goethe


Timo John

Adam Friedrich Oeser 1717-1799
Studie über einen Künstler der Empfindsamkeit

VII. Oeser und seine Entwicklung in der Landschaftsdarstellung

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Abb. 25
Adam Friedrich Oeser: Arkadische Hirtenszene
1779, Öl auf Leinwand

Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts spielt die Landschaftsdarstellung eine besondere Rolle. Erhellt wird die Bedeutung des Themas aus den vielen einschlägigen theoretischen Schriften wie z.B. Geßner, Sulzer oder Hagedorn. Maler, Schriftsteller, Kritiker befaßten sich eingehend mit dem Thema der Landschaftsmalerei und bemühten sich um eine prinzipielle Lösung zu diesem Genre. Bei Oeser bilden die arkadischen Gemälde und idyllischen Landschaftszeichnungen eine wichtige Werkgruppe, die als symptomatisch für ein empfindsames bildkünstlerisches Bestreben gelten und die hier ausführlich vorgestellt werden sollen. Nicht nur Oesers Zeichnungen „nach eigenen Erfindungen“ vor allem auch die zahlreichen Kopien nach Zeichnungen und Druckvor­lagen zeitgenössischer Künstler speziell zu diesem Sujet erfreuten sich bei Sammlern größter Beliebt­heit. So ist im Rostschen Auktionskatalog von 1800 zu Oesers Nachlaß zu lesen:

„Auch die Sammlung von Handzeichnungen verdient alle Aufmerksamkeit der Kunstliebhaber; sie enthält Studien, flüchtige Entwürfe und ausgeführte Stücke in allen Gattungen der Kunst, [...] von Oesers Hand.“ Unter Oesers Arbeiten „befinden sich  Entwürfe, und mehr oder weniger ausgeführte Stücke eigener Erfindungen, so wie Blätter nach Gemälden und Kompositionen großer Mei­ster, für den Werth schon der Name des Künstlers bürgt, und wer sollte nicht wünschen, in dem Besitz manches dieser Blätter ein Andenken zu haben wel­ches ein Mann, dessen Verdienste so allgemein anerkannt sind, und dessen Genie auch aus dem Flüchtigsten seiner Entwürfe hervorleuchtete, den Freun­den der Kunst hinterließ !“[1]

Oesers zeichnerisches Œuvre besteht zum Großteil aus stimmungsvollen Landschafts­darstellungen, die bislang wenig im kulturgeschichtlichen Kontext ihrer Entstehungszeit betrachtet wurden. Die theoretischen Grundlagen sollen auf einige vorgestellte Muster­bei­spiele angewendet werden. Gerade bei Oeser läßt sich der allgemeine Entwicklungsverlauf der Landschaftsdarstellung exemplarisch aufzeigen. Der Bogen spannt sich hier von der idealen arkadischen Landschaftsidylle über den holländischen Realismus bis hin zur natura­listischen heimischen Landschaft.

  

 

1.    Die Idylle in Dichtung und Literatur

Gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfuhr die Landschaft als künstlerisches Ausdrucksmittel eine erhebliche Aufwertung. Mitverantwortlich für das von der Literatur hervorgebrachte neue Naturbewußtsein war unter anderen Ludwig von Hagedorn,[2] der in seinem Naturgefühl neben seinem Dichterbruder Friedrich von Hagedorn von zahlreichen zeitgenössischen Poeten beeinflußt wurde.[3] Mit der Verwendung des „ut pictura poesis“ Topos verfolgt er in seinen „Anmerkungen...“[4] einen wirkungsästhetischen Umgang und zitiert die damals wichtigsten deutschen Dichter mit ihren bedeutendsten Werken, wie Barthold Heinrich Brockes (1680-1747) „Irdischen Vergnügen in Gott“[5], Albrecht von Hallers (1708-1777) „Die Alpen“,[6] Ewald von Kleists „Frühling“ und Salomon Geßners „Idyllen“[7]. Geßner betrachtet gleich wie Hagedorn[8] die Dichtkunst als eine „wahre Schwester der Mahler­kunst“ und empfiehlt in seinem „Brief über Landschaftsmahlerei“ es nicht zu unterlassen:

„die besten Werke der Dichter zu lesen; sie werden seinem Geschmack und seinen Ideen verfeinern und erheben, und seine Einbildungskraft mit den schönsten Bildern bereichern. Beyde spüren das Schöne und Grosse in der Natur auf;[...].[9]

Einen ersten Versuch einer begrifflichen Bestimmung der dichterischen Idylle, die auch für die bildende Kunst gültig wurde, unternahm bereits 1730 Johann Christoph Gottsched (1700-1766) in seiner Schrift „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“.[10] Eine umfassende Definition des Idyllenbegriffs für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts formulierte 1760 der Philosoph Moses Mendelssohn.[11] Bei ihm definiert sich der Idyllen­begriff aus der Gegenüberstellung einer idealen natürlichen Wunschwelt und einer Zivilisa­tionsrealität. Dabei sieht er in Geßners Hirten-Dichtungen die „wahre Idyllen“, die einer Idealisierung der inneren Empfindung gleichkam.[12] Ähnlich äußert sich auch Sulzer in seiner „Allgemeinen Theorie...“. Er allegorisiert den klassischen Hirten Arkadiens und läßt ihn durch sein vorbildliches Handeln dem Betrachter moralisierend gegenübertreten. Die „Seele“ soll dabei „erquickt“ und ein ungezwungener Naturzustand erreicht werden, da dieser, so Sulzer, im „Leben der bürgerlichen Welt“ nicht mehr existiert.[13] Die Voraus­setzung dafür aber ist eine „Seele“, die den „Schorf der bürgerlichen Vorurteile abge­worfen hat, und die Natur in ihrer einfachen Schönheit zu empfinden weiß.“[14]

In den Formulierungen Mendelssohns und Sulzers stehen sich neben der Zivilisations­kritik, pädagogisches, vernunftbestimmtes, aufgeklärtes Denken auf der einen und Empfindung und Gefühl auf der anderen Seite gegenüber. Der Sensualismus und das rationalistischen Denken gehen in deren Idyllendefinition eine symbiotische Verbindung ein.

Mit den deutschsprachigen Ausgaben der Idyllendichtungen von Theokrit (300-260 v. Chr.) und Vergil (70-19. v. Chr.), die um 1750 erschienen, und den Winckelmannschen Programmschriften zur Antikenrezeption begann in Deutschland eine lange Idyllen­tradition. Salomon Geßner (1730-1788), als der Hauptvertreter der „empfindsamen Idylle“,[15] verhalf dem arkadischen Motiv in Literatur und bildenden Kunst zu einer Popularität größten Ausmaßes.[16] Als programmatisch für die Schilderung der Natur­sehnsucht gilt seine Idylle „Der Wunsch“.[17] Hier werden Leitbilder sowohl der Empfindsamkeit, wie das Wasser mit seinen akustischen und der Mondschein mit seinen optischen Assoziationen, als auch die der deutschen Klassik mit ihrer pantheistischen Weltsicht berührt.[18] Bernhard gibt zusammenfassend eine treffende Charak­terisierung des Idyllenmotivs:

„Das idyllische Bedürfnis nach Harmonie zwischen Mensch und Natur und die forcierte Sensibilität gegenüber einer inneren, menschlichen Natur und einer äußeren Natur, wie sie für die Empfindsamkeit typisch ist, konvergieren in der künstlerischen Form der Idylle.“[19]

Das Thema der musi­zierenden und singenden Hirten ist häufig in den Idyllendichtungen von Theokrit und Vergil zu finden. So dürfte das folgende „Arkadische Hirtenszene“ auf Anregung eines der beiden Dichter zurückgehen (Abb. 25). Deutlich ist zu bemerken, daß Oesers frühe idealisierten Idyllen ihrer Gattung nach noch der „Bukolik“ zuzuordnen, wo die Landschaft noch eine untergeordnete Rolle spielt. Auch bei Kopien, die Oeser häufig anfertigte, bevorzugte er immer wieder die bukolische Idylle. Die folgende Zeichnung „Apoll, die Herden des Admetos weidend“ entstand nach einem Gemälde von Marcantonio Franceschini (1648-1729) (Abb. 26)[20]. In einer sonnigen Landschaft erscheint rechts im Bild ein Gruppe von Menschen, zwei von ihnen spielen Panflöte und Tamburin. An dem schattigen Platz, an dem sie verweilen, steht eine Hermenbüste. Mendelssohn definiert eine solche arkadische Idylle als

„sinnlichsten Ausdruck der höchst verschönerten Leidenschaften und Empfin­dungen solcher Menschen, die in kleineren Gesellschaften zusammen­leben“.[21]

Der erweiterte Idyllenbegriff nach der „Bukolik“ ist die „Pastorale“, deren charakteristisches Merkmal neben dem Ideal des antiken Hirten das Landschaftsmotiv verstärkt aufnimmt (Abb. 27). Im folgenden Blatt beherrschen mächtige, schwungvoll gezeichnete Bäume das Bild, neben denen alles andere zur Staffage wird. Dennoch herrscht zwischen Natur und Tier eine harmonische Einheit, die den Kontrast gegenüber dem Stadtleben noch eindringlicher verdeutlichen soll (Abb. 28)[22]. Vielfach integriert Oeser in seine arkadischen Landschaften anstatt Hirten auch mythologische Szenen, wobei so noch ein höheres Landschaftsideal erreicht werden soll (Abb. 29). In der folgenden Zeichnung for­mieren sich vor einer alten Baumgruppe eine Gruppe antik gewandeter Menschen. Gesti­kulierend weisen sie auf die am Boden sitzenden mythologischen Figuren Amor und Psyche. Links neben der Gruppe wird eine Ziege gemolken, im Hintergrund ist ein Hirte mit seiner Herde dargestellt. Oeser läßt durch die Begrenzung der Bäume einen sogenannten „locus amoenus“ - lieblichen Ort - entstehen. Die Zeichnung „Waldsee“ (Abb. 30) bildet vor seiner Landschaftskulisse einen Lustort, an dem die Nymphen baden gehen. Der See ist umsäumt von einem hainartigen Baumbestand. Eine wesentliche Funktion, die die Darstellung eines Lustorts erfüllen soll, ist die Vermittlung des Stillstandes von Zeit und Raum. Es entsteht ein Zustand des Schwebens und der völligen Geschichtslosigkeit. In zahlreichen arkadischen Idyllen integriert Oeser den „Et in arcadia ego“ Mythos als Vanitasgedanken. Auf der folgenden „Arkadischen Landschaft“ ist eine vor einer großen Baumgruppe lagernde Hirtenfamilie mit ihrer Herde dargestellt (Abb. 31)[23]. Links betrachten drei Frauen einen antiken Sarkophag, rechts ist ein Ausblick auf eine Ruine auf einem Hügel gezeigt. Ein ähnliches Motiv gibt die Zeichnung „Parklandschaft mit Monument und Urne“ (Abb. 32). Ein auf einem Steinhügel aufgestelltes Aschegefäß wird von Bewohnern Arkadiens mit Blumen geschmückt.[24]

 

 

