Im letzten Viertel des 18.
Jahrhunderts spielt die Landschaftsdarstellung eine besondere Rolle. Erhellt
wird die Bedeutung des Themas aus den vielen einschlägigen theoretischen
Schriften wie z.B. Geßner, Sulzer oder Hagedorn. Maler, Schriftsteller, Kritiker
befaßten sich eingehend mit dem Thema der Landschaftsmalerei und bemühten sich
um eine prinzipielle Lösung zu diesem Genre. Bei Oeser bilden die arkadischen
Gemälde und idyllischen Landschaftszeichnungen eine wichtige Werkgruppe, die als
symptomatisch für ein empfindsames bildkünstlerisches Bestreben gelten und die
hier ausführlich vorgestellt werden sollen. Nicht nur Oesers Zeichnungen „nach
eigenen Erfindungen“ vor allem auch die zahlreichen Kopien nach Zeichnungen und
Druckvorlagen zeitgenössischer Künstler speziell zu diesem Sujet erfreuten sich
bei Sammlern größter Beliebtheit. So ist im Rostschen Auktionskatalog von 1800
zu Oesers Nachlaß zu lesen:
„Auch die Sammlung von
Handzeichnungen verdient alle Aufmerksamkeit der Kunstliebhaber; sie enthält
Studien, flüchtige Entwürfe und ausgeführte Stücke in allen Gattungen der Kunst,
[...]
von Oesers Hand.“
Unter Oesers
Arbeiten „befinden
sich Entwürfe, und mehr oder weniger ausgeführte Stücke eigener Erfindungen, so
wie Blätter nach Gemälden und Kompositionen großer Meister, für den Werth schon
der Name des Künstlers bürgt, und wer sollte nicht wünschen, in dem Besitz
manches dieser Blätter ein Andenken zu haben welches ein Mann, dessen
Verdienste so allgemein anerkannt sind, und dessen Genie auch aus dem
Flüchtigsten seiner Entwürfe hervorleuchtete, den Freunden der Kunst hinterließ
!“
Oesers
zeichnerisches Œuvre besteht zum Großteil aus stimmungsvollen
Landschaftsdarstellungen, die bislang wenig im kulturgeschichtlichen Kontext
ihrer Entstehungszeit betrachtet wurden. Die theoretischen Grundlagen sollen auf
einige vorgestellte Musterbeispiele angewendet werden. Gerade bei Oeser läßt
sich der allgemeine Entwicklungsverlauf der Landschaftsdarstellung exemplarisch
aufzeigen. Der Bogen spannt sich hier von der idealen arkadischen
Landschaftsidylle über den holländischen Realismus bis hin zur naturalistischen
heimischen Landschaft.
Gerade in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts erfuhr die Landschaft als künstlerisches Ausdrucksmittel eine
erhebliche Aufwertung. Mitverantwortlich für das von der Literatur
hervorgebrachte neue Naturbewußtsein war unter anderen Ludwig von Hagedorn,
der in seinem Naturgefühl neben seinem Dichterbruder Friedrich von Hagedorn von
zahlreichen zeitgenössischen Poeten beeinflußt wurde.
Mit der Verwendung des „ut pictura poesis“ Topos verfolgt er in seinen
„Anmerkungen...“
einen wirkungsästhetischen Umgang und zitiert die damals wichtigsten deutschen
Dichter mit ihren bedeutendsten Werken, wie Barthold Heinrich Brockes
(1680-1747) „Irdischen Vergnügen in Gott“,
Albrecht von Hallers (1708-1777) „Die Alpen“,
Ewald von Kleists „Frühling“ und Salomon Geßners
„Idyllen“.
Geßner betrachtet gleich wie Hagedorn
die Dichtkunst als eine „wahre Schwester der Mahlerkunst“ und empfiehlt
in seinem „Brief über Landschaftsmahlerei“ es nicht zu unterlassen:
„die besten Werke der Dichter zu
lesen; sie werden seinem Geschmack und seinen Ideen verfeinern und erheben, und
seine Einbildungskraft mit den schönsten Bildern bereichern. Beyde spüren das
Schöne und Grosse in der Natur auf;[...].“
Einen ersten Versuch einer
begrifflichen Bestimmung der dichterischen Idylle, die auch für die bildende
Kunst gültig wurde, unternahm bereits 1730 Johann Christoph Gottsched
(1700-1766) in seiner Schrift „Versuch einer Critischen
Dichtkunst vor die Deutschen“.
Eine umfassende Definition des Idyllenbegriffs für die zweite Hälfte des 18.
Jahrhunderts formulierte 1760 der Philosoph Moses Mendelssohn.
Bei ihm definiert sich der Idyllenbegriff aus der Gegenüberstellung einer
idealen natürlichen Wunschwelt und einer Zivilisationsrealität. Dabei sieht er
in Geßners Hirten-Dichtungen die „wahre Idyllen“, die einer Idealisierung
der inneren Empfindung gleichkam.
Ähnlich äußert sich auch Sulzer in seiner „Allgemeinen Theorie...“. Er
allegorisiert den klassischen Hirten Arkadiens und läßt ihn durch sein
vorbildliches Handeln dem Betrachter moralisierend gegenübertreten. Die
„Seele“ soll dabei „erquickt“ und ein ungezwungener Naturzustand
erreicht werden, da dieser, so Sulzer, im „Leben der bürgerlichen Welt“
nicht mehr existiert.
Die Voraussetzung dafür aber ist eine „Seele“, die den
„Schorf der bürgerlichen Vorurteile abgeworfen hat, und die
Natur in ihrer einfachen Schönheit zu empfinden weiß.“
In den Formulierungen
Mendelssohns und Sulzers stehen sich neben der Zivilisationskritik,
pädagogisches, vernunftbestimmtes, aufgeklärtes Denken auf der einen und
Empfindung und Gefühl auf der anderen Seite gegenüber. Der Sensualismus und das
rationalistischen Denken gehen in deren Idyllendefinition eine symbiotische
Verbindung ein.
Mit den deutschsprachigen
Ausgaben der Idyllendichtungen von Theokrit (300-260 v. Chr.) und Vergil (70-19.
v. Chr.), die um 1750 erschienen, und den Winckelmannschen Programmschriften zur
Antikenrezeption begann in Deutschland eine lange Idyllentradition. Salomon
Geßner (1730-1788), als der Hauptvertreter der „empfindsamen Idylle“,
verhalf dem arkadischen Motiv in Literatur und bildenden Kunst zu einer
Popularität größten Ausmaßes.
Als programmatisch für die Schilderung der Natursehnsucht gilt seine Idylle
„Der Wunsch“.
Hier werden Leitbilder sowohl der Empfindsamkeit, wie das Wasser mit seinen
akustischen und der Mondschein mit seinen optischen Assoziationen, als auch die
der deutschen Klassik mit ihrer pantheistischen Weltsicht berührt.
Bernhard gibt zusammenfassend eine treffende Charakterisierung des
Idyllenmotivs:
„Das idyllische Bedürfnis nach
Harmonie zwischen Mensch und Natur und die forcierte Sensibilität gegenüber
einer inneren, menschlichen Natur und einer äußeren Natur, wie sie für die
Empfindsamkeit typisch ist, konvergieren in der künstlerischen Form der Idylle.“
Das Thema der musizierenden und
singenden Hirten ist häufig in den Idyllendichtungen von Theokrit und Vergil zu
finden. So dürfte das folgende „Arkadische Hirtenszene“ auf Anregung
eines der beiden Dichter zurückgehen (Abb. 25). Deutlich ist zu bemerken, daß
Oesers frühe idealisierten Idyllen ihrer Gattung nach noch der „Bukolik“
zuzuordnen, wo die Landschaft noch eine untergeordnete Rolle spielt. Auch bei
Kopien, die Oeser häufig anfertigte, bevorzugte er immer wieder die bukolische
Idylle. Die folgende Zeichnung „Apoll, die Herden des Admetos weidend“
entstand nach einem Gemälde von Marcantonio Franceschini (1648-1729) (Abb. 26).
