungen, die sieben Jahre dauerten, wurde K. anfangs hannoverscher Geschäftsträger, später Ministerresident [...}. In Rom knüpfte er bald nähere Beziehungen zu Cornelius, Overbeck und den übrigen neudeutschen Malern an, die er gegen Goethes Angriffe in >Kunst und Altertum< in der Schrift >Über die Nachahmung in der Malerei< (Frankf. a. M. 1818) verteidigte. Fortan nahm er sich aller in Rom weilenden deutschen Künstler mit Wärme an und förderte ihre Interessen. Durch den ihm befreundeten Baron v. Stackelberg wurde er auch dem Studium des klassischen Altertums zugeführt, und als praktisches Ergebnis erwuchs daraus das deutsche Archäologische Institut, das er unter dem Protektorate des preußischen Kronprinzen 1829 in Gemeinschaft mit Bunsen, Gerhard, Thorwaldsen, Panofka u. a. gründete [...]. Nach Bunsens Fortgang von Rom (1838) wurde er Vorsitzender des Instituts. Auch nach Aufhebung des Ministerresidentenpostens blieb K. in Rom." (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. 1905-09, Bd. 10, S. 864; Digitale Bibliothek 100, S. 101.064-66.)

Quelle: Overbeck's Werk und Wort. Ein Aufsatz von einem römischen Kunstfreunde in Bezug auf Overbeck's Erklärung seines im Städel'schen Kunst-Institute befindlichen Bildes: Triumph der Religion in den Künsten. Frankfurt am Main. Friedrich Wilmanns. 1841. – Sperrungen sind kursiv wiedergegeben.





5. Friedrich Theodor Vischer:
Der Triumph der Religion in den Künsten, 1841

Ich stand vor dem vielbesprochenen Gemälde im Städelschen Institute zu Frankfurt. [...] Das Bild zerfällt in zwei große Hälften, streng verbunden im Geiste des Malers und des Mittelalters, in dem er lebt; für das Auge ist keine Einheit da, keine Mitte, keine Wechselbeziehung, welche die getrennten Glieder zur Gesammtheit Einer Handlung verbände. Doch urtheilen wir noch nicht; der Meister hat ja kein geringeres Vorbild, als Rafael's Theologie in der Stanza della segnatura für sich. Nehmen wir sogleich seine eigene gedruckte Erklärung zur Hand. Ohne diese werden wir nicht wohl in's Klare kommen. [...]

Es soll die Entwicklung der bildenden Kunst im Dienste der christlichen Kirche dargestellt werden. [...]

Den oberen Theil unter dem Rundbogen nimmt eine Versammlung überirdischer Personen aus dem christlichen Himmel ein; sie sitzen und stehen auf Wolken, wie in der Malerei des Mittelalters und ihrer matteren Nachblüthe in den nächsten Jahrhunderten nach Abschluß desselben. [...]

Im unteren Theile des Bildes breitet sich in heiteren Flächen und Bergen die Erde aus, und im Vordergrunde ist eine große Versammlung von Künstlern zu sehen. Der ganze obere Theil ist wie eine Vision zu betrachten, die ihnen vorschwebt; doch keiner von ihnen blickt hinauf, keinem, oder nur zweien, dreien sehen wir an, daß, was oben sich enthüllt, in ihrem Innern sich spiegelt. Doch ja, es ist eine Art Verbindungsglied da, die Fontaine. In der Mitte des Plans tritt nämlich ein Brunnen dem Blicke entgegen, der "[...] als Symbol der himmelanstrebenden Richtung der christlichen Kunst erscheint [...]. So ist demnach jede Kunstrichtung, die sich im Bilde angedeutet findet, nur insofern hier gemeint, als sie nicht in Widerspruch tritt mit der himmelwärtsgerichteten Intention des Ganzen.[...]" [...] Sinnliche Mittel mußten freilich auch der strengchristlichen Kunst als nothwendig zugestanden werden; die Richtung der Malerei aber, welche in kirchlichen Darstellungen anerkannt ohne religiöse Würde ihre ganze Kraft im Profanen entfaltete, war von diesem Bilde offenbar ausgeschlossen. Und dennoch haben die Venetianer hier ihre Stelle gefunden. In den Spiegel des unteren Beckens nämlich sehen Giovan Bellino und Tizian, im Gespräch mit Carpaccio und Pordenone erscheint sogar Corregio, er ist aber freilich mit einem verwünscht frivolen Kopfe davongekommen. Aber in dieser Degradation durch ihre Stellung am untern Becken waren die Venetianer doch aufzunehmen? Gut, aber dann machten auch noch andere Meister in Menge Anspruch auf den Eintritt in diesen Kreis. Wo ist van Dyk, Rubens, wo sind die Spanier? [...] Freilich ist ihnen ihr Verdienst abgesprochen, denn kirchlich religiöser Geist ist ja als der einzig wahre Inhalt der Kunst behauptet, als die einzige Weise, worin sie ideell zu sein vermag, es fehlt also diesen Künstlern die Idealität, mithin die Kunst – nach Overbeck.

[...]

Die Maler, welche noch im Mittelpunkte des religiösen Ideals verweilten, bilden zwei Gruppen zur Linken und Rechten der Fontaine. [...]

Im Vordergrunde sind links die Bildhauer, rechts die Architekten versammelt, jene um Nicola Pisano, ein Kaiser in ihrer Mitte, so wie unter den Baumeistern ein Papst und Bischof, da es geeignet schien, jene Kunst dem weltlichen, diese dem geistlichen Schutze unterzuordnen. [...]

Also eine Recapitulation der Kunstgeschichte, ein Cursus über ihre Vergangenheit, der zugleich eine Moral für ihre Zukunft enthält. Die Kunst biegt sich auf sich zurück und macht sich selbst sich zum Gegenstande. Das ist ein Act der Reflexion, aus dieser das ganze Bild hervorgegangen, und schon hiedurch ein ganz modernes, im tadelnden Sinne modernes Product. Wie? Ein Werk, das so ganz in den Glauben der guten alten Zeit getaucht, so aus der Quelle der reinsten Frömmigkeit geflossen ist, bei dessen Ausführung Perugino und Rafael den Griffel, venetianische Farbenwärme den Pinsel geführt hat? Wir reden von der Ausführung nachher und von der Stimmung, wie sie sich in den ästhetischen Formen ausspricht. Hier ist nur erst ganz allgemein die Aufgabe, der Gedanke festzuhalten. Nie ist es den alten Meistern eingefallen, die Malerei, die bildende Kunst zu malen. Sie haben einzelne Künstler portraitirt; das ist etwas Anderes. Sie haben gelegentlich die verschiedenen Künste in allegorischer Andeutung angebracht; das ist auch etwas Anderes. Aber nie haben sie mit dem Pinsel einen Vortrag über Geschichte der Kunst gehalten, um eine fabula docet daraus zu ziehen, um eine gewisse Ansicht über diese Geschichte als die einzig richtige aufzustellen. Und es ist nicht zufällig, daß sie dies unterlassen haben, sonder es ist, weil sie mit allen Kräften im Boden der Kunst wurzelten, nicht außer ihr standen, um Betrachtungen über sie zu malen. Rafael hat die Theologie, das Recht, die Philosophie, die Poesie gemalt. Die Aufgaben waren unfruchtbar genug, und nur Rafael vermochte solche Abstractionen in Fleisch und Blut zu verwandeln. In der Poesie ist allerdings ein Zweig der Kunst von der Kunst selbst behandelt, aber ein der Art nach von der ihn behandelnden Kunst sehr verschiedener, nicht die bildende von der bildenden und keineswegs mit der didaktischen Absicht, über die Tendenz derselben eine Lehre aufzustellen. Dies setzt den Rückblick auf eine abgelaufene Entwicklung voraus und einen reflectirenden, raisonnirenden Geist. Uebrigens ist der Künstler dem großen Schöpfer der Stanzen darin gefolgt, daß er den abstracten Begriff als die lebendige Seele seiner geschichtlichen Verkörperung in Individuen faßte und so in der Hauptsache der in der Allgemeinheit der Aufgabe liegenden Verführung zur Allegorie entging. Allein im Einzelnen hat sich diese todte Geburt des Verstandes, die Rafael in der Segnatur aus gutem Grunde als rein decorative Nachhilfe an die Decke verwies, dieses Afterbild des Schönen, diese Conservatorin eines ästhetischen Naturaliencabinets, welche einem bestimmten sinnlichen Gebilde die ihm lebendig zugehörende warme Seele ausweidet und dafür einen ihm fremden, der Vielseitigkeit individueller Beseelung durch seine Abstractheit widersprechenden Begriff hineinstopft: dieses Gespenst der Kunst hat sich dennoch auf allen Seiten eingeschlichen; ein neuer Beleg, daß wir ein Werk mehr der Reflexion, als der Begeisterung (Fanatismus ist nicht Begeisterung) vor uns haben. Im oberen Theile sind Vorstellungen des christlichen Glaubens, für welche dieser seine bestimmten, der frommen Phantasie geläufigen mythischen Formen hat, ganz unnöthiger Weise allegorisch angedeutet. [...] Es sind zum Theil typische, durch Convenienz dem Theologen geläufige, Allegorieen, aber doch ohne Kopfzerbrechen nicht zu entziffern, ja ohne Commentar gar nicht zu entdecken. Im untern Theile der Springbrunnen, also der Mittelpunkt des Ganzen, allegorisch. [...]

Man muß allerhand hören. In München ließ ich mich gegen einen Künstler und Kunsthistoriker über die Allegorie heraus. Ich war damals noch so unschuldig, zu meinen, es verstehe sich von selbst, daß ich in meinem Unwillen gegen diese Perücke der Kunst Niemand gewisser als die Künstler auf meiner Seite haben müsse; ich erstaunte daher nicht wenig, die sehr ernste Antwort zu erhalten: "sehen Sie, wohin Sie gerathen, wenn Sie die Idee aus der Kunst wegnehmen." Ich machte, freilich nach solchem Vorgang hoffnungslos, einen Versuch, ihm darzuthun, daß gerade das Interesse, die Idee recht in die Kunst hineinzubringen, zur Verwerfung der Allegorie führen müsse. Der Mann hatte namentlich Mythus und Allegorie verwechselt und beschlossen, sich hierüber nicht in's Klare bringen zu lassen. Diese Verwechslung liegt allerdings der jetzigen Zeit nahe, da Vieles, was alte fromme Zeiten als Mythus erzeugten, für uns, weil es nicht mehr im Glauben lebt, Allegorie geworden ist, und derjenige, der dem Mythus als höchster Aufgabe der Kunst das Wort sprechen zu müssen glaubt, daher leicht auch den ursprünglichen Unterschied desselben von der eigentlichen Allegorie verkennt und diese in seine Protection mit einschließt. [...]