2.    Kritik an der „zivilisierten“ Welt

Die Idylle des 18. Jahrhunderts stellt nicht nur eine neue Form der Landschafts­darstellung dar, sondern, wie bereits bei Mendelssohn und Sulzer angedeutet, wird mit ihr auch Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Sittenverfalls geübt. So sah Engel die „gesitteten Menschen“ der Idylle frei von jenem „Elend“, in dem sich die bürgerliche Gesellschaft dieser Zeit befand.[25] Hauptvertreter dieser kritischen Richtung, war ebenfalls Geßner.[26] Er spricht von den „sclavischen Verhältnissen“ seiner Zeit und einer „unglücklichen Entfernung von der Natur“[27] und nimmt somit in programmatischer Weise dem städtischen Leben gegen­über einen ablehnenden Standpunkt ein. Oeser thematisiert die abhandengekommene „Naturliebe“ und den „gesitteten Menschen“ in einer Stammbucheintragung, wofür er auf Geßners Idyllendichtungen zurückgreift. Es handelt sich hierbei um die „Amynthas“ Idylle von 1756 (Abb. 33, 34) [28]. Oeser anerkennt mit der Verwendung Geßners „Idylle“ die Tugend der Nächstenliebe und die Liebe gegenüber der Natur und mißt ihr mit seiner Eintragung in das Stammbuch gleichzeitig eine moral-pädagogische Bedeutung zu.[29]

 

 

-      Die Geßnersche Idylle in Oesers Tafelmalerei

Kaum ein zweiter Literat nahm mit seinen Dichtungen so maßgeblichen Einfluß auf die Motivwahl zahlreicher Künstler wie Geßner. Dies gilt für den Dresdener Landschafts­maler Christian Klengel (1751-1824) ebenso wie den Maler Friedrich Müller (gen. Maler Müller 1749-1825), in ganz besonderem Maße aber für Adam Friedrich Oeser. Ein Beleg hierfür geben die zahlreichen idyllischen Szenen, die nach Geßner geschaffen wurden. Die wichtig­sten in Öl gemalten Arbeiten stellen neben den Zeichnungen zu diesem Sujet die drei Leip­ziger Idyllen dar (Abb. 35, 36, 37), denen allen dasselbe Thema zu Grunde liegt und die als Werkgruppe zusammengefaßt werden können. Die Arbeiten haben das Gedicht „Die Zephyre“ von Geßner zum Thema.[30] Die Dichtungen schildern die Handlung der Näch­stenliebe (Caritas), gleichzeitig wird auch die Tugend, Rechtschaffenheit und unschuldige Liebe des arkadischen Hirtenlebens gepriesen. Oesers Bilder schildern die junge Daphne, die täglich zu der Hütte einer armen Mutter geht, um ihr Essen zu bringen, wobei sie von zwei Zephyren (Windgöttern) beobachtet wird. Oeser hält sich dabei genau an die literarische Vorgabe. Die Landschaft spielt in diesen Bildern keine Rolle, die mit Stroh bedeckte Hütte dient lediglich als Staffage­kulisse, um die ärmlichen Verhältnisse anzudeuten.

Das Hauptinteresse der drei Idyllen galt hier zum einen, Kritik am Verfall der bürgerlichen Sitten zum Ausdruck zu bringen, zum anderen sind diese Idyllen mit einem hohen pädago­gischen Anspruch versehen, nämlich Empfindung für das Leiden anderer auszulösen. Edmund Burke spricht hier von der „Wirkung der Sympathie bei den Nöten anderer“.[31] Nach zeitgenössischer Auffassung diente Mitleid der Läuterung einer armen Seele. Darüber schreibt Lessing 1756 an Friedrich Nicolai (1733-1811):

„Der mittleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmuth der aufgelegteste. Wer uns also mitlei­dig macht, macht uns besser und tugendhafter.“[32]

Das Mitleidempfinden wurde als ethisch-moralische Größe und als ein positiver Einfluß auf das gesellschaftliche und sittliche Leben gesehen.[33] Dabei wurden die Künste, vor allem unter den Popularphilosophen, als ein wichtiges Mittel der Einflußnahme auf das Gemüt betrachtet. Eine durch die Kunst herbeigeführte Sensibilisierung der Empfindung führte nach deren Auffassung zu einem moralischen Handeln.[34]

Die Sensibilisierung für das Leiden, wurde zur Erlangung dieser Tugend bereits im Kindes­alter durchgeführt. Hierüber schrieb der Magdeburger Prediger und Theologe Karl Daniel Küster (1727-1804) [...] man mache ihn [den Zögling] mit den Empfindungen des Armen bekannt, und suche es so weit zu bringen: daß er sich an die Stelle des Notleidenden setzet.“. Nur so kann der Mensch zu einer größeren Menschlichkeit gelangen, “denn Empfindsamkeit und Menschen-Freundlichkeit, sind gewisser maassen Synoimen. [sic][35] Im selben Zusammenhang schreibt der Leipziger Ästhetiker Karl Heinrich Heydenreich in seinem „System der Ästhetik“[36]

„Unsre sympathischen Empfindungen gründen sich größtenteils auf Thätig­keiten der Phantasie; bey dem Anblick eines Leidenden, oder bey Erzählungen und Schilderungen seines Schicksals erwachen in uns die Gedächtnisideen selbst empfundener Zustände dieser Art; wir tragen diese auf ihn über, und so nur sind wir fähig, seiner Gefühle teilhaftig zu werden.“

Campe definiert als Aufklärungspädagoge das Empfinden von Mitleid als einen vergnüg­lichen Akt. In seinem „Wörterbuch der deutschen Sprache“[37] schreibt er:

„Fähigkeit und geneigt zu sanften angenehmen Empfindungen, Fertigkeit beziehend, an theilnehmenden Gemüthsbewegungen Vergnügen zu finden.“

Wie Geßner in seinen Idyllendichtungen, hat auch die empfindsame Versdichtung immer wieder versucht, mitleiderregende Sinneswahrnehmung zu erzeugen. Der schwäbische Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) schreibt 1774 das Gedicht „Das Glück der Empfindsamen“.[38] In den beiden letzten Strophen schreibt er der Idylle Geßners bzw. den Gemälden Oesers entsprechend:

„[...]       
Wenn Arme an den Dornenstäben    
Gekrümmt vor meiner Hütte beben;  
Da klopft mir zwar die Brust    
Doch, wenn ich eine kleine Gabe       
Bey eigner Armuth übrig habe;           
So fühl ich Engellust.

Ich wohne gern in meiner Hütte.         
Gewähre mir nur eine Bitte,    
Wohltätige Natur!        
Nie will ich mich der Armuth schämen;          
Du darfts mir alles, alles nehmen;      
Mein Herz laß mir nur.“           

Kein Mittel war geeigneter, um den Menschen für das Mitleid über das Schicksal anderer zu sensibilisieren wie die Kunst. Allen voran war es die Dichtkunst, aus der sich eine entsprechende Ikonographie für die bildende Kunst ableitete. Um Mitleid bewirken zu können, muß dem Betrachter die Person oder Sache vor Augen geführt werden. Hierbei kommt der Kunst eine wichtige dienende Rolle zu, worüber sich der Theoretiker Sulzer folgendermaßen äußert:

„Die schönen Künste haben zwey Wege den Menschen Empfindungen einzuflö­ßen. Wenn du mich willst zum Weinen bewegen, sagt Horaz, so weine du selbst; dieses ist der eine Weg. Der andre ist die lebhafte Darstellung oder Vorbildung der Gegenstände, worauf die Empfindung unmittelbar geht; wer Mitleiden erweken will, muß den Gegenstand des Mitleidens uns lebhaft fürs Gesicht bringen.“[39]

In ihrer Vermittlung von Mitleid und Fürsorge als christliche Tugenden der Nächstenliebe, stellen die drei Idyllen-Gemälde Oesers mit ihren moral-pädagogischen Intentionen eine neue Form des „säkularisierten Andachtsbilds“ dar. Sie sind Zeugnis einer bürgerlich antiki­sierenden „Ersatzreligion“, die ihre moralisch-religiöse Erbauung nicht mehr ausschließlich aus einer bestimmten Konfession schöpfte sondern aus der „antikisierenden“ Idyllen-Dich­tung.[40]

Eine vielgelesene poetische Sammlung von Hymnen, Gedichten, Fabeln des Aesop und Idyllen waren unter anderen die ab 1785 erschienenen „Zerstreuten Blätter“ Herders. Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, eine glühende Verehrerin des reformistischen Weimarer Superinten­denten Herder, die sich selber als eine „hérétique“ bezeichnete,[41] läßt in einem Brief an Oeser deut­lich werden, wie sehr sich die christliche Orthodoxie in der Krise befand. Während des Umbaus der Nikolaikirche, an dem Oeser maßgeblich beteiligt war, schreibt sie am Schluß eines Briefes an Oeser:

„Adieu, lieber Alter, werden Sie nicht zu fromm, denn Sie werden wohl sehr beschäftigt mit Kirchen-Bau und heiligen Altären seyn, - und es könnte nicht schaden wenn einige zerstreute Blätter von Herder zuweilen dazwischen gele­sen würden um sich freudige und angenehme Gedanken zu machen.“[42]

Oeser setzte die literarische Kunstform der Idyllendichtung, die als eine typisch bürgerliche Kunstform gilt, bildhaft um. Die gezeigten Idyllen entsprechen der Hagedornschen Defini­tion bürgerlicher Malerei, bei der es um die Veranschaulichung des tugendhaften, vorbildli­chen Lebens geht. Für ihn waren sie „Stoff zur stillen Betrachtung“.[43]

Als eine Weiterent­wicklung der vorgestellten Idyllen-Gemälden erfolgt bei Oeser das sog. realistische Gesellschaftsgemälde, wie z.B. das „Atelier des Malers“ (vgl. Abb. 8),[44] für die sich Hagedorn als eine Form bürgerlicher Kunst ausspricht. Das Genrebild zeigt einen Künstler, der an einem Tisch sitzend nach einer Gemäldevorlage eine Druckgraphik anfertigt. In das Zimmer kommt eine junge Frau herein und serviert auf einem Tablett etwas zu trinken. Das Bild stellt ein häusliches Familienidyll vor. Hagedorn zufolge soll diese bürgerliche Bildform „sittliche Vergnügungen“ vorstellen und „Denkmale ausgeübter Tugenden aus dem gemeinen Leben“, wie Fleiß, Sittsamkeit, Treue und Ehrlichkeit sein.[45]

 

 

-      Geßnermotiv in Oesers Deckenmalerei

Oeser, bedeutender Freskant seiner Zeit, verwendete auch Motive aus den Dichtungen Geßners für seine Deckenmalerei. Der Kunstschriftsteller und Oeserfreund Franz Wilhelm Kreuchauf (1727-1803) beschreibt in „Oesers neueste Allegoriegemälde“ ein Geßnermotiv im Hause des Bürgermeister und Geheimen Kriegsrat Müller in Leipzig.[46] Oeser wählte hier für die Sala terrena unter anderen das Motiv „Daphne und Chloe“.[47] Kreuchauf beschreibt detailgetreu die szenischen Darstellungen. Zum Abschluß seiner Schilderung stellt er den sinnstiftenden Nutzen solcher Gemälde dar:

[...], daß die bildenden Künste dem Verstande zu vergnügter Beschäftigung die­nen, und daß sich, zu Errichtung dieses ihres einzigen wahren End­zwecks ihrer Betrachtung und Nachahmung Gegenstände aller Art aus der sichtbaren und idealischen Welt darbieten.“ Weiter fährt er fort, daß die Künste „zu solchen Schilderungen der reizvollen Natur und der erhabenen Wesen einladen, womit sie den Geist nähren und veranlassen, die Gedanken von diesen und allem was das Auge ergötzt, zu höheren Wundern der Schöpfung hinauf zu spannen.“[48]