In einer sonnigen Landschaft erscheint rechts im Bild ein Gruppe von Menschen,
zwei von ihnen spielen Panflöte und Tamburin. An dem schattigen Platz, an dem
sie verweilen, steht eine Hermenbüste. Mendelssohn definiert eine solche
arkadische Idylle als
„sinnlichsten Ausdruck der
höchst verschönerten Leidenschaften und Empfindungen solcher Menschen, die in
kleineren Gesellschaften zusammenleben“.
Der erweiterte Idyllenbegriff
nach der „Bukolik“ ist die „Pastorale“, deren charakteristisches Merkmal neben
dem Ideal des antiken Hirten das Landschaftsmotiv verstärkt aufnimmt (Abb. 27).
Im folgenden Blatt beherrschen mächtige, schwungvoll gezeichnete Bäume das Bild,
neben denen alles andere zur Staffage wird. Dennoch herrscht zwischen Natur und
Tier eine harmonische Einheit, die den Kontrast gegenüber dem Stadtleben noch
eindringlicher verdeutlichen soll (Abb. 28).
Vielfach integriert Oeser in seine arkadischen Landschaften anstatt Hirten auch
mythologische Szenen, wobei so noch ein höheres Landschaftsideal erreicht werden
soll (Abb. 29). In der folgenden Zeichnung formieren sich vor einer alten
Baumgruppe eine Gruppe antik gewandeter Menschen. Gestikulierend weisen sie auf
die am Boden sitzenden mythologischen Figuren Amor und Psyche. Links neben der
Gruppe wird eine Ziege gemolken, im Hintergrund ist ein Hirte mit seiner Herde
dargestellt. Oeser läßt durch die Begrenzung der Bäume einen sogenannten „locus
amoenus“ - lieblichen Ort - entstehen. Die Zeichnung „Waldsee“ (Abb. 30)
bildet vor seiner Landschaftskulisse einen Lustort, an dem die Nymphen baden
gehen. Der See ist umsäumt von einem hainartigen Baumbestand. Eine wesentliche
Funktion, die die Darstellung eines Lustorts erfüllen soll, ist die Vermittlung
des Stillstandes von Zeit und Raum. Es entsteht ein Zustand des Schwebens und
der völligen Geschichtslosigkeit. In zahlreichen arkadischen Idyllen integriert
Oeser den „Et in arcadia ego“ Mythos als Vanitasgedanken. Auf der
folgenden „Arkadischen Landschaft“ ist eine vor einer großen Baumgruppe
lagernde Hirtenfamilie mit ihrer Herde dargestellt (Abb. 31).
Links betrachten drei Frauen einen antiken Sarkophag, rechts ist ein Ausblick
auf eine Ruine auf einem Hügel gezeigt. Ein ähnliches Motiv gibt die Zeichnung
„Parklandschaft mit Monument und Urne“ (Abb. 32). Ein auf einem
Steinhügel aufgestelltes Aschegefäß wird von Bewohnern Arkadiens mit Blumen
geschmückt.
Die Idylle des 18. Jahrhunderts
stellt nicht nur eine neue Form der Landschaftsdarstellung dar, sondern, wie
bereits bei Mendelssohn und Sulzer angedeutet, wird mit ihr auch Kritik an der
bürgerlichen Gesellschaft und ihres Sittenverfalls geübt. So sah Engel die
„gesitteten Menschen“ der Idylle frei von jenem „Elend“, in dem sich
die bürgerliche Gesellschaft dieser Zeit befand.
Hauptvertreter dieser kritischen Richtung, war ebenfalls Geßner.
Er spricht von den „sclavischen Verhältnissen“ seiner Zeit und einer
„unglücklichen Entfernung von der Natur“
und nimmt somit in programmatischer Weise dem städtischen Leben
gegenüber einen ablehnenden Standpunkt ein. Oeser thematisiert die
abhandengekommene „Naturliebe“ und den „gesitteten Menschen“ in
einer Stammbucheintragung, wofür er auf Geßners Idyllendichtungen zurückgreift.
Es handelt sich hierbei um die „Amynthas“ Idylle von 1756 (Abb. 33, 34).
Oeser anerkennt mit der Verwendung Geßners „Idylle“ die Tugend der Nächstenliebe
und die Liebe gegenüber der Natur und mißt ihr mit seiner Eintragung in das
Stammbuch gleichzeitig eine moral-pädagogische Bedeutung zu.
Kaum ein zweiter Literat nahm
mit seinen Dichtungen so maßgeblichen Einfluß auf die Motivwahl zahlreicher
Künstler wie Geßner. Dies gilt für den Dresdener Landschaftsmaler Christian
Klengel (1751-1824) ebenso wie den Maler Friedrich Müller (gen. Maler Müller
1749-1825), in ganz besonderem Maße aber für Adam Friedrich Oeser. Ein Beleg
hierfür geben die zahlreichen idyllischen Szenen, die nach Geßner geschaffen
wurden. Die wichtigsten in Öl gemalten Arbeiten stellen neben den Zeichnungen
zu diesem Sujet die drei Leipziger Idyllen dar (Abb. 35, 36, 37), denen allen
dasselbe Thema zu Grunde liegt und die als Werkgruppe zusammengefaßt werden
können. Die Arbeiten haben das Gedicht „Die Zephyre“ von Geßner zum
Thema.
Die Dichtungen schildern die Handlung der Nächstenliebe (Caritas), gleichzeitig
wird auch die Tugend, Rechtschaffenheit und unschuldige Liebe des arkadischen
Hirtenlebens gepriesen. Oesers Bilder schildern die junge Daphne, die täglich zu
der Hütte einer armen Mutter geht, um ihr Essen zu bringen, wobei sie von zwei
Zephyren (Windgöttern) beobachtet wird. Oeser hält sich dabei genau an die
literarische Vorgabe. Die Landschaft spielt in diesen Bildern keine Rolle, die
mit Stroh bedeckte Hütte dient lediglich als Staffagekulisse, um die ärmlichen
Verhältnisse anzudeuten.
Das Hauptinteresse der drei
Idyllen galt hier zum einen, Kritik am Verfall der bürgerlichen Sitten zum
Ausdruck zu bringen, zum anderen sind diese Idyllen mit einem hohen
pädagogischen Anspruch versehen, nämlich Empfindung für das Leiden anderer
auszulösen. Edmund Burke spricht hier von der „Wirkung
der Sympathie bei den Nöten anderer“.
Nach zeitgenössischer Auffassung diente Mitleid der Läuterung einer armen Seele.
Darüber schreibt Lessing 1756 an Friedrich Nicolai (1733-1811):
„Der mittleidigste Mensch ist
der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der
Großmuth der aufgelegteste. Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und
tugendhafter.“
Das Mitleidempfinden wurde als
ethisch-moralische Größe und als ein positiver Einfluß auf das gesellschaftliche
und sittliche Leben gesehen.
Dabei wurden die Künste, vor allem unter den Popularphilosophen, als ein
wichtiges Mittel der Einflußnahme auf das Gemüt betrachtet. Eine durch die Kunst
herbeigeführte Sensibilisierung der Empfindung führte nach deren Auffassung zu
einem moralischen Handeln.
Die Sensibilisierung für das
Leiden, wurde zur Erlangung dieser Tugend bereits im Kindesalter durchgeführt.
Hierüber schrieb der Magdeburger Prediger und Theologe Karl Daniel Küster
(1727-1804) „[...] man mache ihn [den Zögling] mit den
Empfindungen des Armen bekannt, und suche es so weit zu bringen: daß er sich an
die Stelle des Notleidenden setzet.“. Nur so kann der Mensch zu einer
größeren Menschlichkeit gelangen, “denn Empfindsamkeit und
Menschen-Freundlichkeit, sind gewisser maassen Synoimen.“ [sic]
Im selben Zusammenhang schreibt der Leipziger Ästhetiker Karl Heinrich
Heydenreich in seinem „System der Ästhetik“
„Unsre sympathischen
Empfindungen gründen sich größtenteils auf Thätigkeiten der Phantasie; bey dem
Anblick eines Leidenden, oder bey Erzählungen und Schilderungen seines
Schicksals erwachen in uns die Gedächtnisideen selbst empfundener Zustände
dieser Art; wir tragen diese auf ihn über, und so nur sind wir fähig, seiner
Gefühle teilhaftig zu werden.“
Campe definiert als
Aufklärungspädagoge das Empfinden von Mitleid als einen vergnüglichen Akt. In
seinem „Wörterbuch der deutschen Sprache“
schreibt er:
„Fähigkeit und geneigt zu
sanften angenehmen Empfindungen, Fertigkeit beziehend, an theilnehmenden
Gemüthsbewegungen Vergnügen zu finden.“
Wie Geßner in seinen
Idyllendichtungen, hat auch die empfindsame Versdichtung immer wieder versucht,
mitleiderregende Sinneswahrnehmung zu erzeugen. Der schwäbische Dichter
Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) schreibt 1774 das Gedicht
„Das Glück der Empfindsamen“.