[...] Anders verhält es sich mit den christlichen Mythen; es ist noch zu kurz her, daß sie uns Glaubensartikel waren, ein großer Theil der protestantischen Welt glaubt sie theilweise, ganze katholische Völker glauben sie in ganzer Ausdehnung mit allen Zusätzen des Mittelalters noch. [...] Aber auf diese Mythen noch eigentliche Allegorien hinaufkleben, wie Overbeck gethan hat, das heißt freilich einem gesunden Magen zu viel zumuthen. "Aber welche Confusion, Overbeck glaubt ja das, was Sie Mythen nennen, es sind ihm also keine!" Daß er es zu glauben glaubt, bezweifle ich gar nicht; nur noch eine kleine Geduld, wir kommen darauf zu sprechen.

Die eigentliche Allegorie nun, eine beiläufige Verknüpfung einer gewissen sinnlichen Erscheinung mit einem abstracten Begriffe durch irgend ein tertium comparationis, gemacht von der sujectiven Reflexion [...] kann von der Kunst nicht ganz ausgeschlossen werden. Es kann bei Monumenten, bei der Verzierung der Architektur an Portalen u.s.f., oder cyclischer Ausschmückung großer Räume, öfters die Aufgabe entstehen, einen abstracten Begriff durch ein Bild, welches nicht die Phantasie des Volks, nicht alter Glaube als dessen wirklichen lebendigen Leib anschaut, sondern nur die Reflexion eines Einzelnen mit ihm verknüpft und etwa die Convenienz in dieser Verknüpfung fixirt hat, anzudeuten. Die bildende Kunst als eine stumme wird diesen Nothbehelf nie ganz entbehren können. [...] Das vornehme Wort Idee hat gar viel Spuk angerichtet. "Die Kunst muß Ideen darstellen." Ganz falsch! Denn das heißt schon: der Künstler muß eine Idee, will sagen: abstracten Gedanken aushecken, und ihm nachträglich ein Kleid umhängen. Idee und Bild ist in jenem Satze schon so auseinandergehalten, daß die allegorische Darstellung von selbst folgt. Die Kunst soll ideale Anschauungen der Phantasie, in denen die Idee schon von selbst und untrennbar mit dem sinnlichen Körper vermählt ist, zur äußeren Erscheinung bringen. Das etwas berüchtigte Wort Allegorie vermeidet man freilich gern und setzt dafür Symbol. Allein es ist in Symbol und Allegorie dasselbe äußerliche und dem wahrhaft Schönen fremde Verhältniß zwischen Bild und Idee. Der Unterschied ist nur der, daß das Symbol ein instinctmäßiges Product der im Dunkel suchenden Phantasie der Naturreligionen, Allegorie das Machwerk eines Einzelnen ist, der sich mit nüchterner Wahl des Verstandes einen Begriff ersinnt und ihn dann in ein beliebiges Bild verbirgt. Die symbolische Einbildungskraft confundirt, sich selbst dunkel, Bild und Idee; die Allegorie, deren Verfertiger für seine Person über den Unterschied und das tertium Beider völlig im Klaren ist, spielt Versteckens mit dem Zuschauer. [...] Von beiden ist der Mythus verschieden. Er setzt die religiösen Wahrheiten in Handlungen um; Handlung setzt Willen, Wille eine Person voraus; seine Personen aber verhalten sich zu dem bestimmten Ideengehalte, den sie vertreten, so daß dieser ihre eigene Seele, ihre Leidenschaft ist. Der Mythus konnte sich daher noch nicht in der Naturreligion, sondern erst in der aus ihr herausstrebenden Religion der schönen Menschlichkeit in seinem wahren Wesen ausbilden. Er läßt das Symbol hinter sich, und geht der Allegorie, die von ihm das Successive der Handlung aufnehmen kann, aber keine eigentliche Handlung kennt, weil sie keine Personen, sondern nur Devisen hat, voran. Die Allegorie hat sich immer eingestellt, wo das Leben einer Religion im Absterben und mit ihm die poetische Potenz im Verwelken war. Die späteren Griechen, die Römer der Kaiserzeit liebten sie [...]; die Jahrhunderte des Zopfs cultivirten sie ganz leidenschaftlich, und indem jetzt die Kunst kräftig die Flügel regt, ist sie uns als Muttermal der Prosa, als Haarbeutel des ancien régime noch hängen geblieben. Ob wir berufen sind, uns aus dem Zopfe (ich muß das Wort, wie die Künstler, als Terminus brauchen, es giebt kein anderes) ganz herauszuarbeiten, dies fällt so ziemlich auch mit der Frage zusammen, ob wir fähig sein werden, die Allegorie vollends abzuschütteln. [...] Schadow (1) hat die Parabel von den klugen und den thörichten Jungfrauen in einem großen Staffeleigemälde mit vielem Aufwand von Kunst ausgeführt. Der himmlische Bräutigam öffnet eintretend die Pforte, zu beiden Seiten sehen wir in reicher Abstufung des Affects dort die erschrockenen unklugen, hier die freudigen klugen Jungfrauen mit ihren Lampen. Können wir mit dem Schmerz jener, mit der Freude dieser irgendwie sympathisiren, mit ihnen fürchten, hoffen, erschrecken, entzückt sein? Gewiß nicht, es ist ihnen selbst ja nicht ernst, nicht einmal mit ihrer Existenz, sie haben ja kein Blut, keine Lebenswärme, bedeuten nicht sich selbst, es sind Schatten, Schemen, ein paar Lappen um einen Begriff geschlagen; ein ganz tüchtiges Bild für die Rede, für den Lehrvortrag, hohl und matt für die bildende Kunst. Ganz anders verhält es sich, wenn wir dieselben Figuren am Portal der Sebalduskirche zu Nürnberg einzeln in Stein gebildet auf Consolen stehen sehen. Hier sind sie architektonische Verzierung, und diese unterliegt ganz anderen Bedingungen, als die Malerei. [...]

Aber fast hätten wir unser Bild vergessen. Die Allegorie kommt hier doch nur unter Anderem vor, die Seele des Ganzen ist nicht in allegorischen, sondern in mythischen Gestalten verkörpert. Man wird sich nicht einbilden, daß ich nicht wisse, wie etwas Angefochtenes durch den Namen mythisch ausgesprochen wird; noch viel weniger, daß ich behaupte, es liege jenen überirdischen Figuren gar nichts Historisches zu Grunde. Unser Meister freilich ist am weitesten entfernt, solchen Stoff als mythischen gelten zu lassen, vielmehr er stellt ihn als die allein wahre Realität und als die einzige würdige Aufgabe der Kunst hin. Alle weltliche Darstellung ist ihm ja das Ende der Kunst, Sünde der Apostasie. Man wird aber nicht erwarten, daß ich meinen Terminus mythisch, den ich alles Ernstes zur Unterscheidung der religiösen und der historischen Malerei in Vorschlag bringe, hier durch eine theologische Vorlesung begründe.

Ich spreche deßwegen gerade von diesem Bilde so weitläuftig, weil nirgends mit solcher Bestimmtheit die weit verbreitete, in der wissenschaftlichen Aesthetik noch herkömmlich wiederholte Ansicht von der Einheit der Kunst und Religion aufgestellt ist. Natürlich ist bei unserem Meister nur von christlicher Religion und Kunst die Rede. "Das Heidenthum als solches soll der Künstler mit entschiedener Verachtung liegen lassen; aber er mag sich gleichwohl die Kunst der Alten, so wie ihre Litteratur, zu Nutzen kommen lassen, gleichwie die Kinder Israel die goldenen und silbernen Gefäße aus Aegypten mitgenommen, wofern er sie nur, gleich diesen, zum Dienste des wahren Gottes in seinem Tempel umzuschmelzen und zu heiligen weiß." Da steckt wieder ein hübsches Nest Confusion. Das Heidenthum als solches. Soll das heißen: Stoffe aus der heidnischen Religion? Diese werden aber doch im Grunde von der neueren Kunst nur selten aufgenommen. Die griechische Weltanschauung überhaupt ist vielmehr gemeint, wie sie dem Sinnenleben und der naturgemäßen Wirklichkeit positive Geltung gönnt. Die griechische Stimmung und die aus ihr fließenden Kunstformen aufgenommen zu haben, ist sein Vorwurf gegen Mich. Angelo und Rafael. Aus diesem Grunde ist die moderne Kunst seit dem Schlusse des Mittelalters für ihn nicht vorhanden; denn ihre weltliche Tendenz hat neben dem kritischen Geiste des Protestantismus, der den christlichen Olymp entvölkerte, wesentlich die Rückkehr zum gesunden Realismus der Alten zum Ausgangspunkte; Reformation und humanistische Studien wirkten auf dasselbe Ziel. Etwas soll nun aber der Künstler von den Heiden doch lernen dürfen. Die schöne Form ohne Zweifel, und in diese soll er den christlich-kirchlichen Inhalt niederlegen? Als ob er die Schönheit der Antike bewundern und reproduciren könnte, wenn er ihre Grundlage, die plastische Weltanschauung, verachtet! [...]