Oesers Idyllenmotive zeugen von dem neuen Naturverständnis und ihrer damit verbundenen läuternden Funktion, die sie gegenüber dem Betrachter haben sollen. In einer weiteren Ausmalung nimmt er dabei direkt auf den griechischen Idyllendichter Theokrit bezug, der für Geßner eine ebenso vorbildhafte Rolle gespielt hat.[49] Kreuchauf beschreibt das von Oeser im Profil gemalte Porträt Theokrits als ein Bildnis „des ersten Musters der Hirten­dichter, die uns zwanglose Freuden des Landlebens und liebenswürdige Gestalten der Natur sangen,[...][50]

Daß Oeser nicht nur Geßner nachahmt und von ihm inspiriert wird, sondern von dem Idyllendichter selber auch als einer der bedeutendsten Künstler der Zeit geschätzt wurde, teilt Geßner in seinem „Brief über die Landschaftsmahlerey“ mit. Dort schreibt er: Künstler bei denen „die Regeln des wahren Schönen mit dem besten Verstand angebracht“ können nur bei Arbeiten „eines von Hagedorn, eines Oeser, eines Dietrich, eines Casanova; kurz [...] der groessesten Kenner und der grössesten Künstler seyn.“[51]

 

 

-      „Et in Arcadia ego“

Das Ölbild mit dem Titel „Et in Arcadia ego“ (Abb. 38)[52] ist wohl das bekannteste Tafel­bild Oesers. Hier liegt nicht unmittelbar ein Idyllenthema aus den Dichtungen Geßners vor, obwohl das Interesse solch arkadischer Landschaften in dieser Zeit auf Geßner zurückgeht. Vielmehr stand Oeser hier das Bild Nicolas Poussins (1593-1665) „Die Hirten von Arka­dien“[53] Pate. Dem von Panofsky ausführlich besprochenen idealisierenden Hirtenbild Poussins,[54] liegen zwei verschiedene Interpretationen aus dem 17. Jahrhundert zu Grunde.[55] Die Interpretationen unterscheiden sich im Hinblick auf die Deutung der Inschrift „Et in Arcadia ego“. Einmal wird das Bild als Pastorale gedeutet, das anschaulich machen will, daß auch der Tod noch in Arkadien anwesend ist. So müßte die Übersetzung der Inschrift lauten „Auch ich bin in Arkadien“ (dieser Meinung schließt sich Panofsky an). Eine weitere Deutung geht dahin, die Worte als Aussage eines Verstorbenen auszulegen, der sagt: „Auch ich lebte in Arka­dien“. Es stehen sich nun zwei Interpretationen gegenüber, die eine hält den Tod in Arka­dien für anwesend, die zweite verweist auf die Sterblichkeit der in Arkadien Lebenden. Der Mehrdeutigkeit einer Übersetzung der lateinischen Inschrift umgeht Oeser, indem er die griechische Version wählt.[56] Der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim gebrauchte in einem Brief, in dem vermutlich von dem o. g. Gemälde Oesers die Rede ist, die Übersetzung „Auch ich lebe in Arkadien“.[57] Der Tod wird bei Oeser demnach in paradiesische Gefilde integriert. Solche Beispiele finden sich bereits bei Theokrit wie auch bei der 1758 erschienen Idylle Geßners „Der Tod Abels“.[58]

Bei Oeser überschneiden sich hier zwei Idyllentypen. Das Bild stellt eine „Pastorale“ dar (Mensch, Tier und Natur leben in völliger Einheit und Harmonie zusammen), die scheinbar durch die Anwesenheit des Todes gestört wird. So ergibt sich eine „Elegie“, die gleichzeitig sowohl für eine elegische Idylle als auch eine idyllische Elegie steht.[59] Das Bild, als Höhe­punkt einer Transformierung des Themas,[60] erfährt durch das „memento mori“ Motiv eine Modulation hin zum Idyllischen. Es handelt sich hierbei nämlich nicht mehr um „ein kon­templatives Versunkensein in den Gedanken der Sterblichkeit“.[61] Die melancholische Stimmung des Poussin-Bildes ist bei Oeser einer arkadisch heiteren Gestimmtheit gewichen. In die figurenreiche Komposition von tanzenden und beieinander Sitzenden wird das Andenken an die verstorbenen Gespielin, die einst am paradiesisch glücklichen Dasein in Arkadien teilnahm, ungezwungen einbezogen. Oeser wählt ein Freundinnenpaar, das sich die Inschrift auf dem Steinsarkophag ansieht. Rechts im Vordergrund gruppiert sich eine Familie, links davon ein Hirtenidyll, im Hintergrund tanzende Menschen. Die Verstorbene scheint wie selbstverständlich in das Leben der Hinterbliebenen integriert zu sein. Daß dem Todeserlebnis eine ästhetische Bedeutung zugemessen wurde, ist für das Zeitalter der Empfindsamkeit geradezu symptomatisch.[62] Die beiden den Sarkophag betrachtenden Figu­ren zeigen, als eine charakteristische Eigenschaft der „Empfindsamkeit“, nicht die Regung eines überwältigenden Trauergefühls. Empfindsames Fühlen ist an ein „sanftes Empfinden“ gebunden und verträgt keine starken äußeren Reize.[63] Der Naturausschnitt, den Oeser wählte entspricht dem klassischen „locus amoenus“, über den sich eine lieblich fast süßliche Atmosphäre ausbreitet. Es geht nicht um die Weite und Unbegrenztheit der erhabenen Natur, sondern um die begrenzte, überschaubare, idyllische oder - wie Hagedorn sie nennt - die „gesperrte“ Landschaft.[64] Oesers idealisierte Idylle entspricht auch der Auffas­sung Herders, der schreibt:

„Natürlich, daß in diesem engen Cyklus die Liebe eine Hauptrolle spielte; nicht aber war sie der Idyllen Eins uns Alles. Auch das Andenken ihrer Vorfah­ren, ihres Daphnis ward von den Hirten gerühmt, ihre Feinde wurden geschmäht, der Verlust ihrer Freunde ward betrauert. Was die enge oder wei­tere Spanne des Hirtenlebens umfaßt war der Inhalt ihrer Lieder, mit Hinsicht auf Glückseligkeit und Freude.“[65]

 

 

 

3.    Kritik an der idealisierten Idylle

Die Bedeutung der Idylle ist vor allem vor dem soziologischen Hintergrund einer rein bür­gerliche Kunstform zu betrachten, die neben einer kritischen Haltung dem städtischen bürger­lichen Leben gegenüber - die als Weltflucht gedeutet wird -, gleichzeitig auch eine Kunst­form, die das bürgerliche Naturempfinden zum Ausdruck bringt und somit eine Diesseits­bejahung darstellt.[66] Aus dieser Ambivalenz ist zu folgern, daß die Idylle eine Gesellschaft entwirft, wie sie in der Realität nicht bestanden hat. Die Idylle des 18. Jahrhunderts stellt aber ebenso auch einen „Spiegel“ der Gesellschaft dar, indem sie Sehnsüchte formuliert, die die damalige Gesellschaft nicht mehr erfüllen konnte. Allerdings schränkt Lammel ein, daß die Idylle nur unterschwellig kritisch der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber stehen kann, denn sie besitzt keine gesellschaftsverändernde Bedeutung, ihr kommt lediglich ein kompensa­torischer Gehalt zu.[67] Die Landschaftsmalerei ist ihrem Wesen nach eher reformerisch als revolutionär, regt eher zur Betrachtung an als zur Tat. Hierin mag ein Grund für die bald einsetzende Kritik speziell an der Idylle zu suchen sein, was im besonderen für die Kurzle­bigkeit des idealisierten Idyllenbegriffs Geßners gilt. Die vorgestellten „Landschaften“ waren Formen, in denen Emotionen gestaltet wurden, sie waren Bildzeichen, um die Emo­tionen des Künstlers auf den Betrachter zu übertragen und bei diesem Rührung zu wecken, die Landschaft war nicht in erster Linie Zweck sondern Mittel.

 

Daß die idealisierten Idyllen schnell in die Kritik gerieten, kann nur aus der bereits ausführlich dargelegten allgemeinen Kritik an der Empfindsamkeit verstanden werden. Die realistische Periode des „Sturm und Drang“ löste in der Poesie und Malerei die ideali­sierende „Empfindsamkeit“ ab, die von nun an in den Hintergrund tritt.[68] Besonders heftig gerieten Geßners „Hirtenidyllen“ in die Diskussion. Vor allem waren es Goethe, Herder, Schiller aber auch der Maler Müller, die hier großen Anteil hatten. Goethes spezielle Haltung ist nur aus der eigenen Kritik an der Empfindsamkeit, die er bereits, wie gesehen, seit 1772 äußerte, zu verstehen. Der „Stürmer und Dränger“ Goethe wirft Geßner vor, er wäre

„durch ein zu abstraktes und ekles Gefühl physikalischer und moralischer Schönheit [...] in das Land der Ideen geleitet worden, wobei er uns nur halbes Interesse, Traumgenuß herüberzauberte.“[69]

Für Goethe durfte der Stoff der Idylle nicht mehr ausschließlich aus der Antike bezogen werden, sondern auch aus der gegenwärtigen Realität. Als ein typischer Vertreter der „realistischen Idylle“ lehnt auch der Maler Müller die idealisierte Idylle entschieden ab. Obwohl anfänglich selbst von Geßner beeinflußt, übt er später heftige Kritik an den Schäfer­idyllen seines ehemaligen Vorbildes.[70] Ebenso für Friedrich von Schiller (1759-1805) konnte ein Geßnerischer Hirte

„uns nicht als Natur, nicht durch Wahrheit der Nachahmung entzücken, denn dazu ist er ein viel zu ideales Wesen; eben so wenig kann er uns als ein Ideal durch das unendliche des Gedankens befriedigen, denn dazu ist er ein viel zu dürftiges Geschöpf.“[71]

Das Ende der idealisierenden Idylle und somit der als typisch „Geßnerisch“ zu bezeichnende Idylle, ist der Zeitraum zwischen den Jahren 1767 und 1777 zu benennen. Noch eine Zeit­lang laufen die idealisierte Idylle und die realistische Idylle des „Sturm und Drang“ neben­einander her. Doch bald läßt die immer lauter werdende Kritik den idealisierten Landschaf­ten keinen Raum mehr. Von nun an war der Weg frei für eine realistische Naturdarstellung. Allein entscheidend für eine Klassifizierung eines Kunst­werks war laut Schiller die „herrschende Empfindungsweise“.[72] Und so konnte man mit der Zeit der realistischen Landschaft und dem der Wirklichkeit entsprechenden Genre höhere Empfindungswerte abgewinnen wie einer idealisierenden Darstellung.

