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Oeser wurde
bereits früh mit der Krise der Allegorie in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts konfrontiert. Als Künstler stand er zwischen eigenem
Fortschrittsglauben, klassizistischer Antikentheorie und neu entstandenem
bürgerlichen Publikumsgeschmack, der sich in einer neuartigen Rezeptionsweise
der Kunst ausdrückte. Die Forderung nach „Empfindung“ konnte die mythologische
Allegorie nicht mehr einlösen. Oeser versuchte sich selbst über das „natürliche
Zeichen“ von einem überkommenen Formenkanon zu emanzipieren und begab sich
dabei in die Gefahr der Fehlinterpretation seitens des Publikums. 1781 malte
Oeser für das Leipziger Gewandhaus seine letzten allegorischen Deckengemälde.
Ab 1785 arbeitete er an seinem Alterswerk, den Ausmalungen der Nikolaikirche.
In seinen Bildthemen orientierte er sich am Leben Christi.
Die so verlaufende Entwicklung am Beispiel des Künstlers Oeser beschreibt
Werner Busch als typischen Prozeß der Krise der Kunst im 18. Jahrhundert. Bei
Oeser tritt nun an Stelle des antiken „klassischen Helden“ der „christliche
Held“.
Vor dem Hintergrund der Gefühls-
und Rührungsästhetik der Empfindsamkeit ist es gerade am Beispiel der religiösen
Malerei Oesers interessant, nach den kulturgeschichtlichen Ursachen zu fragen,
die diese Art von Malerei im Zeitalter des „Griechenkultes“ hervorgebracht
haben. Zumal sich Winckelmann in seinen „Gedanken über die Nachahmung...“,
ausschließlich für die antike, allegorisch mythologische Malerei ausspricht und
Darstellungen aus der Heiligengeschichte ablehnt.
Im folgenden Kapitel soll der Versuch unternommen werden zu klären, aus welchen
theologischen Strömungen heraus die zahlreichen religiösen Bildthemen von Oeser
entstanden. Das Bedürfnis nach einer religiösen Malerei kommt in den zahlreichen
Einzelaufträgen Leipziger Bürger zum Ausdruck. Künstlerisches Zeugnis des
allgemeinen Wandels von der vernunftbestimmten hin zur emotional ausgerichteten
Religion sind die Ausmalungen der Nikolaikirche, die den Höhepunkt einer
empfindsam-religiösen Malerei darstellen und bereits auf die protestantische
Malerei der Nazarener des 19. Jahrhunderts verweisen. Diesen Prozeß gilt es im
folgenden Abschnitt aufzuzeigen.
Das Christentum im allgemeinen
und die Kirche im besonderen befanden sich in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts in einer tiefen Krise. Der Leipziger Superintendent der
Nikolaikirche und Professor der Theologie Johann Georg Rosenmüller (1736-1815)
klagte darüber:
„Es kann doch unmöglich
geleugnet werden, daß die Geringschätzung des Christenthums, des öffentlichen
Gottesdienstes und des heiligen Abendmahls sich in unsern Zeiten mehr als
jemals verbreitet hat,
[...].
Mit der Begründung der
Aufklärungstheologie von Wolff und Leibniz, mußten sich die Religion, die
Kirche und die Geistlichkeit nach den Regeln der Vernunft auf ihre
Glaubwürdigkeit hinterfragen lassen.
Die verbindliche Orthodoxie der Kirche, die sich in Ritualen und
schwerverständlichen Wunderglauben erschöpfte, verlor mehr und mehr an
Bedeutung. Die tendenzielle „Antikirchlichkeit“ führte allerdings nicht
zu einer „Irreligiosität“,
vielmehr waren nun praktische Anschauung für eine tugendhafte und sittliche
Lebensführung gefragt. Der dann einsetzende Emanzipationsprozess von der
Kirche, der mit den beiden theologischen Strömungen dem Pietismus und der
Neologie seinen Lauf nahm, richtete sich besonders gegen das Luthertum. Der
Bruch mit der Kirche wurde überwiegend von der bürgerlichen gebildeten
Mittelkasse vollzogen,
wobei ein Großteil eine Art „Ersatzreligion“ „in dem Kultus der
Schönheit und des Altertums“ fand.
Zu der vorherrschenden reinen
Vernunftreligion der Aufklärung kam zusätzlich zum Verstand nun das Gemüt und
ein verstärktes moralisches Bewußtsein. Diese neue Ausrichtung wurde in erster
Linie durch die Popularphilosophen
und Dichter des 18. Jahrhunderts gefördert. Der
Dichter Gottsched empfahl neben der Lektüre der Philosophen Leibniz und Wolff
zusätzlich das Studium der deutschen Literatur, was zu „einer schöngeistigen
und religiösen Kultur“ führen sollte.
Der Gefühlswandel der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts traf gleichermaßen für die Dichtung, das ästhetische Empfinden, die
Frömmigkeit und die Kirche zu.
Ausgelöst wurde der Umschwung durch die
weitverbreitete Literatur Gellerts, Klopstocks und Lessings,
die unter anderen als die Protagonisten der
Aufklärung und der Empfindsamkeit gelten.
Klopstock hatte wie kein anderer mit seinen Oden und
der religiösen Freiheitsdichtung, dem „Messias“ (1773), die ästhetisch
empfindende Generation in Deutschland angesprochen. Während Lessing von einem
„seligen Fühlen“
spricht, sucht der empfindsame Dichter und Philosoph Gellert
sittlich-christliche Bekehrung durch die Verbindung aus Vernunft und Gefühl zu
erreichen. In seinem damals weitverbreiteten Sittlichkeitsroman „Die
Schwedische Gräfin von G.“ läßt Gellert die Gräfin sagen:
„Ich glaube gewiß, daß die
Religion, wenn sie uns vernünftig und gründlich beigebracht wird, unsern
Verstand ebenso vortrefflich ergänzen kann, als sie unser Herz bessert.“
Die Dichter wollten die Aufgabe
der Theologen fortführen, indem sie die Religion immer mehr in den Mittelpunkt
ihres Schaffens stellten.
