Während der Zeit, als Oeser in
Leipzig lebte und arbeitete, herrschte in der Stadt eine „milde Aufklärung“
„untermischt mit Tönen der Empfindsamkeit“ vor.
Leipzig, eine der fortschrittlichsten Bürgerstädte Deutschlands und geistiges
Zentrum der Aufklärung, war maßgeblich an der Verbreitung dieses neuartigen
Phänomens der „Empfindsamkeit“ beteiligt, das weit über die Grenzen Sachsens
ausstrahlte.
Aus den beiden gegenläufigen
Grundströmungen - der „Empfindsamkeit“ Hagedorns bzw. Sulzers und die
„Verstandesorientiertheit“ Winckelmanns - entwickelt Oeser seine Vorstellung von
der Aufgabe von Kunst. Nicht umsonst rühmt Winckelmann in seiner
Erstlingsschrift, daß Oeser „[...] die Seele schilderte, und für den
Verstand malete, [...]“.
Dem in der Theorie von den Philosophen, Ästhetikern und Kunstschriftstellern
Vorgedachten folgte die künstlerische Umsetzung durch Oeser. Oeser verfaßte
zwar keine eigene Kunsttheorie, dennoch läßt sich aus verschiedenen Briefstellen
und seinem Kunstschaffen eine genauere Bestimmung seines Kunstverständnisses
schlußfolgern. Daß bei Oeser Herz und Verstand gleichbedeutend waren, belegen
folgende Briefstellen. An seinen Vorgesetzten Hagedorn schreibt er, daß es die
größte Pflicht der Kunst sei, „für den Verstand und das feine Gefühl“ zu
arbeiten.
An Goethe spricht er den Intentionen Winckelmanns
folgend, die Empfehlung aus „[...],was bey jedem Bilde die erste
Pflicht seyn muß: den denkenden Geist zu beschäftigen, [...]“.
Kurz darauf bemerkt er gegenüber Carl Ludwig von Knebel (1744-1834)
„Nach unseren jetzigen Sitten und Zeiten muß man Empfindungen
erregen, und mit wenig viel sagen.“
In Oesers Kunstanschauung gehen
die Begriffe Verstand und Empfindung eine symbiotische Verbindung ein.
Die zitierten Briefstellen fassen zusammen, was die Aufklärung von der Kunst
einforderte. Daß Oeser sich dabei aber vornehmlich an der sentimentalistischen
Kunsttheorie Hagedorns orientierte, soll in einem weiteren Kapitel ausführlich
dargelegt werden.
Anhand Oesers Äußerungen wird
auch deutlich, daß es ihm sehr wohl bewußt war, daß die Forderung nach
Empfindung eine zeitbedingte Erscheinung war. Offenbar richtete er sich in
seinem künstlerischen Schaffen nach den Bedürfnissen seiner Zeit. Aus dieser
Sicht würde die Klage Oesers, daß ihn Sachsen in Sachen Kunst verdorben habe,
verständlich. Der Dichter Johann Gottfried Seume (1763-1810) begründet dies in
seinem 1799 verfaßten Nekrolog, daß Oeser „oft den
Forderungen des neuen Geschmacks hier und da gefällig nachgeben mußte, und
darüber die schöne Antike etwas vernachlässigte“.
Daß Oeser sich nach dem Zeitgeschmack richtet und so den Weg zum Publikum
gefunden hatte, führte letztendlich zu der Wertschätzung, die man ihm zu seinen
Lebzeiten entgegenbrachte. Oeser kam demzufolge der etwas prosaisch formulierten
Forderung Sulzers nach: „Je mehr der Künstler die
besonderen Verhältnisse seiner Zeit und seines Orts vor Augen hat, je gewisser
wird er die Sayten treffen, die er berühren will.“
In dem bereits zitierten Brief
an Knebel von 1780 führt Oeser sein Kunstverständnis weiter aus:
„[...]
Nicht nur der tiefe Denker, oder Altertumskenner, muß
[...]
befriedigt werden, der Mündige, muß auch darbey empfinden können, und aus
dieser Ursache, thun die simpelsten Ideen die meiste Wirkung.“
Oeser war
sich im klaren, Kunst konnte nicht nur für eine Elite intellektuell Gebildeter
da sein, wenn er neben dem „Denker“ und „Altertumskenner“
gleichzeitig den „mündigen“ Bürger ansprechen wollte. Hier spricht er das
zunehmende bürgerliche Bildungsbedürfnis an, das unter anderem auch für den
Bereich der Kunst zutraf und somit zu einer Popularisierung der Kunst führte.