 

 

 

4.    Abkehr von der arkadischen Idylle

Im Lauf der Idyllenentwicklung fand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowohl in der Dichtung wie auch in der darstellenden Kunst eine weitere Liberalisierung des klassischen Idyllen­begriffs statt. In der Poetik entwickelte sich das arkadische „Hirtengedicht“ hin zum heimischen „Landgedicht“. Der Literaturhistoriker Johann Joachim Eschenburg (1743-1820) gestattete dem Dichter, daß er „mit gehöriger Mäßigung die Sitten und Empfindungen der Landbewohner seiner Zeit“ zugrunde legt.[73] Diese Erweiterung des Idyllenbegriffs führte in der allgemeinen Genese der Landschafts­malerei und im besonderen bei Oeser zur realistischen Landschaftdarstellung, mit heimischen Hirten als Repräsentanten einer vorbürgerlichen Welt. Welche Aufgeschlossenheit für Naturerlebnisse und welcher Drang darin bestand, solche Erlebnisbilder zu fassen, davon zeugt ein Brief Oesers an Herzogin Anna Amalia, als er ihr ein Portefeuille mit von ihm nachgeahmten Landschaftszeichnungen zukommen läßt. So schreibt er an die Herzogin:

„Eur: Durchlaucht überreiche ich mit geziemder Ehrfurcht, einige kleine Ver­suche nach verschiedenen Meistern, die die Werke der schönen Natur, glück­lich nachzuahmen wusten. [...] Eur: Durchlaucht werden bey der Betrachtung dieser kleinen Sammlung, und in den verschiedenen Manieren dieser Meister; immer nur einen Endgedenk finden: das reizende der Natur nachzuahmen. Weirother hat die einfältige Hütte nach ihren genügsamen Bewohnern geschildert, alle seine Gegenstände sind von der edlen Natur her­genommen und durch eine glückliche Nachahmung lehrt er uns die Wahrheit dieser Situationen fühlen, und er gibt uns einen Begriff wie es im Reiche und Deutschland aussieht. N.3.4 sind holländische Gegenden. Van Goyen ist mit seinen Gegenständen, für Liebhaber, der angenehmste Meister, er ist leicht und glücklich nachzuahmen.     
Felix Meyer ein alter ehrlicher Schweizer, zeigt uns diejenigen Seltenheiten der Natur die uns in das Erstaunen setzen, seine Wahl ist gros, und glücklich ausgeführt. Der Idyllendichter Geßner, nähert sich seinen Berken, vom Geschmacke des Nic. Pouhsin, Reize seines Naturlandes und drückt in seinen Werken der Kunst, so beredt auch als in seinen Idyllen, er sagt durch eine glückliche Manier mit wenigem sehr viel.       
Le Prince hat Rußland und einen Theil der Thartarey durchreißt, und schildert uns diese Gegenden sehr getreu, und so gar reizend, ob ich wohl beynahe glaube, daß die in diesem Blatte angebrachte Architecktur Erfindung ist und so kann man irren, in trüben Tagen bei Betrachtung dieser Werke verweilt, doch in die heitere Natur schauen....“
[74]

Durch die Naturbegeisterung im Zeitalter des Sentimentalismus war die erlebte „Landschaft“ in Mode gekommen. Der Brief zeigt, daß das Naturbild Oesers sich vorerst noch an der Kunst der realistischen Landschaftsdarstellung orientierte. Ihr schaute er die Richtlinien für seine Versuche ab, so daß der erlebte Eindruck in stetem Wechselspiel mit bekannten Vorbildern steht, die in der Darstellung integriert werden.[75] Nicht die Schilderung der Natur selbst ist das Wesentliche für Oeser an den Landschaften, sondern der starke subjek­tive Sinnenreiz, den die Natur auf ihn ausübt, den er intensiv in seine eigenen Blättern wiederzugeben versuchte, so daß der Betrachter ihn selber zu spüren vermeint.

Poesie und Größe, die über die einfache Nachahmung der Natur hinausgehen und das Ideal des Stils, erkannte Geßner wie Oeser im Werk von Claude Lorrain (1600-1682) und Nicolas Poussin. Wie der Brief zeigt, trat bei Geßner inzwischen zur antikisierenden Idylle auch das Ideal der realistischen Schweizer Landschaften, die er noch in der idealisierenden Weise eines Poussins erfaßte. Aus der Verbindung einer realen Landschaft (hier die Schweizer Berge und ihren Hirten) und einer zugrundeliegenden idealisierten Sichtweise (hier nach der des Poussin), ergibt sich laut Bernhard der Typus einer „Klassischen Idylle“.[76] In zahlreichen Arbeiten zeigt auch Oeser, daß er sich dieser Entwicklung angeschlossen hatte.[77]

 

 

-      Die Schweizer Idylle und italienische Vedute

Im Jahr des Werther (1774), mehr als 40 Jahre nach der entscheidenden Weichen­stellung durch Albrecht von Hallers Gedicht „Die Alpen“ (1729)[78], und 20 Jahre vor Joseph Anton Kochs (1768-1839) „Schmadribachfall“ hat die Alpenlandschaft in der Malerei und Zeichnung des 18. Jahrhunderts einen Höhepunkt erlebt. Von den „Schweizer Idyllen“ Geßners und den Bildern des Schweizer Landschaftsmalers Felix Meyer (1653-1715) und dem in der Schweiz ausgebildeten Frankfurter Künstler Franz Schüz (1751-1781) inspi­riert, zeichnete Oeser zahlreiche Alpenlandschaften und Gebirgs­motive nach (Abb. 39[79], 40).

Unter dem Einfluß des englischen Theoretikers Edmund Burkes und dessen Definition vom Begriff des „Erhabenen“ in seiner Schrift „A Philosophical Enquiry into the Origin of our Ideas and the Sublime and Beautiful“ (17571) und Immanuel Kants „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ (17641)[80] kam es zu einer Umwertung der unbändigen Naturkräfte der Alpen. Das Naturphänomen „Alpen“ wurde als Instrument zur Erzeugung heilsamer und ästhetisch auswertbarer Emotionen gesehen. Die Landschaftsmalerei leistete ihren eigenen Beitrag zu dieser (im wesentlichen für das bürger­liche Publikum bestimmten) Katharsis unter dem Angst erzeugenden Eindruck der entfes­selten Naturkräfte. Ganz dieser emotionalen Ergriffenheit erlag auch der Gartentheortiker Hirschfeld, wenn er schreibt:

„Ich ward in den Alpen von Empfindungen ergriffen, die ich nie gekannt, denen ich nie eine so außerordentliche Erhebung des menschlichen Herzens zugetraut hätte.“[81]

Die großartige, ursprüngliche Landschaft der Alpen, die damals unter dem Aspekt der erha­benen Natur begriffen wurde, forderte den Zeichner Oeser zu einer intensiven Auseinander­setzung heraus, die ihm neue Möglichkeiten eröffnete. Hier folgt Oeser einer Auffassung der Natur, die in der Schweiz schon viel früher ausgeprägt war als anderswo. Die beiden Schweizer Theoretiker Johann Jakob Bodemer (1698-1783) und Johann Jakob Breitinger (1701-1776) vertraten in ihren Dichtungen eine Naturauf­fassung, wonach die Alpen eine intakte und naive Welt waren.

Zur selben Zeit mehrten sich die wissenschaftlichen Bei­träge zur Erforschung der Schweiz, hier wären besonders die beiden Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) und Horace Bénédikt de Saussure (1740-1799) zu nennen. Ebenso dürften die damals weitverbreiteten Dichtungen Hallers und die „Briefe, die Schweiz betreffend“ (1776)[82] von Hirschfeld nicht ohne Einfluß auf Oeser gewesen sein. Das 18. Jahrhundert sah darüber hinaus in den Alpen und ihren Bewohnern entsprechend der idealen antikisierenden Idylle eine perfekte Einheit von Natur und Mensch, gleichzeitig galt das politische und gesellschaftliche System der Schweiz als Vorbild für bürgerliche Freiheit und Gleichheit. Haller entwickelt in Anleh­nung an die alte Utopie des Goldenen Zeitalters das Bild einer von den Alpen umschlos­senen Insel einer Einfachheit und Bedürfnislosigkeit und einer von Natur aus guten und unverstellten glücklichen Berg­bevölkerung. Das Bild der Gebirgswelt steht der städtischen Welt als Kontrast gegenüber. Aus dieser kritischen Gegenüberstellung sind die beiden fol­genden Landschafts­zeichnungen Oesers ebenso als Idyllenlandschaften aufzufassen. In der Zeichnung der „Teufelsbrücke über die Reuß in der Schöllschlucht bei Andermatt“
(Abb. 41)
[83], stellt Oeser das Verhältnis zwischen Mensch, Natur und zivilisatorischer Schöpfung dar. Im Vordergrund links zeigt er noch eine Pastorale mit einem zeitgenössisches Hirtenidyll, im Hintergrund ein hinabstürzender Wasserfall, der in seiner Erhabenheit ein typisches Motiv des Sturm und Drang war.[84] Die elementare Naturkraft des hinabstürzenden Wassers wurde auch als ein Symbol der Befreiung aufgefaßt. Oeser scheint das Motiv des Was­serfalls besonders angeregt zu haben, 1780 schickte er an Herzogin Anna Amalia eine Zeichnung mit dem „Rheinfall von Schaffhausen“[85] und den „Wasserfall des Velino bei Terni“ (Abb. 42). Offenbar handelt es sich es hier um eine Nachzeichnung nach einer Arbeit des Englischen Landschaftsmalers James Moor (1740-1793), über den Oeser der Herzogin begeistert berichtete:

„Es lebt nämlich in Rom ein junger Künstler, namens Moore, ein Engländer, der sich weder durch Gefahr, noch Hize, noch Armuth abhalten läßt, seltene Reize der Natur aufzuspüren, und aufs Papier zu bringen. Diese Zeichnung von den Wasserfällen bey Veccino Terni, auf dem Wege von Rom nach Loretto, zu denen man ohne Wegweiser, und ohne die gefährlichen Abgründe zu durch­klettern, nicht gelangen kann, geben einen Beweiß davon. Das Wasser soll von einer solchen Höhe herabstürzen, daß ein Theil davon, bevor es den Boden erreicht, zu Wolken wird, die über die Berge hinziehen. Wann nun Eur. Durchlaucht von diesem Künstler, und seinen Werken, oder von diesen wun­derbaren Sinnen der Natur, etwas lesen: so würde diese Zeichnung, eine Beschreibung vielleicht etwas deutlicher zu machen fähig seyn. Alle Entwürfe dieses jungen Künstlers sind groß und bewundernswürdig; [...].[86]

In gleicher Weise mögen die „Wasserfälle von Tivoli“ (Abb. 43) von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) [87] auch Oeser begeistert haben, die Generationen von Künstlern noch weit bis in das 19. Jahrhundert hinein in ihren Bann zogen. Die traditionellen Idyllenmotive wie sie Piranesi noch verwendet hat, sind bei Oeser noch vorhanden, aber bereits in den Hintergrund gedrängt. Vorne links im Bild zeigt sich ein zeitgenössischer Fischer mit seinem Netz auf einer Insel, oberhalb der Wasserfälle ist ein Hirte mit seiner Herde zu sehen. Rechts im Bild sind zwei badende Frauen dargestellt. Der Ort, an dem sie sich aufhalten, ist als „locus amoenus“ von einem Fels mit Gebüsch begrenzt.

Oesers Landschaften sind nicht als grandiose Kulisse heroischer Darstellungen aus der Geschichte und Religion konzipiert, nur manchmal, wie das Wasserfallmotiv belegt, schil­dert er ein dramatisches Naturerlebnis. Meist sind die Gegenden behagliche Objekte der Kontemplation; zu denen noch Darstellungen topographisch genauer Landschafts­ansichten hinzu kamen. Die Sperrung der Landschaft ist ein wesentliches Charakteristikum einer bürgerlichen Landschaftsauffassung. Die begrenzte überschaubare Landschaft war im Gegensatz zu einer unendlichen Weite ein typisches Zeichen für bürgerliches Wohlbehagen.[88]

Die Schweiz und Italien waren bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts beliebte Reiseziele. In Italien konnte die Antike studiert werden, die Schweiz galt als Synonym für natürliches Leben. Man suchte ein Land auf, wo sich ein freies Bürgertum gedanklich entfalten konnte, Voltaire (1694-1778) und Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) waren die großen Vorbilder. Die Alpen gewannen als Sujet im späten 18. Jahrhundert für die Malerei und Graphik immer mehr an Bedeutung. Die meisten Zeich­nungen Oesers nach Schweizer und Italienischen Landschaftsmotiven sind in der Graphi­schen Sammlung zu Weimar zu finden. Offenbar gibt es hierfür ein besonderes Interesse, das im Zusammenhang mit den Reisen des Weimarer Hofes nach Italien und in die Schweiz steht. Nachdem das Reisen im Sinne Lessings als ein empfindsames Erlebnis aufgefaßt wurde, weckten die zahlreichen Bildungsreisen das Bedürfnis nach realistischen Land­schaftsbildern und der Vedute.

