Die Beurteilungen des
künstlerischen Werkes Oesers unterlagen einem stetigen Wandel. Sie sollen im
folgenden Kapitel auf ihren heutigen Geltungswert hin untersucht werden. Denn es
ist zu hinterfragen, warum Oeser zu seinen Lebzeiten als ein herausragender
Künstler galt und nach seinem Tod einer fast ausschließlich negativen Bewertung
unterlag.
Dabei soll an ausgewählten Beispielen eine Genealogie des Kritikverlaufs über
zwei Jahrhunderte bis heute aufgezeigt werden. Der Bruch erfolgte mit dem 1800
in den Propyläen von Goethe und Heinrich Meyer veröffentlichtem Urteil über
Oeser, das maßgeblich für alle späteren Bewertungen des Künstlers wurde.
Zugleich geben die verschiedenen Meinungsbilder des 20. Jahrhunderts Aufschluß
über den heutigen Forschungsstand zur Person Oesers.
Größte Wertschätzung wurde Oeser
seitens seiner Schüler zuteil. In der Vermittlung von Theorie und handwerklichen
Fähigkeiten lag seine große Stärke. Seine Schüler dichteten bereits drei Jahre
nach Gründung der Leipziger Akademie 1767:
„In Deiner Kunst lebt noch mit
seinem ganzen Ruhm/
Athens und Roms geprießnes Alterthum:/
Das Unnachahmliche, das uns mit jenen Zeiten/
verloren ging, rufst Du aus ferner Nacht zurück, /
und weißt sein ganz Verdienst auf jedes Meisterstück/
Von Deiner Hand mit Einsicht auszubreiten.
[...]
Die Betonung auf das Altertum
verweist auf eine Vermittlung der Theorien Winckelmanns durch Oeser an seine
Schüler. Oeser selber verfaßte zwar keine Anleitungen über seinen Kunst- und
Zeichenunterricht, dafür waren es ehemalige Schüler, die Lehrbücher für den
Zeichen- und Malunterricht für ein breiteres Publikum niederschrieben. Als
Vorlage diente ihnen dabei der Unterricht Oesers aus eigener Anschauung. In den
beiden hier angeführten Schriften bringen zwei Schüler ihre persönlichen
Wertschätzung gegenüber ihrem früheren Lehrer zum Ausdruck. Leonhard Hoffmann
(1740- um 1808) verfaßte 1786 eine Untersuchung über die Farbenlehre, für
welche sich später auch Goethe interessierte:
„Nicht jeder Direktor ist ein
Oeser, und ich sage nicht zu viel, wenn ich ihn den einzigen nenne, in welchem
man die Eigenschaften alle vereinigt antrift, die sonst unter vielen getheilt
kaum gefunden werden; in den beyden ersten der bildenden Künste, Mahlerey und
Bildhauerkunst, gleich groß; durchdringendes Genie, welches sein Suiet gleich in
seinem ganzen Umfang der Wahrheit gemäs denkt, es mit Scharfsinn und
Selbstgefühl verädelt, und mit einer bezaubernden Leichtigkeit ausdrückt;[...].“
Dreizehn Jahre nach Oesers Tod
schreibt sein ehemaliger Leipziger Schüler Adolf Rossmässler (1770-1821) in
seiner Abhandlung zur Zeichenlehre:
„Übrigens dient der auf dem
Titel befindliche Name eines Oeser keineswegs zum lockenden Aushängeschild, ich
hielt es vielmehr für meine Schuldigkeit, ihn darauf zu bemerken, weil ich nicht
nur die in diesem Werk ausgestellten Grundsätze diesem grossem Künstler
ausschließend verdanke, sondern wie auch die meisten, besonders die
Fundamentellblätter, nach seinen Originalzeichnungen gestochen sind.“
(Abb. 10).
Beide Autoren schätzen Oeser
nicht nur als Pädagogen, auch als Maler, Bildhauer und Zeichner wurde er von
ihnen gleichermaßen bewundert. Für seine Schüler hatten sein Unterricht und
seine Kunst auch über seinen Tod hinaus große Bedeutung. So dichteten sie zum
Tode ihres verehrten Lehrers:
„Den Olympos zaubert Er
hernieder;/Schuf das Alterthum verjüngend wieder;/ Hellas Meister sind mit ihm
erwacht./ Seele strahlt aus jeglichem Gebilde/ Seiner Schöpfung, und aus
Herzensmilde/ Und der Friede, der Sein Aug´umlacht.“
Ein Schüler, der Oeser erst ab
1790 an der Akademie in Leipzig aufsuchte, und nach Johann Friedrich August
Tischbein sein späterer Nachfolger als Direktor des Instituts wurde, war Hans
Veit Schnorr von Carolsfeld. Obwohl er bereits einen ausgeprägten
protoklassizistischen Stil verfolgte, bekundet er für seinen Lehrer größte
Bewunderung. An dessen Tochter Friederike (1748-1829) schrieb er:
„[...],
so zeichnete ich, indem mir die große Liebe zu Ihren lieben Vater die Hand
führte, Sein Bildniß, u. ich glaube es beynahe ganz getroffen zu haben, so
lebhaft war es in meiner Seele eingedrückt. Die Freude über die gelungene
Unternehmen war unbeschreiblich da ich Ihn im Bilde alle Tage sehen konnte “.
Heinrich Friedrich Füger, der
ehemalige Leipziger Schüler Oesers und spätere Direktor der Wiener
Kunstakademie, gehörte wie sein Lehrer, einer Generation des Übergangs an. Beide
werden als Überwinder des Rokoko eingestuft.
Noch als angesehener Direktor in Wien bezeugte er gegenüber Friederike Oeser
größte Hochachtung für seinen ehemaligen Lehrer:
„Glauben Sie mir, daß ich in den
Wert ihres Beifalls unendlich hoch schätze, weil ich in Ihnen stets den großen
Künstler verehrt habe, dessen Geist den guten Geschmack in den bildenden Künsten
in dem aufgeklärten Sachsen verbreitete.“
Oeser war
mit den führenden Repräsentanten der Aufklärung - Wieland, Klopstock, Campe,
Hagedorn, Lessing und Herder - freundschaftlich verbunden. Er genoß nicht nur
Hochachtung bei seinen Schülern, auch zahlreiche zeitgenössische Künstler,
Dichter und Sammler fanden äußerst respektvolle Worte gegenüber seiner Kunst.
Der berühmte Kupferstecher Johann Georg Wille (1719-1803) in Paris äußerte sich
begeistert darüber, eine Zeichnung von Oeser zu besitzen:
„Die wohlgemachte Zeichnung
welche ich von ihrer Hand besitze muß jeden Kenner reizen und ihm das Verlangen
eingeben, in diesem Umstande, an meiner Stelle zu seyn.“
und weiter
schreibt er: „Ich
habe letzthin den ersten Band der neuen Bibliothek unseres Freundes H. Weiße
erhalten. Vor dieser fand ich einen kleinen radierten Kupferstich, welcher so
voller Weisheit war, daß ich ausrief: ein fühlender Oeser allein ist vermögend,
solchen Geist anzubringen.
[...]
Möchten doch die
deutschen guten Bücher mit dergleichen Kupferstichen versehen, mit lateinischen
Buchstaben auf gutes Papier gedruckt, erscheinen.“
Oesers
unmittelbarer Vorgesetzter Hagedorn schätzte neben dessen Lehrfähigkeit als
Direktor der Leipziger Akademie auch seine künstlerische Arbeiten, wie er in
einem „Geheimen Vortrag“ von 1771 an den Dresdener Hof berichtet:
„Seine Stärke ist Geschmack,
Belesenheit, Allegorie und nicht sowohl die Staffelei, die Dekorationsmalerei
für Deckenstücke und Theater.“
Im Vergleich zu Hagedorn, der
sich in seiner Bewertung nüchtern und sachlich ausdrückt, ist der Dichter
Christoph Martin Wieland (1733-1813) emotional von Oesers Arbeiten ergriffen.
1770 schreibt er an den Dichter Gleim:
„Oeser ist ganz und gar ein Mahler und Mann
nach meinem Herzen.“
Für Wieland hat das Herz die
Bedeutung eines „empfindsamen Herzens“, das ganz in der Tradition des
Sensuellen, auf das moralisch Gute gerichteten Gefühls steht, als Vorbild für
eine menschlichere und sittlichere Haltung. Berührungspunkte zwischen Wieland
und Oeser ergeben sich über ihr gemeinsames Griechenbild. Wieland hat sich von
dem absoluten Zwang, die griechische Kunst nachzuahmen, in seiner Kunst- und
Lebensphilosophie distanziert, die er in seinen „Gedanken über die Ideale der
Alten“
präzisiert. Dies entspricht der Einstellung Oesers, für den ebenfalls galt:
„die Alten studieren, und copieren ißt nach meinen
Begriffen zweierley.“
Für beide bestand das Geheimnis der Kunst in der
idealistischen Vorstellung, die Natur zu übertreffen und sich dabei lediglich an
der Antike zu orientieren.