Aus der religiösen Poesie wird im Laufe der Zeit
eine protestantische Gefühlsreligion. Das Zusammenspiel der
Verstandesorientierung mit subjektivem Empfindungen wurde von den damaligen
aufklärerischen Kirchenreformern wie z.B. dem Theologen Johann Joachim Spalding
(1714-1804) sanktioniert. In seiner zwischen 1761-1791 sechsfach aufgelegten
Abhandlung „Über den Werth der Gefühle in dem Christenthum“ prägt er den
Begriff der „aufgeklärten Empfindung“.
Für Spalding definiert sich sein Religionsverständnis aus einem
„natürlichen gesunden Verstand“ in Verbindung mit einem
„gutgesinnten christlichen Herz“.
Der in dieser Zeit auftretende protestantische Pietismus
als eine rein gefühlsbetonte religiöse Form der Empfindsamkeit,
in der Form eines werktätigen Christentums, verdrängt die streng rationalistisch
ausgerichtete Theologie. Der Übergang vom Rationalismus zur emotional bestimmten
Frömmigkeit wird im theologischen Sprachgebrauch als Neologie bezeichnet.
Hauptvertreter dieser neuen theologischen Strömung war neben Johann Joachim
Spalding, der Berliner Theologe Friedrich Wilhelm Sack (1703-1786), wie der
Braunschweiger Prediger und Oeserfreund Abt Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem
(1709-1789) (vgl. Abb. 16).
Die „neue Lehre“ war eine
vorwiegend vom protestantischen Bürgertum getragene mittlere Phase der
Aufklärungstheologie, sie beginnt zeitgleich mit der Empfindsamkeit um 1740 und
reicht bis in die 90er Jahre des Jahrhunderts.
Inhaltlich war sie in erster Linie dogmenkritisch und lehnte die strenge
Orthodoxie der Kirche ab. Ihre Funktion war in erster Linie auf Erziehung des
Menschen gerichtet, wobei die Förderung des Toleranzgedanken oberstes Primat
war.
Durch die „Neologen“ wurde eine neue christuszentrierte Richtung in der Religion
ausgelöst. Das Leben und die Lehre Christi rückten fortan in den Mittelpunkt der
„neuen“ Theologie.
Der Leipziger Theologe Samuel Friedrich Nathale Morus
(1736-1792), der sich zur Heterodoxie bekannte[,
fordert 1789:
„Wir müssen unsere Handlungen
der von Christus dargestellten Norm anpassen, in Hinsicht dessen, was geschehen
soll, wie in Begriff der Gründe, aus denen und der Art, nach der es geschehen
soll. Wir sollen bey unsern Hoffnungen in unserm ganzen Leben und auch im Tod
auf ihn hinsehen.
Der Christusglaube wird nun zum
Glauben an die Tugend. Die Verbindung aus Emotion, Vernunft und Sittenlehre
führt der Erlanger Theologe Georg Friedrich Seiler (1733-1807) in seiner Schrift
von der „Religion nach Vernunft und Bibel und ihrer Harmonie“
folgendermaßen aus:
„Die Vernunftreligion und die
damit verbundene Sittenlehre sind das Mittel jeder wahren Aufklärung und
sittlichen Vervollkommnung. Erst Christus aber hat die Wahrheiten der
Vernunftreligion rein und lauter vorgetragen, das Sittengesetz, die
Unsterblichkeit gelehrt; folglich ist es durch die Vernunftreligion gewiß, daß
Gott Jesum zur Mittlersperson gebraucht hat, um das menschliche Geschlecht nach
und nach aufgeklärter, tugendhafter und glückseliger zu machen. Da nun Gott zur
Ausführung dieser hohen Absicht sich nothwendig eines Lehrers der Wahrheit
bedient haben muß, so ist Jesus für einen solchen zu erkennen, es ist seinen
Aussprüchen zu glauben und die von ihm veranstaltete Menschenverbesserung für
ein Werk Gottes (d.h. ein übernatürliches, wunderbares Werk) zu halten.
Für den Magdeburger Theologen
Küster steht die „Empfindung“ des Menschen als moralisch-ethische Größe im
Mittelpunkt seines „Sittlichen Erziehungs-Lexicons...“. Er sieht in den
Lehren Christi ein Hinlenken zu einem empfindsamen Handeln und Denken:
„Die Lehre und der Wandel unsers
anbetungswürdigen Heilandes, ist eben deshalb für einen jeden denkenden und
fühlbaren Menschen, so annehmungswürdig, weil sie uns nicht nur den sichern Weg
zeiget, auf welchem wir edel empfindsame Erdbewohner werden können; sondern weil
sie uns auch die reitzenden Belohnungen zeiget, mit welchen der empfindsame Gott
und Heiland, diejenigen Erdbewohner bekrönen wird, die aus gottseligen
Beweggründen edel empfindsam gedacht und gehandelt haben.“
Wie sehr Oeser den religiösen
Erneuerungsbestrebungen der Neologie für sein eigenes Religionsverständnis
aufgeschlossen war, belegt 1778 eine Reise mit seiner Gönnerin aus Weimar, der
Herzogin Anna Amalia, in deren Heimatstadt Braunschweig. Dort traf er mit zwei
der bedeutendsten Vertreter dieser Neuerungsbewegung, dem bereits erwähnten Abt
Jerusalem und dem Theologen Carl Christian Gärtner (1712-1791) zusammen. Über
die Begegnung mit den beiden Theologen schreibt Oeser an seine Tochter:
„[...]
du kannst nicht glauben, was ich für Wohllust fühlte in Gesellschaft zweier so
edelen Seelen zu sein, die Brust erweitert sich, und der Kopf denkt ganz frei,
ich habe niemals die wahre Religion so viel gefühlt als unter diesen
rechtschaffenen Männern.“
Die Briefstelle belegt ein für
die Zeit typisches subjektives Religionsempfinden.