 

  

 

5.    Vom holländischen Realismus zur heimischen Landschaft

-      Oeser, als Realist

Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die Kunst des Übergangs in der Landschaftsdarstellung vom „sentimetalen Naturalismus“ der Idyllen[89] zu einem Realismus holländischer Prägung, der sich bei Oeser vor allem an den Menschen und der Landschaft Hollands des 17. Jahrhunderts orientierte. Die holländische Gesellschaft wurde zum Vorbild einer bürgerlichen Kultur, die sich in Deutschland ein Jahrhundert später zu entwickeln begann. Einfachheit, Freiheit, Natürlichkeit und Verbundenheit mit der Landschaft waren die wesentlichen Charakteristika eines bürgerlichen Selbstverständnisses in Holland, an dem man sich in Deutschland zu orientieren begann.

Von der entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung ging die naturalistische Richtung der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts bruchlos in das nächste Jahrhundert über. Die Sehnsucht nach Natürlichkeit und bürgerlicher Freiheit, führten dazu, daß sich die Künstler neben der Schweizer Motivwelt an der holländischen Malerei und Graphik orientierten. Oeser zählt durch seine Reproduktionszeichnungen ebenso wie Christian Wilhelm Dietrich zu den wichtigsten Vermittlern der Niederländer, deren Landschaften zum Modell der Wirklichkeitsaneignung wurden. Nach dem holländischen Meister Aert van der Neer (1603/4-1677) zeich­nete Oeser eine „Holländische Kanallandschaft“ (Abb. 44)[90]. Das Blatt vermittelt durch seinen klaren Bildaufbau eine idyllische Ruhe, das Atmosphärische ist noch zu Gunsten des Malerischen zurückgedrängt. „Die Landschaft mit Wassermühle“ (Abb. 45) orientiert sich ebenfalls am holländischen Realismus, dabei entstanden nicht ausschließlich Imitationen, sondern unprä­tentiöse Naturbilder, die sich zwar an die ländlichen Motive der holländischen Vorbilder anlehnten, aber durchaus individuelle Züge besaßen.

In seiner weiteren Entwicklung wendet sich Oeser von der vornehmlich an der Dichtung orientierten und den nach Vorlageblättern entstandenen italienischen, Schweizer und holländischen Landschaften ab und schöpft seine Motive aus der Genialität seiner eigenen Phantasie und Anschauung, wie es der Geniebegriff des Sturm und Drang forderte. Die von Oeser komponierte „Landschaft mit Felsen“ (Abb. 46) stellt die Bedrohung und die Kleinheit des einsamen Wanderers in der Felsenwildnis dar, der „Marmorbruch bei Crottendorf (?)“ (Abb. 47) vermittelt die schiere Unbezwingbarkeit Natur durch den Men­schen und der Bauer mit seinem Gefährt in „Schönburg bei Naumburg“ (Abb. 48) verweist auf die Mühsal, die der Mensch gegenüber der Natur aufbringen muß. Gerade in der letztgenannten Zeichnung beschreibt Oeser die Armut und harten Lebens­bedingungen der wirklichen Landbewohner, deren Lebenswelt sie zum Gegenteil des edlen Hirten der Dichtung macht. Nichts erinnert mehr an eine harmonische Gemeinschaft der Idyllen.

An den letzten Beispielen kann gezeigt werden, wie Oeser der Übergang in der Landschafts­zeichnung von der idealen zur realen Idylle, vom holländischen Naturalismus zum Capriccio nun der Sprung zum reinen Realismus gelang. Wie in den folgenden Zeichnungen zu zeigen sein wird, wird jetzt der Landschaft der Kulissen­charakter genommen, aus den poetischen Gefilden entwickelt Oeser nun atmosphärische Himmel und elementare Vorgänge.

 

 

-      Die heimische Landschaft

In seiner realistischen Landschaftsauffassung war Oeser bereits früh von dem Maler Jakob Philipp Hackert (1737-1807) angeregt, durch den sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts die rea­listische Landschaftsmalerei in Deutschland durchsetzte. Über den in Rom lebenden Hackert berichtet Oeser in dem bereits erwähnten Brief an die Herzogin Anna Amalia folgende Zeilen:

„Haikert [sic] hingegen der ohne weitere Mahl, die Natur nachahmt, wie er sie findet, spielt als Landschaftsmaler die größte Rolle.“[91]

Oeser erkannte die Bedeutung, die Hackert im Kreis der deutschen Maler in Rom für die realistische Landschaftsmalerei einnahm. Wie seine zahlreichen heimischen Veduten bele­gen, wollte er sich der weitergehenden Entwicklung in der Landschaftsdarstellung nicht entziehen. Ziel war für ihn nun die Natur in ihrer Mannigfaltigkeit und all ihren Erschei­nungen darzustellen und löste sich gleichzeitig von der erzählerischen historischen Land­schaft. Darüber schreibt der Auktionskatalog zu seinem zeichnerischen Nachlaß von 1800:

„In Oesers Originalen wird man zum öftern die Staffage vermissen. Derselbe wünschet dem Gewöhnlichen auszuweichen, und nicht zu wiederholen, was man schon so vielfältig anzutreffen pflegt. Er ging darauf aus, interessante Gegen­stände zu suchen, (ohne daß sie eigentlich Geschichte enthielten) die er bey seinen Landschaften anbringen wollte, wurde aber von diesem Vorsatze durch mancherley Hindernisse oft abgebracht, daß manche ohne Staffage blieben.“[92]

Oeser hatte noch längst nicht den Realismus eines Hackerts erreicht. Wenig ausgearbeitet sind die kleinen Details im Vorder- und Mittelgrund. Gefühlsbetonte atmosphärische Stim­mung, die er durch eine Licht- und Schattenregie zu fassen suchte, dominieren weiterhin. In der Zeichnung „Eine Gegend nach der Natur, bey Hamburg“ (Abb. 49)[93] wurden die Lichtgegensätze deutlich herausgearbeitet; ein Großteil des Bildes wird von einem Gewit­terhimmel eingenommen. Die sich verdunkelnde See scheint sich langsam aufzuwühlen, der abfallende Küstenhang wird von dem aufgerissenen Himmel erhellt. Ebenso atmosphärisch sind die Landschaft bei „Herzogenwalde bei Dresden“(Abb. 50) oder die beiden Veduten zu Braun­schweig “Der Fallerslebische Turm zu Braunschweig“ (Abb. 51) und die „Stadtansicht von Braunschweig“ (Abb. 52)[94] angelegt, die seine Orientierung an holländischer Kunst des 17. Jahrhunderts und einem starken Wirklichkeitsbezug gleichermaßen erkennen lassen. Für den großen Schritt hin zur reinen realistisch klassizistischen Landschaftsdarstellung fehlte Oeser die Kraft und Rafinesse. Viel mehr ist seine sensualistische Ausrichtung bereits eher als eine Tendenz hin zur Landschaftszeichnung der Romantik zu verstehen. Das „Bauernhaus“ (Abb. 53)[95] oder die ländliche Gegend mit „Haus am See“ (Abb. 54) sind betont schlicht in der Auffassung gehalten. Das ländliche Idyll motivierte Oeser, nach einem angemessenen, d.h. natürlich-unprätentiösen Ausdruck zu suchen, wie er ihn von den Niederländern kannte. Die eigene Wahrnehmung sollte möglichst authentisch wiedergegeben werden.

Die letzte Zeichnung, die hier in diesem Zusammenhang vorgestellt werden soll, wird mit dem Titel „Wanderer im Nebel“ (Abb. 55) bezeichnet. Das Bild zählt in seiner atmosphärischen Unmittelbarkeit und Erlebnisfrische zu einer seiner vielversprechendsten Zeichnungen. Leicht stellen sich hier Assoziationen zur Romantik ein. Oeser scheint hier eine Zeichnung fern jeglicher akademischen Regelstrenge angelegt zu haben in einem fast anarchischen laissez-faire betont er hier die Subjektivität und Einmaligkeit seines schöpferischen Einfalls. Das Blatt zeigt ein präromantisches motivi­sches Neuland, das erst Caspar David Friedrich (1774-1840) mit seinen Nebellandschaften zur künstlerischen Blüte führen sollte.

Alles ist im Begriff sich aufzulösen, der klassisch akademische Bildaufbau aus Vorder-, Mittel- und Hintergrund wird nur noch angedeutet, auf Staffagen wird ganz verzichtet. Ein einsamer Mensch in einer pathetisch inszenierten Stimmungslandschaft. Ein solches Stimmungsmoment wird bei Hagedorn nach Albrecht von Haller zitiert: „Durch den zerfahrenen Dunst von einer dünnen Wolke, eröffnet sich im Nu der Schauplatz einer Welt.“,[96] wobei die unwegsame Natur beim Betrachter gleichzeitig ein Schaudern mit einem erhabenen Gefühl hervorruft.

Oeser vermittelt die Form der subjektiv erlebten Stimmungslandschaft in vielfacher Weise an seine Schüler weiter. In einem Brief an Oeser von 1780 berichtet der spätere Mann­heimer Galeriedirektor Ferdinand Kobell (1740-1799) über die Ratschläge, die ihm der Leip­ziger Akademiedirektor kurz zuvor für die Landschaftsdarstellung gegeben hat und ihn dabei zur Vollkommenheit führte. Er beteuerte aufgrund der Anregungen den Schluß zu fassen:

[...] mich [Kobell] in dem, wofür mein Gefühl reg wird, und das was meine Seele wie ein schwamm in sich faßte - und einsaugen kann - bis zur äußersten mir möglichen Vollkommenheit zu üben - und nichts in meinen Gemälden widerzugeben, als Empfindung! - Dies bester Herr und Freund sind die Ursachen, daß ich nicht gewagt meine Landschaften mit historischen Stafaschen, zu bereichern sondern mit dem stillen wandernden Landmann vorlieb nahm.“[97]

Kobell möchte gleichfalls ein persönliches Naturerlebnis in der Landschaft zum Ausdruck bringen, welches den Betrachter emotional bewegt. Letztendlich dürften Oesers Ratschläge ihren Ursprung in den Gedanken Hagedorns haben, der schreibt:

„Mahlet ein Künstler eine Landschaft: so überläßt er zuerst dem Gemüth den sanften Eindrucke der lachenden Gegend. Lieblicher grünen ihm die Wiesen und Felder unter schwankenden Schatten und spielendem Lichte - Unersteig­liche Felsen, Erinnerungen der von Haller beschriebenen Alpen, vermehren ein anderes mal die Empfindungen eines heiligen Schauers bey einer Einöde, wo vor Menschen verschlossenen Klüfte nur das Sonnenlicht durchlassen; und ein schneller Wasserfall die fürchterliche Stille mit rauschendem Getöse unter­bricht. Alles dies wirket auf seinen Geist, bevor er solche Wirkung durch den Pinsel und Farben weiter fortpflanzet.“[98]