Wir müssen hier nothwendig an die Wurzel gehen und den Satz von der Einheit der Kunst und Religion überhaupt prüfen. Die Seite ihrer Einheit braucht wirklich nach Allem, was Schelling, Solger, Hegel hierüber gesagt haben, keinen philosophischen Beweis mehr. Sie haben einen und denselben Boden, die Einheit des Begriffs und der Wirklichkeit, die versöhnte Welt, die Idee, und die Religion, indem sie diese in einem Kreise von Mythen niederlegt, arbeitet der Kunst von selbst in die Hände. Der geschichtliche Beweis liegt für Jedermann da, denn bis zum Ende der großen mittelalterlichen Kunstblüthe gingen in allen Weltaltern Kunst und Religion Hand in Hand. Allein schon an sich ist in der Einheit zugleich der Unterschied und die Lösbarkeit beider Sphären nicht zu verkennen. Die Religion bewegt sich zwar im Elemente der Vorstellung. Allein für's Erste ist es nicht die reine Vorstellung, in der sie sich bewegt, sondern sie reicht theilweise schon in das Gebiet des abstracten Denkens hinüber, indem sie die Vorstellungen in Lehrsätze faßt, mit Beweisen stützt, mit Unterscheidungen und Nutzanwendungen prosaisch durchflicht und zwar nicht nur in der Dogmatik, sondern im gemeinen Bewußtsein selbst. Für's Andere ist ihr in dem Grade, in welchem sie über die Naturreligion sich zur Religion des Geistes erhebt, die äußerliche Anschauung des innerlich Vorgestellten im Kunstwerke entbehrlich, ja sie setzt sich in Opposition dagegen, weil sie Götzendienst befürchtet. Der Katholicismus war der Kunst in dem Grade günstig, als er noch mit polytheistischer Stimmung und polytheistischen Stoffen behaftet war. Der protestantische Cultus verlegt den Dienst des Herrn rein ins Innere und befürchtet von den bunten Umgebungen der Kunst mehr Zerstreuung als Sammlung; er hat zwischen der ästhetischen und der religiösen Stimmung unterscheiden gelernt. [...] Die Religion hat Interesse (allerdings kein endliches), die Kunst keines. Kant's Kritik der ästhetischen Urtheilskraft hat dies hinlänglich dargethan. Jene Veränderung im Subjecte zu bewirken genügt aber auch der dürftige, der rohe Kunstversuch, ja dieser sagt dem religiösen Interesse in seiner specifischen Reinheit mehr zu, als das schöne Kunstwerk. Die Aeußerungen des Aeschylos, des Pausanias, daß die alten strengen und düsteren Cultusbilder göttlicher seien, als die neuen schönen, sind bekannt. Das schöne Bild befreit, Angst und Zittern um unser Seelenheil hat in seiner Gegenwart ein Ende und wir erinnern uns, wie schön die Welt da draußen sei, der wir entsagen sollen. Die Absichten beider Sphären können sich (und es ist dabei gar nicht an eine gesunkene und frivole Kunst zu denken) geradezu feindlich begegnen. [...]

[...]

Es liegt in der gemeinsamen geschichtlichen Entwicklung der Kunst und Religion eine schwierige Antinomie. Indem sie sich immer mehr zusammenbewegen, gehen sie jeden Moment eben so sehr immer weiter auseinander, sie bilden sich einander zu und zugleich von einander weg, sie suchen sich, und dies Suchen ist ein Fliehen; sie finden sich und sie sind weiter getrennt als je. Die Religion stellt das innerste Selbst des Menschen ihm äußerlich projicirt gegenüber. Nicht sein empirisches Selbst ist es, was er hier anschaut, sondern sein ideales. Er soll es wieder erkennen in dieser Bewegung, es soll das gegenüberstehende Bild seinen reinen Geist vertraut begrüßen, seinen Eigenwillen aber und sein sinnliches Leben tief erschüttern und abweisen. Die Religion auf ihrem Standpunkte kennt eine Versöhnung des empirischen mit dem idealen Ich nur unter der Bedingung, daß jenes im Innersten zerknirscht und gebrochen werde, daß es in seinen Tiefen zusammenschaure, die heidnische wie die christliche. [...] Zurückweisung also des natürlichen Willens und freundliches Entgegenkommen gegen das reine Selbst im Zuschauer bleibt Hauptaufgabe religiöser Kunstwerke. Dies leisten sie um so mehr, je mehr sinnliche Darstellungsmittel ihnen zu Gebot stehen, je mehr sie sich zur reinen Form erheben, und mit der Vollendung der Form erreicht das religiöse Ideal seinen Gipfel. Aber wo holt der Künstler diese Form? In der Natur, in der Welt, und gerade diese soll sein Ideal als nichtig darstellen. Also was er als verwerflich, als sündhaft, als ausgeschlossen aus dem Heiligthum aufzeigen soll, eben das ist es, was er zu demselben Zwecke aufnehmen und einlassen soll: das ist der Widerspruch. Woraus sein Werk verbannen soll, das ist seine Heimath, seine Lebensluft. Der Widerspruch wird lange nicht gefühlt, bis an die Schwelle der höchsten Entfaltung bleibt der Flügel der Kunst gebunden, ein Rest alter Herbe und typischer Härte rettet die geforderte abweisende Strenge. Das ist es, was in den Werken eines Fiesole, eines Pietro Perugino, Franc. Francia so fromm ergreift, so tief rührt, die Schüchternheit in der Anmuth, die naive Dürre und Magerkeit bei Formen, die doch schon der höchsten Schönheit entgegenschwellen. Endlich bricht die Knospe, die Jungfrau ist reif und mannbar, das Ideal erreicht; und jetzt, in den Werken eines Phidias und Polyklet, eines Rafael feiern Kunst und Religion den Moment ihrer höchsten Einheit. Aber es ist zugleich der Moment ihrer Entzweiung für immer; die erblühte Jungfrau hat kein Bleiben mehr in den Klostermauern; die Geburt des religiösen Ideals ist die Stunde seines Todes, diese Aloe welkt, wenn der schlanke Blüthenstengel emporgeschossen ist. Es war zu viel Natur, zu viel Form in dies Heiligthum eingelassen, es hat mit ihr seinen Feind in sich aufgenommen; einen Basilisken, der sein Blut aussaugt, hat die kirchliche Kunst an ihrem Busen aufgesäugt, die Schönheit wird ihre Verrätherin. Das gebundene Bewußtsein des Künstlers hat sich vom letzten Reste des Typus befreit, und mit dieser Freiheit ist es ein weltliches geworden, ohne es zu merken. [...]

In Deutschland giebt man die Stoffe auf, in Italien behält man sie bei und verkehrt sie. Der Katholicismus selbst, von der Aufklärung angesteckt und seinen Zerfall fühlend, versucht eine große Restauration, bei der ihm die Kunst wesentliche Dienste leisten soll. Das religiöse Ideal soll durch Mittel sehr moderner Art, durch stimulantia gerettet werden. Jene eigene feine Sinnlichkeit, welche mit der Trunkenheit sentimentaler Verzückung zusammenfällt, jene Vermischung von Magdalene und Pompadour, jene schuldige Unschuld, jene kokette Naivetät, all jener Theatereffect, der das spätere sechzehnte, siebzehnte, achtzehnte Jahrhundert bezeichnet, ist das Mittel, das der moderne Katholicismus aufbietet. Die Kirchenmusik wird zur Opernmusik, die ernste Glocke selbst lernt Menuett tanzen, dem Bildhauer stehen Ballet-Tänzer und -Tänzerinnen, die Architektur lernt hüpfen, daß ihr die gewickelten Haare in die Lüfte flattern, Maitressen blicken schwimmend in lüsternen Thränen aus dem Rahmen und runzliche vettelhafte Alte, heilige Hieronymus, Franciscus u.s.w. schmachten mit der Verzückung begehrlicher Impotenz nach ihnen. Diese Periode, die berühmte große Zopfperiode, ist der Auflösungsgang des romantischen Ideals.

In Holland hatte der protestantische Geist im 17. Jahrhundert einen neuen Weg gesucht. Da ihm die transcendente Gestaltenwelt entzogen war, ergriff er die Wirklichkeit, zuerst die nächste, deren herbe Gegenwart nur die Idealität der Komik oder des traulichen Familiengeistes zuläßt. Ganz ebenso hatte im 16. Jahrhundert die deutsche Poesie der Ueberschwänglichkeit des romantischen Epos den plebejischen Ton der derben Volkslust, den Grobianismus eines Dedekind, den überschrecklich lustigen Cynismus eines Fischart entgegengestellt. Dies waren die Anfänge einer neuen Kunst, deren Inhalt die Wirklichkeit, nicht mehr das phantastisch bevölkerte Jenseits sein sollte, die Geschichte, nicht der Mythus. Aber es fehlte der Adel der Form, es fehlte die Idealität der ernsten Schönheit. Diese war nur von den Alten zu lernen. Der winterliche, zwiespältige deutsche Charakter, seine stille Tiefe bei roher Form sollte mit dem Geiste der antiken Plastik durchdrungen ein neues Kunstleben erzeugen. Schon einmal war die antike Form aus ihrem Grabe erstanden, um der verschlossenen Innigkeit des romantischen Gemüths zur schönen Erscheinung zu verhelfen; es war in Italien im 15. Jahrhundert, als die Florentiner an diese reine Quelle zurücktraten, auf deren Schultern Rafael steht. Aber ungenügsam zupft und zerrt man an der antiken Form, gießt einen fremden, eitlen, modern-selbstgefälligen Geist in ihre gesunden Glieder und verkehrt sie endlich so, bis man sie wirklich mit sehenden Augen nicht mehr sieht. Die mißverstandene Antike ist eine Hauptbedingung des Zopfs.

Nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts geht von Deutschland aus die Reinigung der Kunst durch die Reinigung des Sinns für die antike Form. Winkelmann erlöst uns von jenem Hohlspiegel, durch den wir die Antike gesehen hatten. Endlich erkennen wir in den Homerischen Helden wieder Menschen und nicht mehr renommistische Gardeofficiere, ahnen und schauen wieder, was Natur sei, große Natur, Styl, Geist in Naturform, Weben und Sein im Mittelpunkte, Quellwasser, Milch des Lebens. Karstens, Wächter, Schick ergreifen mit kräftiger Hand, was Winkelmann entdeckt. Die Barbaren hatten zum zweiten Male die alte Welt erobert. Die grobe deutsche Natur lernt endlich, was ihr das Schwerste ist, Form. Die deutsche Malerei des Mittelalters ist bewunderungswürdig in den zwei äußersten Seiten der Darstellung: Seelentiefe des Ausdrucks und liebevolle technische Vollendung des Einzelnen; aber die Mitte fehlt, die Rundung, Fluß und Schwung großer Formen, die schöne Gestalt, kurz die Plastik [...] bis [...] Deutschland, spät, aber desto nachhaltiger und inniger, sein tiefes Gemüth mit der classischen Form vermählt. [...] Wir sollten erst andere geschichtliche Aufgaben vollbringen; wir sollten, wie kein anderes Volk, entschlossen mit dem Mittelalter, dem Geiste phantastischer Transcendenz, brechen, die eigentlichen romantischen Stoffe, die auf diesem Geist beruhen, lieber aufgeben als zur eleganten Form erheben, und erst spät die Frucht der humanistischen Studien ernten, den gebildeten, mit der Wirklichkeit versöhnten freien Geist der modernen Zeit in die silbernen Schalen antiken plastischen Sinnes gießen. Erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts verschmilzt Goethe classische Form und germanisches, romantisch vertieftes Seelenleben zur Einheit des modernen Ideals. Ebenso die bildende Kunst. [...]