Die Gelehrten Deutschlands -
hierzu zählten neben Wieland und Wille unter anderen Winckelmann, Gellert und
Goethe - schätzten Oesers Buchillustrationen. Sie ließen zahlreiche ihrer
pädagogischen, religiösen oder moralischen Schriften bei ihm illustrieren oder
mit einer Vignette verzieren. Besonders durch seine Buchillustrationen fand
Oeser bei den damaligen Leipziger Verlegern hohes Ansehen. 1770 schreibt Wieland
an den Verleger Reich, Oeser und er hätten „durch eine
so glänzende Ausgabe, dem Autor und der ganzen Nation Ehre gemacht.“
Im selben Jahr schreibt er noch an Sophie von La Roche
(1731-1807):
„[...]
cet esprit des beaux arts, que mon digne ami Oeser a scu y exciter.
[...]
cet
ami Oeser est un de ces hommes de génie, que la nature produit assez rarement,
c´est de tous les gens de mérite que j´ai vu à L[eipzig] celui que j´ai trouve´
le plus selon mon coeur.“
Der Philanthrop und
Aufklärungspädagoge Heinrich Campe wollte ebenfalls ein pädagogisches Lehrbuch
von Oeser illustrieren lassen. Für ihn war Oeser neben Chodowiecki offenbar der
einzige Künstler, der in Zeichnungen und Illustrationen Gemütsregungen durch
sanfte Empfindung zu erreichen vermochte.An Oeser schreibt er hierzu:
„Ich stehe in Absicht eine
kleine Seelenlehre für Kinder auf meine Kosten drucken zu lassen. Hierzu
brauche ich wahrscheinlich Kupfer von der Art, wie diejenigen Stücke, die
Chodowiecki zu Basedows Elementarbuch verfertigt hat. Einige derer, bei denen es
darauf ankommt, bestimmte Gemütserregungen auszudrücken, wünschte ich von
Ihnen, theuerster Freund, gezeichnet, und unter Ihrer Aufsicht gestochen zu
haben.“
Daß Oeser nicht nur im
deutschsprachigen Raum hohes Ansehen genoß, belegt der Aufseher der königlich
Dänischen Kunstkammer Lorenz Spengler (1767-1839). In großer Begeisterung
spricht er „etwas von der Hand eines großen Oesers zu besitzen“. Über das
von Oeser gemalte Bild schreibt er:
„[...]
ich bin gewiß in meiner Erwartung nicht getäuscht worden. Eine ganz
vortreffliche Mahlart, ganz original, die keine Gemeinschaft mit anderen Werken
der Kunst berühmter Meister hat. Welch eine schöne Natur und der liebliche Ton
der in dem ganzen Gemälde herrscht ! alles ruhig und sanft wie der Schlaf der
darin angebrachten 3 Personen.
[...]“
Der „liebliche Ton“ und
daß alles „ruhig und sanft“ ist, kann ganz allgemein als eine
Charakteristik der Ölbilder Oesers bezeichnet werden. Obwohl die Spätphase der
Empfindsamkeit und die Kritik an einer übertriebenen lieblichen und süßlichen
Grazie bereits ihren Höhepunkt erreicht hatten, stehen Oesers Bilder offenbar
noch voll und ganz in der Gunst ihrer Betrachter und Besitzer. Noch 1791
bewunderte der Kulturphilosoph Friedrich von Schlegel (1772-1829) Oeser wegen
seiner geistigen Nähe zu Winckelmann, in dem er an seinen Bruder August Wilhelm
(1767-1845) schreibt:
„Vor einigen Tagen brachte ich
einen Nachmittag bey Oesern zu. Ich wünschte Du könntest ihn sehen; es war
wirklich als ob ich Winckelmann als Greiß reden höre. - er kann nichts als
erzählen, zu raisonniren ist er nicht fähig: erzählen - oder mahlen hätte ich
sagen sollen. Sein Gespräch ist so bestimmt so energisch so fest und so
anmaßungslos wie Winckelmanns Styl. Er hat Genie“
Die meisten Kritiker des 18.
Jahrhundert konnten Oeser und seine Arbeiten noch ohne Mühe in der Nähe des
formalen klassizistischen Ideals eines Winckelmann sehen. Dies waren vor allem
diejenigen, die ihr Klassizismusbild zu diesem Zeitpunkt noch aus der Theorie
schöpften und selber nie in Italien waren und die Antike aus eigener Anschauung
erlebt hatten.
Oesers
Arbeiten gaben immer wieder Anlaß zu Besprechungen und Rezensionen in den
zeitgenössischen Literaturzeitschriften. Die „Neue Bibliothek der schönen
Wissenschaften und freyen Künste“ bespricht 1768 das von Oeser illustrierte
Buch „Johann Peter Uz , Sämtliche poetische Werke,
Leipzig 1768“.
Der Rezensent stellt dabei lobend heraus, daß sich
Oeser bei seiner Vignettengestaltung zwar an der Antike orientierte, er sie
jedoch nicht copiert, sondern sie nach seinen eigenen Ideen dem Zeitgeschmack
entsprechend umgestaltete.
Die Zeitschrift „Deutsches Museum“ feierte Oeser 1782 als einen der
„größten Künstler“ und „großes Genie“, welches
„die größte Hochachtung verdient.“
In seiner Geisteshaltung war das „Deutsche Museum“
nationalistisch ausgerichtet. Klopstock galt für das Blatt als der
Hauptvertreter der vaterländischen Dichtung.
Daß Oeser ganz den ideologischen Intentionen Klopstocks entsprechen sollte,
belegt mitunter auch ein vom Reformator der Ungarischen Sprache und Literatur
Ferenc Kazinczy (1759-1831) an ihn Anfang der 90er Jahre erteilter Auftrag, ein
Titelblatt für ungarische Übersetzung des deutschen „Messias“ von
Klopstock zu entwerfen. Hierfür schuf Oeser einen Entwurf in Öl „Gabriel und
Eloah“ (Abb. 11). Der allerdings weniger auf den religiösen Inhalt des
literarischen Werkes verweisen sollte als auf den pathetischen
„dichterischen Schwung“ von Klopstocks antikem Versmaß.
Der Dichter Wieland verfaßte in
der von ihm herausgegebenen Literaturzeitung „Teutscher Merkur“ zum Tode
Oesers 1799 eine Elegie :
„Mögen andere den Künstlern
bewundern,/der Geist in die Form schuf!/Wahr, der Künstler war groß; aber ich
liebte den/Mann.
[...]
Größer war es vielleicht,
aber doch heiliger nicht./ Als das Denkmal, das ihm in vieler Seelen gebaut
ist,/ Die nicht den Künstler allein, die auch den Menschen/ gekannt.“
Wieland brachte dem Künstler
Oeser eine Wertschätzung in Verbindung mit seiner Kenntnis des Menschen Oeser
entgegen. Er charakterisiert ihn, über dessen eigene Humanität, die in seine
Kunst einfloß und somit den wertvollsten Gewinn für seine Kunst darstellte.
Als Kritiker gegenüber Oeser
nimmt der Kupferstecher und spätere Berliner Akademiedirektor Daniel Nikolaus
Chodowiecki (1726-1801) eine bedeutende Rolle ein. Ihm wird größte Objektivität
bei der Beurteilung seines Leipziger Kollegen zugesprochen.
Dabei bleibt aber sein Standpunkt über Winckelmann und dem Klassizismus meist
unberücksichtigt, der ihm eine Sonderstellung in der Bewertung seines Leipziger
Kollegen zukommen läßt. In einem unvollendeten Aufsatz schreibt Chodowiecki
über seine Ansichten über den künstlerischen Nutzen der Lehren Winckelmanns:
“[...]
was hat aber
Winckelmann dem Künstler genutzt, nichts. Raphael
[1483-1520]
und Rubens
[1577-1640],
Rembrandt, selbst der von vielen verachtete Tenier
[1610-1690]
waren ohne
Winckelmann was, Mengs ebenfalls und ohne Mengs wäre Winckelmann das geblieben
was er war, da er Deutschland verließ. Er hat die Antiquen angestaunt wie so
viele andre und nicht verstanden. Wo sind die Künstler, die von Winckelmann
profitiert haben, und die mit Raphael, Rubens und so vielen andren, die nach
ihnen waren, zu vergleichen sind. Winckelmanns Schaffen kann einen Gelehrten,
aber nicht einen Künstler bilden. Waß ist aus unsern Künstlern , die seit 10
Jahren nach Rom gegangen sind geworden. Was wird aus denen werden die jetzt in
Rom sind. Rehberg
[ein ehem.
Schüler Oesers]
geht rückwärts, Genelli
[1798-1868]
verzehrt das Geld was die
[Berliner]
Akademie ihm reichte
[...].“
Das Urteil von Chodowiecki gegen
Ende des 18. Jahrhunderts, das, wie noch zu zeigen sein wird, in solcher Schärfe
Oeser erstmals zuteil wurde, hängt mit der damals allgemeinen Tendenz einer
Distanzierung gegenüber dem „Pseudo-“, „Rokoko-“ oder „empfindsamen“
Klassizismus zusammen. Chodowiecki bescheinigt Oeser zwar viel Genie, das durch
Mangel an Ausbildung aber nicht gefördert wurde. Seine Begabung liege in der
Erfindung und Komposition, schlecht werden dabei entgegen der sonst üblichen
Meinung die Zeichnung, das Kolorit und die Ausführung bewertet.