Die Vorstellung von der subjektiven Wahrnehmung unter Anwendung der Vernunft, wie es Hagedorn 1762 ausführlich darstellte, finden sich bereits zwei Jahre später bei Oeser nieder­geschrieben. Er geht von einer Wahrnehmung der einzelnen Naturerscheinungen durch die Sinne des Künstlers aus, der während der bildkünstlerischen Umsetzung durch die göttliche Vernunft geleitet wird. Dabei ist interessant festzustellen, daß Oeser, noch bevor der Genie­begriff des Sturm und Drang definiert wurde, bereits davon ausging, daß nur der Künstler dank seiner göttlichen Begabung in der Lage sei und kraft seiner Sinne, seiner Vernunft und der Phantasie das Schöne in der Natur zu erkennen vermag, um dann die einzelnen beobachteten Elemente wie Wasserfälle, Felsen, Architektur etc. zu einer Landschaft höherer Ordnung zusammenzufügen. Oeser schreibt:

„Unsere Sinne, und unsere Vernunft, sind göttlich. Ohne die ge-/    
waltige Zauberkraft des künstlichen Auges, würde die/         
Erde noch immer ein rohes, ungefärbtes Chaos seyn. Gegen-/      
stände sind nur die Gelegenheit; unser ist die That; unser/  
ist die Leinewand, der Pinsel, und die Farbe, welche die /     
erstaunenswürdigen Gemälde der Natur schildert; und den /           
weiten Tempel der Schöpfung verschönert
[...]         
Welch ein Reichthum in der/  
Einbildungskraft die voller Glut, einen noch schönern Schau-         
platz zu erfinden strebt, als der ist, den die Sinne betrachten.
[99]

Trotz seiner mittlerweile erlangten Wirklichkeitsnähe, hält Oeser an dem Idealitätsanspruch fest, die Landschaft als eine die Wirklichkeit übertreffende Wunschwelt wiederzugeben. Er fordert eine über die reine Wiedergabe der Erscheinungs­welt hinausgehende Gestaltungsweise, eine idealisierende Natur­nachahmung, wie es dem Prinzip der Naturnachahmung (Mimeses) entspricht. Wobei für Oeser der Sinn der Kunst darin lag, die Natur nicht abzubilden wie sie ist, sondern wie sie sein soll. Daraus resultiert für Oeser die Aufgabe des Künstlers, in der Kunst durch bewußte Selektion und durch Verbesserung der einzelnen, in der Erscheinungswelt nur unvollkommen vorgegebene Dinge, die Natur zu übertreffen. Maßgeblich dafür ist seine Betrachtung der sichtbaren Welt auf ihre ideale Bestimmung hin.

 

 

 

6.    Zusammenfassung

Die größte Werkgruppe in Oesers Œuvre sind seine „Idyllen“-Darstellungen. Die drei Leip­ziger Tafelbilder entstanden in Anlehnung an Geßners Idyllen-Dichtungen. Das Bild „Et in Arcadia ego“ steht in der Tradition der zahlreichen Nachahmungen des Bildes von Poussin „Hirten von Arkadien“. Die Bilder Oesers übermitteln deutlich das Gedankliche der Gattung der bürgerlichen Idyllenmalerei. Er war bei diesen Arbeiten nicht darauf aus, pathetische Stimmungen zu erzeugen, sondern sanfte Gefühlsregungen. Das poetische Naturempfinden, das Oeser in seinen Zeichnungen zum Ausdruck bringt, hatte in Deutschland bis zur ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts keine Tradition. Obwohl eine Sehnsucht nach Realismus vorhanden war, vermochte die Künstlergeneration des Umbruchs bis zum Ende des Jahrhunderts diese noch nicht in ihrer reinsten Ausprägung vorzustellen. Die Landschaftsdarstellungen waren durch und durch sentimental. So ist ihre Bedeutung nicht da zu suchen, wo sie versuchen Realis­mus zu erzeugen, sondern da, wo sie gefühlsbetonte Stimmungen vermitteln möchten, wo ihnen die Lyrik und Poesie der Zeit, ebenso wie die Kunsttheorien und die Pädagogik als Programm zu Grunde liegen.[100] An den hier vorgestellten Idyllen- und Landschaftszeichnungen ist der „Geist und das Poetische“[101] der Dichter Theokrit, Geßner, Haller und Hirschfeld wie der Theoretiker Bodemer, Breitinger, Sulzer und Hagedorn unschwer herauszulesen.

Oeser zeigt in seinen Zeichnungen, denen eher eine privater Charakter zukommt, sehr viel mehr fortschrittlichere Tendenzen, wie in der offiziellen, repräsentativen Öl- und Plafondmalerei. Besonders in der Landschaftszeichnung beweist er größte Eigenständigkeit, eigene Charak­teristik und Erfindungsgabe. Zu Oesers Original­zeichnungen schreibt Rost:

„Diese Zeichnungen sind mehr freye Nachahmungen in verschiedenen Manieren als strenge Copien, in welche erstern sich, nach Oesers Meynung, ein jeder Künstler zur Erweiterung seiner Ideen und seinem Vergnügen machen soll, wie der Gelehrte seine Excerpta.“[102]

Die Zeichnungen überzeugen durch technische Brillanz, strukturierten Bildaufbau, genaue Licht- und Schattenführung ebenso wie in der eindeutigen Übermittlung einer Idee. Oeser durchläuft entwicklungsgeschichtlich gesehen sämtliche Gattungen der Idyllendarstellung. So finden sich in seinem Œuvre bukolische wie arkadische Idyllen, die pastorale ebenso wie die klassische Idylle. Am Ende der Entwicklung zeigen sich bei Oeser abgeschwächte For­men der heroischen Landschaftszeichnung, die dem „Sturm und Drang“ angehören genauso wie Landschaftsdarstellungen, die dem natürlichen Realismus zuzuordnen sind. Alle vorge­stellten Landschaftstypen gelten als typische Erscheinung einer bürgerlichen Kunstform.[103] Durch seine poetische Auffassung der Natur war Oeser gleichzeitig auch ein Wegbereiter der Romantik. Aus diesem Grund ist sein Einfluß auf die folgende Generation von Land­schaftsmalern und Zeichnern nicht zu unterschätzen.[104]

Die Bedeutung und der Aufgabenkreis der Zeichnung im allgemeinen und der Landschafts­zeichnung im besonderen wuchsen im Lauf des 18. Jahrhunderts immer mehr über die enge Werkstattzeichnung hinaus. In ihrem Rang wie in ihren Erscheinungs­formen eine reiche Vielfalt aufweisend, entwickelt sich die Zeichnung allmählich zu einer autonomen Kunstgat­tung. Vorerst war sie für die persönliche Naturandacht noch im Kabinettformat gehalten. Eine gesonderte Bedeutung fiel der Zeichnung nach ca. 1760 zu, als mit der zunehmenden Verbürgerlichung die Bewegung der Aufklärung in den Vordergrund des geistigen und künstlerischen Lebens trat. Die historische Erforschung der künstlerischen Ent­wicklung des 18. Jahrhunderts, vor allem aber der zweiten Hälfte, weist, was die genaue analytische Auf­klärung der Zusammen­hänge anbelangt, noch einen starken Rückstand auf.


 

[1] Rost, 1800, S. IVff.

[2] Cremer, 1989, S. 266ff.

[3] Keller, 1981, S. 101

[4] Hagedorn, Bd. I, 1762, S. 160

[5] Hagedorn, Bd. I, 1762, u.a., S. 648

[6] Hagedorn, Bd. I, 1762; S. 43, S. 158, S. 190

[7] Hagedorn, Bd. I, 1762; u.a. S. 38, S. 43, S. 112

[8] Hagedorn, Bd. I, 1762, S. 34

[9] Geßner, Salomon, „Briefe über Landschaftsmahlerey“, Zürich, 1770, S. 209; s. Maisak, Petra, Arkadien: Genese und Typologie einer idyllischen Wunschwelt, Frankfurt/M./Bern, 1981, S. 203ff.

[10] Gottsched, Johann Christoph, Versuch einer critischen Dichtkunst: durchgehends mit den Exempeln unserer besten Dichter erläutert, Leipzig, 1730; Bernhard, 1977, S. 27

[11] Mendelssohn, Moses, 85. und 86. Brief, 1760, in: Briefe, die Neueste Literatur betreffend,
V. Theil, Berlin, 1762, S. 115, S. 135; vgl. Bernhard, 1977, S. 9ff.

[12] Mendelssohn, 1762, S. 125, Bernhard, 1977, S. 10

[13] zit. nach: Bernhard, 1977, S. 21

[14] zit. nach: Bernhard, 1977, S. 22

[15] Balet/Gerhard, 1979, S. 291

[16] So weiß Charles Batteux (1713-1780) über Geßner bereits zu berichten: „Dieser Dichter hat in dem Geiste Theokrits gedichtet, doch hat er dabey alles vermieden, was uns Neuern bey dem alten Griechen zwar nach der Natur geschildert, aber ein wenig zu bäurisch dünkt. Im übrigen findet man hier gleiche Süßigkeit, gleiche Naivität, gleiche Unschuld in den Sitten. Seine Erfindungen sind mannichfaltig, seine Entwürfe regelmäßig, nichts ist schöner, als sein Ausdruck. Er hat zwar nur eine Prose gesungen, allein seine Prose ist so wohlklingend, daß wir den Klang des Theokritischen Verses nur sehr wenig vermissen“; zit. nach: Ramler, Karl Wilhelm, Einleitung in die Schönen Wissenschaften. Nach dem Französischen des Herrn Batteux, mit Zusätzen vermehret von Karl Wilhelm Ramler, Leipzig, 1774, S. 444ff.. In der anschließenden Besprechung werden folgende Beispiele angeführt: Amyntas, Myrtill und Thyrsis, Menalkas und Aschines der Jäger, Phyllis und Chloe, Alcimadure, Thyrsis und Thestylis, Silen. Oeser besaß sämtliche der 4 Bände von Ramlers Schriften in seiner Bibliothek; vgl. Rost, 1800, S. 478, Nr. 91

[17] Geßner, Salomon, Idyllen 1756, in: Gessner, Salomon, Idyllen, (Nachdr.), Hrsg., Voss, E. Theodor, Stuttgart, 19883, S. 66ff.

[18] Krüger, 1972, S. 36

[19] Bernhard, 1977, S. 189

[20] Das Blatt stammt aus der ehemaligen Sammlung Oesers, Rost, 1800, S. 109, Nr. 1088. „Nach Franceschini. Apollo, wie er die Herden des Admet weidet; derselbe sitzt auf einer kleinen Anhöhe unter schattichten Bäumen, und bläst auf der Flöte, kleine Kinder gaukeln um ihn her, und zwey Hirtinnen haben sich vor ihm ins Gras gelagert seinem Spiel zuzuhören; die eine reicht ihm, hingerissen von seiner Kunst, eine Rose, die zweyte blickt schmachtend zu ihm auf, und scheint mehr den schönen Hirten als seine Künste zu bewundern. Eine fleißige und vortreflich ausgeführte Zeichnung [...].

[21] Mendelssohn, 1762, S. 25, Bernhard, 1977, S. 10

[22] Das Blatt ist eine Kopie nach dem Kölner Maler Johann Anton de Peters (1725-1795), vgl. Kat. Die deutschen und Schweizer Zeichnungen des späten 18. Jahrhunderts, beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, bearb. v. Gröning, Maren; Sternath, Marie Luise; Hrsg. Oberhuber, Konrad, Wien, Köln, Weimar, 1997, S 183, Abb. 621

[23] Die lavierte Pinselzeichnung ist aus der Sammlung des Schweizers Johann Caspar Lavater gehörte zu den empfindsamen pietistischen Schwärmern seiner Zeit. So verwundert die am unteren Rand des Blattes angebrachte Beschriftung nicht, die lautet: „Hier Unsterblichkeit fühlen und Geister ahnen - wer kann´s nicht?“ Die gefühlsbetonte Bildunterschrift zeigt, wie sehr er dieses Blatt schätzte.