Inzwischen es fehlte noch ein Schritt. Der Standpunkt der Antike ist nicht das Element, worin das Gemüth sich ganz gesättigt fühlen kann, dem seit dem Christenthum und seiner Durchdringung mit der innigen Natur deutscher Völker eine neue Welt unendlicher Gefühle aufgegangen ist. Ganz hatten ohnedies die grossen Meister von dem Mißverständniß und von der falschen dogmatischen Anwendung der Antike sich nicht befreit. Ein kleines Endchen Zopfband war noch hängen geblieben. Man kennt das Kunsturtheil der "Kunstfreunde" in Weimar, ihre Mißachtung der Romantik, ihre Forderung plastischer Stoffe für die Malerei. Auch die Poesie war von der falschen Classicität noch nicht ganz frei; Goethe meinte eine Achilleis dichten zu können. Etwas Canova, etwas Hofgeschmack des 18. Jahrhunderts, etwas Puder ist doch noch in manchen seiner Dichtungen. Eine Reaction mußte erfolgen. Die romantische Schule trat auf [...]; ein neues Mittelalter trat auf, aber kein wirkliches, ein in einem fremdartigen Geiste, dem modernen, reflectirtes, künstliches Mittelalter: und darin lag das Kranke, daß man ganz ins Mittelalter zurück wollte und kopfüber sich selbst in seine Kirche stürzte. Man begriff nicht, daß es ebenso einseitig ist, das Mittelalter wie es geht und steht, als das classische Alterthum mit Stumpf und Stiel erneuern zu wollen, daß unsere Aufgabe immer nur sein kann, von jenem den Gemüthskern, die geistige Unendlichkeit ohne die Phantasmen, in denen sie sich verworren darstellte, von diesem die klare Form aufzunehmen und beide Elemente zur innigen Durchdringung zu führen. Wie die Poesie, so reclamirte nun auch die Malerei die Romantik [...]. Aber auch hier dieselbe Verirrung. Das Mittelalter mit Haut und Haaren, seine Kirche, seine Legenden, sein Mythus sollte erneut und dogmatisch als höchste Aufgabe anerkannt werden, blondlockige vergißmeinnichtaugige Sternbalde wanderten nach Rom und Hr. Overbeck wurde katholisch.

Fassen wir nach diesem Spaziergange wieder vor unserem Gemälde Posten. Hier haben wir eine Frucht dieser Tendenzen, eine Beichte, ein Generalbekenntniß von Overbeck's Künstlerleben.

Ich fasse die Sache jetzt an der Wurzel und sage: das Princip der Reformation, in der Kirche selbst nur unvollständig aufgestellt, von der Wissenschaft, von der Weltbildung durchgeführt, hat den Olymp des Mittelalters ein für allemal rein ausgeleert. Unser Gott ist ein immanenter Gott; seine Wohnung ist überall und nirgends; sein Leib ist nur die ganze Welt, seine wahre Gegenwart der Menschengeist. Diesen Gott zu verherrlichen ist die höchste Aufgabe der neuen Kunst. Die Geschichte, die Welt als den Schauplatz des Herrn, die naturgemäße, in scharfen, nicht romantisch schwankenden, festen Umrissen als eine Bewegung, worin sittliche Mächte Gottes Gegenwart verkünden, wo Himmelskräfte auf- und niedersteigen und sich die goldnen Eimer reichen, das ist das Feld des modernen Künstlers. Wir kennen keine Wunder mehr, als die Wunder des Geistes, diese innere Romantik bringe der Künstler in gediegenen plastisch geläuterten Formen zur Erscheinung. Hiedurch ist die kirchlich-religiöse Malerei, die man sonst als den höchsten Zweig der historischen Malerei ansah, offenbar von dieser Stelle vertrieben, ja sie ist aufgehoben. Sind es doch schon dreihundert Jahre her, dass sie Todes verblichen ist, und nur mit galvanischen Reizen hat man ihr ein neues Scheinleben einzutreiben gesucht. Unter Anderem mögen Madonnen und Heilige u.s.f. immer noch vorkommen; man kann dem Künstler nicht vorschreiben, die Stimmung des katholischen Mittelalters mag ihn gelegentlich ergreifen, dass er einmal ein Heiligenbild malt, so wie er unter Anderem auch einmal die alten Götter wieder auf einige Stunden bei uns einführen mag. Aber er stelle diese Aufgaben nicht als Princip auf. Er mag es, wenn er eine lebendige Leiche sein will. Unsere Kunst hat Alles verloren und dadurch Alles gewonnen; verloren die ganze Fata Morgana einer transcendenten Welt, gewonnen die ganze wirkliche Welt. Die Malerei des Mittelalters wie sein Glaube, legte die ganze Erde in den Himmel hinüber, die unsrige zeige den Himmel auf Erden. Die Atmosphäre unseres Planeten ist für uns keine Geisterwohnung mehr, der Horizont ist gereinigt; Keine Feeen [!] und Gnomen schimmern mehr durch den Nebel, keine Götter und Marien thronen auf abendrothen Wolken: es ist Nebel, es sind Wolken, aber die Welt rückt nun ins volle Licht, da vorher zwischen ihr und der Sonne eine zweite Körperwelt ihr das Licht entzogen, sie liegt aufgeschlagen vor uns, die Strahlen der Kunst können ihr bei, es ist Luft, Licht, offen. Daß, wer diese helle, klare Welt im Segen ihrer Götterkräfte darstellt, indem er das Gemeine, was bloß endlich an ihr ist, im Läuterungsfeuer der Phantasie ausscheidet, Gott nicht verherrliche, dass man nur entweder Gott, oder die Welt, entweder die Idee oder die Wirklichkeit, entweder die Natur in der heiteren Regung großer Kräfte oder die Uebernatur darstellen, entweder nur artistischer Naturalist oder Supranaturalist sein könne: wer dies behauptet, ist ein Manichäer, ein Künstlerpietist, ein Mensch, der nicht weiß, dass nicht bloß unsere Theologie, sondern unsere ganze Bildung längst über das Dilemma des Rationalismus und Supranaturalismus hinaus ist, ja er ist ein Mensch, der keine wahre Religion hat. Denn wahre Frömmigkeit vertraut auf Gott, dass er bei uns und mit uns, dass er ein Geist sei, der nicht in sich bleibt und sich nicht verliert, wenn er seinem Andern sich ganz mittheilt. Meint ihr denn, das sei zufällig, dass wir einen Luther, einen Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Strauß haben? Das könne in der Wissenschaft eingeschlossen bleiben, sei nicht Symptom und Sprache unserer Gesammtbildung, fließe nicht in sie zurück und müsse auch in der Kunst durchbrechen? Ein großes Stück Geschichte verläugnen, ist immer Wahnsinn. Verkenne nur dein Volk und was es gethan, den Blitz des freien Gedankens auf seiner tiefgefurchten Stirne; geh nach Rom, um die ewig junge Antike zu verachten und das verwelkte Mittelalter zu verjüngen, laß dich von Rothstrumpf und Blaustrumpf mit abgestandenem Weihwasser sprengen: wir lassen die Todten ihre Todten begraben. […]

Unsere höchste Aufgabe ist jetzt das sogenannte profanhistorische Gemälde nebst seiner Voraussetzung, Vorstudie oder wie man es nennen mag, dem edleren Genrebild. [...] Das höhre Genre und das profanhistorische Bild warteten eigentlich auf ihre Geburt, sie sind von gestern. Anfänge sieht man im Mittelalter bei den Venetianern, bei Rafael, früher schon bei den Florentinern als Episode, da einer heiligen Handlung eine Gruppe von Zuschauern, Bildnißfiguren aus der Geschichte, äußerlich zugegeben wurde, wie bei Masaccio, Ghirlandajo, Cosimo Roselli und Anderen. Aber die Zeit war noch nicht gekommen. Der geschichtliche Geist konnte dem Mittelalter nicht aufgehen, die objective Betrachtung, die er verlangt, setzt alle Vermittlungen der Kritik und der freien Universalität voraus, die erst der moderne Geist auf sich zu nehmen vermochte. Aber welche Welt, welche ungehobenen Schätze liegen noch vor uns! Nur ein Gebiet von hunderten: die deutsche Geschichte, die Hohenstaufen, die deutsche Heldensage! Wem müssen solche Stoffe nicht das Herz schwellen? Und da sollte keine Verherrlichung Gottes sein? [...]

Doch endlich genug der allgemeinen Reflexionen. Bei einem Kunstwerke kommt es auf die Form an, es ist nicht philosophisch, sondern ästhetisch zu richten, und was philosophisch unwahr, muß in ihm als unschön zur Erscheinung kommen. Overbeck trägt selbst die Schuld, wenn wir mehr philosophisch, als ästhetisch zu Werke gingen, er hat einen Katechismus gemalt, er hat mit dem Pinsel eine Abhandlung geschrieben, er disputirt mit der Palette, wir antworten mit der Feder. Aber nehmen wir's einmal ästhetisch.