Wenn Oeser die neue Religion mit „Wohllust“ in sich aufnahm und ihm sich
dabei „die Brust erweitert“, war es letztendlich der Glaube an Jesus
Christus, der in ihm ein erhabenes Gefühl erweckte. Wenn hier die Rede von einer
„wahren Religion“ ist, deutet dies auf ein eindeutiges Bekenntnis
gegenüber der „Neologie“ hin. Die Neologen sahen im Christentum eine
verbindliche Zusage zur „Glückseligkeit“. Über die Tugend führte für sie der Weg
zum Glück, und Religion und Tugend wurden eins
Ähnliche Anschauungen lassen sich auch in den
moralphilosophischen Aufzeichnungen Oesers finden. Oeser schreibt hier über die
Tugend:
„In Tugend ist unsre
gegenwärtige Ruhe und unser künftiges Kleinod. In der Tugend besteht des
Menschen unabhängiges und angebohrnes Vergnügen, welches er nach seinem Willen
noch stets vermehren kann; ihr Besitz ist sicher; ihre Einkünfte sind göttlich.“
Für Oeser sind die Sinne und die
Vernunft göttlich,
aus ihrer Einheit entspringt dabei die Tugend, die zur Unsterblichkeit führt.
In gleicher Weise betont er auch die vom Pietismus geforderte subjektive
Emotionalität:
„Alles Vergnügen entspringt aus
einem reinen Geiste; und aus einem ruhigen Hertzen unsre ganze Ruhe.
[...]
so labe dich mit starken Zügen; je mehr du alsdann aus dem Becher des Vergnügens
trinkst, desto göttlicher wirst du; Engel sind Engel, weil sie sich droben dem
Vergnügen überlassen, die unbereute Wollust macht einen Gott.“
Oeser, ein
Mensch der Aufklärung, begrüßte jedes Streben nach religiöser Toleranz. Hiervon
zeugt ein Brief an seine Stiefschwester, in seine ungarische Heimatstadt
Pressburg. Er schreibt:
„Zu dem bevorstehendem
Kirchweihfest wünsche ich euch allen Segen des Himmels, und freuet euch recht
satt in dem Herren, danket Gott und unserem weisen Kaiser, der den Gott, den er
nach seiner Art anbetet auch euch nach eurer Weiße anbeten läßt. Um aber daß du
diese seltene Freude durch etwas kenntlich machest, so übersende ich dir ein
Gemälde
[...]“.
Oeser, selbst
Protestant, spricht hier von dem österreichischen Kaiser Josef II. (1765-1790)
und bezieht sich auf die theresianisch-josephinischen Reformen, die in
zahlreichen Toleranzedikten den Protestanten, Juden und Griechisch-Orthodoxen
die gleichen Rechte zubilligten wie den Katholiken.
Oeser nahm dies zum Anlaß, als Dank für die Liberalität des Kaisers ein
Altarblatt für die neuerbaute protestantische Kirche in Preßburg zu malen. Das
Bild stellt die „Christus und die Jünger zu Emmaus“ dar (Abb. 77)
Oesers Religionsverständnis war nicht
gebunden an irgendwelche Orthodoxien, sondern er verstand Religion in erster
Linie als eine vernunftbestimmte „Tugendreligion“, wobei Verständnis gegenüber
anderen Glaubensbekenntnissen oberstes Gebot war. Somit konnte er sich leicht
über konfessionelle Schranken hinwegsetzen, wie die beiden Altarbilder „Das
heilige Abendmahl“ und „Die Hochzeit zu Kanaan“ belegen, die er für
die Kapelle der katholischen Gemeinde in Leipzig in der Pleißenburg malte (Abb.
78, 79).
Bislang wurden die religiösen
Strömungen gezeigt, die zu einer Neubestimmung religiösen Verhaltens und
Empfindens geführt haben. Diese Entwicklung war auch auf die religiöse Kunst
nicht ohne Folgen. Selbst der Pietismus, der sonst eher kritisch der
ästhetischen Kunst gegenüber stand, bemächtigte sich ihrer, sobald sie der
eigenen emotionalen Frömmigkeit nützlich war.
In diesem Zusammenhang sind die Texte von Klopstock
„Von dem Rang der schönen Künste und der schönen Wissenschaften“ (1758),
„Eine Verurteilung“ (1760)
und die Schrift „Urtheile über die poetische
Composition einiger Gemälde
von Interesse, die bisher in der Kunstgeschichte wenig
berücksichtigt wurden. Besondere Bedeutung kommt dem Text „Eine Verurteilung“
zu, in dem Klopstock bereits fünf Jahre nach dem Erscheinen von Winckelmanns
„Gedanken...“ heftige Kritik an dessen „Griechenkult“ übte. Klopstock war
einer der ersten, der sich aus einer patriotischen Gesinnung heraus für die
christliche religiöse Malerei aussprach und somit eindeutig eine Gegenposition
zu Winckelmann einnahm.
Die Kritik richtete sich gegen mythologisch allegorische Darstellungen,
die somit auf die allgemeine Problematik und
Allegoriedebatte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hindeutet. Die
„Kopiererei“ Winckelmanns lehnte er ab
eine Orientierung an den Griechen hielt er gleichwohl für zulässig. Bedingung
dabei aber war, sich „Schöpferisch innerhalb der eigenen, anderen Welt und
Wirklichkeit“ zu orientierenn
gleicher Weise wie Klopstock vertrat Oeser seine Position gegenüber der Antike.
Als Künstler wollte er sich zwar die Antike zum Vorbild nehmen, lehnte aber das
reine Reproduzieren ab.