In den beiden letzten Strophen schreibt er der Idylle Geßners bzw. den Gemälden
Oesers entsprechend:
„[...]
Wenn Arme an den Dornenstäben
Gekrümmt vor meiner Hütte beben;
Da klopft mir zwar die Brust
Doch, wenn ich eine kleine Gabe
Bey eigner Armuth übrig habe;
So fühl ich Engellust.
Ich wohne gern in meiner
Hütte.
Gewähre mir nur eine Bitte,
Wohltätige Natur!
Nie will ich mich der Armuth schämen;
Du darfts mir alles, alles nehmen;
Mein Herz laß mir nur.“
Kein Mittel war geeigneter, um
den Menschen für das Mitleid über das Schicksal anderer zu sensibilisieren wie
die Kunst. Allen voran war es die Dichtkunst, aus der sich eine entsprechende
Ikonographie für die bildende Kunst ableitete. Um Mitleid bewirken zu können,
muß dem Betrachter die Person oder Sache vor Augen geführt werden. Hierbei kommt
der Kunst eine wichtige dienende Rolle zu, worüber sich der Theoretiker Sulzer
folgendermaßen äußert:
„Die schönen Künste haben zwey
Wege den Menschen Empfindungen einzuflößen. Wenn du mich willst zum Weinen
bewegen, sagt Horaz, so weine du selbst; dieses ist der eine Weg. Der andre ist
die lebhafte Darstellung oder Vorbildung der Gegenstände, worauf die Empfindung
unmittelbar geht; wer Mitleiden erweken will, muß den Gegenstand des Mitleidens
uns lebhaft fürs Gesicht bringen.“
In ihrer Vermittlung von Mitleid
und Fürsorge als christliche Tugenden der Nächstenliebe, stellen die drei
Idyllen-Gemälde Oesers mit ihren moral-pädagogischen Intentionen eine neue Form
des „säkularisierten Andachtsbilds“ dar. Sie sind Zeugnis einer bürgerlich
antikisierenden „Ersatzreligion“, die ihre moralisch-religiöse Erbauung nicht
mehr ausschließlich aus einer bestimmten Konfession schöpfte sondern aus der „antikisierenden“
Idyllen-Dichtung.
Eine vielgelesene poetische
Sammlung von Hymnen, Gedichten, Fabeln des Aesop und Idyllen waren unter anderen
die ab 1785 erschienenen „Zerstreuten Blätter“ Herders. Herzogin Anna
Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, eine glühende Verehrerin des reformistischen
Weimarer Superintendenten Herder, die sich selber als eine „hérétique“
bezeichnete,
läßt in einem Brief an Oeser deutlich werden, wie sehr sich die christliche
Orthodoxie in der Krise befand. Während des Umbaus der Nikolaikirche, an dem
Oeser maßgeblich beteiligt war, schreibt sie am Schluß eines Briefes an Oeser:
„Adieu, lieber Alter, werden Sie
nicht zu fromm, denn Sie werden wohl sehr beschäftigt mit Kirchen-Bau und
heiligen Altären seyn, - und es könnte nicht schaden wenn einige zerstreute
Blätter von Herder zuweilen dazwischen gelesen würden um sich freudige und
angenehme Gedanken zu machen.“
Oeser
setzte die literarische Kunstform der Idyllendichtung, die als eine typisch
bürgerliche Kunstform gilt, bildhaft um. Die gezeigten Idyllen entsprechen der
Hagedornschen Definition bürgerlicher Malerei, bei der es um die
Veranschaulichung des tugendhaften, vorbildlichen Lebens geht. Für ihn waren
sie „Stoff zur stillen Betrachtung“.
Als eine Weiterentwicklung der
vorgestellten Idyllen-Gemälden erfolgt bei Oeser das sog. realistische
Gesellschaftsgemälde, wie z.B. das „Atelier des Malers“ (vgl. Abb. 8),
für die sich Hagedorn als eine Form bürgerlicher Kunst ausspricht. Das Genrebild
zeigt einen Künstler, der an einem Tisch sitzend nach einer Gemäldevorlage eine
Druckgraphik anfertigt. In das Zimmer kommt eine junge Frau herein und serviert
auf einem Tablett etwas zu trinken. Das Bild stellt ein häusliches Familienidyll
vor. Hagedorn zufolge soll diese bürgerliche Bildform „sittliche
Vergnügungen“ vorstellen und „Denkmale ausgeübter Tugenden aus dem
gemeinen Leben“, wie Fleiß, Sittsamkeit, Treue und Ehrlichkeit sein.
Oeser,
bedeutender Freskant seiner Zeit, verwendete auch Motive aus den Dichtungen
Geßners für seine Deckenmalerei. Der Kunstschriftsteller und Oeserfreund Franz
Wilhelm Kreuchauf (1727-1803) beschreibt in „Oesers neueste Allegoriegemälde“
ein Geßnermotiv im Hause des Bürgermeister und Geheimen Kriegsrat Müller in
Leipzig.
Oeser wählte hier für die Sala terrena unter anderen das Motiv
„Daphne und Chloe“.
Kreuchauf beschreibt detailgetreu die szenischen Darstellungen. Zum Abschluß
seiner Schilderung stellt er den sinnstiftenden Nutzen solcher Gemälde dar:
„[...],
daß die bildenden Künste dem Verstande zu vergnügter Beschäftigung dienen, und
daß sich, zu Errichtung dieses ihres einzigen wahren Endzwecks ihrer
Betrachtung und Nachahmung Gegenstände aller Art aus der sichtbaren und
idealischen Welt darbieten.“
Weiter fährt
er fort, daß die Künste
„zu solchen Schilderungen der reizvollen Natur und der erhabenen
Wesen einladen, womit sie den Geist nähren und veranlassen, die Gedanken von
diesen und allem was das Auge ergötzt, zu höheren Wundern der Schöpfung hinauf
zu spannen.“
Oesers
Idyllenmotive zeugen von dem neuen Naturverständnis und ihrer damit verbundenen
läuternden Funktion, die sie gegenüber dem Betrachter haben sollen. In einer
weiteren Ausmalung nimmt er dabei direkt auf den griechischen Idyllendichter
Theokrit bezug, der für Geßner eine ebenso vorbildhafte Rolle gespielt hat.
Kreuchauf beschreibt das von Oeser im Profil gemalte Porträt Theokrits als ein
Bildnis „des ersten Musters der Hirtendichter, die uns zwanglose Freuden des
Landlebens und liebenswürdige Gestalten der Natur sangen,[...]“
Daß Oeser nicht nur Geßner
nachahmt und von ihm inspiriert wird, sondern von dem Idyllendichter selber auch
als einer der bedeutendsten Künstler der Zeit geschätzt wurde, teilt Geßner in
seinem „Brief über die Landschaftsmahlerey“ mit. Dort schreibt er:
Künstler bei denen „die Regeln des wahren Schönen mit dem besten Verstand
angebracht“ können nur bei Arbeiten „eines von Hagedorn, eines Oeser,
eines Dietrich, eines Casanova; kurz [...] der
groessesten Kenner und der grössesten Künstler seyn.“
Das Ölbild mit dem Titel „Et
in Arcadia ego“ (Abb. 38)
ist wohl das bekannteste Tafelbild Oesers. Hier liegt nicht unmittelbar ein
Idyllenthema aus den Dichtungen Geßners vor, obwohl das Interesse solch
arkadischer Landschaften in dieser Zeit auf Geßner zurückgeht. Vielmehr stand
Oeser hier das Bild Nicolas Poussins (1593-1665) „Die
Hirten von Arkadien“
Pate. Dem von Panofsky ausführlich besprochenen idealisierenden Hirtenbild
Poussins,
liegen zwei verschiedene Interpretationen aus dem 17. Jahrhundert zu Grunde.