[24] Dürr, 1879, S. 241

[25] Engel, Johann Jacob, Die Poetik, 1783; in: Schriften, Bd. 11, Berlin, 1845, S. 55-83; vgl. Bernhard, 1977, S. 30f.

[26] Zu seine Intentionen für die 1756 entstandenen „Idyllen“ schreibt er in der Einleitung an den Leser: „Oft reiß ich mich aus der Stadt los, und fliehe in einsame Gegenden, dann entreißt die Schönheit der Natur mein Gemüth allem Ekel und allen den widrigen Eindrüken, die mich aus der Stadt verfolgt haben; ganz entzükt, ganz Empfindung über ihre Schönheit, bin ich dann glüklich wie ein Hirt im goldenen Weltalter und reicher als ein König.“ Geßner, 1756, Nachdr. 19883, S. 15

[27] Geßner, 1756, Nachdr. 19883, S. 15

[28] „Amyntas: Bey frühem Morgen kam der arme Amyntas aus dem dichten Hain, das Beil in seiner rechten. Er hatte sich Stäbe geschnitten zu einem Zaun, und trug ihre Last gekrümmt auf der Schulter. Da sah er einen jungen Eichbaum neben einem hinrauschenden Bach, und der Bach hatte wild seine Wurzeln von der erd´entblösset, und der Baum stund da traurig, und drohte zu sinken. Schade, sprach er, solltest du Baum in diß Wasser stürzen; nein, dein Wipfel soll nicht zum Spiel seiner Wellen werden hingeworfen seyn. Izt nahm er die schweren Stäbe von der Schulter; ich kan mir andre Stäbe holen, sprach er, und hub an, einem starken Damm vor den Baum hinzubauen und grub frische Erde; Izt war der Damm gebaut, und die entblößten Wurzeln mit frischer Erde bedekt, und izt nahm er sein Beil auf die Schulter und lächelte noch einmal zu frieden mit seiner Arbeit in den Schatten des geretteten Baumes hin, und wollte in den hain zurük um andre Stäbe zu holen; aber die Dryas rief ihm mit lieblicher Stimme aus der Eiche zu; solt ich unbelohnet dich weglassen? Gütiger Hirt! Sage mirs, was wünschest du zur Belohnung, ich weiß daß du arm bist, und nur fünf Schafe zur Weide führest. O wenn du mir zu bitten vergönnst, Nymphe, so sprach der arme Hirt; mein Nachbar Palemon ist seit der Ernde schon krank, laß ihn gesund werden! So bat der Redliche, und Palemon ward gesund; aber Amyntas sah den mächtigen Segen in seiner Herde und bey seinen Bäumen und Früchten, und ward ein reicher Hirt, denn die Götter lassen die Redlichen nicht ungesegnet.“; s. Geßner, 1756, Nachdr. 19883, S. 31. Das Leipziger Stammbuch gehörte einem K.T.L. Kämpfer aus Gera oder Leipzig, der vermutlich Theologiestudent in Leipzig war und zum Freundeskreis Oesers zählte. Die Eintragung Oesers entstand ungefähr zwischen den Jahren 1780 und 1790. Auf der linken Seite des Buches befindet sich die Zeichnung von Amyntas, wie er zum Schutz des Baumes einen Damm baut. Rechts daneben steht der ganzseitige Text. Dasselbe Motiv verwendet Oeser für das Stammbuch seines ehemaligen Schülers Wilhelm Gottlieb. Becker (1753-1813). Das Blatt trägt die Bezeichnung „Mein Freund Palemon ist krank...A. F. Oeser. 1775“.

[29] vgl. Rasch, Wolfdietrich, Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im Deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts, Halle, 1936

[30] „Die Zephyre: [...] Zweyter Zephyr: Bald wird ein Mädgen hier den Pfad vorübergehn, schön wie die jüngste der Grazien. Mit einem vollen Korb geht sie bey jedem Morgenroth zu jener Hütte, die dort am Hügel steht: Sieh, die Morgensonne glänzt an ihr bemoostes Dach; dort reichet sie der Armuth Trost, und jeden Tages Nahrung; dort wohnt ein Weib, fromm, krank und arm; zwey unschuldvolle Kinder würden hungernd am ihrem Bethe weinen, wäre Daphne nicht ihr Trost. Bald wird sie wieder kommen, die schönen Wangen glühend, und Thränen im unschuldvollen Auge; Thränen des Mitleids, und der süssen Freude, der Armuth Trost zu seyn. Hier wart´ ich, hier im Rosenbusch, bis ich sie kommen sehe: Mit dem Geruche der Rosen, und mit kühlen Schwingen flieg´ich ihr dann entgegen; dann kühl ich ihre Wangen, und küsse Thränen von ihren Augen. Sie das ist mein Geschäft“; zit. nach Geßner, „Die Zephyre“, 1772, Nachdr. 19883, S. 99. Oeser fertigte noch weitere Arbeiten, die auf Geßners Dichtungen zurückgehen, z.B. „Die Erfindung des Gesangs“, Rost, Verzeichnis von Original-Gemälden aus der Verlassenschaft des verstorbenen A.F. Oeser, Freye Nachahmungen, Leipzig, 1800, S. 7, Nr. 13 u. S. 53

[31] Burke, (Nachdr.), 19892, S. 79ff.

[32] Lessing Briefwechsel mit Mendelssohn und Nicolai über das Trauerspiel. Nebst verwandten Schriften Nicolais und Mendelssohns, Nachdr., Hrsg. Petsch, R., Darmstadt, 1910, S. 54

[33] Doktor/Sauder, 1976, S. 213

[34] Bachmann-Medick, 1989, S. 5

[35] Küster, 1773, S. 49f.

[36] Heydenreich, 1790, S. 51

[37] Campe, Johann Heinrich, „Wörterbuch der deutschen Sprache“, Bd. 1, Braunschweig, 1807/1811, S. 902

[38] Schubart, Chr. Fr. Daniel, „Das Glück der Empfindsamen“; in: Deutsche Chronik auf das Jahr 1774, Hrsg. Chr. Fr. Daniel Schubart, St. 31, Augsburg/Ulm, 1774, S. 247f.

[39] Sulzer, Bd. 2, 17922, S. 57

[40] Biedermann, Karl, Deutschland im 18. Jahrhundert, Bd. 2, Leipzig, 1880, Nachdr. Aalen, 1969, S. 1093f., S. 728; Kaiser, Gerhard, Klopstock, Religion und Dichtung, Gütersloh, 1963, S. 31. Betrachtet man die Beschreibungen Kreuchaufs von „Oesers neueste Allegoriegemälde“, Leipzig, 1782, verkörpern diese häufig christliche Tugenden, die vormals Heiligen zugesprochen wurden. Die Flucht in die Allegorie zeigt an, in welcher Krise sich die Kirche in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts befand.

[41] „hérétique“ = „ungläubige Ketzerin“; Salentin, Ursula, Anna Amalia, Wegbereiterin der Weimarer Klassik, Köln, Weimar, Wien, 1996, S. 54

[42] Brief Herzogin Anna Amalias aus Tiefurt vom 3. Oktober 1785 an Oeser, SHStAD, Loc. 3069, hier erstmals veröffentlicht; s. Herder, Bd. 15; 1967, S. 189-326; Bd. 26, 1968, S. 6-46, S. 99-147. Neben den Idyllen Geßners schuf Oeser zahlreiche Zeichnungen nach den Idyllendichtungen aus Herders zerstreuten Blättern: z.B. „Die Nymphe des Quells“, „Der neue Paris“; Rost, 1800, S. 120, Nr. 1137, 1339

[43] Hagedorn, Bd. I, 1762, S. 449f.

[44] Im reifen Klassizismus traten gelegentlich auch die sogenannten „Zimmerporträts“ auf, die dann in der Bildniskunst der Frühromantik und des Biedermeier-Realismus eine so wesentliche Rolle spielen sollten. Unter den Kritikern der Geßnerschen Idyllen war es vor allem Goethe, der sich für die realistische Idylle einsetzte. Bernhard, 1977, S. 59ff, Dürr, 1879, S. 177

[45] Hagedorn, Bd. I, 1762, S. 450

[46] Kreuchauf, 1782, S. 78ff.

[47] Geßner, 1772, Nachdr. 19883, S. 100ff.

[48] Kreuchauf, 1782, S. 84f.

[49] Über die Sehnsucht nach einer besseren Welt schreibt Geßner über Theokrit: „Bey ihm findet man die Einfalt der Sitten und der Empfindung am besten ausgedrückt, und das Ländliche und die schönste Einfalt der Natur; [...]. Seine Hirten hat er den höchsten Grad der Naivität gegeben, sie reden Empfindungen, so wie sie ihnen ihr unverdorbenes Herz in den Mund legt,[...].“; Geßner, 1756, Nachdr. 19883, S. 17. Diese wenigen Auszüge aus Geßners Vorwort zu seine „Idyllen“ lassen deutlich werden, daß Naturflucht, Empfindsamkeit und Idylle sich gegenseitig bedingten.

[50] Kreuchauf, 1782, S. 86f.

[51] Geßner, 1770, S. 220f.; Giovanni Alvise Casanova (1730-1795)

[52] Börsch-Supan, 1988, S. 117

[53] Louvre, Paris, 1630/35, Lit.: Verdi, Richard, On the Critical Fortunes - and Misfortunes - of Poussin´s „Arcadia“; in: The Burlington Magazine, Bd. CXXI, No.911, London, 1979

[54] Panofsky, Erwin and Gerda, „The tomb in arcady“ at the „Fin-de-Siècle“, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Bd. XXX, Köln, 1968, S. 287ff.

[55] Bernhard, 1977, S. 157ff. Bernhards Ausführungen bilden die Grundlage für die Interpretation des Bildes von Oeser.

[56] Panofsky, 1968, S. 299

[57] Der Gleim-Freund Heinrich Wilhelm Bachmann (1706-1753), an den der Brief gerichtet ist, dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach identisch mit dem „Herrn Bachmann in Magdeburg“ sein, aus dessen Sammlung Oeser 1765 ein Rembrandtsches Gemälde „Saul bei der Hexe von Endor“ radierte. Bachmann war (nach Waldemar Kawerau „Aus Magdeburgs Vergangenheit“, Halle, 1886), ein kunstsinniger, vielseitig begabter Mann. Er war auch literarisch tätig und stand zu Gleim in naher Beziehung. Gleim erwähnt in dem Brief ein Oesersches Gemälde „Arkadien“, das Bachmann zugleich mit einem anderen „Stück von Oesers Hand“ besitzt und schlägt dem „liebsten Freund“ vor, Oeser möchte das Gemälde noch einmal wiederholen, wobei die auf dem Bild angebrachte Grabinschrift statt: „Ich lebe auch in Arkadien“ „Von Kleist ward ich geliebt“ lauten sollte. Brief Gleims vom 24. Oktober 1760 aus Halberstadt an Bachmann in Magdeburg, UBL Rep VI 25 zh 3.

Die Datierungen zu diesem Bild werden im allgemeinen in der Literatur in den Jahren 1767-1777 angegeben; vgl. Panofsky, 1968, S. 301. Aufgrund des Briefs von Gleim muß angenommen werden, daß Oeser das Bild noch vor 1760 gemalt hat; es kann somit als eines der frühesten bekannten Arbeiten des Künstlers betrachtet werden.