Chodowiecki nimmt ganz offensichtlich Bezug auf die 1763 von Winckelmann
gegenüber Füßli geäußerte Kritik an Oeser. Der Brief wurde 1778 bereits
veröffentlicht. Die negative Bewertung Oesers wurde von nun an vielfach
übernommen. Chodowiecki schreibt 1789 in seinem „Journal gehalten auf der
Lustreyse von Berlin nach Dreßden...“
„Winckelmann der viel mit ihm
gelebt hatte und der sein Freund war, sagte, er wäre faul- daher kommt es
vermuthlich, daß er mit so vieler Anlagen so wenig Leistet, daß alles gut
angelegt zu sein scheint aber immer schlecht ausgeführt wird.“
Ganz konkret kritisiert
Chodowiecki, daß er bei Oesers Figuren nur den Gedanken einer solchen sehen kann
und die fehlende individuelle Physiognomik bemängelt, denn er habe nur „[...]
eine Idée von schöner Natur, zuweilen gut, zuweilen
auch sehr falsch fehlerhaft gezeichnet und ohne alle Präcesion.“
Chodowiecki greift hier bewußt
die negative Bewertung Winckelmanns auf. Er führt sie in seinem Sinne weiter,
indem er dessen positiven Wertungen über den „großen Sinn“, die „Idée“ usw.
aufgreift und versucht, anhand der „schlechten Ausführung“ die negative
Einflußnahme Oesers auf die bildende Kunst nachzuweisen. Spätestens an diesem
Punkt wird deutlich, daß hier zwei verschiedene Kunstanschauungen
aufeinandertreffen, obwohl beide der selben Generation angehören. Sicherlich mag
Chodowiecki in weiten Bereichen seines Urteils recht haben, wenn er Oesers
technische Mängel kritisiert, er übersieht aber, daß bei Oeser die detaillierte
Ausführung einer Figur der Idee bzw. der Herausstellung eines moral-ästhetischen
Inhaltes untergeordnet ist. Allerdings darf auch nicht übersehen werden, daß
Oeser und Chodowiecki beide angesehene Illustratoren für Verleger in Leipzig
waren. Vielleicht beruht das strenge Urteil über seinen Leipziger Kollegen auch
darauf, daß er in Oeser einen seiner größten Konkurrenten sah.
Chodowiecki, der selber einem
natürlichen Realismus in seiner Kunst folgte,
sieht, wie im 18. Jahrhundert üblich, Oeser als Urheber des Klassizismus, und
konnte aufgrund seiner eigenen realistischen Einstellung den Winckelmannschen
Theorien nichts mehr abgewinnen. Chodowiecki gilt als Überwinder des
Klassizismus und Wegbereiter für den Realismus des 19. Jahrhunderts. Es wird nun
verständlich, daß die Vorwürfe, die er Oeser machte, vielleicht aus seinem
negativ besetzten persönlichen Winckelmannbild gesehen werden können. Mit seinem
1839 in „Schorns Kunstblatt“ abgedruckten „Journal...„ nahm er
nachhaltigen Einfluß auf das Oeser-Bild im 19. und dem frühen 20. Jahrhundert.
Besonders Kritiker aus dem Lager der Romantik, denen ebenso wie Chodowiecki eine
Rombegeisterung fern lag, konnten sich dem Urteil Chodowieckis anschließen.
Folglich fiel es auch den Vertretern einer realistischen Kunstauffassung des 19.
Jahrhunderts leicht, sich dem Urteil Chodowieckis anzuschließen. Auf weitere
Urteile Chodowieckis zu Oesers Kunstschaffen wird im Verlauf der Arbeit noch
einzugehen sein.
Goethes Beziehung zu Oeser war
und ist bis heute am wirkungsvollsten für das Oeserbild in der
Kunstgeschichtsschreibung. Die Neuorientierung in des Dichters Kunstanschauung
und die Enttäuschung über sein eigenes künstlerisches Dilletantentum waren wohl
dafür verantwortlich. Diese Umstände sollen umfassend erörtert und die daraus
resultierenden Folgen für das negative Oeserurteil dargelegt werden.
Eine erste Anschauung von Oeser
Arbeiten hatte Goethe, bevor er bei ihm Zeichenunterricht nahm, bereits im Haus
der Leipziger Verlegerfamilie Reich, dort hatte er „[...]
Gelegenheit, die Oeserschen Lehren angewendet zu sehen.“
Daß die Eindrücke von der Anschauung von Oesers Arbeiten wie auch dessen
Kunstunterricht prägend auf den jungen Goethe waren, zeigen seine Empfindungen
während seines Aufenthalts in Straßburg beim Einzug Marie Antoinettes
(1755-1793) in die Stadt 1770/71. Das pompös veranstaltete Empfangszeremoniell
stand ganz im Zeichen barocker höfischer Prachtentfaltung. Goethe konnte diesem
Pathos nichts mehr abgewinnen: „Hier nun wurden alle
Maximen, welche ich in Oesers Schule mir zu eigen gemacht, in meinem Busen
rege.“
Diese durchaus positiven und dankbaren Erinnerungen an Oeser schrieb er 1811 in
Dichtung und Wahrheit nieder.
Ähnlich wie Winckelmann, teilte
er seinem Lehrer kurz nach seiner Abreise aus Leipzig im Jahre 1768 voller Dank
und Anerkennung mit, daß er ihn für das Empfinden des Reizes und das Erleben von
Kunst empfänglich gemacht hatte:
„Was bin ich Ihnen nicht
schuldig. Theuerster Herr Professor, dass Sie mir den Weg zum Wahren und Schönen
gezeigt haben, dass Sie mein Herz gegen den Reitz fühlbar gemacht haben.
[...] Den
Geschmack den ich am Schönen habe, meine Kenntnisse, meine Einsichten, habe ich
die nicht alle durch Sie?“
Die Begeisterung über den
erlebbaren Reiz von „Ösers tiefer Empfindung“ in dessen Kunst schildert
der junge Goethe in einem Porträt des Rechtsgelehrten Rudolf August Schubarts
(1694-1777), das von Johann Friedrich Bause (1738-1814) nach einer Zeichnung von
Oeser gestochen wurde (Abb. 12). Goethe war fasziniert von dem auf Empfindung
angelegten, aber gleichzeitig charakterisierenden Porträt aus Oesers Hand. Über
den Porträtstich schreibt er:
„Wir haben uns abermal gefreut,
diese zween Künstler in Gesellschaft zu sehen. Ösers tiefe Empfindung, die im
Portrait mehr den Charakter als den Menschen bildet, hat auch hier den
ehrwürdigen, lieben Alten, mit solchen Charakterzügen vor unsern Augen
geschaffen, daß die Unterschrift
Carus omnibus nemini molestus,
eine Tautologie mit dem Portrait macht.“
Diese Bewertung belegt einmal
mehr Goethes zunächst anerkennende Haltung gegenüber Oesers Werk. Ein Jahr vor
dem Erscheinen des Werther und dem damit erreichten Höhepunkt der literarischen
Strömung der „Empfindsamkeit“ wird Goethes Zugehörigkeit als Vertreter diese
kulturgeschichtlichen Phänomens auch in seinem Kunsturteil signifikant. In aller
Selbstverständlichkeit erwähnt er die zum Ausdruck gebrachten Empfindungen in
der Darstellung Schubarts. Die veranschaulichten inneren Wesensmerkmale und
„Charakterzüge“ bemerkte er ohne jede Kritik, obwohl dabei die Ausführung der
Figur zurücktritt. Genau in diesem Punkt setzt in späteren Jahren bei Goethe und
wie schon gezeigt bei Chodowiecki, die Kritik ein. Wenn Chodowiecki von
„einer Unbestimmtheit und schlechter Ausführung“ spricht, die in seinen
Augen zu einer fehlenden Charakteristik und mangelnden Physiognomie führt,
versteht er nicht mehr die Intentionen Oesers, bei denen eine realistische
Ausführung eines Porträts in den Hintergrund tritt und das Herausstellen eines
idealisierten Ausdrucks, Charakters oder Inhaltes im Vordergrund steht.
In einer Gegenüberstellung einer
bisher unveröffentlichten Reproduktionszeichnung mit dem Originalbild „Die
drei Apostel“ aus der Leipziger Sammlung Winckler, das zu Goethes Zeit noch
„Michelagnolo da Caravaggio genannt Michelagnolo Caravaggio“ (1573-1610)
zugeschrieben wurde,
lassen sich ein weiteres Mal die wesentlichen Intentionen Oesers ableiten (Abb.
13, 14). Zwar arbeitet Oeser in der Zeichnung das Profil der Köpfe klar heraus,
mildert aber sämtliche Spannungsmomente des Originalgemäldes ab. Die
caravggesken Licht- und Schattenkontraste werden gedämpft, die Übergänge von
Hell und Dunkel werden fließend. Die lebhaften Reflexionen des Inkarnats sind
zurückgenommen und verleihen dem Blatt Ruhe und Harmonie, signifikant ist
Oesers charakteristischer „weicher Stil“. Die drei verjüngten Männerköpfe
lassen in ihrer neuen Charakteristik bereits Merkmale eines frühen
Nazarenerstils erkennen.