Die Interpretationen unterscheiden sich im Hinblick auf die Deutung der
Inschrift „Et in Arcadia ego“. Einmal wird das Bild als Pastorale
gedeutet, das anschaulich machen will, daß auch der Tod noch in Arkadien
anwesend ist. So müßte die Übersetzung der Inschrift lauten „Auch ich bin in
Arkadien“ (dieser Meinung schließt sich Panofsky an). Eine weitere Deutung
geht dahin, die Worte als Aussage eines Verstorbenen auszulegen, der sagt:
„Auch ich lebte in Arkadien“. Es stehen sich nun zwei Interpretationen
gegenüber, die eine hält den Tod in Arkadien für anwesend, die zweite verweist
auf die Sterblichkeit der in Arkadien Lebenden. Der Mehrdeutigkeit einer
Übersetzung der lateinischen Inschrift umgeht Oeser, indem er die griechische
Version wählt.
Der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim gebrauchte in einem Brief, in dem
vermutlich von dem o. g. Gemälde Oesers die Rede ist, die Übersetzung
„Auch ich lebe in Arkadien“.
Der Tod wird bei Oeser demnach in paradiesische Gefilde integriert. Solche
Beispiele finden sich bereits bei Theokrit wie auch bei der 1758 erschienen
Idylle Geßners „Der Tod Abels“.
Bei Oeser überschneiden sich
hier zwei Idyllentypen. Das Bild stellt eine „Pastorale“ dar (Mensch, Tier und
Natur leben in völliger Einheit und Harmonie zusammen), die scheinbar durch die
Anwesenheit des Todes gestört wird. So ergibt sich eine „Elegie“, die
gleichzeitig sowohl für eine elegische Idylle als auch eine idyllische Elegie
steht.
Das Bild, als Höhepunkt einer Transformierung des Themas,
erfährt durch das „memento mori“ Motiv eine Modulation hin zum Idyllischen. Es
handelt sich hierbei nämlich nicht mehr um „ein
kontemplatives Versunkensein in den Gedanken der Sterblichkeit“.
Die melancholische Stimmung des Poussin-Bildes ist bei Oeser einer arkadisch
heiteren Gestimmtheit gewichen. In die figurenreiche Komposition von tanzenden
und beieinander Sitzenden wird das Andenken an die verstorbenen Gespielin, die
einst am paradiesisch glücklichen Dasein in Arkadien teilnahm, ungezwungen
einbezogen. Oeser wählt ein Freundinnenpaar, das sich die Inschrift auf dem
Steinsarkophag ansieht. Rechts im Vordergrund gruppiert sich eine Familie, links
davon ein Hirtenidyll, im Hintergrund tanzende Menschen. Die Verstorbene scheint
wie selbstverständlich in das Leben der Hinterbliebenen integriert zu sein. Daß
dem Todeserlebnis eine ästhetische Bedeutung zugemessen wurde, ist für das
Zeitalter der Empfindsamkeit geradezu symptomatisch.
Die beiden den Sarkophag betrachtenden Figuren zeigen, als eine
charakteristische Eigenschaft der „Empfindsamkeit“, nicht die Regung eines
überwältigenden Trauergefühls. Empfindsames Fühlen ist an ein „sanftes
Empfinden“ gebunden und verträgt keine starken äußeren Reize.
Der Naturausschnitt, den Oeser wählte entspricht dem klassischen „locus
amoenus“, über den sich eine lieblich fast süßliche Atmosphäre ausbreitet. Es
geht nicht um die Weite und Unbegrenztheit der erhabenen Natur, sondern um die
begrenzte, überschaubare, idyllische oder - wie Hagedorn sie nennt - die
„gesperrte“ Landschaft.
Oesers idealisierte Idylle entspricht auch der Auffassung Herders, der
schreibt:
„Natürlich, daß in diesem engen
Cyklus die Liebe eine Hauptrolle spielte; nicht aber war sie der Idyllen Eins
uns Alles. Auch das Andenken ihrer Vorfahren, ihres Daphnis ward von den Hirten
gerühmt, ihre Feinde wurden geschmäht, der Verlust ihrer Freunde ward betrauert.
Was die enge oder weitere Spanne des Hirtenlebens umfaßt war der Inhalt ihrer
Lieder, mit Hinsicht auf Glückseligkeit und Freude.“
Die Bedeutung der Idylle ist vor
allem vor dem soziologischen Hintergrund einer rein bürgerliche Kunstform zu
betrachten, die neben einer kritischen Haltung dem städtischen bürgerlichen
Leben gegenüber - die als Weltflucht gedeutet wird -, gleichzeitig auch eine
Kunstform, die das bürgerliche Naturempfinden zum Ausdruck bringt und somit
eine Diesseitsbejahung darstellt.
Aus dieser Ambivalenz ist zu folgern, daß die Idylle eine Gesellschaft entwirft,
wie sie in der Realität nicht bestanden hat. Die Idylle des 18. Jahrhunderts
stellt aber ebenso auch einen „Spiegel“ der Gesellschaft dar, indem sie
Sehnsüchte formuliert, die die damalige Gesellschaft nicht mehr erfüllen konnte.
Allerdings schränkt Lammel ein, daß die Idylle nur unterschwellig kritisch der
bürgerlichen Gesellschaft gegenüber stehen kann, denn sie besitzt keine
gesellschaftsverändernde Bedeutung, ihr kommt lediglich ein kompensatorischer
Gehalt zu.
Die Landschaftsmalerei ist ihrem Wesen nach eher reformerisch als revolutionär,
regt eher zur Betrachtung an als zur Tat. Hierin mag ein Grund für die bald
einsetzende Kritik speziell an der Idylle zu suchen sein, was im besonderen für
die Kurzlebigkeit des idealisierten Idyllenbegriffs Geßners gilt. Die
vorgestellten „Landschaften“ waren Formen, in denen Emotionen gestaltet wurden,
sie waren Bildzeichen, um die Emotionen des Künstlers auf den Betrachter zu
übertragen und bei diesem Rührung zu wecken, die Landschaft war nicht in erster
Linie Zweck sondern Mittel.
Daß die idealisierten Idyllen
schnell in die Kritik gerieten, kann nur aus der bereits ausführlich dargelegten
allgemeinen Kritik an der Empfindsamkeit verstanden werden. Die realistische
Periode des „Sturm und Drang“ löste in der Poesie und Malerei die
idealisierende „Empfindsamkeit“ ab, die von nun an in den Hintergrund tritt.
Besonders heftig gerieten Geßners „Hirtenidyllen“ in die Diskussion. Vor allem
waren es Goethe, Herder, Schiller aber auch der Maler Müller, die hier großen
Anteil hatten. Goethes spezielle Haltung ist nur aus der eigenen Kritik an der
Empfindsamkeit, die er bereits, wie gesehen, seit 1772 äußerte, zu verstehen.
Der „Stürmer und Dränger“ Goethe wirft Geßner vor, er wäre
„durch ein zu abstraktes und
ekles Gefühl physikalischer und moralischer Schönheit
[...] in das Land
der Ideen geleitet worden, wobei er uns nur halbes Interesse, Traumgenuß
herüberzauberte.“
Für Goethe durfte der Stoff der
Idylle nicht mehr ausschließlich aus der Antike bezogen werden, sondern auch aus
der gegenwärtigen Realität. Als ein typischer Vertreter der „realistischen
Idylle“ lehnt auch der Maler Müller die idealisierte Idylle entschieden ab.
Obwohl anfänglich selbst von Geßner beeinflußt, übt er später heftige Kritik an
den Schäferidyllen seines ehemaligen Vorbildes.