Gleichzeitig sprach er sich auch dafür aus, daß die aktuellen
Zeitumstände berücksichtigt werden müßten, und eine zeitgemäße künstlerische
Sprache gesprochen werden muß, um für den Kunstbetrachter verständlich zu sein,
was die Themen aus der Antike, wie gezeigt, oft nicht mehr einlösten.Es gibt
offensichtliche Parallelen zwischen den Kunstanschauungen Klopstocks und Oesers,
die miteinander befreundet waren. Oeser schloß sich wohl auch aus seiner eigenen
patriotischen Gesinnung heraus den Gedanken Klopstocks an. Aus dieser Haltung
konnte er die Schönheit von Klopstocks „Messias“ als ein Werk eines
deutschen Dichters ohne weiteres gebührend anerkennen
Klopstocks Religionsauffassung
versteht sich als christuszentrierte „Glücksreligion“, die durch seine Betonung
der Emotionalität deutliche Bezüge zum Pietismus aufweist. Gerade diese
Gefühlswelt Klopstocks wurde auch von der Neologie aufgenommen und begrüßt
Obwohl Klopstock der Dichtung und der Musik einen höheren Wert für die
moralische Erbauung beimißt als der bildenden Kunst im allgemeinen
sieht er dennoch in der religiösen Kunst einen Wert um
„die erhabenere Tugend der Religion dem Menschen liebenswürdig vorzustellen“.
Für ihn besteht der Nutzen der religiösen Kunst darin Herzensempfindung
anzusprechen
Aus diesem Grund war es für ihn auch legitim, Kirchengebäude mit religiöser
Malerei auszustatten, denn:
„Die Bildhauerkunst und die
Malerei reizen die Andacht durch die Bilder, die sie aus der heiligen Geschichte
nehmen und damit die vornehmsten Meisterstücke der Baukunst ausschmücken.
Klopstock konnte Rembrandts
religiöser Malerei die höchsten Empfindungen abgewinnen
Es fällt dabei auf, daß gerade die religiösen
Tafelbilder, die Oeser als Einzelaufträge für Bürger Leipzigs anfertigte, sich
vornehmlich an der Rembrandtschule orientierten. Obwohl er selbst für Rembrandt
keine übermäßigen Sympathien hegte, beugte Oeser sich hier offenbar dem
bürgerlichen Zeitgeschmack, wie aus einem Brief an Hagedorn zu entnehmen ist:
„Nun kenne ich aber keinen guten Meister, dessen Geschmack so geliebt wird, als
Rembrandt.
Einer der bedeutendsten Befürworter der Niederländischen und besonders der
Malerei Rembrandts war Hagedorn,
der somit auch zur Anerkennung des rembrandttesken Malstils in bürgerlichen
Kreisen beitrug. In Leipzig wurde Oeser wegen seiner Rembrandtnachahmungen sehr
geschätzt. Der Leipziger Ratsherr Carl Ludwig Stieglitz (1727-1787), der selber
Radierungen nach Zeichnungen niederländischer Künstler schuf, bezeichnet Oeser
als einen der „von unser bester Künstler Ruf ist, und in der Rembrandt
Radierung seinesgleichen nicht hat“
Oesers
Rembrandtnachahmungen zeichnen sich durch einen für die Zeit typischen
flüchtigen und unscharfen Stil aus. Nicht die hohe Gedankenkunst eines
Winckelmanns sollte hier vorgestellt werden, sondern „Empfindungswerte“
durch die „Magie des Helldunkels“
Allen der hier gezeigten drei Tafelbilder „Christus heilt die
Kranken“ (Abb. 80),
„Saul bei der Hexe von Endor“ (Abb. 81
und dem Tragealtar „Die Hochzeit von Kanaan“ (Abb. 82)
dürften Arbeiten von Rembrandt als Vorbild gedient haben. Oeser
verzichtete auf dramatische Figurenkomposition, gerade das „Wundersame“
konnte durch die rembrandtteske Helldunkeleffekte deutlich angezeigt werden,
die so das Gefühl des Betrachters ansprechen sollten.
Ebenso sind die beiden nach Niederländern kopierten Radierungen Oesers
„Die Beschneidung Christi“
(Abb. 83) und „Die Darbringung Christi im Tempel“ (Abb. 84).
angelegt. Durch das einfache Maschennetz und die lockere Schraffur,
„das leichte skizzenartige Hinwerfen der Einzelheiten“,
das seinen Radierstil in den rembrandttesken Blättern kennzeichnet, vermittelt
er eine verschleierte Raumtiefe. Die Blätter zeigen, daß Oeser auch in der
Graphik das von Hagedorn geforderte „Sfumato“ zu erzielen versuchte
Die religiösen Ausmalungen in
der Nikolaikirche Leipzigs waren Oesers umfangreichstes Werk. Die Malereien wie
die gesamte Neugestaltung spiegeln die zuvor ausführlich besprochene Problematik
der Neuerungsbestrebungen in der Theologie und der Kirche wider. Die
Umgestaltung der Nikolaikirche, die „in der Bürgerschaft als Hauptkirche“
galt, geschah demzufolge nicht nur der Erneuerung der veralteten gotischen und
barocken Innenausstattung wegen, sondern gleichzeitig wollte das selbstbewußte
Leipziger Bürgertum dem Geist der Aufklärung
und dem neuen religiösen Empfinden und Glaubensbekenntnis seinen
Ausdruck verleihen.
Eine Besonderheit ist darin zu sehen, daß die Kirche in ihrer Funktion als
Auftraggeber in den Hintergrund tritt und die Umgestaltung als eine rein
„bürgerliches“ Projekt bezeichnet werden kann, das vom damaligen Bürgermeister
Dr. Carl Wilhelm Müller gezielt vorangetrieben wurde.
So verwundert es wenig, daß ein Teil der konservativen protestantischen
Leipziger Geistlichkeit durch die künstlerische Innenausstattung die Würde des
Sakralbaus gestört sah und die Kirche als „Ein schönes Schauspielhaus !“
bezeichnete. Bürgermeister Müller, der gleichzeitig auch Kirchenvorsteher war,
soll darauf geantwortet haben „nur schade, daß die
Acteurs nicht besser sind“und damit
auf die tiefe Krise, in der sich die Geistlichkeit und der Klerus befanden,
anspielte
Als theoretische Grundlage für
die architektonische Umgestaltung diente das Buch des französischen
Architekturtheoretikers, dem Jesuiten und Abt Marc-Antoine Laugier (1713-1769)
„Observation sur l´architecture“ (1765).
Oeser regte dazu die Übersetzung ins Deutsche an
Die drei maßgeblich für die Umgestaltung der Kirche verantwortlichen Personen
waren neben Bürgermeister Müller, der Architekt und Akademielehrer Johann
Friedrich Carl Dauthe (1749-1816) und der Leipziger Ratsherr und
Architekturtheoretiker Christian Ludwig Stieglitz (1749-1836).