Nach der Zeichnungsvorlage
Oesers fertigte Bause eine Radierung (Abb. 15). Bause drängt in seiner Graphik
die noch restlichen vorhandenen Spannungsmomente aus Licht- und
Schattenkontrasten weiter zurück. Die Köpfe erscheinen nun wie unter einem
„Schleier“ gesehen. Die Umrisse und die Kontur verblassen hinter einem „Sfumato“,
durch das die Sinnesreize beim zeitgenössischen Betrachter zusätzlich verstärkt
wurden. Auch Goethe kannte das von Bause radierte Blatt und fühlte sich wohl
prädestiniert, die Arbeit zu rezensieren. Es ist davon auszugehen, daß Goethe
auch das Originalgemälde kannte, denn während seiner Studienzeit in Leipzig
hatte er mit Oeser zusammen öfters Gelegenheit, die Sammlung Winckler zu
besuchen. Aus seiner eigenen sentimentalistischen Geisteshaltung heraus, konnte
er dem Blatt Bauses die höchsten Sinnesreize abgewinnen. Und so nutzte er als
Rezensent in den „Frankfurter gelehrte Anzeigen“ die Gelegenheit, seine
Eindrücke niederzuschreiben, wobei er sich auch indirekt in anerkennender Weise
über Oeser äußerte:
„Ein Blatt, die drey Apostel
unterschrieben, nach Mich. Angelo von Caravaggio, von Oesern gezeichnet, von
Bausen radirt. Ein Blatt, das weder Künstler noch Liebhaber entbehren kann. Das
Beysammenseyn in einem Geist, dreyer, durch brüderlichste Mannigfaltigkeit
karakterisirter, menschenfreundlich edler alter Köpfe, solch eine Seelenruhe
durch eine dämmernde Haltung drüber gehaucht. Es ist das empfundendste Kunstwerk
das uns seit langer Zeit vor die Augen gekommen. Auch lallen wir nur eine
Anzeige, um jeden wahren Liebhaber einzuladen, mit uns die Freuden der
Empfindung und Erkänntniß zu genießen, die eine anhaltende Betrachtung solch
eines Werks, einer fühlenden Seele reichlich gewährt.“
„Das empfunde Kunstwerk“,
durch das „Einsicht“ erlangt werden konnte, war die Grundidee der „Künste der
Empfindsamkeit“. Goethes Anerkennung orientierte sich an der
„Empfindung“, die mit moralisch läuternder „Erkänntniß“ gepaart war.
Gegenüber Charlotte von Stein
(1742-1827) beschreibt Goethe seinen Lehrer als einen Künstler, der in einem
„reinen Kreise sittlicher und sinnlicher Reize lebt.“
Diese Reize suchte Oeser gezielt in seiner Kunst zu vermitteln und Goethe war
für diese empfänglich. Der empfindsame Dichter erkannte das Wollen seines
Lehrers ohne weiteres an und sah in ihm daraufhin einen
„wahrhaften Künstler“.
Goethes sentimentale Haltung war
mitunter auch bestimmt von seiner Liebe zu Frau von Stein, offenbar paßte der
empfindsame Ausdruck von Oesers Arbeiten in die Gemütsverfassung beider, die
deren gefühlvolle Stimmung spiegelten. In einem weiteren Brief schreibt Goethe
an seine Geliebte:
„Du sendest mir meine Liebe gar
viel gutes auf einmal. Das Landschäfftgen gefällt mir recht wohl, du hast
würcklich etwas von der Oeserschen Manier erhascht und recht glücklich
angewendet. Es soll vor mir stehen, bis du selbst kommst“
Die Reizbarkeit des Geistes und
der Seele begründete die Wesensverwandschaft zwischen Oeser und Goethe.
Beeindruckt von Oesers Arbeiten äußerte er sich gegenüber dem Leipziger
Verleger Reich:
„Oesers Erfindungen haben mir
eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu segnen, dass ich ihn zum Lehrer gehabt
habe. Fertigkeit oder Erfahrung vermag kein Meister seinem Schüler mitzutheilen,
und eine Übung von wenigen Jahren, thut in den bildenden Künsten, nur was
mittelmässiges; auch war unsre Hand, nur sein Nebenaugenmerck, er drang in unsre
Seelen,
[...].“
Für den jungen Dichter war Oeser
nicht nur wegweisend in der Kunstanschauung. Wie die folgenden beiden Abschnitte
belegen, ging dessen Bedeutung für Goethe weit darüber hinaus. Oeser kam die
Rolle einer väterlichen Leitfigur zu. Über die prägende Beeinflussung seines
Lehrers berichte er:
„[...],
dass die Werkstatt des grossen Künstlers mehr den keimenden Philosophen, den
keimenden Dichter entwickelt, als der Hörsaal des Weltweisen und des Kritickers.“
An die Tochter Friederike Oeser
verfaßt Goethe kurz nach seiner Abreise aus Leipzig, erfüllt von Dankbarkeit,
folgende Zeilen:
„Wer den einfältigen Weg geht,
der geh ihn, und schweige still, Demuth und Bedächtigkeit, sind die
nothwendigsten Eigenschaften unsrer Schritte darauf, deren jeder endlich belohnt
wird. Ich danke es Ihrem lieben Vater; Er hat meine Seele zuerst zu dieser Form
bereitet,
[...].“
Ab 1775 lebte Goethe in Weimar
und hatte nun auch mit Oeser offiziellen „geschäftlichen“ Kontakt. Goethe
schätzte seine Arbeiten nach wie vor und zog ihn immer wieder als künstlerischen
Berater und Gestalter, sei es für die Parkanlagen in Weimar oder
Denkmalentwürfe, heran. Über die gemeinsame Arbeit zu den Vorbereitungen für
sein Theaterstück „Die Vögel“, das 1780 im Park zu Ettersburg aufgeführt
werden sollte, schrieb er an Knebel:
„Oeser ist hier und hat vieles
gutes veranlasst, alle Künste in denen wir sachte des Jahres fortklempern hat er
wieder um einige Grade weiter gerückt. Wenn man nur immer fleißig ist, und es
auch nicht sehr zuzunehmen scheint; so macht man sich doch geschickt durch das
Wort eines Verständigen schnell vorwärts gebracht zu werden. Die Theater
Mahlerey hat er sehr verbessert, Farben und Methoden angegeben pp.“
Die „Empfindsamkeit“ bestimmte
in weiten Teilen das Geistesleben der Zeit Oesers in Leipzig und Weimar. Goethe
und sein Lehrer waren beide Anhänger und Repräsentanten dieser Strömung und
hatten somit eine gemeinsame Ausgangsposition. Mit dem Erscheinen des
„Werther“, 1774, war der Höhepunkt der Empfindsamkeit erreicht, und Goethe
begann sich bald darauf von ihren negativen Auswüchsen zu distanzieren. Zwischen
den Jahren 1765 und 1785 läßt sich aber keine auch nur annähernd kritische
Bemerkung gegenüber seinem Leipziger Zeichenlehrer finden. Anfänglich geleitet
von jugendlicher Orientierungslosigkeit auf der Suche nach einem gangbaren
Lebensweg und Ziel, die er hoffte, durch Oeser zu finden, stellte er in seinem
fragmentarischen Rückblick „Aus meinem Leben“
resignierend fest:
„Schon mehrere Jahre her hatte
mir das Glück mehr als einen trefflichen Mentor zugesandt, und doch jemehr ich
ihrer kennen lernte, desto weniger gelangte ich zu dem, was ich eigentlich
suchte. Der eine setzte die Hauptmaxime des Lebens in die Gutmüthigkeit und
Zartheit.“
Der letzte Satz könnte eine
deutliche Anspielung auf Oeser sein. Die Wesenszüge „Gutmütigkeit“ und
„Zartheit“ entsprach diesem, wie sie vielfach von seinen Zeitgenossen
beschrieben wurden. Goethes ursprüngliche Begeisterung für Oesers Lebenshaltung
wandelte sich rückblickend als nicht mehr annehmbar für das eigene Leben. Der
zitierte Abschnitt zeigt Goethes inneren Zwiespalt und Unrast, die ihn ein
ganzes Leben lang verfolgten. Wie sich aus der Beschreibung seiner Empfindungen
für Oesers Kunst herauslesen läßt, kamen dessen Charaktereigenschaften auch in
seinen künstlerischen Arbeiten zum Ausdruck. Es ist zu vermuten, daß sich
Goethes spätere ablehnende Haltung gegenüber Oesers Kunst zuerst an der
hervorgetretenen inneren Wesensverschiedenheit entfesselte.