Ebenso für Friedrich von Schiller (1759-1805) konnte ein Geßnerischer Hirte
„uns nicht als Natur, nicht
durch Wahrheit der Nachahmung entzücken, denn dazu ist er ein viel zu ideales
Wesen; eben so wenig kann er uns als ein Ideal durch das unendliche des
Gedankens befriedigen, denn dazu ist er ein viel zu dürftiges Geschöpf.“
Das Ende der idealisierenden
Idylle und somit der als typisch „Geßnerisch“ zu bezeichnende Idylle, ist der
Zeitraum zwischen den Jahren 1767 und 1777 zu benennen. Noch eine Zeitlang
laufen die idealisierte Idylle und die realistische Idylle des „Sturm und Drang“
nebeneinander her. Doch bald läßt die immer lauter werdende Kritik den
idealisierten Landschaften keinen Raum mehr. Von nun an war der Weg frei für
eine realistische Naturdarstellung. Allein entscheidend für eine Klassifizierung
eines Kunstwerks war laut Schiller die „herrschende Empfindungsweise“.
Und so konnte man mit der Zeit der realistischen Landschaft und dem der
Wirklichkeit entsprechenden Genre höhere Empfindungswerte abgewinnen wie einer
idealisierenden Darstellung.
Im Lauf der Idyllenentwicklung
fand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowohl in der Dichtung wie auch
in der darstellenden Kunst eine weitere Liberalisierung des klassischen
Idyllenbegriffs statt. In der Poetik entwickelte sich das arkadische
„Hirtengedicht“ hin zum heimischen „Landgedicht“. Der Literaturhistoriker Johann
Joachim Eschenburg (1743-1820) gestattete dem Dichter, daß er „mit gehöriger
Mäßigung die Sitten und Empfindungen der Landbewohner seiner Zeit“ zugrunde
legt.
Diese Erweiterung des Idyllenbegriffs führte in der allgemeinen Genese der
Landschaftsmalerei und im besonderen bei Oeser zur realistischen
Landschaftdarstellung, mit heimischen Hirten als Repräsentanten einer
vorbürgerlichen Welt. Welche Aufgeschlossenheit für Naturerlebnisse und welcher
Drang darin bestand, solche Erlebnisbilder zu fassen, davon zeugt ein Brief
Oesers an Herzogin Anna Amalia, als er ihr ein Portefeuille mit von ihm
nachgeahmten Landschaftszeichnungen zukommen läßt. So schreibt er an die
Herzogin:
„Eur: Durchlaucht überreiche ich
mit geziemder Ehrfurcht, einige kleine Versuche nach verschiedenen Meistern,
die die Werke der schönen Natur, glücklich nachzuahmen wusten.
[...]
Eur: Durchlaucht werden bey der Betrachtung dieser kleinen Sammlung, und in den
verschiedenen Manieren dieser Meister; immer nur einen Endgedenk finden: das
reizende der Natur nachzuahmen. Weirother hat die einfältige Hütte nach ihren
genügsamen Bewohnern geschildert, alle seine Gegenstände sind von der edlen
Natur hergenommen und durch eine glückliche Nachahmung lehrt er uns die
Wahrheit dieser Situationen fühlen, und er gibt uns einen Begriff wie es im
Reiche und Deutschland aussieht. N.3.4 sind holländische Gegenden. Van Goyen ist
mit seinen Gegenständen, für Liebhaber, der angenehmste Meister, er ist leicht
und glücklich nachzuahmen.
Felix Meyer ein alter ehrlicher Schweizer, zeigt uns diejenigen Seltenheiten der
Natur die uns in das Erstaunen setzen, seine Wahl ist gros, und glücklich
ausgeführt. Der Idyllendichter Geßner, nähert sich seinen Berken, vom Geschmacke
des Nic. Pouhsin, Reize seines Naturlandes und drückt in seinen Werken der
Kunst, so beredt auch als in seinen Idyllen, er sagt durch eine glückliche
Manier mit wenigem sehr viel.
Le Prince hat Rußland und einen Theil der Thartarey durchreißt, und schildert
uns diese Gegenden sehr getreu, und so gar reizend, ob ich wohl beynahe glaube,
daß die in diesem Blatte angebrachte Architecktur Erfindung ist und so kann man
irren, in trüben Tagen bei Betrachtung dieser Werke verweilt, doch in die
heitere Natur schauen....“
Durch die Naturbegeisterung im
Zeitalter des Sentimentalismus war die erlebte „Landschaft“ in Mode gekommen.
Der Brief zeigt, daß das Naturbild Oesers sich vorerst noch an der Kunst der
realistischen Landschaftsdarstellung orientierte. Ihr schaute er die Richtlinien
für seine Versuche ab, so daß der erlebte Eindruck in stetem Wechselspiel mit
bekannten Vorbildern steht, die in der Darstellung integriert werden.
Nicht die Schilderung der Natur selbst ist das
Wesentliche für Oeser an den Landschaften, sondern der starke subjektive
Sinnenreiz, den die Natur auf ihn ausübt, den er intensiv in seine eigenen
Blättern wiederzugeben versuchte, so daß der Betrachter ihn selber zu spüren
vermeint.
Poesie und Größe, die über die
einfache Nachahmung der Natur hinausgehen und das Ideal des Stils, erkannte
Geßner wie Oeser im Werk von Claude Lorrain (1600-1682) und Nicolas Poussin. Wie
der Brief zeigt, trat bei Geßner inzwischen zur antikisierenden Idylle auch das
Ideal der realistischen Schweizer Landschaften, die er noch in der
idealisierenden Weise eines Poussins erfaßte. Aus der Verbindung einer realen
Landschaft (hier die Schweizer Berge und ihren Hirten) und einer
zugrundeliegenden idealisierten Sichtweise (hier nach der des Poussin), ergibt
sich laut Bernhard der Typus einer „Klassischen Idylle“.
In zahlreichen Arbeiten zeigt auch Oeser, daß er sich dieser Entwicklung
angeschlossen hatte.
Im Jahr des Werther (1774), mehr
als 40 Jahre nach der entscheidenden Weichenstellung durch Albrecht von Hallers
Gedicht „Die Alpen“ (1729),
und 20 Jahre vor Joseph Anton Kochs (1768-1839) „Schmadribachfall“ hat
die Alpenlandschaft in der Malerei und Zeichnung des 18. Jahrhunderts einen
Höhepunkt erlebt. Von den „Schweizer Idyllen“ Geßners und den Bildern des
Schweizer Landschaftsmalers Felix Meyer (1653-1715) und dem in der Schweiz
ausgebildeten Frankfurter Künstler Franz Schüz (1751-1781) inspiriert,
zeichnete Oeser zahlreiche Alpenlandschaften und Gebirgsmotive nach (Abb. 39,
40).
Unter dem Einfluß des englischen
Theoretikers Edmund Burkes und dessen Definition vom Begriff des „Erhabenen“
in seiner Schrift „A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas
and the Sublime and Beautiful“ (17571) und Immanuel Kants
„Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ (17641)
kam es zu einer Umwertung der unbändigen Naturkräfte der Alpen. Das
Naturphänomen „Alpen“ wurde als Instrument zur Erzeugung heilsamer und
ästhetisch auswertbarer Emotionen gesehen. Die Landschaftsmalerei leistete ihren
eigenen Beitrag zu dieser (im wesentlichen für das bürgerliche Publikum
bestimmten) Katharsis unter dem Angst erzeugenden Eindruck der entfesselten
Naturkräfte. Ganz dieser emotionalen Ergriffenheit erlag auch der
Gartentheortiker Hirschfeld, wenn er schreibt:
„Ich ward in den Alpen von
Empfindungen ergriffen, die ich nie gekannt, denen ich nie eine so
außerordentliche Erhebung des menschlichen Herzens zugetraut hätte.“
Die großartige, ursprüngliche
Landschaft der Alpen, die damals unter dem Aspekt der erhabenen Natur begriffen
wurde, forderte den Zeichner Oeser zu einer intensiven Auseinandersetzung
heraus, die ihm neue Möglichkeiten eröffnete. Hier folgt Oeser einer Auffassung
der Natur, die in der Schweiz schon viel früher ausgeprägt war als anderswo. Die
beiden Schweizer Theoretiker Johann Jakob Bodemer (1698-1783) und Johann Jakob
Breitinger (1701-1776) vertraten in ihren Dichtungen eine Naturauffassung,
wonach die Alpen eine intakte und naive Welt waren.