Oeser wurden „schätzbare Kenntnisse von der Baukunst“ attestiert
was zur Folge hatte, daß er häufig „bei
neuen Bauten und Veränderungen um Rat gefragt wurde“.
Dies traf mit Sicherheit auch während der Umgestaltung der Nikolaikirche zu. In
erster Linie aber war Oeser für die Deckengemälde und die in die Wandarchitektur
eingepaßten Leinwandbilder verantwortlich, die als Teil der Raumausstattung ein
ikonographisches Gesamtprogramm darstellen.
Von den ursprünglich ca. 30 Bildern sind heute noch 27 erhalten
Den Arbeiten lagen die „Evangelien“ des neuen
Testaments mit Themen aus dem Leben Christi zugrunde. Der Nikolaikirchenzyklus
spiegelt die Grundzüge der Herderschen Reformpredigten wider, die Überirdisches
- Irdisches, Wunderbares - Natürliches und Offenbarung und Vernunft als
Einheitliches Gebilde vermittelt sollten.
Aus der Orientierung an der Bibel und dem Neuen
Testament lassen sich Verbindungen zur Neologie und Klopstock aufzeigen. Für
den Dichter war die Bibel das „Urbild“, „die ewige Quelle unseres
Heils“ und „das vollkommenste
Muster des erhabenen und wahrhaften göttlichen Ausdrucks“.
Ebenso enthusiastische Empfindungen hegte Oeser für
die Bibel als eine für die Ewigkeit angelegte Offenbarung Gottes:
„Lies und verwahre jenes heilige
Buch; ein Buch, wo die Unsterblichkeit in vollem Glantze stralt, ein Buch,
welches die ganze Schöpfung nicht hervorbringen konnte, welches die letze
Flamme nicht vertilgen soll. Nein; in den Trümmern der Natur wird kein einziger
Buchstabe dorten verlohren gehen; es steht mit ewiger Schrift in Götterherzen
eingegraben.“
Ausgestaltet wurde von Oeser der Eingangsbereich und
der gegenüberliegende Chor der Kirche. In der Eingangshalle befindet sich über
dem Eingang in Grisaillemalerei ein „Engel mit einer Schrifttafel“. Die
Tafel trägt die Inschrift des Psalms 43, 3 „Sende Gott Dein
Licht und Deine Wahrheit, daß Sie uns leiten“. In der Kuppel befindet sich
ein „Schwebender Engel in Verehrung einer Glorie“ (Abb. 85). Links und
rechts der Eingangshalle liegen zwei kleine achteckige Hallen, eine für die
Taufhandlung, die andere für die Taufzeugen. Die Kuppeln sind jeweils mit fünf
Bildern schwebender Engel ausgemalt. In der Taufhalle bringt Oeser
„Die Taufe Christi“
(Abb. 86), in die Halle für die Taufzeugen eine
„Heilige Nacht“
(Abb. 87) an. Die drei Kuppelsäle bilden den Vorraum zum eigentlichen
Kirchensaal. Oeser verfolgt hier ein theologisches Programm, denn erst durch
die Taufe wird eine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Gläubigen erlangt.
Der sich anschließende Gemeinschaftsaal der Gläubigen ist ohne jede
bildkünstlerische Ausgestaltung. Erst die dem Chorraum vorgelagerte Kanzel wird
wieder von Oeser gestaltet, der Kanzeldeckel ist mit einem „Engel in
Verehrung des Gottesnamens“ (Abb. 88) ausgemalt. Das bedeutende Hauptwerk
Oesers ist der „Christuszyklus“ des Chores. An der rechten Chorwand befinden
sich Themen, die Christus als Tugendlehrer zeigen „Der
Zinsgroschen“
(Abb. 89), „Jesus und die Samariterin am Brunnen
(Abb. 90), (darüber eine Allegorie der „Christlichen Hoffnung“
en grisaille) und „Lasset die Kindlein zu mir kommen“
(Abb. 91) An der linken Chorwand befinden sich die
Bildthemen „Christus und das
Kanaanäische Weib“,
(Abb. 92), „Die Blindenheilung“,
(Abb. 93) (darüber eine Allegorie der „Christlichen Liebe“ en grisaille)
und „Der Hauptmann von Capernaum“
(Abb. 94). Alle drei Bilder stellen Christus als wundertätigen Gottessohn dar.
Für den Hauptaltar am Ende des Chores wählte Oeser die
„Auferstehung Christi“
(Abb. 95). Darüber befindet sich eine Allegorie „Der Religio mit dem neuen
Testament“ und ein „Friedensengel“ (Abb. 96)
Den auf Vernunft ausgerichteten
Bildern, die Jesus im Chor als christlichen Tugendlehrer zeigen, werden drei
Bilder, die Christus als Wunderheiler darstellen, gegenübergestellt. Die
„Wunderbilder“ stehen als ein typisches Zeichen für den Irrationalismus, den das
letzte Viertel des 18. Jahrhunderts bewußt hervorbrachte, um den immer noch
vielfach vorhandenen allzu strengen Rationalismus zu untergraben.
Die Vorstellung der tugendhaften Lehren Jesus
kulminieren in dem Altarbild der „Auferstehung“. Das Altarblatt faßt die
Tugenden Christi, den Glauben aus der Vernunft mit der darüber befindlichen
Allegorie der „Religio“ zu der rationalistischen theologischen Formel
„Religion und Tugend führen zu Unsterblichkeit der Seele“ zusammen. So werden in
programmatischer Weise die theologischen Strömungen der Zeit aus
christuszentriertem Vernunftglauben und Moral miteinander verbunden. Der
Triumph über die Überwindung des Todes wird durch den „Friedensengel mit
einem Palmzweig“ und den Palmen, die als Motiv des Sieges, die aus den
Säulen im Gemeindesaal herauswachsen, noch ein weiteres Mal betont. Den
„geistigen Schlußstein“
bildet der Friedensengel, der den
„Friede mit Gott“ darstellt.