Ausführlich wurden im obigen
Abschnitt die 20 Jahre andauernde Wertschätzung Goethes gegenüber Oeser
aufgezeigt. Das Meinungsbild Goethes der ersten 10 Jahre von 1765-1775 war
bestimmt von einer Unsicherheit gegenüber seinen eigenen künstlerischen
Bestrebungen. Unschlüssig den Weg eines dichtenden oder bildenden Künstlers
einzuschlagen und zweifelnd an den eigenen Fähigkeiten, suchte der junge Goethe
einen Mentor, der ihm einen Weg weisen und ihm Klarheit über sein eigenes Werden
und Wollen geben konnte. Goethe suchte eine Persönlichkeit, die ihn führte -
daraus resultierte das emotional bestimmte Verhältnis zu Oeser. Während des
Unterrichts bei Oeser bekam er eine Einführung in die Schriften Winckelmanns und
somit einen allgemeinen Zugang zur Kunsttheorie und wurde gleichermaßen im
künstlerischen Schaffen ermutigt, sich weiterzubilden.
Das vormals positive Oeserbild
Goethes wandelte sich nach seiner Rückkehr aus Italien 1788 grundlegend. Neben
der bereits genannten „inneren Wesensverschiedenheit“ kamen nun Klagen über
Oesers Unterricht und Zeichenstil hinzu. Goethe schreibt aus Italien:
„[...]
ich dachte wohl hier was Rechtes zu lernen, daß ich aber so weit in die Schule
zurückgehen, daß ich so viel erlernen, ja durchaus umlernen müßte, dachte ich
nicht
[...] ich sage
nicht, wie es mir schuppenweise von den Augen fällt.“
In „Dichtung und Wahrheit“
bedauerte er erstmals, daß Oeser ihn in seiner Kunstfertigkeit kaum hatte
fördern können:
„Seine Lehre wirkte auf unsern
Geist und unsern Geschmack, aber seine eigne Zeichnung war zu unbestimmt, als
daß sie mich, der ich an den Gegenständen der Kunst und Natur auch nur
hindämmerte, hätte zu einer strengen und entschiedenen Ausübung anleiten sollen.
Von den Gesichtern und Körpern selbst überlieferte er uns mehr die Ansichten als
die Formen, mehr die Gebärden als die Proportionen. Er gab uns die Begriffe von
den Gestalten, und verlangte, wir sollten sie in uns lebendig werden lassen.“
Maisak bemerkt in ihrer jüngsten
Studie zu Goethes Zeichnungen nach der Rückkehr aus Italien gleichfalls eine
geänderte Zeichenweise des Dichters. Die Ursache sieht sie in einer direkten
Beeinflussung durch den dogmatischen Klassizismus Heinrich Meyers.
Nur aus diesem Zusammenhang ist für sie Goethes späte Kritik an Oesers
Zeichenstil zu erklären. Gerade weil er die Oesersche Manier in seinen
Zeichnungen nicht ganz verleugnen konnte, dies zeigen seine oft schlängelnden
Linien, weichen Umrisse, verschwimmenden Formen und dekorativen Versatzstücke.
Goethe wollte, so Maisak, diese Merkmale seines Stils nicht mehr wahr haben. Aus
dieser Frustration heraus und dem Bewußtsein, nur ein dilletierender Künstler zu
sein, übte er nun auch Kritik am Zeichenstil seines Lehrers.
Goethe war nach seiner Rückkehr
aus Italien nunmehr befähigt, alles durch die „Klassizismus Brille“ zu sehen.
Obwohl Oeser noch künstlerisch tätig war, bricht der enge Kontakt zwischen den
beiden nach der Italienreise nahezu völlig ab. Wahrscheinlich auch auf das
Betreiben Goethes kamen die Verbindungen Oesers zum Weimarer Hof fast ganz zum
erliegen.
In Weimar selber kam es offenbar zu einem Paradigmenwechsel in der
Kunstanschauung.
Im Künstlerischen begann die Zeit des eigentlichen „klassizistischen Weimars“.
Von nun an zog Goethe den Kunstgelehrten Heinrich Meyer, den er während seines
Aufenthalts in Italien kennen lernte, als künstlerischen Berater für sich und
den Weimarer Hof heran. In seiner klassizistischen Kunstanschauung geriet er
ganz offensichtlich unter dessen Einfluß. Wobei der theoretische Hintergrund
immer noch die von Oeser vermittelten Lehren Winckelmanns bildeten. Meyers
Bedeutung lag in einer nach klassizistischen Maßstäben gerichteten Beurteilung
und Kunstanschauung.
Die ersten Äußerungen nach der
Rückkehr aus Italien zu Oeser finden sich erst anläßlich dessen Todes in der von
Goethe und Meyer gemeinsam herausgegebenen periodischen Kunstzeitschrift, die
„Propyläen“. Es ist dabei interessant festzustellen, daß Goethe den
„Nachruf“ über seinen vormals „verehrten“ Leipziger Zeichenlehrer von Meyer
verfassen läßt. War es Befangenheit oder Unsicherheit in der eigenen
Kunstanschauung, die ihn dazu bewogen?
Nachdem Meyer sein Skript über
die Denkschrift an Goethe geschickt hatte, schrieb Goethe in nüchterner Form an
ihn zurück: „Ihr Oeser ist recht gut und zweckmäßig
angelegt, ich will ihn nun nach meiner Art ein wenig durchnehmen.“
Das Manuskript Meyers enthält nach einer Überprüfung, keine der, wie
ursprünglich immer angenommen,
von Goethe angekündigten Korrekturen.
Die Niederschrift Meyers wurde in ihrer Urfassung in den „Propyläen“
abgedruckt. Offenbar konnte sich Goethe ohne Vorbehalt der vorformulierten
Meinung Meyers anschließen.
Bevor Meyer mit seiner
Besprechung beginnt, definiert er als erstes seine eigene Position, von der er
die Beurteilung Oesers vornimmt. Er schränkt dabei ein, daß er nicht die Strenge
eines „Klassizisten“ bei der Beurteilung Oesers anwenden möchte, da Oeser
„nicht in Italien studiert hatte“.
Die hier zurückgenommene protoklassizistische Position Meyers läßt seine
tatsächliche Meinung über Oesers nur erahnen. Über dessen Eigenschaften und
Fähigkeiten befindet er:
„In der Erfindung zeichnen sie
sich gewöhnlich nicht durch hohe Gedanken, wohl gewählten poetischen Schmuck
oder glückliche Allegorie aus.
[...]
Dem Ausdruck fehlt es an
Lebendigkeit und Kraft, die Behandlung wäre sorgfältiger zu wünschen,
[...].“
Der Mangel „hoher Gedanken“ aus
der Sicht Meyers läuft der verstandesorientierten Theorie Winckelmanns
entgegen. In der Bewertung seiner malerischen Arbeiten bezeichnet Meyer Oeser
als einen „Nebulisten“, den er dann derart charakterisiert:
„Seine besten, ausgeführten
Arbeiten haben noch zu viel Schwebendes, Unbestimmtes, zu leichten Sinn und
halb aufgelöste Gestalten. Im Übrigen sind es meist anmuthige Bilder,
Ergießungen einer harmlosen kindlichen Seele, eines schönen begabten Geistes.“
Das „Nebulöse“ führt Meyer auf
das Unvermögen Oesers zurück und erkennt es nicht als dessen eigenes Stilmerkmal
an. Am meisten Bewunderung bringt Meyer noch dafür auf, daß Oeser sein gesamtes
Kunstschaffen aus einem angeborenen Talent hervorbrachte. In seinen eigenen in
den Jahren 1816-1832 erschienenen „Schriften zur Kunst“
faßt Meyer seine bereits in den Propyläen formulierten Ansichten in einem Satz
zusammen:
„[...];
jedoch hatte auch Öser, welcher keinem Vorbild folgte, sondern sich blos von den
Eingebungen seines eigenen schönen Talentes leiten ließ, mit gefälligen doch zu
leicht und nebelhaft ausgeführten Mahlereien großes Lob erworben
[...].“
Daß Goethes Meinungsbild im 8.
Buch von „Dichtung und Wahrheit“ nicht unabhängig von Meyers ca. 10 Jahre
zuvor in den Propyläen formulierten Text gesehen werden kann, wird spätestens
dann deutlich, wenn Goethe Oesers Manier als „nebulistisch“ und „abbrevierend“
beschreibt, mit der er seinen Arbeiten eine eigene „Grazie“
verleihte.
Vor allem der Begriff „nebulistisch“ ist eine Kategorisierung Meyers, auf die
Goethe immer wieder zurückgreift.
„Nachahmer werden wohl die
Deutschen bleiben und Nebulisten giebt es in der ältern Kunst gar keine; Oeser
hingegen wird als solcher wohl aufgeführt werden.“
Goethe faßt in „Der Sammler
und die Seinigen“ die „Nebulisten“, „Phantomisten“ und „Poetisirer“
unter dem Begriff der „Imaginaten“ zusammen und gesteht ein, daß auch er
sich zu dieser Gruppe einst bekannt hatte.
In gleicher Weise, wie er sich von dieser Gruppe nun distanzierte, war für ihn
die Kunst Oesers nun nicht mehr akzeptabel. Goethe, der anfänglich als
Kunstrichter von einem empfindsamen Naturalismus inspiriert und getragen wurde,
tat nach der Italienischen Reise den großen Schritt zur reinen Klassik, zu dem
Oeser, aus fehlender Anschauung, die Kraft und Originalität fehlte. So klagte
Goethe in „Die Preisaufgabe betreffend“
von 1801, daß man sich in Leipzig nur noch anhand Oesers Arbeiten den Geschmack
bildet und die merkliche Einwirkung von Oesers Stil sich auf die Arbeiten, die
zu den Weimarer Kunstausstellungen eingereicht werden, negativ bemerkbar machte.