Daß die zwei Theile des Bildes keine Einheit haben, mußten wir oben aussprechen und können jetzt hinzusetzen, daß sich der Meister hiefür nicht auf die Werke der alten Schulen berufen darf. Sie entschuldigt der Dualismus des Himmels und der Erde, in welchem eine verklungene Weltanschauung sich bewegte. Und doch wissen sie eine Einheit herzustellen, die wir auf diesem Bilde vergebens suchen. Durch wehmüthigen Aufblick glühender Andacht sind gewöhnlich die irdischen Personen auf die überirdischen, durch freundliches Neigen nach unten diese auf jene bezogen, und in Rafael's disputa bildet der Nachtmahlskelch, die himmlischen Strahlen sammelnd, ein mystisches Verbindungsglied beider Welten. Nehmen wir nun beide Theile für sich und sehen zuerst nach dem oberen. Madonna thront, ein keusches, reines, bezauberndes Mädchen; das Kind, dieses wenigstens nach unten geneigt, lieb, rührend, zum Küssen. Hier zeigt sich Overbeck's milder weiblicher Genius in seinem Elemente. Overbeck's Styl sucht bekanntlich die Mitte zwischen Fiesole und Rafael; von diesem den Fluß und die Rundung, Freiheit der Gestalt, von jenem die keusche Schüchternheit, die selige Innigkeit, die Sabbathstille, den Rest typischer Gebundenheit und Herbe. Man möchte sagen, er suche den Rafael da zu ergreifen und festzuhalten, wo er in seiner florentinischen, noch etwas strengen Periode stand; aber Rafael hatte doch schon damals und von Anfang an mehr Männlichkeit und Sättigung, als Overbeck jemals erreichen kann und will. Sein Genius ist eine aufblühende Jungfrau, deren Knospe noch nicht ganz gebrochen ist, deren Formen verschämt vor der Schwelle zur Mannbarkeit innehalten. Welch schönen Anfang heiterer Entfaltung nahm dieser Geist in den Fresken der Villa Mussimi [!]! Wie mild und klar liegt der idyllische Duft auf jenem lieblichen Bilde: die Ankunft der Erminia bei den Hirten! Und welche Welt, welcher Reichthum von edlen Stoffen lag diesem reinen Streben aufgethan! Aber er beschließt, dieser schönen Welt Lebewohl zu sagen und sich in dumpfen Kapellen zu verriegeln. Es sei denn; wer durchaus Mönch und Pfaffe werden will – wir können's ihm nicht verwehren. Daß nun in diesem eng beschlossenen Kreise das Ideal der Madonna es sei, wozu diese Hand am meisten Beruf hat, begreift sich; zwar nicht die stolze Königin der Himmel, wohl aber die keusche Magd des Herrn, die schamhaft über dem Geheimniß ihrer Berufung sinnende Braut, ist ganz eine Aufgabe für seine kindliche Grazie. Ja, sie ist schön, diese Madonna, diese reine Taube sonder Galle. Und doch – es ist etwas darin, ich weiß nicht was, etwas Almanach, etwas Vielliebchen und Vergissmeinnicht. (2) Es ist ein Zug, der in allen neueren Madonnen unverkennbar ist; man sieht ihnen eben eine Zeit an, wo es Stammbücher, viele Spiegel, Modejournale und Titelkupfer von Taschenbüchern giebt. Wie soll es auch anders möglich sein! Wie kann ein Mensch seine Zeit verläugnen! Die betende Madonna von Heinrich Heß in der Allerheiligenkirche zu München (3) ist ein wunderliebliches, frommes Bild, und doch auch sie hat denselben Zug. Wir wissen einmal, es giebt keine menschliche Jungfrau, die zugleich eine göttliche, eine Empfängniß, die zugleich außer dem Naturgesetz wäre. Mag der Einzelne es glauben, oder nicht: dies ist ganz gleichgiltig; es ist in der Atmosphäre, er schlürft diese Bildung in jedem Athemzuge mit ein. Nun soll aber dennoch eine jungfräuliche Mutter dargestellt werden; wohlgemerkt nicht in dem rein sittlichen Sinne, wonach die wahre Liebe das Sinnliche adelt, die wahre Frau stets keusche Braut bleibt, sondern im kirchlichen Sinne eines Mirakels, einer unbegreiflichen Existenz. Diesen Zwang gegen das Zeitbewußtsein, diese Absichtlichkeit sollte man dem Bilde nicht anfühlen? Nein, eure Madonnen sind nicht Madonnen der alten Kirche; sie haben in den Stunden der Andacht (4) gelesen, sie sind in einer Pension, in einer Töchterschule aufgewachsen, ein Jährchen wenigstens, ja sie trinken Thee, wenig, aber etwas. Diese hier hält ja gar eine Schreibfeder in der Hand; gebt Acht, sie nimmt ein Blatt aus einem Album mit Rococoarabesken am Rande und schreibt etwas aus Jean Paul darauf – nein, schönes Mädchen, ich glaube es nicht, dass dies Kind Ihr Kind ist, Sie sind zu sittlich, auch hat der heilige Geist einen anderen Geschmack, etwas derber; einen Zimmermann hätten Sie schwerlich geheirathet; vielmehr ein Ideal von einem sittlichen, höchst musterhaften jungen Mann, angestellt etwa beim Kirchen- und Schulwesen, irgend einen Oberhofprediger, der Glockentöne (5) geschrieben hat – den würd' ich Ihnen empfehlen. Aber wie frevle ich! Das Bild ist doch so schön! Und ich habe doch Recht; eine Madonna ist für uns eine Unmöglichkeit. Die alten Maler, ja die konnten es. Wie innig der Einzelne an sie und den ganzen Mythenumfang der Kirche glaubte, war dabei nicht wichtig; die Forderung einer besondern Frömmigkeit an den Künstler ist in allen Zeiten lächerlich, und was Fiesole malen konnte, dankte er gewiß nicht den Gebeten und Thränen, mit denen er an die Staffelei trat. Daß die Weihe der Stimmung nicht fehlen darf, versteht sich, aber wie der praktisch-menschliche Charakter und die Innigkeit dogmatischer Ueberzeugung damit zusammenhängen, inwieweit das Ideal seiner ästhetischen Contemplation auch die Persönlichkeit des Künstlers durchdrungen haben müsse, daüber muß man in seinen Behauptungen sehr vorsichtig zu Werke gehen, denn die Frage ist gar nicht einfach. Von dem alten, strengen, kirchlichen Giotto hat man mancherlei Anekdoten, worin er eben nicht sehr lammfromm erscheint; der andachtglühende Perugino war, wenn man auch von Vasari's Schilderung Manches abzieht, ein Mann, der die Güter des Lebens wohl zu schätzen wusste, und die Maler der reifen Periode ohnedies waren sammt und sonders Weltkinder. Allein wie locker sie leben und denken mochten: die Principien, die Grundstimmung des Katholicismus hatten sie mit der Muttermilch eingesogen, wir Neueren aber, Katholik wie Protestant, wir Kinder einer Zeit, wo es Fräcke und Cravatten giebt, haben die entgegengesetzte Stimmung in allen Nerven und Adern, und jede Mühe ist vergeblich, uns auf dem Wege der Ueberzeugung, der Dogmatik in jene zurückzuversetzen. Dahin kommt man nicht mit Dampfkraft, es ist aus und vorbei.

Aber gesetzt, man könnte; gesetzt, der reife, verständige Mann könnte noch einmal in alle naiven Illusionen seiner Jugend zurück: sollte er denn so unklug sein, dasselbe in der Kunst zu versuchen, wo er mit Meistern rivalisiren muß, die all den künstlichen Umweg nicht nöthig, die Alles von selbst beisammen hatten, was eine höchste Blüthe kirchlicher Kunst bedingt? Können wir denn im besten Falle mehr erreichen, als einen flüchtigen Nachglanz, eine löbliche Reproduction dessen, was schöner und ursprünglicher schon dagewesen? [...] Die religiöse Kunst sei in ihrer Entwicklung unterbrochen worden und unvollendet geblieben, wir sollen sie zur Reife bringen, meint Overbeck. Daß ich nicht wüßte. Das fünfzehnte und der Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, die florentinische, umbrische, mailändische Schule, Rafael als Gipfel von Allen, haben, was die Malerei irgend aus der katholischen Welt ziehen konnte, bis auf den Grund herausgezogen. Dieser Brunnen ist ausgeschöpft. [...]

Die Heiligen, welche Maria umgeben, sind in demselben schüchtern frommen Tone gehalten. Viel Schönes; wie trunken andächtig der malende Lucas! Aber nichts, was trifft und packt, nichts Mächtiges. Die Männerköpfe David's und Salomo's erinnern an die herrlichen Gestalten auf Rafael's Theologie in dem oberen Halbkreise, aber die Schneide fehlt, sie sind matt und zahm. Es ist castrirter Rafael: eine Manier, die sich überhaupt jetzt bei unseren talentvolleren Vertretern der religiösen Malerei zur kanonischen ausgebildet zu haben scheint. [...]

Uebersehen wir nun den unteren Kreis, die bunte Künstlergemeinde. Gegen die Anordnung der Gruppen haben wir schon Einiges einwenden müssen, da von der kunstgeschichtlichen Bedeutung einzelner Meister die Rede war. Es war eine höchst schwierige Aufgabe, Richtung und Geist der Einzelnen anschaulich zu machen. Dennoch wären dem Maler ganz andere Mittel zu Gebote gestanden, hätte er nicht das Heilige, auf welches die Künstler in verschiedenen Graden der Annäherung und Entfernung bezogen werden sollten, in einen Raum über ihnen gestellt. Die streng kirchlichen Meister z.B. wären durch Versammlung bei einer Kapelle, ein Madonnenbild, um das sie beschäftigt, durch Gruppirung um einen Altar gewiß in ihrem Streben deutlicher zu bezeichnen gewesen, als es hier der Fall ist, obwohl ihre Vereinigung um Dante zu den glücklichen Gedanken des Werkes gehört. Doch sind Fiesole, van Eyck, Hemmlink von dieser Gruppe getrennt und ihr entsprechendes Bestreben ist durch gegenseitige Begrüßung sehr mangelhaft angezeigt. Albrecht Dürer, dessen größte Leistungen doch auch in dem religiösen Felde liegen, ist durch seine ungefähre Stellung in der Nähe der obern Schaale der Fontaine gewiß sehr oberflächlich charakterisirt und seine Gruppirung zu solchen, die ihm durch gleiche Uebung der Kupferstecherei verwandt sind, ein sehr äußerliches Motiv. Am bestimmtesten ist das Bestreben der Bildhauer und der Baumeister zu erkennen, denn sie zeigen sich mit Gegenständen ihrer Kunst beschäftigt, an denen zugleich der Geist ihrer Erfindung durch den Grundriß einer Basilica u.s.w. sich einfach hervorheben ließ. Die zwei Gruppen dieser letzteren Künstler gehören nach dem Rhythmus der Composition, der Kraft der Farbe nach zu den schönsten des Bildes. [...] Das Colorit übrigens scheint mir sehr ungleich, von den kräftig brennenden venetianischen Farben des Vordergrundes kein Uebergang zu der plötzlich schon im Mittelgrunde eintretenden Abdämpfung der Farbe durch die Luftperspective, einem kreidigen und erdigen Tone, die Fleischfarbe in's Olivenfarbe und Bleigraue spielend. [...] An Farbe wie Composition ist die landschaftliche Ferne der Theil des Bildes, woran man die ungestörteste Freude haben kann. Italiens Berge, Linien, Luft, himmlische Bläue – wie hat der Künstler den Geist dieser Landschaft gefühlt! Und er kann ein solcher Zelot sein!