Beide, der Kenner wie der Laie, sollten gleichermaßen von der Kunst angesprochen
werden. Oeser geht hier bereits von einem Bild des emanzipierten Bürgers aus,
der frei von jeglicher politischer Bevormundung sich seines eigenen Verstandes
ohne äußeren Zwang bedienen kann. Kunst mußte von nun an für jedermann
allgemeinverständlich sein, ohne daß dabei der Unkundige auf
schwerverständliche vorgegebene theoretische Bewertungsrichtlinien zurückgreifen
mußte.
Deutlich scheint Oeser hier von der kantischen Definition der Aufklärung und der
Befreiung des Bürgers aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit auszugehen.
Diesen künstlerischen Emanzipationsprozeß scheint er bei der Beschreibung seiner
Kunstanschauung vor Augen gehabt zu haben, wenn er von dem „Mündigen“ als
souveränen Bürger spricht. Er selber rechnet sich ebenfalls dieser bürgerlichen
Schicht zu, und bezeichnet sich als „deutschen Biedermann“.
Daß Oeser sich bereits im Jahre 1757 so
charakterisierte, zeigt, daß das Bürgertum sich einer damals vielversprechenden
Zeitenwende gegenüber sah.
Aus dieser gesellschaftlichen Entwicklung sieht Hauser einen deutlichen
Zusammenhang zwischen künstlerischen Erscheinungsformen bzw. der Kunstrezeption
mit der jeweils bestehenden Gesellschaftsform.
Oeser, der sich nicht als ein „Hofmann“ sehen konnte, zeigt, daß er sich
als bildender Künstler aus den überkommenen traditionalistischen Zusammenhängen
bereits emanzipiert hatte. Er war somit einer der frühen Künstler, der sich von
Hof und Kirche und auch den alten Handwerkstraditionen
gelöst hatte. Als Künstler weist er sich die Rolle zu, die er im Leben einer
bürgerlichen Gesellschaft innehaben wollte.
Obwohl oder gerade weil er
selber kein Kunsttheoretiker war,
war es ihm möglich, ungezwungen an der aktuellen kunsttheoretischen Diskussion
teilzunehmen und gleichzeitig auch die verschiedensten Strömungen auf sich
wirken zu lassen und in seinem Kunstschaffen zur Anwendung bringen. Oeser belegt
in seinen künstlerischen Arbeiten den Emanzipationsprozeß von Malerei und
Plastik aus dem Ensemble des feudalen und kirchlichen „Gesamtkunstwerkes“ und
einzelner Kunstgattungen, die bereits eine gewisse Eigenständigkeit aufweisen.
Sein Kunstschaffen war in erster Linie für den, wie es Hagedorn ausdrückte,
„ungelehrten Kenner“ gedacht, der eher im Stande war, die „zärtlichen
Empfindungen“ eines Bildes zu spüren und „die Mahlerey freudiger und
besser geniesset“ wie der „blose Gelehrte“.
Oeser hat
die Empfindsamkeit durchaus als zeitliches Phänomen gesehen, ihm war die
Kritik, die an der „Empfindeley“ bereits seit den 70er Jahren geübt
wurde, bewußt, was deutlich in seinen Briefen zu bemerken ist. Er sucht allen
Anlaß zu meiden, daß er selbst mit seinen Arbeiten in das Kreuzfeuer der Kritik
gerät, was zu seinen Lebzeiten - von Chodowiecki und den späteren Romfahrern
einmal abgesehen - auch nie geschah. Zusammenfassend für Oesers Vorstellung von
künstlerischem Schaffen können hier die Worte Johann Heinrich Campes angeführt
werden:
„Wahre Empfindsamkeit nemlich,
stützt sich immer auf deutlich erkannte Grundsätze der Vernunft und harmoniert
daher, sowohl mit der Nathur des Menschen, als auch mit der Nathur und
Bestimmung anderer Dinge; Empfindelei beruht bloos auf dunkeln Gefühlen dessen,
was andere Menschen für sittlich schön und für sittlich häslich halten, und
steht daher nicht selten, sowohl mit der Nathur des Menschen, als auch mit der
Nathur und Bestimmung anderer Dinge im offenbaren Wiederspruch.“
Aus den dargestellten
Bestrebungen Oesers zu seiner Kunstauffassung folgert im 20. Jahrhundert
Pückler-Limburg eine zutreffende Charakteristik von Oesers künstlerischen
Arbeiten:
„Was sie auszeichnet, ist die
Einfachheit der Formen und die Verwendung antiker Einzelheiten. Nachahmungen der
Antike im eigentlichen Sinne sind sie nicht. Jene Urnen, Säulenstümpfe,
Girlanden und Medaillons haben dann jahrzehntelang die Schmuckkunst beherrscht.