Die Romfahrer der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts glaubten im Lichte Italiens höheren Weihen der klassischen
Welt- und Kunstanschauung empfangen zu haben. Dies versetzte sie in die Lage,
alles was nicht ihren klassizistischen Intentionen entsprach, entsprechend
negativ zu beurteilen. Besonders heftig wurde demnach auch über Oeser geurteilt.
Die vielmals gerühmte Verbindung mit Goethe und Winckelmann sollte Oeser
gleichzeitig auch zum Schicksal werden. Daß die beiden sich zu den bedeutendsten
Protoklassizisten nördlich der Alpen entwickelten, läßt Oeser zu einem Opfer der
„klassizistischen“ Kunstkritik werden. Das Hauptaugenmerk für die Beurteilung
lag von nun an darin, ob der Pinsel in „Verstand getunkt“ war. Zu einer im
Formalen zufriedenstellenden „klassizistischen“ und „akademischen“ Ausführung zu
gelangen, war nun alleinig entscheidend für die Bewertung. Nebenmotive und
Gedanken spielten für die Bewertung keine Rolle mehr. Besonders verhängnisvoll
wirkt sich demnach auch Oesers mangelnde akademische Ausbildung bei der Zensur
seiner Arbeiten aus. So klagte Meyer die Ausführung von Oesers Werken
„wäre sorgfältiger zu wünschen.“,
ferner macht er ihm „unrichtige Zeichnung, flüchtige
unbestimmte Ausführung nebst Unachtsamkeit in der Anordnung“
zum Vorwurf. Nach Goethes Ansicht sei Oeser
nie dahin gelangt „die Kunst mit vollkommener Technik auszuüben“ und
deswegen „gaben seine Werke immer etwas zu sinnen und
wurden vollständig durch einen Begriff, da sie es der Kunst und der Ausführung
nach nicht sein konnten.“
Das Urteil der beiden
Kunstrichter verrät, daß sie sich bereits aus einer Position des 19.
Jahrhunderts äußerten und ein erster Romaufenthalt längst hinter ihnen lag. Daß
die Arbeiten Oesers bewußt auf eine inhaltliche und sittliche Qualität angelegt
waren, die den Betrachter zu einem emotionalen Erleben anregen sollte, konnten
sie nicht mehr nachvollziehen. Der „Endzweck“ in der Kunst war bei Oeser in
erster Linie die „Empfindung“. Wie bereits bei Sulzer und Hagedorn gezeigt,
stand für diese Theoretiker des 18. Jahrhunderts die Ausführung nicht allein im
Vordergrund. Im Gegensatz zu Goethe und Meyer, orientierten sich deren
Bewertungskriterien nicht an Formalismen und handwerklichen Ausführung einer
Kunstwerke.
Der Vorgriff auf das
Meinungsbild Goethes bzw. Meyers gegenüber Oeser im 19. Jahrhundert hat
durchaus seine Berechtigung. So kann im Folgenden gezeigt werden, wie sich bei
weiteren Kritikern und in der kunsthistorischen Literatur das Urteil Meyers und
Goethes bis in das 20. Jahrhundert in der Beurteilung Oesers durchsetzt. Neben
der ganz allgemeinen Ablehnung des Sentimentalismus kommen im 19. Jahrhundert
neben den eigenen formalistischen Bewertungskriterien vermehrt patriotische
Überlegungen bei der Beurteilung künstlerischer Arbeiten hinzu.
Der bereits genannte Auftrag an
Oeser (1794) für die ungarische Übersetzung von Klopstocks „Messias“
eine Vignette mit dem Thema „Gabriel und Eloah“ (vgl. Abb. 11) zu
entwerfen, konnte von Ference Kazinczy aufgrund politischer Umstände in Ungarn
erst nach Oesers Tod in Augenschein nehmen. Von der ursprünglichen „Idee“ einer
„Verbildlichung“ des „dichterischen Schwungs“ von Klopstocks
ergreifendem Versmaß wollte der ungarische Dichter Kazinczy nichts mehr wissen.
Inzwischen achtete er vielmehr auf eine realistische Bezugnahme auf die
dargestellte Handlung und eine korrekte Ausführung des Gegenständlichen. Daß
Kazinczy dem Bild dennoch einige Bedeutung zumessen konnte, ist dem Umstand zu
verdanken, daß Oeser ungarischer Herkunft war:
„Zwar hat dieses Gemälde meinen
Erwartungen lange nicht entsprochen; Oeser faßt nicht den günstigen Augenblick
der ihm angegebenen Handlung auf; der Engel hat weder die schöne swelte Figur,
die er erwarten ließ, noch eine schöne Drapperie, oder das Helldunkel und andere
Zauberspiele des Pinsels: aber es ist immer Oesers Arbeit, Oesers Aug, Oesers
Hand ruhte auf diesem Tuch, und es ist ein ungarischer, allgemein geehrter
Künstler von dem es kommt.“
Das frühe 19. Jahrhundert
strebte nach einer Erneuerung der Kunst im nationalen und christlichen Geist.
Die Erstarkung einer Nation sollte zum einen durch eine neue
christlich-sittliche Kunst, die sich am Mittelalter orientierte, zum anderen
durch den pantheistischen Natursymbolismus der
Romantik erreicht werden.
Die Frühromantik war trotz ihrer
„realistischen“ Kunstauffassung noch von klassizistischen Kompositionsprinzipien
geleitet, mit dem Vorrang der Idee, die am reinsten in der Linie zum Ausdruck
gebracht werden konnte. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als sich bereits
die Romantik mit ihrer symbolischen Begrifflichkeit zu entwickeln begann, stand
man der Kunst des 18. Jahrhunderts mit Unverständnis und Ablehnung gegenüber.
Ein weiterer Grund für die
negative Beurteilung Oesers im 19. Jahrhunderts durch die Romantiker mag in der
allgemeinen Mißachtung bzw. Ablehnung der auf „Empfindung“ ausgerichteten Kunst
des 18. Jahrhunderts liegen. Der Romantik bot die Empfindsamkeit mannigfache
Gelegenheit, sich polemisch abzusetzen. Stellvertretend sei hier der Romantiker
Carl Friedrich von Rumohr (1785-1843) zitiert, der Oesers Figurendarstellung
nichts mehr abgewinnen konnte, und ihn als den „grauenhaftesten,
leichenähnlichsten aller Manieristen“ bezeichnete.
Einen weiteren Beitrag zur
Abwertung Oesers leistete die Kunstgeschichte, die sich bereits mit ihren
historischen Betrachtungsweisen als wissenschaftliche Disziplin zu formieren
begann. Das damalige scheinbare Erkennen einer Genealogie der
aufeinanderfolgenden historischen Stilepochen konnte Oeser, der Vertreter eines
nicht eindeutig zu definierenden Stils war, kaum einordnen. Daraus resultiert
auch Rumohrs Bedeutung des Begriffs „Manier“, der für ihn eine Verfallszeit
charakterisierte.
Etwas moderater als Oesers
Künstlerkollegen und Kunstheoretiker um 1800, gehen die Künstlerlexika und
Kunstzeitschriften des 19 Jahrhunderts mit Oeser ins Gericht. Vor allem in ihrer
Funktion als Nachschlagewerke bemühen sie sich zu einer möglichst sachlichen
Darstellung. Verglichen mit seinen Kritikern fällt Oesers Beurteilung durch das
„Allgemeine Künstlerlexikon“ der Schweiz von 1810 durchaus positiv aus:
„Eine blühende Einbildungskraft,
die glückliche Erfindungsgabe, Reichthum der Gedanken und ein feiner Geschmack,
verbunden mit Correktheit der Zeichnung und einem angenehmen Colorit waren der
Charakter aller dieser, und so vieler anderer seiner schönen Werke
[...];
noch immer verdienten seine schön gedachten Entwürfe und die glückliche
Ausführung derselben die Bewunderung aller Kenner.“
Alle negativen Eigenheiten, die
von den „Klassizisten“ bei Oeser angemahnt wurden, fanden im „Allgemeinen
Künstlerlexikon“ eine durchaus positive Beurteilung. Ähnliches ist auch im
heimischen „Leipziger Kunstblatt“ zu beobachten, das 1817 schreibt:
„Alle seine Gemälde athmen den
Geist der Ruhe und Heiterkeit, eine gewisse Naivität, verbunden mit einer ihm
eigenen Anmuth, welche in Figuren von Weibern und Kindern sich am deutlichsten
ausspricht, ist ein wesentlicher Zug seiner Werke.“
Die Würdigung von Oesers
Leistungen in Naglers „Neue allgem. Künstler-Lexicon“ von 1841 beschränkt
sich hauptsächlich auf seine pädagogischen Fähigkeiten. Nagler kam 1841 über
Oeser zu folgendem Urteil:
„Jetzt lebt Oeser mit ganzer
Seele seinem Berufe, und vor allem ging sein Streben darauf, einem besseren
Geschmacke in der Kunst Eingang zu verschaffen. Er drang bei seinen zahlreichen
Schülern auf strenge Zeichnung, stellte bessere Muster auf, sah auf
wissenschaftliche Bildung, und brachte es so theilweise zu nicht unglücklichem
Resultate. Seine Zeitgenossen priesen ihn als einen Künstler erster Grösse; die
Nachwelt nimmt es strenger mit ihm, ohne desswegen zu verkennen, was Oeser
geleistet.“
Nagler weist bereits darauf hin,
daß sich ein tiefer Riß zwischen der zeitgenössischen Beurteilung Oesers und
der seiner Nachwelt auf tut. Dennoch halten seine Monographen oder allgemeine
Darstellungen zur Kunst des 18. Jahrhunderts weiter an einer negativen
Beurteilung Oesers als Künstler fest.