Wir haben aber von einer Hauptsache noch nicht gesprochen, von den Charakteren im unteren Plane. Sie sind, wie sich erwarten läßt, abgedämpft, abgeschwächt. Es sind keine Männer, sie sind nicht so keck, es zu sein, der dicke Himmel über ihnen drückt und lastet auf sie herab. Anders blickt ein Mann, anders strotzt ihm Muskel und Sehne von Kraftgefühl, anders tritt er den Boden, anders bewegt und wendet er sich im Bewußtsein seines Herrschergeistes, der Gottheit voll. Ist dies Dante, der hier spricht? Begeistert, eifrig erscheint er, seine Gesichtszüge sind zu erkennen, aber er muß krank gewesen sein, seit ich ihn das letzte Mal sah, er ist der zornige, grobe Mann nicht mehr, der die schreckliche Hölle gedichtet hat und einen Schmied in Florenz herumprügelte, weil er seine Verse schlecht sang. Da sitzt Mich. Angelo, tiefsinnend, wie er war, aber zahm, zahm ist er geworden, vom Fleisch gefallen, sein Feuerauge eingeschlummert, er macht wohl sein Testament? Albrecht Dürer, wer den hier ansieht, der vergesse nur vorher das Bild des deutschen Kernmannes in München, den ernsten, redlichen, fest auf sich ruhenden, tief in sich webenden und doch klar und bestimmt aus dem Bilde herausblickenden wunderschönen Männerkopf im Walde der nußbraunen Locken. Auch diese erkenne ich nicht wieder, sie haben so stark in's Rothe gefärbt – und wie? Bemerken Sie denn auch? Der Mann schielt ja, recht eigentlich schielen thut er, was man so schielen nennt. Wie ist es aber möglich? Ist der Pinsel ausgerutscht? Oder – doch halt, ich hab's, es fällt mir wie Schuppen vom Auge, dahinter ist etwas, ein Sinn, ein Gedanke, eine Idee – es ist eine Allegorie. Albrecht Dürer hat Weltliches und Geistliches gemalt, war ein ernster Mann zugleich und ein heiterer Patron: das eine Auge sieht nach der Kirche zu seiner Linken, das andere vor sich in die Welt. So wird es sich verhalten, man muß nur nicht oberflächlich betrachten, die Kunst hat tiefere Absichten, Ideen. Da sieht Peter Vischer's Kopf heraus neben Nicola Pisano, recht sinnig, andächtig, der breite knochige Kopf recht sauber beschnitten und reducirt, der volle Bart gestutzt, der Herculesnacken geschmälert – nein, ehrlicher Rothgießermeister, so hast du selbst dich nicht abgebildet in deinem Sebaldusgrab! Das ist nicht der stämmige deutsche Mann, wie er, Hammer und Meißel in der Faust, das Schurzfell umgethan, breitschultrig, ehrenfest unter dem zierlichen ehernen Bogen steht!

Aber was soll das Alles! Wir vergessen ja, daß wir ein religiöses, ein christliches Gemälde vor uns haben; im Hause des Herrn muß man leise und demüthig auftreten, und du, lieber Kunstjünger, "magst zum Schluß als Hauptsumme festhalten, daß die Künste nur dann der Menschheit Heil bringen, wenn sie, den klugen Jungfrauen gleich, mit brennenden Lampen des Glaubens und der Gottesfurcht, in holder Demuth und Keuschheit dem himmlischen Bräutigam entgegengehen, daß sie nur als solche wahre Himmelstöchter sind, nur als solche deiner Liebe wahrhaft würdig. Auch dürfen sie nur als solche den Segen von oben, ohne den kein Gedeihen denkbar ist, sich versprechen; denn unmöglich kann Gott ein Bemühen segnen, das nicht in Seiner Furcht gegründet ist. Ihm sei denn Ehre und Preis dargebracht durch unsrer Hände Werk, in seinem Tempel das ist in seiner Kirche hier auf Erden, damit wir einst in Ewigkeit ihn loben mögen mit seinen Engeln und auserwählten Heiligen im Himmel. Amen!"

Amen. Ich gehe hinein zu den Gypsabgüssen, zum Torso des Ilyssus, ich will mir seine gewaltigen heidnischen Arme und Schenkel ansehen, vielleicht mir wird besser.

 

Anmerkungen

1 Friedrich Wilhelm von Schadow (1789-1862) stand ab 1810 in Rom in engem Verkehr mit Cornelius, Overbeck, Veit und anderen Nazarenern; 1814 trat er zum Katholizismus über. 1819 wurde er als Professor der Kunstakademie nach Berlin berufen und 1826 zum Direktor der Akademie in Düsseldorf ernannt. Die klugen und törichten Jungfrauen wurden 1837 im Karton und dann in Öl für das Städelsche Institut in Frankfurt am Main ausgeführt. zurück

2 Vielliebchen. Historisch-romantisches Taschenbuch von A. v. Tromlitz [d.i. August von Witzleben] u.a., Bd. 1-22, Leipzig 1827-1848 mit Fortsetzung. Vergissmeinnicht. Ein Taschenbuch von H. Clauren [d.i. Karl Gottlob Samuel Heun], Leipzig 1818-1837. Aufgegangen in Rosen und Vergissmeinnicht, Leipzig 1838-1844. Die Titel waren beliebt und begegnen auch bei weniger erfolgreichen Taschenbüchern. zurück

3 Heinrich Hess (1798-1863), seit 1827 Prof. an der Münchener Akademie, einer der führender religiösen Maler seiner Zeit. Wandmalereien in der Allerheiligen-Hofkirche 1827-37. zurück

4 Heinrich Zschokke (1771-1848):Stunden der Andacht zur Beförderung wahren Christenthums und häuslicher Gottesverehrung, Jg. 1-8, Aarau 1809-1816 u.ö. zurück

5 Friedrich Strauß (1786-1863):Glockentöne. Erinnerungen aus dem Leben eines jungen Geistlichen, 3 Bde., Elberfeld 1815-1819 u.ö. Strauß war seit 1822 Hof- und Domprediger in Berlin, seit 1836 Oberkonsistorialrat und Vortragender Rat im preußischen Kultusministeriums. zurück

 

Autor: Vischer, Friedrich Theodor von (seit 1870), Schriftsteller und Philosoph, Ludwigsburg 30.06.1807 - 14.09.1887 Gmunden; "ward, im Stift zu Tübingen zum Theologen gebildet, 1830 Pfarrvikar in Horrheim bei Vaihingen, 1833 Repetent in Tübingen, habilitierte sich 1836 daselbst und wurde 1837 zum außerordentlichen, 1844 zum ordentlichen Professor für Ästhetik und deutsche Literaturgeschichte ernannt, aber infolge seiner freimütigen Antrittsvorlesung (Tübing. 1844) sofort auf zwei Jahre suspendiert. 1848 in das Frankfurter Parlament gewählt, hielt er sich daselbst zur Linken, ging mit dem Reste desselben auch nach Stuttgart und folgte 1855 einem Ruf an das Polytechnikum in Zürich, gegen Ende 1866 einem gleichen an das Polytechnikum in Stuttgart, wo er bis 1877 wirkte." (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. 1905-09, Bd. 20, S. 188; Digitale Bibliothek 100, S. 205.964)) Einflussreicher kritischer Publizist; baute als Philosoph und Ästhetiker auf der Philosophie Hegels auf; verfasste eine Parodie auf Goethes "Faust II".

Quelle: Friedrich Theodor Vischer: Der Triumph der Religion in den Künsten, von Friedrich Overbeck. In: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst, 1841, S. 109-11, 113-14, 117-20, 121-24, 125-28. Hier S. 123-24, 126. Hervorhebungen sind in Kursiv wiedergegeben. - Neudruck: Vischer: Kritische Gänge, 2. Aufl., Bd.5, München 1922, S. 3-34. - Auszug in: Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1848-1880. Hrsg. von Max Bucher, Werner Hahl, Georg Jäger u. Reinhard Wittmann. Bd. 2. Stuttgart: Metzler 1975, S. 2-5.





6. Anton Springer:
Die bildenden Künste in der Gegenwart, 1856

Overbeck's Werke lassen sich ohne allen Zwang in zwei Gruppen scheiden. Während er in der einen Gruppe, zu welcher außer den lübecker Bildern auch die durch den Stich vervielfältigten allbekannten Handzeichnungen des Meisters gehören, seinen tief innigen Empfindungen einen lautern Ausdruck verleiht und eine einfache lyrische Stimmung, eine religiöse Hebung des Gemüths im beschauen hervorruft, sucht er in der andern Gruppe durch die Entfaltung eines reichen symbolischen Gedankengehalts zu wirken, und legt auf die ideelle Bedeutung der Composition, auf das Poetische derselben, den kräftigsten Nachdruck. Die gegenwärtig in Deutschland herrschenden Kunstmeinungen sprechen dieser letztern Richtung den Vorrang vor allen übrigen Bestrebungen zu: das Dichten und Denken in Farben und Linien erscheint als der höchste Zweck der Kunst, als die endliche Rückkehr zu der wahren und ewigen Natur des Schönen. Overbeck's Triumph der Religion oder der christliche Parnaß, wurde als eine "europäische Erscheinung" begrüßt, und auch von Solchen, die Einzelheiten zu bemängeln fanden, als ein "bedeutsames Ganze" anerkannt. Des Bildes Einfluß auf die Künstlerwelt bezeugen Philipp Veit's Einführung der Künste durch das Christenthum (Städel'sches Institut), (1) Schadow's Brunnen des Lebens und Divina commedia (2) u. A. m.