Das Auferstehungsmotiv der menschlichen Seele stellte Oeser bereits in der
Eingangshalle als „Schwebender Engel in Verehrung einer Glorie“ dar (vgl.
Abb. 85). Die in den Himmel auffahrende Seele und die „Auferstehung Christi“
liegen sich in der Längsachse der Kirche gegenüber. Beide Themen bezeichnen
jeweils einen Endpunkt des Langhauses, gleichzeitig auch den Endpunkt eines
jeden christlichen Lebens, nämlich den Übergang vom irdischen zum ewigen Leben
in himmlischen Gefilden.
Auf den meisten Gemälden Oesers
in der Nikolaikirche taucht das Engelmotiv als Thema auf. Die Engeldarstellugen
als bloßen „Rokoko-Scherz
abzutun, wird dem optischen Empfinden der Oeser-Zeit nicht gerecht. In der Tat
haben die Darstellungen von geflügelten Kinderköpfen und Jünglingen in der
Nikolaikirche bei Oeser etwas rokokohaftes. Es war gerade Klopstock, der sich
vehement für die Darstellung von „Engeln“ einsetzte. Für ihn waren sie, wie
wahrscheinlich auch für Oeser, nicht irgendwelche Genremotive oder Allegorien,
sondern real geglaubte himmlische Wesen
Die den Verstand ansprechende
Vernunftlehre Christi auf der einen und die auf Emotion gerichtete
Wundertätigkeit Jesus´ auf der anderen Seite gipfeln in dem Motiv der
„Auferstehung“ des Altarbildes. Das Thema war zu dieser Zeit sehr beliebt.
So fertigte Oeser noch vor Beendigung der Arbeiten in der Nikolaikirche bereits
1792 eine Kopie des Blattes für die Kirche St. Jakobi in Chemnitz an (Abb. 97).
Durch Lessings
Auseinandersetzung mit der Auferstehungsthematik wird in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts erstmals wieder die Bedeutung des „Ostererlebnisses“ erkannt
und thematisiert
Bereits Klopstock hatte zahlreiche Dichtungen und Oden über die
Auferstehung geschrieben und vertont.
Gerade Oesers Verbindung mit Lessing
und die Freundschaft mit Klopstock, lassen es als
für wahrscheinlich erachten, daß er sich an deren theologischen Schriften und
Dichtungen bewußt orientierte. In der Darstellung der Auferstehung und das
Auffahren in den geöffneten Himmel vermittelt Oeser fast analog zu Klopstocks
Dichtung, dessen erhabenen dichterischen Schwung und Pathos :
„Zu Gott schwingt sich der Sohn
empor;
Mittler, Vollender, Gott,
Heiligster, welchen Tod
Starbst du auf Golgatha !
Du siegst. Halleluja !
Halleluja, Halleluja !
[...]
Thut weit
des Himmel Pforten auf!
Der Sieger schwingt zum Thron sich auf
Erhöht, erhöhet Salems Thor!
Der Ueberwinder steigt empor:
[...]“
Bei der Ausführung des
Altarblattes ist zu beobachten, daß Oeser auf den sonst typischen Kreuzesgestus
verzichtet. Christus ist nicht mehr „Schmerzensmann“, der seine Wundmale zeigt.
Christus verbildlicht als „Allegorie der Tugend und der Vernunft“ ein Motiv, das
als der Grundgedanke der „Tugendreligion“ bezeichnet werden kann. Oeser
beschreibt dies wie folgt:
„Von reinen Sitten zu reinem
höhern Glauben aufsteigen, das ist der unvermeidliche Schwung der Natur, der
Glaube ist nicht die Arbeit, sondern die Ruhe der Vernunft.“
Oeser verbindet
im Leipziger Hauptaltarblatt zwei zeitlich auseinanderliegende Ereignisse - das
„Osterereignis“ der Auferstehung mit der 40 Tage später folgenden Himmelfahrt
Christus, der in der Mitte des Bildes schwebt, stellt eine Verbindung zwischen
irdischer und himmlischer Sphäre dar. Vielfach wird im Auferstehungsmotiv noch
eine Verbindung zu alten mythologischen Heldengestalten gesehen,
die wohl
auch auf das hier gezeigte Altarbild zutrifft. Christus bestand den
Kampf mit der Unterwelt, wird wiedergeboren aus dem Mutterschoß des Grabes und
steigt als gestaltgewordene siegreiche Sonnein den
Himmel auf. Als Mittler zwischen Erde und Himmel verkörpert er das Einswerden
von Gott und der Weltund
als „Lichtgestalt“ vermittelt er die Botschaft Gottes im Sinne Klopstocks, der
in einer Bitte an Gott dichtete: „Laß dein Licht Mir leuchten“.
Die gesamte architektonische
Umgestaltung der Nikolaikirche und ihre bildgestalterische Ausgestaltung standen
unter dem Leitgedanken des „Lichts“ der Aufklärung. Die Säulen mit ihren
Palmwedeln, die Kassettendecke mit ihren Stuckrosetten und die Pastellfarben von
Rosé, Weiß und Lindgrün, geben dem Raum eine neue Helligkeit. Die Stätte der
Belehrung wird von dem für die Aufklärung zum Symbol gewordenen „Sonnenlicht“
durchflutet. Die neue Helligkeit des Raumes läßt die Stätte der Aufklärung von
dem zum Symbol gewordenen „Sonnenlicht“ durchfluten. Das Licht der Religion
vereinigt sich mit dem Licht der Vernunft. Wenn Christus in den Bildern Oesers
lehrt und heilt, so läßt er im übertragenen Sinne die Ungläubigen durch das
durch ihn verkörperte „Licht des Glaubens“ sehend werden. Nicht zufällig steht
der Lichtgestalt Christus im Hauptaltar der Psalm 43,3 „Sende Gott Dein Licht
und Deine Wahrheit, daß sie uns leiten.als
Motto über der Eingangshalle gegenüber.
