Die Arbeit hatte sich am
Beispiel Adam Friedrich Oesers zum Anlaß genommen, die Bedeutung des
kulturhistorischen Phänomens der „Empfindsamkeit“ für die Kunst aufzuzeigen und
nach den Voraussetzungen für den Niederschlag dieser Erscheinung zu suchen.
Oesers
Schaffen orientierte sich an den Interessen und dem Geschmack eines bürgerlichen
Laienpublikums, das sich in einem Prozeß der Selbstfindung befand. Denn mit der
Auflösung der gesellschaftlich-politischen wie theologischen Rahmenordnung
etablierte sich im 18. Jahrhundert eine emanzipative Gesellschaft, die ohne
einen Ort innerhalb der vergangenen Ordnungsstruktur ihre eigene Lebensform
finden mußte. Die Frage nach einer neuen, angemessenen Moralität rückt in den
Mittelpunkt. So kam es, daß Oesers künstlerische Arbeiten durchsetzt waren von
einem bürgerlich gefärbten Humanismus, der einer moralästhetischen Erziehung des
Bürgertums verpflichtet war. Dabei wurde die „Natur“ zu einer neuartigen Größe,
indem sie von nun an psychologisch interpretiert wurde. Es war die „innere“
Natur des Menschen, in der, durch die Ästhetik einer äußeren Naturempfindung,
ein ethisch-moralisches Gefühl erweckt wurde. An diesem Prozeß kam der Kunst
eine neue gewichtige Bedeutung zu.
Oeser
versuchte in Auseinandersetzung mit den sozialen Umbrüchen und den
verschiedensten kunsttheoretischen und kulturgeschichtlichen Strömungen seiner
Zeit, auf seine eigene Art zu deuten und zu verbreiten. Oeser war für das
bürgerliche Zeitalter der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts m. E. einer der
bedeutendsten „Bürgerkünstler“ überhaupt. Seine Kunst steht unter dem
Leitgedanken der „Edlen Einfalt und stillen Größe“ und repräsentiert den
„weichen Stil“ des Klassizismus, einer Synthese aus den Programmschriften
Winckelmanns und Hagedorns. Diese Verschmelzung kann aber nur im Zusammenhang
mit der Phase der „Empfindsamkeit“ mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten als
geistesgeschichtliche Voraussetzung und einem zunehmenden Bedürfnis nach
„Natürlichkeit“ gesehen werden. Sie liefern, zumindest für die Zeit des
Übergangs von der Mitte des Jahrhunderts bis zum Protoklassizismus um 1800, die
Vorbedingung für die Regeln eines „empfindsamen Klassizismus“, der letztendlich
in seiner Bedeutung über den eigentlichen Klassizismus hinausreicht und als
wegbereitend für das Naturempfinden der Romantik gesehen werden muß.
Auch wenn die Periode der
Empfindsamkeit keinen allgemeinverbindlichen eigenen Stil hervorgebracht hat,
zeichnen sich Oesers Arbeiten im Malerei wie der Zeichnung durch einen weichen
vorklassizistischen Duktus, als sein eigenes wesentliches Charakteristikum,
aus. Zu bewerten ist diese Eigenart nur unter Berücksichtigung der zeitbedingten
Vorgaben.
Oesers Fähigkeit war es, eine Kunst zu schaffen, die
sich an Sinneswahrnehmungen, Bedürfnissen, Wünschen seiner Auftraggeber
orientierte und dies mit seiner Gedanklichkeit und Gelehrtheit einlöste. Hamann
beschreibt den „empfindsamen Klassizismus“ als eine Kunst des „hohen
Stils“ und der „reinen Form“, die angefüllt ist mit „allen
menschlichen Regungen“ und „natürlichen Empfindungen“.
In der kunsttheoretischen
Beurteilung ist die Position Oesers mehr oder weniger einzigartig. Die
Zeitgenossen würdigten seine künstlerischen Arbeiten in einem Atemzug mit dem
Verdienst der Vermittlung der Winckelmannschen Theorien. Als Akademielehrer in
Leipzig war Oeser besonders erfolgreich, er begriff sich als Lehrer einer
zukünftigen Künstlergeneration. Die folgende Generation aber konnte seinem
Künstlertum nichts mehr abgewinnen, nachdem Oeser ihr einen neuartigen
theoretischen Zugang zur Antike verschafft hatte.
Oeser erfaßte die Gedankenwelt
des Bürgertums, identifizierte sich mit ihr und wurde zu einem der wichtigsten
Künstler dieser aufstrebenden Klasse. Somit folgte er einem Zug der Zeit und
trug dem Erstarken des Bürgertums, seinen wachsenden Bildungs- und
Kunstansprüchen Rechnung und stellte sich und seine Kunst weitgehend in den
Dienst der bürgerlichen Aufklärung und wurde so als Künstler ein Hauptvertreter
der Epoche der Empfindsamkeit.