Göttlicher Abkunft ist die Kunst, nur die von Gott (und der Kirche) beseelte Kunst ist die wahre Kunst. Dieser Glaube bildet das Grundmotiv des von dem Meister selbst umständlich erklärten Bildes. In der Vision der Madonna mit dem Kinde, von den heiligen Vertretern der Kunst: David, Salomo, Lukas, Johannes und den Repräsentanten der hervorragendsten religiösen Ideen, den Vorbildern Christi und der Kirche umgeben, wird die göttliche Quelle der Kunst symbolisirt. Aber nicht im unmittelbaren Genusse derselben begeistert sich die auf dem untern Plane versammelte Künstlerwelt, sie muß sich mit dem Widerschein des Himmels in dem Wasserspiegel des Brunnens, der die Mitte des Vordergrundes einnimmt, begnügen.

Man erkennt auf der Stelle, welchen Anregungen das Werk seine eigenthümliche Gestalt verdankt. Die Vereinigung der Helden der verschiedensten Zeiten und Räume, zusammenhängend blos durch das gleichnamige Ziel, dem sie nachstreben, hat in Rafael's Schule von Athen ihr Vorbild. Der irdischen Versammlung das Ideal des himmlischen Vereins in einer Vision gegenüberzustellen, wurde zunächst durch Rafael's Disputa empfohlen; auch für die symbolische Darstellung des Brunnens, dessen aufsteigende Wasserstrahlen zum Himmel weisen, finden sich im Mittelalter zahlreiche vorbildliche Typen. Als aber Rafael die Helden der weltlichen Wissenschaft zur idealen Schule vereinigte, verlangte ihn nicht danach, seine besondere persönliche Meinung auszusprechen und an den einzelnen Männern Kritik zu üben, er begnügte sich, der Zeitbildung als Ausdruck zu dienen und nach allgemein übereinstimmendem Urtheile das Grundmotiv seines Bildes zu ordnen. So allein wahrte er seine Unbefangenheit und konnte sich ganz in das künstlerische Beleben und Formen hineinleben. Weder in der Schule von Athen noch in der Disputa tritt ferner die psychologisch-scharfe und überaus lebendige Schilderung in den Hintergrund: man braucht im Angesicht des letztgenannten Bildes nicht erst die Namen zu kennen, um die mit großartigem Sinne angelegte Gliederung des Vorgangs zu begreifen; die ganze Stufenleiter der Empfindungen von flammender Begeisterung bis zum hohlen Zweifel schreitet offen an unserm Auge vorüber. Dabei bleibt aber dennoch die Einheit der Situation gewahrt, es zersplittert sich nicht die Darstellung, es werden alle Personen von demselben Mittelpunkte beherrscht und belebt.

Wir finden aber von all Diesem das Gegentheil bei Overbeck; er gibt uns sein künstlerisches Glaubensbekenntnis, seine persönliche Ansicht von der Kunstentwickelung und übt über alle hervorragenden Erscheinungen der Vergangenheit das kritische Richteramt. Zu wissen, was Overbeck von diesem oder jenem Meister urtheilt, mag unter gewissen Verhältnissen von großem Interesse sein. Es ist solche Explication aber ungehörig in einem monumentalen Werke, das die Verherrlichung der Kunst sich zur Aufgabe erwählt. Die göttliche Abkunft der Kunst zu schildern, ist ein großer und reicher Gedanke. Nicht gegen die Wahl desselben kann sich unser Bedenken richten. Aber dann durfte nicht über künstlichen Unterscheidungen die Einheit vergessen werden, die Alle, die sich dem göttlichen Berufe zuwenden, umfasst, und durfte die Gliederung nicht andere Zwecke als die lebendige psychologische Schilderung verfolgen: es musste das Ganze der Hauch der jubelndsten Begeisterung durchwehen. Statt dessen werden wir in den Kreis reflectirter Vorstellungen herabgezogen, werden über die Grade künstlerischer Vollendung, wie sie der kritisirende Meister ängstlich und doch willkürlich abgewogen, belehrt und verlieren unsere Zeit und unsere Aufmerksamkeit in dem Studium symbolischer Andeutungen, statt uns über die Fülle von Prachtmenschen, die die Kunst der Vergangenheit tragen, zu freuen. Da sehen wir um den Springbrunnen ein Doppelbecken gebaut, in dem obern spiegelt sich der Himmel, in dem untern die irdischen Gegenstände ab. Daß Tizian und Bellini nach diesen letztern blicken, sollen wir als Charakteristik der venetianischen Schule hinnehmen. Säulentrümmer und zerschlagene Statuen belehren uns über das Schicksal der Antike auf dem christlichen Parnasse; Rafael's rechtes Ohr ist dem Sänger der "Göttlichen Komödie" zugewendet, auf diesen lenkt auch Signorelli die Aufmerksamkeit Michel Angelo's: d.h. Dante's Ideen haben alle christlichen Künstler geleitet u.s.w. Darüber geht dem Beschauer alle Gefühlswärme verloren, und auch den Künstler hemmte dieses Hervorheben bald geistreicher, bald blos spitzfindiger Beziehungen an der eigentlichen schöpferischen Thätigkeit. Die Gestalten leben nicht recht und erscheinen, nachdem ihre symbolische Stellung auf dem Parnaß errathen wurde, langweilig.

Das gleiche Übermaß des Symbolischen wird auch in der himmlischen Gruppe bemerkbar. Auch hier gelten die Gestalten nicht für sich, auch hier lässt es sich der Meister nicht genügen, uns Verklärung und göttliche Ruhe schauen zu lassen, sondern quält sich und uns mit einer Fülle abstracter Anspielungen. Die Kaiserin Helena mit dem Kreuze bildet die Hinweisung auf den himmlischen Adam und muß deshalb die eine Reihe schließen, wie der irdische Adam die andere beginnt. Abraham mit dem Opfermesser deutet den Erlösungstod, Joseph mit der Garbe die Speisung der Gläubigen mit himmlischem Brote an. Das macht das Opfermesser und die Garbe zur Hauptsache und lenkt die Aufmerksamkeit von dem Wesen der Gestalten ab.

Es krankt, mit einem Worte, Overbeck's Bild an der einseitigen Reflexion; es ist mehr mit dem Verstande als mit der Phantasie geschaffen und eben deshalb in unlebendigen, matten Formen durchgeführt. Wenn es sich darum handelt, Overbeck's biblisch-theologischen Scharfsinn, seine reiche und tiefe Denkkraft zu beweisen, dann wird der Triumph der Religion, immer noch das Beste von allen didaktisch-allegorischen Bildern der Gegenwart, viel besser z.B. als Veit's Einführung der Künste, zuerst genannt werden müssen; der unsterbliche Künstlerruhm des Meisters wird aber gewiß nicht an diesem gelehrten Werke, sondern an seinen einfachern und ältern Werken haften, die nicht nur durch die reinen und schönen Linien, sonder auch durch den tiefen Frieden, die keusche Empfindung und die innigste, zarteste Frömmigkeit, die aus ihnen spricht, in unbeschreiblicher Weise anziehen. Overbeck hat allerdings wie seine jungen Freunde die alten Florentiner des 15. Jahrhunderts zum Vorbilde erkoren; aber während jene gewöhnlich nur in Äußerlichkeiten ihnen nahekommen und die Ursprünglichkeit der Schöpfung vermissen lassen, ist Overbeck in seinem innersten Wesen selbst, in seiner ganzen Gefühlsweise zu einem altitalienischen Meister geworden, daher auch seine Werke die gleiche ungetrübte, erhebende Wirkung üben.

 

Anmerkungen

1 Mittelbild eines dreiteiligen Wandbildes, 1834 bis 1836 im Auftrag des Städelschen Instituts. Abb.: Die Nazarener, F 12. zurück

2 Paradies, Fegefeuer und Hölle, mit Predellen nach Dante, 1850-54 im Schwurgerichtssaal des Landgerichts in Düsseldorf (Thieme/Becker). zurück

 

Autor: Anton Springer, Kunsthistoriker und -kritiker, Prag 13.07.1825 - 31.05.1891 Leipzig; "widmete sich in Prag, München und Berlin den Studien der Philosophie und Kunst, ging, nachdem er 1846 kurze Zeit Lehrer der Kunstgeschichte an der Prager Akademie gewesen, auf ein Jahr nach Italien und ließ sich sodann in Tübingen nieder [...]. Das Jahr 1848 rief ihn nach Prag zurück. S. trat hier für die föderative Verfassung des Kaiserstaats ein und galt als ein Wortführer der Rechte des Reichstags in der Presse. Im Herbste d. J. habilitierte er sich in Prag für neuere Geschichte, doch zogen ihm seine freisinnigen Vorlesungen, die sodann als >Geschichte des Revolutionszeitalters< (Prag 1849) im Druck erschienen, die Ungunst der Regierung zu, so daß er seine Lehrtätigkeit aufgab und eine Reise zu kunsthistorischen Studien durch die Niederlande, Frankreich und England unternahm. Von London aus durch seine politischen Freunde zurückgerufen, trat er an die Spitze der Zeitung >Union<, die aber, weil er darin die Rechte Preußens auf die Führerrolle in Deutschland vertrat, 1850 unterdrückt wurde. [...] Im Herbst 1852 habilitierte er sich in Bonn als Privatdozent der Kunstgeschichte, wurde 1859 hier zum Professor ernannt, 1872 nach Straßburg, 1873 nach Leipzig berufen." Kunsthistorische Werke u.a.: "Handbuch der Kunstgeschichte" (1855); "Geschichte der bildenden Künste im 19. Jahrhundert" (1858); "Bilder aus der neuern Kunstgeschichte" (1867; 2. Aufl. 1886); "Raffael und Michelangelo" (1877; 3. Aufl. 1895); "Grundzüge der Kunstgeschichte" (1887-88; 8. Aufl. als "Handbuch der Kunstgeschichte" 1907. Selbstbiographie "Aus meinem Leben" (1892.) (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. 1905-09, Bd. 18, S. 793; Digitale Bibliothek 100, S. 187.218-21.)