Chodowiecki bezeichnet die
Himmelfahrt Oesers als ein der Himmelfahrt von Anton Raphael Mengs in der
Dresdener Hofkirche ähnelndes Bild (Abb. 98)
Eine Gegenüberstellung macht jedoch deutlich, daß beide Gemälde im Abstand von
30 Jahren gemalt wurden und dabei erhebliche formale und inhaltliche
Unterschiede zu beobachten sind. Während das Mengssche Altarblatt in einer
katholisch barocken Bildtradition steht, deutet das Oesersche Altarblatt auf
eine Umsetzung zeitgenössischer protestantischer Glaubensinhalte hin.
Ein typisches traditionelles
katholisches Bildelement ist die Darstellung der Trinität. Im oberen Teil des
Bildes stellt Mengs Gottvater dar, getragen von zwei Engeln, vor ihm eine Taube
als heiligen Geist. Bei Oeser fehlt dieses Motiv. Oeser geht hier konform mit
der Neologie, vor allem mit den Forderungen Spaldings und Jerusalems, die mit
der Trinitätstheologie einen völligen Bruch vollzogen. Für beide ist Christus
nicht mehr Sohn Gottes als metaphysische Einheit sondern Christus, der durch
einen ewigen Ratschluß Gottes entsandt wurde, und stellt eine rein moralische
Verbindung mit Gott dar. Christus wird zum „Stifter des Christentums“,
„Göttlicher Lehrer“ und „Urheber und Märtyrer der heilsamsten
Aufklärung“
In gleicher Deutlichkeit lehnt Lessing die Vorstellung des
Trinitätsgedanken ab. Christus ist nicht ein dreieiniger Gott sondern in erster
Linie ein mit göttlichen Tugenden ausgestatteter Mensch.
Bei Oesers Wächtern wird das für
die Zeit so typische Moment des erhabenen „Schreckens“ hervorgehoben, was
wiederum beim Betrachter eine erhebende Ergriffenheit gegenüber dem Wunder
auslösen soll. Dieselbe Expressivität wird bei Mengs nicht erreicht, dessen
irdisches Personal in einem kontemplativen Anbetungsgestus und Erstaunen
verharrt.
Mit der Ausmalung der
Nikolaikirche schuf Oeser „die bedeutendsten Denkmale
seines Künstlerfleißes“
was Goethe auf einen gewissen Eifer, der „seinem Alter
vorbehalten...“war,
zurückführte. Der heftigste Kritiker dieser Bilder und vor allem des
Altarblattes war Chodowiecki.
Dennoch schadeten dessen bereits 1789 veröffentlichten Äußerungen einer
allgemeinen positiven Bewertung wenig. Schon bald war der Christuszyklus als
„Oeser-Bibel“ bekannt
Lobend wird hervorgehoben, daß die Gemälde Oesers, „alle auch für den
gemeinen Mann leicht zu verstehen“ und „zum Theil von ätherischer
Farbgebung“ waren
Die Hervorhebung des „gemeinen Mannes“ belegt, daß die Kirche eine rein
Bürger-Kirche war und Oeser mit einer „vergeistigten Farbgebung“ Geschmack wie
das Religionsverständnis dieser Gesellschaftsschicht getroffen hatte. Die im 18.
Jahrhundert noch gelobte „ätherische Farbgebung“ bezeichnet das 20. Jahrhundert
als „einen merkwürdigen Kolorismus,
bei dem helle und süße Töne hervorgekehrt sind.“
Diese Bewertung zeigt, daß das Farbempfinden der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts heute schwer nachvollziehbar geworden ist.
Für den Englischen Philosophen Burke waren es gerade die „sanfteren Töne“,
die die Schönheit der Farben ausmachten. Weiter bestimmt er, „Diejenigen
[Farben], die zu Schönheit am besten passen, sind die
sanfteren Töne jeder Klasse: ein lichtes Grün, ein sanftes Blau, ein schwaches
Weiß, Rosarot und Violett.“
Burke nennt hier nicht nur die Farben, die Oeser bevorzugt in seinen Bildern
verwendete, sondern auch die neue Ausmalung der Nikolaikirche, die
ausschließlich in Pastellfarben erfolgte. Daher lobte der Leipziger Theologe und
Verfasser zahlreicher kathechetischer Schriften Johann Christian Dolz
(1769-1843) 1818 die „geschmackvolle Auszierung der
Nikolaikirche.“
Die „Neue Bibliothek...“, bringt die Ausmalung in enge
Verbindung mit der Dichtung und Poesie. Oeser wird exakte Sorgfalt beim
Zusammenspiel von Phantasie und Wahrheit bescheinigt, wodurch die künstlerisch
vermittelten Glaubensinhalte nicht verfremdet werden:
„Es ist voll neuer und hoher
Dichterphantasie, deren Gränzen der Freyheit beym poetischen Vortrag heiliger
Geschichte man aber auch zugleich durch strengsten Bedacht auf die bewährtesten
Glaubenswahrheiten der Kirche, weislich bestimmt findet.
Gerade die Neologie übte auf
Künstler der Empfindsamkeit, wie Oeser einer war, eine hohe Faszination, denn
die Betonung des Gefühls öffnete einer auf Emotionalität gerichteten Malerei
ihre Pforten. Die Isolierung des emotionalen Bereichs prägte Oesers bildnerische
Ausdrucksform.
Von Oeser selbst liegen keine schriftlichen
Zeugnisse über die Konzeption der malerischen Ausgestaltung der Nikolaikirche
vor. Gerade unter der Prämisse verschiedener theologischer Strömungen und der
religiösen Neuorientierung ist die Frage nach der Bedeutung der Kirchenmalerei
interessant. Einen wichtigen Hinweis hierzu gibt der Leipziger Ratsherr
Christian Ludwig Stieglitz, der maßgeblich an der Planung für die Umgestaltung
der Nikolaikirche beteiligt war. In seiner
„Enzyclopädie...“
verweist Stieglitz sub voce „Kirchen=Gemälde, Kirchen=Malerey“ auf
das „Ästhetische Wörterbuch über die bildenden Künste, nach Watelet und
Levesque...“. Das Wörterbuch wurde von dem Leipziger Popularphilosophen
Heydenreich übersetzt, herausgegeben und durch zusätzliche eigene Artikel
ergänzt, so auch der Artikel „Kirchenmahlerey
.