[58] Panofsky, 1968, S. 301, Geßner, 1758, Nachdr., 19883, S. 159

[59] Ein Hauptproblem bei der Idylleninterpretation ist die Abgrenzung verschiedener Gattungen. Panofsky spricht hier von „transience“, das es der Idylle möglich macht, von einem Zustand in eine anderen hinüberzuwechseln. In diesem Wechsel der Gattungszugehörigkeit sieht er in der Idylle gleichzeitig ein Motiv der Vergänglichkeit (allegorie of transience), die das Schwinden aller Realität verdeutlicht.

[60] Panofsky, 1968, S. 299

[61] Panofsky, Erwin, Et in arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen, in: Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln, 1975, S. 364

[62] Krüger, 1972, S. 130ff.

[63] Doktor, 1975, S. 487

[64] Bernhard, 1977, S. 190ff.

[65] Herder, 1967, Bd. 23, S. 300

[66] Lammel, 1986, S. 78

[67] Bernhard, 1977, S. 32

[68] Maisak, 1981, S. 213ff.

[69] zit. nach: Bernhard, 1977, S. 33

[70] „Wo gibt´s denn Schäfer wie diese? Was? Das Schäfer, das sind kuriose Leute, die, weiß der Henker wie, leben, fühlen nicht, wie wir andre Menschen, Hitze oder Kälte, hungern oder dürsten nicht, leben nur von Rosentau und Blumen und was des schönen, süßen Zeugs noch mehr ist, daß sie bei jeder Gelegenheit einem so widerlich entgegenplaudern, daß einem mein Seel wider den Mann geht.“; zit nach: Maler Müller, Idyllen, Hrsg. Otto Heuer, Leipzig, 1914, S. 9

[71] zit. nach: Bernhard, 1977, S. 40

[72] Bernhard, 1977, S. 34f.

[73] Eschenburg, Johann Joachim, Entwurf einer Theorie und Literatur der schönen Redekünste, Berlin, 18053, S. 114; vgl. Bernhard, 1977, S. 26f.

[74] Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStW), Hausarchiv, Abth. A. XVIII No. 82 4/5, der Brief ist datiert auf: Leipzig, den 23. Juni 1779; hier erstmals veröffentlicht. Der von Oeser im Brief genannte österreichische Maler Franz Edmund Weirotter (1730-1771), der vielfach auch für Johann Georg Wille in Paris tätig war, zählt zu einem der frühen Vertreter der nichtpastoralen Idylle. Seine realistischen Idyllen stellen das einfache Leben seiner Zeit dar, die in einer Antithese zur bürgerlich städtischen Welt stehen. Der Goethe Freund und spätere Kritiker Oesers in den Propyläen Johann Heinrich Meyer würdigt die „poetische Erfindungsgabe“ Felix Meyers, die für Oeser vorbildlich war; vgl. Meyer, 1974, S. 291

[75] Daß ein solches Verfahren durchaus üblich war, bezeugt Salomon Geßners „Briefe über Landschaftsmahleref“, in denen er 1770 seinen künstlerischen Werdegang schildert. Er verfuhr nach dem Prinzip, die Natur über alles zu stellen und versuchte zunächst, unmittelbar nach ihr zu arbeiten, scheiterte dabei aber kläglich, denn, so argumentiert er, „Mein Auge war noch nicht geübt, die Natur wie ein Gemälde zu betrachten. [...] Ich fand also, daß ich mich zuerst nach den Künstlern bilden müsse.“, S. 94

[76] Bernhard, 1977, S. 183ff.

[77] Für Oeser war Geßner nicht nur thematisch ein Anreger, sondern er kopierte auch seine Zeichnungen. Z. B. befinden sich eine Zeichnung Geßners und die Kopie Oesers in der Kunstsammlung Weimar Inv.Nr. KK 733 u. KK 4050; vgl. Kat. Helvetien in Deutschland, Hrsg. Bircher, Martin, Lammel, Gisold, Weinheim, 1990, S. 94, Abb. 43 u. 172

[78] Haller, Albrecht v., Die Alpen und andere Gedichte, Ausw. und Nachw. v. Adalbert Elschenbroich, (Nachdr.), Stuttgart, 1994

[79] Kat. Die deutschen und Schweizer Zeichnungen des späten 18. Jahrhunderts [...], 1997,
S. 241f, Abb. 811. Hierbei handelt es sich um das Hospiz am Großen St. Berhard in der Schweiz.

[80] Kant, Immanuel, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, (Nachdr. d. 1. Aufl. v. 1764), Frankfurt/M., 1993

[81] Hirschfeld, Christian Cay Lorenz, Theorie der Gartenkunst, Leipzig, 1780, Bd. 3, S. 187, Nachdr., Hildesheim, 1973

[82] Hirschfeld, Christian Cay Lorenz, Briefe, die Schweiz betreffend, Frankfurt/M./Leipzig, 1776

[83] Vermutlich handelt es sich bei diesem Blatt um eine Kopie nach dem Schweizer Künstler Peter Birmann (1758-1844), Kat. Die deutschen und Schweizer Zeichnungen des späten 18. Jahrhunderts, Wien, Köln, Weimar, 1997, S. 30, Abb. 43

[84] s. Schefold, Max, Der Wasserfall als Bildmotiv, Anregungen zu einer Ikonographie, in: Aachener Kunstblätter, Nr. 41, 1971, S. 274-289

[85] Der Brief ist datiert: Leipzig, den 15. März 1780, ThHStW, Hausarchiv, Abth. A. XVIII No. 82 10/11; vgl. Abb. (o. Nr.) More, James, „Wasserfälle von Terni“, 1785/86 in: Seemann, Annette, Goethes Leben und seine Beziehung zur bildenden Kunst; in: Kat. Goethe und die Kunst, Hrsg., Schulze, Sabine, Frankfurt/M./Weimar, 1994, S. 597. Der „Rheinfall von Schaffhausen“ könnte ebenfalls eine Kopie nach Peter Birmann sein, vgl. Kat. Die deutschen und Schweizer Zeichnungen des späten 18. Jahrhunderts, 1997, S. 33, Abb. 55

[86] Der Brief ist datiert: Leipzig, den 8. Juli 1781; hier erstmals veröffentlicht, ThHStW, Hausarchiv, Abth. A. XVIII No. 82 23/24; hier erstmals veröffentlicht, s. Quellentext Nr. 3. Gerade weil Oeser das Bild Moors schätzte, ist eine Gegenüberstellung Meyers Meinung über Moor interessant, die ihre unterschiedliche Betrachtungsweise offenlegt. Meyer schreibt in seiner „Geschichte der Kunst“: “ Mor [sic], welcher zwischen 1780 und 1790 zu Rom arbeitete, macht seiner Nation nicht weniger Ehre, seine Erfindungen sind dichterisch und die Ausführung verdienstlich.“ Er bezeichnet Moor zwar als „vorzüglich“, schränkt aber gleichzeitig ein, daß er neben anderen Künstler versuchte: „wirklich nach den großen Mustern des 17. Jahrhunderts poetisch erfundene Landschaften zu liefern; doch so rühmlich auch ihre Bemühung war, so war doch ihr Streben von keinem glänzenden Erfolge gekrönt, und wenn sie auch unter ihren Zeitgenossen Lob verdienten, so blieben sie doch weit hinter den großen Vorbildern zurück und haben keine Werke geschaffen, die eigentlich klassisch genannt werden könnten.“, Meyer, 1974, S. 301ff.

[87] Kat. Goethe, Boerner und die Künstler ihrer Zeit, Düsseldorf, 1999

[88] Balet/Gerhard, 1979, S. 75

[89] Hamann, Richard, Geschichte der Kunst, Berlin, 1935, S. 726

[90] Rost, 1800, S. 131, Nr. 1210; Dieses Blatt wurde ebenfalls von dem Oeser Schüler Johann Sebastian Bach (1748-1778) kopiert, Kat. Die deutschen und Schweizer Zeichnungen des späten 18. Jahrhunderts, 1997, S. 24, Abb. 23

[91] „Der Rath Reifenstein [Johann Friedrich Reiffenstein 1719-1793], der den Cicerone macht führt alle Fremden zu ihm, und Haikert [sic] bewirthet die Fremden Herrschaften auf seinem gemietheten Landhauße, aufs prächtigste zu vielen Tagen, daß diese in Verlegenheit kommen, und Arbeiten kaufen, und theuer bezahlen.“; Brief Oesers aus Leipzig vom 8. Juli 1781 an Herzogin Anna Amalia, ThHStW, Hausarchiv, Abth. A. XVIII No.82 23/24; hier erstmals veröffentlicht, s. Quellentext Nr. 3

[92] Rost, 1800, S. 129f.

[93] Das Blatt befand sich im Nachlaß Oesers. Der Auktionskatalog von 1800 bemerkt hierzu unter Nr. 1175: „Eine Gegend nach der Natur, bey Hamburg. In der Ferne Hamburg, im Vordergrund die Elbe mit einem Schiffe; die spielenden Wellen, der Duft des Wassers mit dem bedeckten Himmel sind glücklich ausgedrückt, getuscht, quer fol.“; Rost, 1800, S. 125, No. 1175

[94] Die Ansicht von Braunschweig dürfte 1778 während der Reise Oesers zusammen mit der Herzogin Anna Amalia in ihre Heimatstadt entstanden sein.

[95] Das Blatt entstand nach einer Vorlage von Franz Schütz, Kat. Die deutschen und Schweizer Zeichnungen des späten 18. Jahrhunderts, 1997, S. 238, Abb. 795

[96] Hagedorn, Bd. I, 1762, Hagedorn zit. nach v. Haller, S. 43

[97] Brief Ferdinand Kobells aus Mannheim vom 18. August 1780 an Oeser, in: Wissenschaftl. Beilage, Leipziger Zeitung, No. 55, Leipzig, 1886, S. 325f. Oeser berichtet von seiner Reise nach Mannheim 1780 über die Zusammenkunft mit Kobell: „Kobell ist alle Zeit mit dabei den alles schätzt, er ist ein Mann von der feinsten Lebensart, und der heiteren Geist hat.“; UBL Kestner ICI 648; hier erstmals veröffentlicht

[98] Hagedorn, Bd. I, 1762, Vorwort, S. XII

[99] Oeser, Adam Friedrich, moralphilosophische Aufzeichnungen, 1764, S. 1f, SLBD, Mscr.Dresd.App.525; hier erstmals veröffentlicht, s. Anm. Nr. 1, Lit.: Katalog der Handschriften der sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, Bd. V, Dresden, 1986, S. 70

[100] Hamann, 1925, S. 58f.

[101] Nationale Forschungs- u. Gedenkstätten der klass. Deutschen Literatur in Weimar Hrsg., Titelkupfer zu Wielands Werken 1818-1882, Weimar, 1984, S. 8

[102] Rost, 1800, S. 117

[103] Balet/Gerhard, 1979, S. 291

[104] Zu nennen sei hier eine kleine Auswahl derer, die z. T. auch zu einer über die Grenzen Deutschlands hinausgehenden Bedeutung gelangten, z.B. August Ludwig Stein (1732-1814), Christian Eberhard Eberlein (1749-1804), Carl Benjamin Schwarz (1757-1813) Eberhard Siegfried Henne (1759-1828) Christoph Nathe (1753-1806), Johann Christian Reinhart (1761-1847) und Jakob Wilhelm Mechau (1748-1808).




















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