Ein systematisches Erfassen von
Fakten zu Oesers Leben und deren wissenschaftliche Aufbereitung beginnt erst in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die bis heute noch umfangreichste
Monographie zu Oeser von Alfons Dürr aus dem Jahr 1879 steht in der Bewertung
von Oesers Schaffen noch ganz unter dem Einfluß Winckelmanns und Goethes. Den
beiden Zeitgenossen widmet er jeweils ein umfangreiches Kapitel, deren Urteil
über Oeser bei Dürr uneingeschränkte Zustimmung findet.
Der Autor schrieb die Arbeit aus der Sicht eines Leipziger Lokalpatrioten, in
seinem kunsthistorischen Urteil nimmt er eine durchweg positivistische Haltung
ein.
Der größte Teil der Darstellungen zu Oeser bleibt allerdings im Anekdotischen
stecken, weshalb sie aus kunsthistorischer Sicht keine zufriedenstellende
Beurteilung abgeben konnten. Demzufolge sieht Dürr den Nachruhm Oesers nicht in
dessen künstlerischer Leistung, sondern in der Verbindung mit Winckelmann und
Goethe, die er maßgeblich in ihren Kunstanschauungen beeinflußt haben soll:
„Mit Oesers Namen aber sind
besondere Momente verknüpft: nicht seine künstlerische Bedeutung ist der Grund
seines Nachruhms geworden, sondern der Umstand, daß das Geschick ihn ausersehen
hatte, zwei der größten Geister unserer Nation in die Kunst einzuführen,
Winckelmanns und Goethes Lehrer und Freund zu werden und auf beide weitreichend
Einfluß auszuüben.“
Interessant ist die Beurteilung
Oesers durch die Leipziger Lokalpresse zu seinem hundertsten Todestag 1899 und
einer aus diesem Anlaß vom „Leipziger Galerieverein“ veranstalteten
Ausstellung. Die Lokalzeitungen nehmen zum Teil unterschiedliche Stellungen ein.
Das „Leipziger Tagblatt“
schließt sich der gängigen Meinung des 19. Jahrhunderts an, in dem es Oesers
künstlerische Stellung für das 18. Jahrhundert sogar für minder bedeutend
einstuft. Der Redakteur schreibt hierzu:
„Die Geschichte hat während
dieses Zeitraums die Bedeutung seines Künstlertums zu prüfen, und auf ein
bescheidendes Maß, wie dasjenige war, womit ihn seine Zeitgenossen gemessen,
zurückführen müssen.“
Ähnlich kritisch äußert sich die
Leipziger Zeitung:
„[...]
so wird sich uns
doch die Überzeugung aufdrängen, daß wir es mit einer Künstlernatur zu thun
haben, deren Bedeutung vielleicht mehr in dem Wollen als Können liegt.“
Lediglich der Feuilletonist der
„Leipziger Neuesten Nachrichten“ macht vorsichtig darauf aufmerksam, daß
Oeser in seiner Bedeutung differenziert zu beurteilen ist. Wobei aber auch nicht
übersehen werden darf, daß dies vielleicht nur vor dem Hintergrund eines
Lokalpatriotismus geschieht. Das Blatt stellt fest:
„So wenig wir diesen
Enthusiasmus heute verstehen können, so kennzeichnet er doch die Bedeutung
Oesers für seine Zeit.“
Das 19. Jahrhundert konnte sich
in der Bewertung Oesers nicht von den Auffassungen Winckelmanns, Chodowieckis
und Goethes lösen. Daher blieb eine differenzierte Beurteilung Oesers aus der
Sicht seines Jahrhunderts aus. Die beiden grundverschiedenen Positionen
Chodowieckis und Winckelmanns gingen kraft der Bedeutung ihrer Verfasser
gleichwertig nebeneinander her.
Daß Oesers Arbeiten einer Zeit
entstammten, in der auch andere Rezeptionsmuster in der Kunstbetrachtung
vorherrschten, hat das 19. Jahrhundert nicht mehr gesehen. Zu einer ebenso wenig
differenzierten Beurteilung der Kunstempfindung des 18. Jahrhunderts kam der im
folgenden Abschnitt zitierte Autor des 20. Jahrhunderts:
„Ein besonderer Vorzug seiner
künstlerischen Anlage ist ein gewisser natürlicher Charme, eine zart
empfundenen Anmut. Leider verführt ihn diese Anlage leicht zu übertriebener
Weichheit und Süßlichkeit, namentlich in seinen malerischen Schöpfungen, die
unserem heutigen Empfinden überhaupt weniger zusagen.“
Für die Malerei der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts führte Schmidt 1915 den Begriff des
„Pseudoklassizismus“ ein, dessen Hauptvertreter er in Oeser und Mengs sah. Der
„Pseudoklassizismus“ ist für Schmid:
„Die deutsche (nur sehr
unvollkommene) Form der Rokoko-Malerei, die sich schämte Rokoko zu sein und die
Maske des Klassizismus vorband: daher
[der
Frühklassizismus eines Oesers und Mengs]
begrifflich richtiger der
lügnerische, der Pseudo-Klassizismus genannt werden muß.“
An die Vertreter des
Pseudoklassizismus richtet er den Vorwurf:
„Der Humor an der Sache war nur
der, daß sie der deutschen Kunst das Gift der Antike eingaben, welches als
wesenszuwider ihren Tod herbeiführen mußte, und das sie als Deutsche nicht das
geringste Gefühl mehr für das Germanische in der eigentlichen Wildheit des
Barockes sahen.“
Den Unterschied gegenüber dem
reinen Rokoko erkennt Schmidt bei Oeser allein im Verzicht auf dekorativen
Schmuck, vereinfachten Bildaufbau und der Betonung der Figur. Schmidt sieht in
Oesers Arbeiten eine verblaßte Form des Wiener Barocks, die ihn zu einem „Pseudoklassizisten“
werden läßt.
„Aber die Nachahmung der
Griechen ist nur eine Forderung der Theorie Oesers, und man darf sich nicht
wundern, wenn seine eigenen Arbeiten ihnen vollkommen widersprechen.“
Die erste wissenschaftliche
Arbeit nach Alphons Dürrs Monographie von 1879 wurde 1926 von Nestler ebenfalls
als Dissertation verfaßt.
Nestler sieht Oesers „malerische Entwicklung [...] mit den Jahren
1759/60 schon [als] abgeschlossen“,
der somit den neuen Winckelmannschen Idealen nicht mehr folgen konnte. Eine drei
Jahre zuvor verfaßte Dissertation über „Leipzigs Bauwesen...“, war
Nestler nicht bekannt. Dennoch kommt auch diese in der Beurteilung der
klassizistischen Elemente in Oesers Arbeiten zu einem ähnlichen Ergebnis:
„Verfolgt man jedoch Oesers
stilistische Entwicklung in seinen Dresdener und frühen Leipziger Jahren, so
wird man Protoklassizistisches noch mühsamer finden als in seinem Spätwerk.
Nicht selten wird Oeser daher der Vorwurf gemacht, er habe seinen geläuterten
Kunstanschauungen in seinen eigenen Werken keinen vollständigen Ausdruck zu
verleihen“
vermocht.
Beide, Nestler wie Kuhn lassen
für sich das über ein Jahrhundert tradierte Urteil über Oeser stehen und
unternehmen keinen Versuch, den von Oeser vertretenen Klassizismus auf seine
eigenen Gesetzmäßigkeit zu untersuchen. Daß Oeser eine weitere stilistische
Entwicklung nahm, indem er sich einem „empfindsamen klassizistischen Stil“
zuwandte, wird von den beiden nicht in Betracht gezogen.
Obwohl Hamann bereits 1925 den
Begriff vom „empfindsamen Klassizismus“ definiert hatte, findet er bei
Nestler noch keine Anwendung. Auch Pückler-Limpurg unternimmt keinen Versuch,
die Theorie Hamanns auf Oeser anzuwenden, vielmehr schließt er sich ebenso der
gängigen Beurteilung an:
„In Oesers Alterszeit, als er
die meisten seiner Werke schuf, war die Entwicklung schon weiter und über ihn
hinweggegangen; es war ein Überbleibsel einer früheren Zeit, das mit der
Weiterbildung nicht Schritt hielt. Selbst denen, die von Oesers Gedanken
ausgingen, wie Goethe, kam der Mann zuletzt bizarr und unverständlich vor.