Quelle: Anton Springer: Die bildenden Künste in der Gegenwart. In: Die Gegenwart. Eine enzyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände. Bd. 12. Leipzig: Brockhaus 1856, S. 673-810. Hier S. 682-684. Absätze eingefügt; Sperrung durch Kursiv wiedergegeben.





 

Friedrich Overbeck, 1837 (Privatsammlung)

 

 

Zur Beachtung:
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Bildnisse der berühmtesten Künstler unserer Zeit. Nach der Natur gezeichnet und gestochen von Carl Küchler Kupferstecher in Rom, Ie Lieferung die Bildnisse von Overbeck, Koch, Reinhart, Thorvaldsen & Wagner enthaltend. Darmstadt, 1839. Druck u. Verlag von Gustav Georg Lange.

"Der Maler und Kupferstecher Carl Küchler (1807-1843) lebte 1835 bis 1843 in Rom und machte sich vor allem als Porträtzeichner einen Namen. In >Das Deutsche Künstler Album< wurden von ihm u.a. Overbeck (1837) und Riepenhausen (1840) gezeichnet. Im Mai 1836 begründeten die deutschen Künstler in Rom ein >Erinnerungsbuch<, für das Küchler eine gezeichnete Darstellung des Jüngsten Gerichts lieferte und die radierten Bildnisse von Overbeck, Koch, Reinhart, Thorvaldsen und Wagner. Diese Stiche erschienen dann im Jahr 1839 in Darmstadt. Schon die lange Zeit, die zwischen der Entstehung seiner Zeichnungen der Bildnisse der berühmtesten zeitgenössischen Künstler (1836/37) und ihrer Veröffentlichung lag, verdeutlicht, wie schwierig die Publikation des Vorhabens sich gestaltete. Küchler lieferte fünf sorgfältig ausgearbeitete Porträts von drei Malern und zwei Bildhauern. Er legte Wert darauf, vor dem Modell zu arbeiten und ließ jedes Porträt mit dem Namenszug des Dargestellten unterschreiben. Die Auswahl kennzeichnet den Ruhm der Dargestellten. Der Darmstädter Verlag Lange übernahm zwar eine erste Lieferung, dann aber stockte das Unternehmen. Gustav Georg Lange (1812- nach 1876) begründete 1831 ein eigenes Sortiment-Geschäft in seiner Vaterstadt Darmstadt. Sein Ehrgeiz war es >Originalansichten der vornehmsten Städte Deutschlands< mit Stahlstichen herauszugeben. Die rasche und ansehnliche Verbreitung und der Aufwand, der dafür getrieben wurde, ließen kleinere Projekte, wie das von Küchler angestrebte, in den Hintergrund treten." (Künstlerleben in Rom, 4.35, S. 539f. Text von Katharina Bott.)





Overbeck, Johann Friedrich, Maler, geb. 4. Juli 1789 in Lübeck, gest. 12. Nov. 1869 in Rom, bildete sich, nachdem er sich schon vorher mit dem Geiste der Romantik vertraut gemacht, seit 1806 auf der Wiener Akademie und fand hier in Pforr, Vogel u.a. gleichgesinnte Freunde, die sich vornehmlich mit dem Studium der alten Niederländer und Italiener befaßten und zu der Akademie in Gegensatz gerieten. 1810 mußten sie die Lehranstalt verlassen und gingen nach Rom, wo sie mit W. v. Schadow zusammentrafen. Im folgenden Jahre gesellte sich Cornelius zu ihnen, noch später Ph. Veit und J. Schnorr, und diese fünf bildeten nun im Verein mit andern jene Kunstbruderschaft, die ihr Atelier im Kloster San Isidoro aufschlug und aus dem Grundsatz heraus, Religion und Moral müßten als Richtschnur künstlerischer Bestrebungen gelten, eine Wiederbelebung der deutschen Kunst auf der Grundlage der italienischen Quattrocentisten (Präraffaeliten) erstrebte. Aus den "Klosterbrüdern von San Isidoro" bildete sich später die noch strengere Richtung der "Nazarener" heraus, deren Haupt O. war.

Das Werk, wodurch die neugegründete romantische Malerschule Geltung errang, waren die 1887 nach Berlin übergeführten Fresken aus der Geschichte Josephs, womit der preußische Generalkonsul Bartholdy ein Zimmer des obersten Stockwerks in der Casa Zuccaro bei Trinità de' Monti ausschmückte; O. malte hier 1816 den Verkauf Josephs (Karton im Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt a. M.) und die sieben magern Jahre. Von den Fresken, die später Marchese Massimi in seiner Villa ausführen ließ, malte O. fünf, für die er den Stoff aus Tassos "Befreitem Jerusalem" nahm. Bald darauf folgte das vorzüglichste seiner Freskobilder: das Rosenwunder des heil. Franz in Santa Maria degli Angeli bei Assisi.

Von seinen wenig zahlreichen Ölgemälden sind hervorzuheben: der Einzug Christi in Jerusalem (in der Marienkirche zu Lübeck); Italia und Germania (in der Neuen Pinakothek zu München); Christus auf dem Ölberg (in Hamburg); die Vermählung der Maria (Sammlung Raczynski im Kaiser Friedrich-Museum zu Posen); der Tod des heil. Joseph (im Museum zu Basel); die Krönung Mariä (in einer Chorkapelle des Kölner Doms); der Triumph der Religion in den Künsten (1840, im Städelschen Kunstinstitut zu Frankfurt a. M.); Christus auf dem Berge von Nazareth (im Museum zu Antwerpen). Noch hervorragender sind seine Zeichnungen, darunter die Zyklen: das Leben Jesu Christi, 40 Blatt, gestochen von Keller, Bartoccini, Pflugfelder, Steifensand u.a.; die Passion (14 Stationen, in Buntdruck vervielfältigt) und die sieben Sakramente (1861, Berliner Nationalgalerie), in Holzschnitt von Gaber in Dresden (3. Aufl., Regensb. 1882) vervielfältigt.

O. ist unter den Stiftern der romantischen Schule fast der einzige, der mit Entschiedenheit die anfängliche Richtung der Schule festgehalten hat. Seine Werke zeichnen sich durch eine künstlerisch vollendete Komposition, Einfachheit des Ausdruckes und Anmut der äußern Linienführung aus, die an Perugino, Francia und an die Frühzeit Raffaels erinnert, sind aber hart in der Farbe, oft weichlich in der Empfindung und schwächlich in der Wiedergabe des Körperlichen. Mit seiner künstlerischen Richtung hing auch sein Übertritt zum Katholizismus (1813) zusammen. Die bedeutendsten seiner Schüler waren E. Steinle und Führich. (Meyers Großes Konversations-Lexikon, 6. Aufl. 1905-09; Bd. 15, S. 266f.; Digitale Bibliothek 100, S. 145553-56. Absätze eingefügt.)

 





Die Gemälde des 19. Jahrhunderts. Hg. von Ernst Holzinger. Bearb. von Hans-Joachim Ziemke. Textband (Kataloge der Gemälde im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt am Main; I) Frankfurt am Main: G. Schulte-Bulmke 1972. (Zitiert als Kat. Best. Städel 1972)

Howitt, Margaret: Friedrich Overbeck. Sein Leben und sein Schaffen. Nach seinen Briefen und andern Documenten des handschriftlichen Nachlasses geschildert. Hrsg. von Frank Binder. 2 Bde. Freiburg i. Br.: Herder 1886.

Hinz, Berthold: Der Triumph der Religion in den Künsten. In: Städel-Jahrbuch, N.F. 7, 1979, S. 149-179.

[Kestner, August:] Overbeck's Werk und Wort. Ein Aufsatz von einem römischen Kunstfreunde in Bezug auf Overbeck's Erklärung seines im Städel'schen Kunst-Institute befindlichen Bildes: Triumph der Religion in den Künsten. Frankfurt a.M.: Fr. Wilmans 1841.

August Kestner und seine Zeit, 1777-1853. Das glückliche Leben des Diplomaten, Kunstsammlers und Mäzens in Hannover und Rom. Aus Briefen und Tagebüchern zusammengestellt von Marie Jorns. Hannover: Madsack 1964.

Künstlerleben in Rom. Bertel Thorvaldsen (1770-1844). Der dänische Bildhauer und seine deutschen Freunde. Katalog. Bearb. von Ursula Peters. Nürnberg: Verlag des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg 1991.

Die Nazarener. Hrsg. von Klaus Gallwitz. Frankfurt a.M.: Städel 1977. (Zitiert als Kat. Nazarener, Frankfurt 1977)

Johann Friedrich Overbeck 1789-1869. Zur zweihundertsten Wiederkehr seines Geburtstages. Hg. von Andreas Blühm u. Gerhard Gerkens. Lübeck: Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Hansestadt Lübeck 1989. (Zitiert als Kat. Ausst. Overbeck, Lübeck 1989)

Realismus und Gründerzeit. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1848-1880. Hrsg. von Max Bucher, Werner Hahl, Georg Jäger u. Reinhard Wittmann. 2 Bde., Stuttgart: Metzler 1975-76.

Springer, Anton: Die bildenden Künste in der Gegenwart. In: Die Gegenwart. Eine enzyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände. Bd. 12. Leipzig: Brockhaus 1856.

Vischer, Friedrich Theodor: Der Triumph der Religion in den Künsten, von Friedrich Overbeck. In: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst, 1841, S. 109-11, 113-14, 117-20, 121-24, 125-28. – Neudruck: Vischer: Kritische Gänge, 2. Aufl., Bd.5, München 1922, S. 3-34.

Nazarenische Zeichenkunst. Bearb. von Pia Müller-Tamm (Die Zeichnungen u. Aquarelle des 19. Jahrhunderts der Kunsthalle Mannheim; 4) Berlin: Akademie-Verlag 1993.



 

 



Siehe auch die folgende Seite:

Jutta Assel
Deutsche Bilderbibeln im 19. Jahrhundert

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