Zur selben Zeit mehrten sich die
wissenschaftlichen Beiträge zur Erforschung der Schweiz, hier wären besonders
die beiden Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) und Horace Bénédikt
de Saussure (1740-1799) zu nennen. Ebenso dürften die damals weitverbreiteten
Dichtungen Hallers und die „Briefe, die Schweiz betreffend“ (1776)
von Hirschfeld nicht ohne Einfluß auf Oeser gewesen sein. Das 18. Jahrhundert
sah darüber hinaus in den Alpen und ihren Bewohnern entsprechend der idealen
antikisierenden Idylle eine perfekte Einheit von Natur und Mensch, gleichzeitig
galt das politische und gesellschaftliche System der Schweiz als Vorbild für
bürgerliche Freiheit und Gleichheit. Haller entwickelt in Anlehnung an die alte
Utopie des Goldenen Zeitalters das Bild einer von den Alpen umschlossenen Insel
einer Einfachheit und Bedürfnislosigkeit und einer von Natur aus guten und
unverstellten glücklichen Bergbevölkerung. Das Bild der Gebirgswelt steht der
städtischen Welt als Kontrast gegenüber. Aus dieser kritischen Gegenüberstellung
sind die beiden folgenden Landschaftszeichnungen Oesers ebenso als
Idyllenlandschaften aufzufassen. In der Zeichnung der „Teufelsbrücke über die
Reuß in der Schöllschlucht bei Andermatt“
(Abb. 41),
stellt Oeser das Verhältnis zwischen Mensch, Natur und zivilisatorischer
Schöpfung dar. Im Vordergrund links zeigt er noch eine Pastorale mit einem
zeitgenössisches Hirtenidyll, im Hintergrund ein hinabstürzender Wasserfall, der
in seiner Erhabenheit ein typisches Motiv des Sturm und Drang war.
Die elementare Naturkraft des hinabstürzenden Wassers wurde auch als ein Symbol
der Befreiung aufgefaßt. Oeser scheint das Motiv des Wasserfalls besonders
angeregt zu haben, 1780 schickte er an Herzogin Anna Amalia eine Zeichnung mit
dem „Rheinfall von Schaffhausen“
und den „Wasserfall des Velino bei Terni“ (Abb. 42). Offenbar handelt es
sich es hier um eine Nachzeichnung nach einer Arbeit des Englischen
Landschaftsmalers James Moor (1740-1793), über den Oeser der Herzogin begeistert
berichtete:
„Es lebt nämlich in Rom ein
junger Künstler, namens Moore, ein Engländer, der sich weder durch
Gefahr, noch Hize, noch Armuth abhalten läßt, seltene Reize der Natur
aufzuspüren, und aufs Papier zu bringen. Diese Zeichnung von den Wasserfällen
bey Veccino Terni, auf dem Wege von Rom nach Loretto, zu denen man ohne
Wegweiser, und ohne die gefährlichen Abgründe zu durchklettern, nicht gelangen
kann, geben einen Beweiß davon. Das Wasser soll von einer solchen Höhe
herabstürzen, daß ein Theil davon, bevor es den Boden erreicht, zu Wolken wird,
die über die Berge hinziehen. Wann nun Eur. Durchlaucht von diesem Künstler, und
seinen Werken, oder von diesen wunderbaren Sinnen der Natur, etwas lesen: so
würde diese Zeichnung, eine Beschreibung vielleicht etwas deutlicher zu machen
fähig seyn. Alle Entwürfe dieses jungen Künstlers sind groß und
bewundernswürdig;
[...].“
In gleicher Weise mögen die
„Wasserfälle von Tivoli“ (Abb. 43) von Giovanni Battista Piranesi
(1720-1778)
auch Oeser begeistert haben, die Generationen von Künstlern noch weit bis in das
19. Jahrhundert hinein in ihren Bann zogen. Die traditionellen Idyllenmotive wie
sie Piranesi noch verwendet hat, sind bei Oeser noch vorhanden, aber bereits in
den Hintergrund gedrängt. Vorne links im Bild zeigt sich ein zeitgenössischer
Fischer mit seinem Netz auf einer Insel, oberhalb der Wasserfälle ist ein Hirte
mit seiner Herde zu sehen. Rechts im Bild sind zwei badende Frauen dargestellt.
Der Ort, an dem sie sich aufhalten, ist als „locus amoenus“ von einem Fels mit
Gebüsch begrenzt.
Oesers
Landschaften sind nicht als grandiose Kulisse heroischer Darstellungen aus der
Geschichte und Religion konzipiert, nur manchmal, wie das Wasserfallmotiv
belegt, schildert er ein dramatisches Naturerlebnis. Meist sind die Gegenden
behagliche Objekte der Kontemplation; zu denen noch Darstellungen topographisch
genauer Landschaftsansichten hinzu kamen. Die Sperrung der Landschaft ist ein
wesentliches Charakteristikum einer bürgerlichen Landschaftsauffassung. Die
begrenzte überschaubare Landschaft war im Gegensatz zu einer unendlichen Weite
ein typisches Zeichen für bürgerliches Wohlbehagen.
Die Schweiz und Italien waren
bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts beliebte Reiseziele. In Italien
konnte die Antike studiert werden, die Schweiz galt als Synonym für natürliches
Leben. Man suchte ein Land auf, wo sich ein freies Bürgertum gedanklich
entfalten konnte, Voltaire (1694-1778) und Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)
waren die großen Vorbilder. Die Alpen gewannen als Sujet im späten 18.
Jahrhundert für die Malerei und Graphik immer mehr an Bedeutung. Die meisten
Zeichnungen Oesers nach Schweizer und Italienischen Landschaftsmotiven sind in
der Graphischen Sammlung zu Weimar zu finden. Offenbar gibt es hierfür ein
besonderes Interesse, das im Zusammenhang mit den Reisen des Weimarer Hofes nach
Italien und in die Schweiz steht. Nachdem das Reisen im Sinne Lessings als ein
empfindsames Erlebnis aufgefaßt wurde, weckten die zahlreichen Bildungsreisen
das Bedürfnis nach realistischen Landschaftsbildern und der Vedute.
Ab der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts entwickelte sich die Kunst des Übergangs in der
Landschaftsdarstellung vom „sentimetalen Naturalismus“ der Idyllen
zu einem Realismus holländischer Prägung, der sich bei Oeser vor allem an den
Menschen und der Landschaft Hollands des 17. Jahrhunderts orientierte. Die
holländische Gesellschaft wurde zum Vorbild einer bürgerlichen Kultur, die sich
in Deutschland ein Jahrhundert später zu entwickeln begann. Einfachheit,
Freiheit, Natürlichkeit und Verbundenheit mit der Landschaft waren die
wesentlichen Charakteristika eines bürgerlichen Selbstverständnisses in Holland,
an dem man sich in Deutschland zu orientieren begann.
Von der
entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung ging die naturalistische Richtung der
holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts bruchlos in das nächste Jahrhundert
über. Die Sehnsucht nach Natürlichkeit und bürgerlicher Freiheit, führten dazu,
daß sich die Künstler neben der Schweizer Motivwelt an der holländischen Malerei
und Graphik orientierten. Oeser zählt durch seine Reproduktionszeichnungen
ebenso wie Christian Wilhelm Dietrich zu den wichtigsten Vermittlern der
Niederländer, deren Landschaften zum Modell der Wirklichkeitsaneignung wurden.
Nach dem holländischen Meister Aert van der Neer (1603/4-1677) zeichnete Oeser
eine „Holländische Kanallandschaft“ (Abb. 44).
Das Blatt vermittelt durch seinen klaren Bildaufbau eine idyllische Ruhe, das
Atmosphärische ist noch zu Gunsten des Malerischen zurückgedrängt. „Die
Landschaft mit Wassermühle“ (Abb. 45) orientiert sich ebenfalls am
holländischen Realismus, dabei entstanden nicht ausschließlich Imitationen,
sondern unprätentiöse Naturbilder, die sich zwar an die ländlichen Motive der
holländischen Vorbilder anlehnten, aber durchaus individuelle Züge besaßen.
In seiner weiteren Entwicklung
wendet sich Oeser von der vornehmlich an der Dichtung orientierten und den nach
Vorlageblättern entstandenen italienischen, Schweizer und holländischen
Landschaften ab und schöpft seine Motive aus der Genialität seiner eigenen
Phantasie und Anschauung, wie es der Geniebegriff des Sturm und Drang forderte.