Allein das Verdienst, führenden Geistern zuerst selber die Wege gewiesen zu
haben, bleibt ihm unbestritten.“
Legitimation für seine Wertung
findet Pückler-Limpurg im Urteil Goethes gegenüber seinem Zeichenlehrer. Er
reduziert die Bedeutung Oesers ebenso wie Dürr auf die Verbindung mit
Winckelmann und Goethe, die er angeblich so „maßgeblich“ beeinflußte. Der selben
Meinung schließt sich auch Schulze an:
„Von Oesers eigenen Schöpfungen
bleiben die illustrierten Bücher, bleibt mancher schlichte Gedenkstein und ein
oder das andere Bild. Aber der Mann selber ist mehr als seine besten Werke, ja
als die Summe seiner Werke gewesen: er gehört dem deutschen Geistesleben an.
Sein Name kann schon darum nicht vergessen werden, weil er sich mit den größeren
Namen: Winckelmann und Goethe entscheidend verknüpft.“
Geschätzt wurde Oeser, wie die
Beispiele zeigen, seit seinem Tod fast ausschließlich wegen seiner Verbindung zu
Winckelmann und Goethe, was es um so leichter machte, sich deren Meinungsbild,
das sich in den meisten später folgenden Urteilen widerspiegelt, anzuschließen.
Zu einem detaillierteren Urteil seiner Arbeiten kam es erst in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts in mehrfacher Weise.
Die Teilung Deutschlands führte
auch zu einem unterschiedlichen Interesse der beiden deutschen Staaten an Oeser
und zu einer unterschiedlichen Bewertung. Im Gegensatz zu den
bundesrepublikanischen Allgemeinplätzen, kommt die angebliche „Theorielastigkeit
Oesers der marxistischen Kunstgeschichtsschreibung der DDR sehr entgegen.“
Mit Leichtigkeit gelingt es ihr, Oeser als Klassenkämpfer vor den Karren der
bürgerlichen Revolution zu spannen. Ehrlich schreibt im Katalog zur
Oeser-Ausstellung von 1976 in Stendal hierzu:
„Die bürgerliche
Geschichtsschreibung ist nicht müde geworden, Adam Friedrich Oeser
[...]
eigentlich jede Leistung abzusprechen, sie hat ihm Dilletantismus, Unfähigkeit,
Epigonentum, ja sogar Faulheit vorgeworfen.[...]
Adam Friedrich Oeser gehört zu den „Flügelmännern“, wie Goethe sie nannte, die
um die Mitte des 18. Jahrhunderts, als sich das Bürgertum als Klasse formierte
und den Kampf gegen die feudalen Mächte aufzunehmen begann, in Literatur und
Kunst, wie in allen anderen Bereichen, sichtbar wurden. Das Wesen und den wahren
Wert der Antike teils ahnend, teils erkennend, erheben sie sich weit über ihre
Zeit und zeigen den Weg in eine neue Welt, zu der sie den Übergang bilden. Der
Lebensweg Adam Friedrich Oesers bestätigt in allen seine Etappen, daß Oeser
dieser neuen Welt, der Welt des aufsteigenden Bürgertums, das im Kampf um die
eigenen Rechte die Menschenrechte auf seine Fahnen geschrieben hatte, ganz
zugetan war und sie als Lehrer und Künstler herbeizuführen und zu fertigen
suchte. Im Gegensatz zur Mehrzahl seiner künstlerischen Zeitgenossen, die in
den alten traditionellen Gleisen weiterdachten und arbeiteten, gehört Oeser zu
den Bahnbrechern der neuen Kunstauffassung.“
Willy Handrick, der Oeser
bereits in seiner „Geschichte der sächsischen Kunstakademien“ als einen
Vorkämpfer der bürgerlichen Kunst bezeichnete,
interpretiert Oesers Arbeiten in seiner Rezension zur o. g. Ausstellung als
wegbereitend für den „bürgerlichen Realismus“:
„Nicht nur durch seine Werke,
sondern vor allem durch seine progressiven Gedanken zur Entwicklung einer neuen
Kunst
[...]
rechnen wir Oeser zu den Wegbereitern des bürgerlichen Realismus. Als
leidenschaftlicher Gegner des Barock und Rokoko, der Kunst der herrschenden
feudalen Klasse, setzte er seine ganze Kraft ein zur Entwicklung einer
realistischen, an der Antike orientierten und dem gesellschaftlichen Fortschritt
dienenden Kunst im Interesse des aufstrebenden Bürgertums.
[...]
Oeser war ein Künstler,
der
[...] Partei zu
nehmen wußte für die Entwicklung einer volksverbundenen
bürgerlich-demokratischen Kultur.“
Im Gegensatz zur
DDR-Kunstgeschichtsschreibung, zeigt sich die bundesrepublikanische
Kunstgeschichtsforschung weitgehend Gleichgültig gegenüber dem Künstler. Die
Stellungnahmen beziehen sich meist auf schon bekannte Urteile und Platitüden,
die wenig neue Erkenntnisse hervorbringen.
Erst die jüngere Forschung
relativiert sporadisch die harte Kritik gegenüber Oeser, ohne jedoch eine
grundsätzliche Korrektur an dieser Positionsbestimmung innerhalb der Kunst der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorzunehmen. Auch Börsch-Supan bringt wenig
Neues für die Oeserforschung, er bezieht sich bei seiner Bewertung hauptsächlich
auf „Oesers Humanität“, die in seine Kunst einfließt und somit „der
wertvollste Gewinn“ der „neuen Kunst“ ist.
Doch scheint Börsch-Supan einen Vorstoß in eine neue Interpretationsrichtung
von Oeser Arbeiten vorzunehmen. Er stellt fest, daß das Werk „mit seiner
Inszenierung nicht auf dramatische Wirkung, sondern auf Reflexion“ angelegt
war.
Dabei ist bisher kaum bemerkt worden, daß sich aus der Kombination von
„Humanität“ und „Reflexion“ in Verbindung mit dem Klassizismus eine
erweiterte Klassifikation für die Klassizismustheorie für die Zeit von 1750-1800
ergibt. Aus dieser Verbindung leitet sich die Formel des „empfindsamen
Klassizismus“ Richard Hamanns ab.
Die Kritiken des 18.
Jahrhunderts zeigen, daß Oeser, von einigen technischen Mängeln abgesehen,
niemals wegen seinen empfindsamen Intentionen kritisiert wurde. Kritisiert wurde
er in erster Linie von denen, die Winckelmann ablehnten, wie z.B. Chodowiecki
oder denen, die nach Italien gingen und dort meinten das große Glück gefunden zu
haben. Die Klassizisten wollten die Nähe eines „empfindsamen“ Künstlers zum
Klassizismus nicht mehr erkennen, die Romantiker übersahen die
gefühlvollen-romantischen Elemente der klassizistischen Kunst. Obwohl die
gefühlvolle Zeit von 1750 bis in die neunziger Jahre von ihren Intentionen her
der Romantik näher stand wie dem Klassizismus, konnten die Romantiker, die den
antikisierenden Klassizismus vehement ablehnten, nicht mehr differenzieren und
die gemeinsamen Berührungspunkte gebührend anerkennen. Beide, die Romantiker wie
die Klassizisten, reagierten pauschal ablehnend auf die Kunst des Übergangs.
Erschwerend kam bei Oeser noch hinzu, daß man ihn wegen seiner „angeblichen
Nähe“ zu Winckelmann zu einem Protoklassizisten machen wollte. Interessant ist
festzustellen, daß Oeser zu seinen Lebzeiten noch als Klassizist bzw.
„empfindsamer Klassizist“ gefeiert wurde und man ihn fälschlicher Weise als den
Urheber der Winckelmannschen Gedanken schätzte.
Die Kritiker des 19. Jahrhundert
sahen einen Widerspruch zwischen Winckelmanns Theorien und Oesers eigenem
künstlerischem Schaffen. Aus diesem Mißverhältnis sprachen sie ihm aus ihrer
„protoklassizistischen“ Position den „Klassizismus“ ab. Dabei wird nicht
gesehen, daß Winckelmann seine Programmschriften in erster Linie für zukünftige
Künstlergenerationen geschrieben hatte. Oeser galt nur noch als „empfindsamer
Manierist“ bzw. „Nebulist“. Es entsteht dabei der Verdacht, daß er an einem
Klassizismus-Stil gemessen wird, den er zwar in seiner Funktion als
Akademiedirektor lehrte, aber selber nicht in seinen künstlerischen Arbeiten
umsetzen wollte oder konnte. Offenbar wird hier von Oeser etwas gefordert, was
er nicht einzulösen vermochte. Oeser der untergeordneten Stilform des
„empfindsamen Klassizismus“ zuzuordnen, findet in Ansätzen erst im 20.
Jahrhundert statt. Die Widersprüchlichkeit zwischen Oesers idealem theoretischen
Wunschdenken und den realen Ausführungen seines eigenen künstlerischen Schaffens
wurden bislang noch nicht zu klären versucht, sondern ihm lediglich zum Vorwurf
gemacht.