Sie gehören gar nicht zum strengen Klassizismus; während dieser sich bald von
jener Formenwelt abkehrte, nahm sie der Zopfstil mit um so größerer
Bereitwilligkeit auf und ersetzte durch sie das verworfene Muschelwerk des
Rokoko. Aber bei Oeser sind es immerhin Anfänge zu Neuem, anders Geartetem; in
ihrer größeren Einfachheit und Strenge sind sie weit verschieden von dem, was
der Zopf daraus gemacht hat, sie sind einem ganz anderen Geiste als dieser
entsprungen.
Welchem Geist die Oeserschen
Arbeiten aber entsprangen, vermochte Pückler-Limburg nicht zu erkennen. Sie
entsprangen aus dem Geist der Strömung der Empfindsamkeit, dem bürgerlichen
Bewußtsein, der Poesie und in erster Linie dem Geist Hagedorns.
Die spätere Literatur- und
Kunstkritik übersah häufig, daß sich die Ikonographie der bildenden Kunst
vielfach von Themen aus der Literatur anregen ließ und in den verschiedensten
Textsorten der Zeit - Roman, Brief- und Reiseroman, Brief, Tagebuch,
Autobiographie, Stammbuch, Poesiealbum, Idylle, Lyrik etc.- die Empfindsamkeit
nicht als lose Nebenerscheinung auftritt, sondern parallel zu den
aufklärerischen Gedanken dieser Literatur läuft.
Ein Hauptinteresse der Kunst liegt in der Darstellung von Gebärden nicht
verbaler Äußerungen, in Gesten und Bewegungen eines Körpers.
Die literarisch empfindsamen Regungen finden sich im damals neuentdeckten
Schattenriß (Abb. 1), der Porzellanmalerei, der Kleinplastik (Abb. 2) und
Illustration (Abb. 3, 4). Das empfindungsvoll konzipierte Porträt (Abb. 5),
Freundschafts-, Familien- (Abb. 6) und Genrebilder (Abb. 7, 8), idyllische
Landschaften (Abb. 9) und melancholische Naturszenen nehmen auch soziale
Aspekte oder Tendenzen auf. In der Kunst dargestellte empfindsame Motive waren
der Mond, Auf- und Untergang der Sonne, Ruinen, Gräber, Mausoleen,
Friedhofsanlagen, englische Parks und überhaupt Natur und Landschaft im
weitesten Sinne.
Den künstlerischen Arbeiten, die den Geist der Empfindsamkeit zum Ausdruck
bringen, können durchaus, wie die Beispiele von Oesers Arbeiten zeigen, eine
neue Qualitätsstufe in der Kunst der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
darstellen. Auch wenn die Empfindsamkeit keinen eigenen Stil verkörpert, besitzt
sie Eigenheiten, die als charakteristische Kriterien dieser Phase gelten. Ihre
eigene Charakteristik war das zärtliche, schwelgende, glänzende und weiche und
eine bewußte, reiche und überlegte Kunst. Der Betrachter trat mit beschauender
Hingabe und verstehend an diese Werke heran. Demgemäß erklärt Hagedorn:
Der Beobachter
[...]
er unterhält sich mit den vorgestellten Gegenständen. Die damit verbundene
Rührung ist das höchste Ziel dieser angenehmen Kunst. Sie reden alsdann der
Seele. Was seine Empfindung bewegen soll, bedarf keiner groben Feder.“
Im zurückliegenden Abschnitt
wurde Oeser als Vertreter des „empfindsamen Klassizismus“ charakterisiert.
Vorangestellt wurde das Kapitel „Empfindsamkeit“, womit Oeser als Person und
Künstler in den Kontext dieser geistesgeschichtlichen Strömung eingeordnet
werden konnte. Diese Vorbemerkungen sollen den Hintergrund für den weiteren
Verlauf der Arbeit bilden. Anhand der Charakterisierung der Periode der
Empfindsamkeit wird des weiteren der unterschiedliche Kritikverlauf an dem
Künstler Oeser verständlich aufzuzeigen sein. Ferner gilt es die zahlreichen
Fehldeutungen der Kunst Oesers richtigzustellen. Daß Oeser im 19. Jahrhundert
einer weitgehenden Negativbewertung unterlag, geht unter anderem, wie es im
folgenden Kapitel darzulegen sein wird, auf seine überschätzte Einflußnahme auf
die Schriften Winckelmanns zurück.