Die von Oeser komponierte „Landschaft mit Felsen“ (Abb. 46) stellt die
Bedrohung und die Kleinheit des einsamen Wanderers in der Felsenwildnis dar, der
„Marmorbruch bei Crottendorf (?)“ (Abb. 47) vermittelt die schiere
Unbezwingbarkeit Natur durch den Menschen und der Bauer mit seinem Gefährt in
„Schönburg bei Naumburg“ (Abb. 48) verweist auf die Mühsal, die der
Mensch gegenüber der Natur aufbringen muß. Gerade in der letztgenannten
Zeichnung beschreibt Oeser die Armut und harten Lebensbedingungen der
wirklichen Landbewohner, deren Lebenswelt sie zum Gegenteil des edlen Hirten der
Dichtung macht. Nichts erinnert mehr an eine harmonische Gemeinschaft der
Idyllen.
An den letzten Beispielen kann
gezeigt werden, wie Oeser der Übergang in der Landschaftszeichnung von der
idealen zur realen Idylle, vom holländischen Naturalismus zum Capriccio nun der
Sprung zum reinen Realismus gelang. Wie in den folgenden Zeichnungen zu zeigen
sein wird, wird jetzt der Landschaft der Kulissencharakter genommen, aus den
poetischen Gefilden entwickelt Oeser nun atmosphärische Himmel und elementare
Vorgänge.
In seiner realistischen
Landschaftsauffassung war Oeser bereits früh von dem Maler Jakob Philipp Hackert
(1737-1807) angeregt, durch den sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts die
realistische Landschaftsmalerei in Deutschland durchsetzte. Über den in Rom
lebenden Hackert berichtet Oeser in dem bereits erwähnten Brief an die Herzogin
Anna Amalia folgende Zeilen:
„Haikert
[sic]
hingegen der ohne weitere
Mahl, die Natur nachahmt, wie er sie findet, spielt als Landschaftsmaler die
größte Rolle.“
Oeser
erkannte die Bedeutung, die Hackert im Kreis der deutschen Maler in Rom für die
realistische Landschaftsmalerei einnahm. Wie seine zahlreichen heimischen
Veduten belegen, wollte er sich der weitergehenden Entwicklung in der
Landschaftsdarstellung nicht entziehen. Ziel war für ihn nun die Natur in ihrer
Mannigfaltigkeit und all ihren Erscheinungen darzustellen und löste sich
gleichzeitig von der erzählerischen historischen Landschaft. Darüber schreibt
der Auktionskatalog zu seinem zeichnerischen Nachlaß von 1800:
„In Oesers Originalen wird man
zum öftern die Staffage vermissen. Derselbe wünschet dem Gewöhnlichen
auszuweichen, und nicht zu wiederholen, was man schon so vielfältig anzutreffen
pflegt. Er ging darauf aus, interessante Gegenstände zu suchen, (ohne daß sie
eigentlich Geschichte enthielten) die er bey seinen Landschaften anbringen
wollte, wurde aber von diesem Vorsatze durch mancherley Hindernisse oft
abgebracht, daß manche ohne Staffage blieben.“
Oeser
hatte noch längst nicht den Realismus eines Hackerts erreicht. Wenig
ausgearbeitet sind die kleinen Details im Vorder- und Mittelgrund.
Gefühlsbetonte atmosphärische Stimmung, die er durch eine Licht- und
Schattenregie zu fassen suchte, dominieren weiterhin. In der Zeichnung „Eine
Gegend nach der Natur, bey Hamburg“ (Abb. 49)
wurden die Lichtgegensätze deutlich herausgearbeitet; ein Großteil des Bildes
wird von einem Gewitterhimmel eingenommen. Die sich verdunkelnde See scheint
sich langsam aufzuwühlen, der abfallende Küstenhang wird von dem aufgerissenen
Himmel erhellt. Ebenso atmosphärisch sind die Landschaft bei „Herzogenwalde
bei Dresden“(Abb. 50) oder die beiden Veduten zu Braunschweig “Der
Fallerslebische Turm zu Braunschweig“ (Abb. 51) und die „Stadtansicht von
Braunschweig“ (Abb. 52)
angelegt, die seine Orientierung an holländischer Kunst des 17. Jahrhunderts und
einem starken Wirklichkeitsbezug gleichermaßen erkennen lassen. Für den großen
Schritt hin zur reinen realistisch klassizistischen Landschaftsdarstellung
fehlte Oeser die Kraft und Rafinesse. Viel mehr ist seine sensualistische
Ausrichtung bereits eher als eine Tendenz hin zur Landschaftszeichnung der
Romantik zu verstehen. Das „Bauernhaus“ (Abb. 53)
oder die ländliche Gegend mit „Haus am See“ (Abb. 54) sind betont
schlicht in der Auffassung gehalten. Das ländliche Idyll motivierte Oeser, nach
einem angemessenen, d.h. natürlich-unprätentiösen Ausdruck zu suchen, wie er ihn
von den Niederländern kannte. Die eigene Wahrnehmung sollte möglichst
authentisch wiedergegeben werden.
Die letzte Zeichnung, die hier
in diesem Zusammenhang vorgestellt werden soll, wird mit dem Titel „Wanderer
im Nebel“ (Abb. 55) bezeichnet. Das Bild zählt in seiner atmosphärischen
Unmittelbarkeit und Erlebnisfrische zu einer seiner vielversprechendsten
Zeichnungen. Leicht stellen sich hier Assoziationen zur Romantik ein. Oeser
scheint hier eine Zeichnung fern jeglicher akademischen Regelstrenge angelegt zu
haben in einem fast anarchischen laissez-faire betont er hier die Subjektivität
und Einmaligkeit seines schöpferischen Einfalls. Das Blatt zeigt ein
präromantisches motivisches Neuland, das erst Caspar David Friedrich
(1774-1840) mit seinen Nebellandschaften zur künstlerischen Blüte führen sollte.
Alles ist im Begriff sich
aufzulösen, der klassisch akademische Bildaufbau aus Vorder-, Mittel- und
Hintergrund wird nur noch angedeutet, auf Staffagen wird ganz verzichtet. Ein
einsamer Mensch in einer pathetisch inszenierten Stimmungslandschaft. Ein
solches Stimmungsmoment wird bei Hagedorn nach Albrecht von Haller zitiert:
„Durch den zerfahrenen Dunst von einer dünnen Wolke,
eröffnet sich im Nu der Schauplatz einer Welt.“,
wobei die unwegsame Natur beim Betrachter gleichzeitig ein Schaudern mit einem
erhabenen Gefühl hervorruft.
Oeser
vermittelt die Form der subjektiv erlebten Stimmungslandschaft in vielfacher
Weise an seine Schüler weiter. In einem Brief an Oeser von 1780 berichtet der
spätere Mannheimer Galeriedirektor Ferdinand Kobell (1740-1799) über die
Ratschläge, die ihm der Leipziger Akademiedirektor kurz zuvor für die
Landschaftsdarstellung gegeben hat und ihn dabei zur Vollkommenheit führte. Er
beteuerte aufgrund der Anregungen den Schluß zu fassen:
„[...]