Oeser mußte sich an einem
breiten, der Mode unterlegenen Publikumsgeschmack orientieren. Sämtliche
Kunstgattungen die er vertrat, erfuhren einen am bürgerlichen Geschmack
orientierten Zuschnitt, woraus sich auch ein gewisses Maß an
Fortschrittlichkeit, Innovation und Flexibilität ableiten läßt. Oesers
Unsicherheit bestand darin, daß er in einer zum Teil von seinem Publikum
gewünschten überkommenen barocken Formensprache neuartige zeitgenössische
Themen darstellen mußte. Wie Oeser dies zu lösen versuchte, konnte an den
Deckenbildern im Gohliser Schloß zu Leipzig und im Wittumspalais in Weimar
veranschaulicht werden. Oeser nimmt deutlich Bezug zu einer Kunsttheorie, die
nicht ausschließlich aus den Vorbildern und der Formensprache der Antike
schöpft. Die zweite, oft übersehene Maxime des 18. Jahrhunderts war die
Forderung nach einer nicht nachahmenden Kunst. Die Kunst sollte aus dem eigenen
Schöpfungsakt gemäß der natürlichen Begabung des Künstlers fern jeglicher
akademischer Regelstrenge entstehen.
In der Deckenmalerei und der
Denkmalplastik löst sich Oeser von den überladenen Allegoriekonzeptionen
barocker Machart. Seine Bildsprache besteht aus einer eigenen Symbolik, die sich
hin zum „natürlichen“ Zeichen wendet. Die Abkehr von der Allegorie und der
Übergang zum natürlichen Zeichen bis hin zum Symbol belegen eine zeitgemäße,
aber wenig beachtete Modernität. Ebenso nimmt er in der Landschaftszeichnung
gedanklich bereits die Intentionen der Romantik vorweg. In allen Kunstgattungen
ist bei Oeser eine latente Veranlassung eines Zweifels gegenüber traditioneller
Themen in der Kunst zu beobachten. Hieraus erwuchs Oesers Suchen nach neuen
Themen, Inhalten und Darstellungsformen.
Obwohl Oeser ein Künstler mit
durchaus „modernen“ individualistischen Zügen war, der sich über die strenge
Dogmatik eines Winckelmanns hinwegsetzen konnte, konnte sich die Generation des
Idealismus nicht auf ihn berufen, weil er ausschließlich in Verbindung mit den
Theorien des Antikenforschers gesehen wurde. Gerade aber die einseitige
Bewertung unter dem Gesichtspunkt klassizistischer Elemente werden seinem
Schaffen nicht gerecht. Viel zu sehr steht Oeser unter dem Einfluß lokal
wirksamer Geistesströmungen, die es zulassen, Oesers Namen isoliert von dem
Winckelmanns zu nennen.
Mit Oesers Tod am Ende des 18.
Jahrhunderts geht nicht nur eine Jahrhundert alte Kunsttradition und Motivwelt
zu Ende, sondern gleichzeitig auch die kurze kulturgeschichtliche Periode der
Empfindsamkeit. Die Idyllenmalerei wird von der realistischen
Landschaftsdarstellung abgelöst, die mythologische Allegorie stellte keine
allgemeinverständliche Formensprache mehr dar, der empfindsame
Landschaftsgarten stößt in seiner kleinteiligen Gestaltung auf Unverständnis.
Die traditionelle religiöse Malerei findet ebenfalls um die Jahrhundertwende
ihr vorläufiges Ende. Mit ihren Auflösungs- bzw. Trivialisierungstendenzen
geht zur selben Zeit auch die erste neuzeitliche Periode einer klassischen
bürgerlichen Kunst zu Ende, und gleichzeitig geht auch das Verständnis für
Oesers Kunstschaffen verloren.
Das „empfindsame“ Sehen von vor
250 Jahren ist heute fremd und läßt sich nur schwer rekonstruieren und
vermitteln. „Empfindsamkeit“ als kulturgeschichtlicher Begriff und ihre
Bedeutung für die bildende Kunst der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, kann
abschließend nur aus einem Überblick der verschiedensten Teilbereiche der
Kulturgeschichte dargestellt werden. Es wäre lohnenswert, wenn in Zukunft
weitere Künstler derselben Generation unter diesem Aspekt betrachtet würden.
Denn nur so wäre es möglich, aus den verschiedenen Einzeldarstellungen und
ihrer Gesamtschau über den bürgerlichen Kunstbegriff dieser Epoche, die
Kunstanschauung, die Umsetzung theoretischer Vorlagen und die Geschmackskultur
des 18. Jahrhunderts zu einem tieferen Einblick zu gelangen.