Bei der eingangs in seinem
Artikel gestellten Frage nach der Verträglichkeit von Kunst als Bestandteil
einer Kirche und ihrer Funktion während des Gottesdienstes verweist Heydenreich
auf die im 18. Jahrhundert zwischen den verschiedenen evangelischen Strömungen
geführte Diskussion über die Bedeutung von Kunst. Heydenreich geht bei seiner
Charakterisierung von religöser Kunst weit über den Wert des reinen Unterrichts
hinaus. Emotionale Bestimmtheit ist für ihn neben der Lehrfunktion
gleichbedeutend. Die Gemüter der Kirchengemeinde sollen in Stimmung gebracht,
Erkenntnis und Gefühl gleichermaßen angesprochen werden
Die Nikolaikirche wurde mit ihrer künstlerischen Ausstattung auch
als ein solcher Ort bezeichnet, „welcher beim ersten Anblick im Innern die
Seele erhebt und sie mit Gedanken erfüllt“.
[.
Bei der Wahl der Themen fordert Heydenreich ferner einen Bezug zur „Wahrheit
der Vernunftreligion“, eine „Lehrfunktion“ und die Verbindung mit
einem moralischen Inhalt. Hierzu eigneten sich besonders Stoffe aus der Bibel,
der Kirchengeschichte und aber auch der Allegorie.
Der malerische „Styl“ soll bei der Darstellung „idealisch“
und „erhaben“ sein. Ebenso ist das Augenmerk auch auf das ästhetische
Empfinden des Betrachters gerichtet, das in Oesers Christuszyklus durch eine
über Gellert vermittelte „sanfte Religion“ dargestellt wird. Die von einer eher
rationalistischen Religionsauffassung gekennzeichneten Vertreter der
„Sächsischen Kirchengalerie“ konnten diesen Intentionen nichts mehr
abgewinnen und beklagten, daß man „in eine gewisse
Rührseeligkeit und Gefühlsschwärmerei“
verfallen sei. Verkannt wurden dabei die Intentionen
des 18. Jahrhunderts, für die in der Malerei „Empfindung“ und „Empfindsamkeit“
als oberstes Gebot galt. Im Zusammenhang mit der Einweihung der Nikolai-Kirche
1796 wurde über die Bedeutung der Malerei geschrieben:
„Das Wesen eines Kunstwerkes
besteht aber in einer in seiner Wirkung auf die Empfindung, und zwar vermittels
der Sinne und der Phantasie. Jeder Tempel muß also diesen ein ästhetisch
vollkommenes Bild geben, und durch dies die Empfindung des Beobachters rühren.“
Die malerischen Mittel, die Oeser hierzu verwendete,
waren die von Hagedorn empfohlenen stilistischen Merkmale des „Sfumato“,
wie die geforderten Mittelfarben:
„was ist natürlicher, als die Mittelfarben, sowohl der Bindung der Theile, als
auch dem Schwung des ganzen beförderlich sind, aus Gründen der Harmonie zu
betrachten“.
Gleich wie Hagedorn empfahl auch Heydenreich eine abgeschwächte
Kontur
und gebrochene Farben.
Neben der Festigung des
Glaubens, war für Heydenreich zugleich auch die Erlangung einer
„weltbürgerlichen und patriotischen Gesinnung“ Ziel der Gottesverehrung.
Der religiöse Enthusiasmus der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts stand im Dienst eines bürgerlichen „Nationalinteresses“.
Patriotentum war in Deutschland eine bürgerliche Aufgabe
die den aufgeklärten Menschen zum Dienst an der Allgemeinheit
verpflichtete.
Aus dem Nutzen für die Gesellschaft definierten auch die
Vertreter der Neologie die Bedeutung der Religion.
Über Tugend, Patriotismus und
christlichem Kosmopolitismus bedingte sich das bürgerliche Selbstbewußtsein der
Stadt Leipzig. Der Urheber des Gedankens von „Religion und Vaterland“, der sich
gleichzeitig auch gegen eine Rückbesinnung auf die Antike wandte, wurde in den
Schriften Klopstocks zitiert
Aus dieser
religiös-patriotischen Neubesinnung im ausgehenden 18. Jahrhundert unterlag auch
die religiöse Malerei einem tiefgreifenden Wandel, wodurch sich mit der
einsetzenden Romantik ein vorläufiger Bruch in der fortlaufenden Entwicklung der
christlichen Kunst vollzog.
Die Bilder der Nikolaikirche
stehen noch in einer über Jahrhunderte geprägten ikonographischen Tradition und
bilden einen letzten Höhepunkt einer zu Ende gehenden Entwicklung, die erst mit
den Nazarenern im 19. Jahrhundert zu einer erneuten Blüte gelangte, die sich zu
Beginn des 19. Jahrhunderts als Künstlergemeinschaft unter dem Primat einer
christlichen Weltanschauung und des europäischen Humanitätsgedankens
zusammenfanden.
Ihre Kunststreben war eine gefühlsbetonte neudeutsch-religiös-patriotische
Malerei, bei der sie sich sowohl an Raffael als auch an Albrecht Dürer
(1471-1528) orientierten.
Der Gemäldezyklus von St.
Nikolai und dessen Thematik waren eigene Schöpfungen Oesers, die vor dem
Hintergrund der oben aufgezeigten christuszentrierten religiösen
Erneuerungsbestrebungen der Neologie, der zeitgenössischen Dichtung und einer
auf Sittsamkeit und Moral ausgerichteten empfindsamen patriotisch-bürgerlichen
Mentalität zu sehen sind. Aus kunsthistorischer Sicht stellen sie ein frühes
Beispiel protestantischer Kirchenmalerei dar, die bereits gedanklich weite
Bereiche der protestantischen Gefühlskunst der Nazarener der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts vorwegnehmen.
Laugier, Marc Antoine,
Observations sur
l'architecture, Paris, 1765