mich
[Kobell] in dem,
wofür mein Gefühl reg wird, und das was meine Seele wie ein schwamm in sich
faßte - und einsaugen kann - bis zur äußersten mir möglichen Vollkommenheit zu
üben - und nichts in meinen Gemälden widerzugeben, als Empfindung! - Dies bester
Herr und Freund sind die Ursachen, daß ich nicht gewagt meine Landschaften mit
historischen Stafaschen, zu bereichern sondern mit dem stillen wandernden
Landmann vorlieb nahm.“
Kobell
möchte gleichfalls ein persönliches Naturerlebnis in der Landschaft zum Ausdruck
bringen, welches den Betrachter emotional bewegt. Letztendlich dürften Oesers
Ratschläge ihren Ursprung in den Gedanken Hagedorns haben, der schreibt:
„Mahlet ein Künstler eine
Landschaft: so überläßt er zuerst dem Gemüth den sanften Eindrucke der lachenden
Gegend. Lieblicher grünen ihm die Wiesen und Felder unter schwankenden Schatten
und spielendem Lichte - Unersteigliche Felsen, Erinnerungen der von Haller
beschriebenen Alpen, vermehren ein anderes mal die Empfindungen eines heiligen
Schauers bey einer Einöde, wo vor Menschen verschlossenen Klüfte nur das
Sonnenlicht durchlassen; und ein schneller Wasserfall die fürchterliche Stille
mit rauschendem Getöse unterbricht. Alles dies wirket auf seinen Geist, bevor
er solche Wirkung durch den Pinsel und Farben weiter fortpflanzet.“
Die Vorstellung von der
subjektiven Wahrnehmung unter Anwendung der Vernunft, wie es Hagedorn 1762
ausführlich darstellte, finden sich bereits zwei Jahre später bei Oeser
niedergeschrieben. Er geht von einer Wahrnehmung der einzelnen
Naturerscheinungen durch die Sinne des Künstlers aus, der während der
bildkünstlerischen Umsetzung durch die göttliche Vernunft geleitet wird. Dabei
ist interessant festzustellen, daß Oeser, noch bevor der Geniebegriff des Sturm
und Drang definiert wurde, bereits davon ausging, daß nur der Künstler dank
seiner göttlichen Begabung in der Lage sei und kraft seiner Sinne, seiner
Vernunft und der Phantasie das Schöne in der Natur zu erkennen vermag, um dann
die einzelnen beobachteten Elemente wie Wasserfälle, Felsen, Architektur etc. zu
einer Landschaft höherer Ordnung zusammenzufügen. Oeser schreibt:
„Unsere Sinne, und unsere
Vernunft, sind göttlich. Ohne die ge-/
waltige Zauberkraft des künstlichen Auges, würde die/
Erde noch immer ein rohes, ungefärbtes Chaos seyn. Gegen-/
stände sind nur die Gelegenheit; unser ist die That; unser/
ist die Leinewand, der Pinsel, und die Farbe, welche die /
erstaunenswürdigen Gemälde der Natur schildert; und den /
weiten Tempel der Schöpfung verschönert
[...]
Welch ein Reichthum in der/
Einbildungskraft die voller Glut, einen noch schönern Schau-
platz zu erfinden strebt, als der ist, den die Sinne betrachten.
Trotz seiner mittlerweile
erlangten Wirklichkeitsnähe, hält Oeser an dem Idealitätsanspruch fest, die
Landschaft als eine die Wirklichkeit übertreffende Wunschwelt wiederzugeben. Er
fordert eine über die reine Wiedergabe der Erscheinungswelt hinausgehende
Gestaltungsweise, eine idealisierende Naturnachahmung, wie es dem Prinzip der
Naturnachahmung (Mimeses) entspricht. Wobei für Oeser der Sinn der Kunst darin
lag, die Natur nicht abzubilden wie sie ist, sondern wie sie sein soll. Daraus
resultiert für Oeser die Aufgabe des Künstlers, in der Kunst durch bewußte
Selektion und durch Verbesserung der einzelnen, in der Erscheinungswelt nur
unvollkommen vorgegebene Dinge, die Natur zu übertreffen. Maßgeblich dafür ist
seine Betrachtung der sichtbaren Welt auf ihre ideale Bestimmung hin.
Die größte Werkgruppe in Oesers
Œuvre sind seine „Idyllen“-Darstellungen. Die drei Leipziger Tafelbilder
entstanden in Anlehnung an Geßners Idyllen-Dichtungen. Das Bild „Et in
Arcadia ego“ steht in der Tradition der zahlreichen Nachahmungen des Bildes
von Poussin „Hirten von Arkadien“. Die Bilder Oesers übermitteln deutlich
das Gedankliche der Gattung der bürgerlichen Idyllenmalerei. Er war bei diesen
Arbeiten nicht darauf aus, pathetische Stimmungen zu erzeugen, sondern sanfte
Gefühlsregungen. Das poetische Naturempfinden, das Oeser in seinen Zeichnungen
zum Ausdruck bringt, hatte in Deutschland bis zur ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts keine Tradition. Obwohl eine Sehnsucht nach Realismus vorhanden
war, vermochte die Künstlergeneration des Umbruchs bis zum Ende des Jahrhunderts
diese noch nicht in ihrer reinsten Ausprägung vorzustellen. Die
Landschaftsdarstellungen waren durch und durch sentimental. So ist ihre
Bedeutung nicht da zu suchen, wo sie versuchen Realismus zu erzeugen, sondern
da, wo sie gefühlsbetonte Stimmungen vermitteln möchten, wo ihnen die Lyrik und
Poesie der Zeit, ebenso wie die Kunsttheorien und die Pädagogik als Programm zu
Grunde liegen.
An den hier vorgestellten Idyllen- und Landschaftszeichnungen ist der
„Geist und das Poetische“
der Dichter Theokrit, Geßner, Haller und
Hirschfeld wie der Theoretiker Bodemer, Breitinger, Sulzer und Hagedorn unschwer
herauszulesen.
Oeser
zeigt in seinen Zeichnungen, denen eher eine privater Charakter zukommt, sehr
viel mehr fortschrittlichere Tendenzen, wie in der offiziellen, repräsentativen
Öl- und Plafondmalerei. Besonders in der Landschaftszeichnung beweist er größte
Eigenständigkeit, eigene Charakteristik und Erfindungsgabe. Zu Oesers
Originalzeichnungen schreibt Rost:
„Diese Zeichnungen sind mehr
freye Nachahmungen in verschiedenen Manieren als strenge Copien, in welche
erstern sich, nach Oesers Meynung, ein jeder Künstler zur Erweiterung seiner
Ideen und seinem Vergnügen machen soll, wie der Gelehrte seine Excerpta.“
Die Zeichnungen überzeugen durch
technische Brillanz, strukturierten Bildaufbau, genaue Licht- und
Schattenführung ebenso wie in der eindeutigen Übermittlung einer Idee. Oeser
durchläuft entwicklungsgeschichtlich gesehen sämtliche Gattungen der
Idyllendarstellung. So finden sich in seinem Œuvre bukolische wie arkadische
Idyllen, die pastorale ebenso wie die klassische Idylle. Am Ende der Entwicklung
zeigen sich bei Oeser abgeschwächte Formen der heroischen Landschaftszeichnung,
die dem „Sturm und Drang“ angehören genauso wie Landschaftsdarstellungen, die
dem natürlichen Realismus zuzuordnen sind. Alle vorgestellten Landschaftstypen
gelten als typische Erscheinung einer bürgerlichen Kunstform.
Durch seine poetische Auffassung der Natur war Oeser gleichzeitig auch ein
Wegbereiter der Romantik. Aus diesem Grund ist sein Einfluß auf die folgende
Generation von Landschaftsmalern und Zeichnern nicht zu unterschätzen.
Die Bedeutung und der
Aufgabenkreis der Zeichnung im allgemeinen und der Landschaftszeichnung im
besonderen wuchsen im Lauf des 18. Jahrhunderts immer mehr über die enge
Werkstattzeichnung hinaus. In ihrem Rang wie in ihren Erscheinungsformen eine
reiche Vielfalt aufweisend, entwickelt sich die Zeichnung allmählich zu einer
autonomen Kunstgattung. Vorerst war sie für die persönliche Naturandacht noch
im Kabinettformat gehalten. Eine gesonderte Bedeutung fiel der Zeichnung nach
ca. 1760 zu, als mit der zunehmenden Verbürgerlichung die Bewegung der
Aufklärung in den Vordergrund des geistigen und künstlerischen Lebens trat. Die
historische Erforschung der künstlerischen Entwicklung des 18. Jahrhunderts,
vor allem aber der zweiten Hälfte, weist, was die genaue analytische Aufklärung
der Zusammenhänge anbelangt, noch einen starken Rückstand auf.
Gottsched, Johann Christoph, Versuch einer critischen Dichtkunst:
durchgehends mit den Exempeln unserer besten Dichter erläutert, Leipzig,
1730; Bernhard, 1977, S. 27
Haller, Albrecht v.,
Die Alpen und
andere Gedichte, Ausw. und Nachw. v. Adalbert Elschenbroich, (Nachdr.),
Stuttgart, 1994
Hirschfeld, Christian Cay
Lorenz, Briefe, die Schweiz betreffend, Frankfurt/M./Leipzig,
1776
Kat. Goethe, Boerner und
die Künstler ihrer Zeit, Düsseldorf, 1999