Die konkret benannten
technischen Mängel durch die zeitgenössischen Oeser-Kritiker - Winckelmann,
Chodowiecki, Meyer und Goethe - lassen die Frage nach einem eigenen „Oeser-Stil“
aufkommen, an die sich die Frage anschließt: Gibt es eine theoretische
Grundlage, die für Oeser in seinen malerischen Arbeiten verbindlich wurde? Zu
Beginn dieses Abschnitts soll die These aufgestellt werden, daß Oeser in seinem
eigenen Kunstschaffen ungleich stärker von den Theorien des empfindsamen
Ästhetikers Hagedorns beeinflußt wurde, als von denen Winckelmanns.
Oesers
stilistische Abweichen von den verstandesorientierten Kunsttheorien
Winckelmanns, sollte die Frage nach weiteren Kunsttheoretikern aufkommen lassen,
die auf den Leipziger Akademiedirektor und Zeichenlehrer gewirkt haben mögen. Es
ist naheliegend, zuerst einmal in Sachsen und Oesers persönlichem Umfeld
Ausschau zu halten. Schnell stößt man dabei auf die auf „Empfindung“ angelegten
Schriften Christian Ludwig von Hagedorns.
Daß Oeser die Kunsttheorien seines Vorgesetzten neben denen Winckelmanns in
seinem Zeichenunterricht ebenso lehrte, belegt eine Ode, die ihm seine Schüler
1767 dichteten:
„Durch Dich wird der Geschmack
bey jeder Kunst bekannt
vom Beispiel Hagedorns entbrannt,
Bist Du für einen jeden Stand
Ein Lehrer des Geschmacks; und Deiner Schüler
[...]
Von welcher der theoretischen
Schriften Hagedorns Oeser begeistert war, läßt sich an einem konkreten Werk fest
machen, den „Betrachtungen über die Mahlerey“ aus dem Jahre 1762.
Christian Felix Weiße schreibt dem Autor darüber nach Dresden:
„Oeser aber, in dessen Händen
ich es finde
[„Betrachtungen über die Mahlerey“],
so oft ich ihn besuche, ist ganz entzückt darüber; es ist bisher seine gantze
Unterredung gewesen, u. er hatte sich vorgesetzet, einen langen Brief deswegen
zu schreiben: dieß Einzige, sagte er, er glaubte, daß Sie bißweilen zu furchtsam
in ihrem Urteil wären, u. oft andere ihre anführten, deren Ansehen ihnen weit
weniger als ihr eigenes gelten mußte: aber ist dieß nicht mehr ein Lob für ihre
Bescheidenheit.“
Hagedorn verweist bereits im
ersten Band seiner Schrift auf die beiden wichtigsten Punkte hin, die in der
Lehre vermittelt werden sollten, nämlich „Geschmack am sittlich Schönen“
und dem „Schönen in der Kunst“, denn beide:
„fließen aus einer Quelle,
[...];
und vielleicht würde ein Lehrer, der auf beydes führet, in einer wohlgeordneten
Pflanzschule der Künste, nicht überflüssig seyn.“
Daß Oeser die Leitgedanken
Hagedorns in seinem Unterricht vermittelte, bestätigt Goethe, wenn er schreibt,
sein Lehrer lebt im „reinen Kreise sittlicher und sinnlicher Reize [...].“
Laut Goethe vermochte Oeser die beiden Grundideen Hagedorns zu vereinen, die ihm
„den Weg zum Wahren und Schönen“ zeigten, nämlich „das Herz gegen den
Reiz fühlbar gemacht“ und den „Geschmack am Schönen“ vermittelt zu
haben.
Demzufolge hat bei Oeser eine Ethisierung des Kunstunterrichts stattgefunden, in
dem sich seine Lehre nicht auf das akademische Kopieren antiker Gipsabgüsse
beschränkte, sondern er stets darauf bedacht war, auf eine moralisch-sittliche
Schönheit in der Kunst hinzuweisen. Oeser verfuhr in seinem Unterricht wohl eher
den Prinzipien, wie sie in der Literaturzeitschrift „Neue Bibliothek...“
beschrieben wurden:
„Wenn die Lehrer nichts als edle
Gegenstände ihres Pinsels würdig schätzen, so werden die Lehrlinge auch keinen
andern Eindruck als des Edlen bekommen und also nicht nur für die Werke der
Kunst, sondern auch für das sittliche Schöne Liebe gewinnen. Man will bemerkt
haben, daß sowohl auf dieses als auf jenes bey der Direction gesehen wird, und
bei der Heranziehung der Künstler seit einigen Jahren die Geschicklichkeit zwar
der erste veranlassende Gegenstand gewesen die Rechtschaffenheit aber allezeit
in Betracht gekommen.“
Über das Empfinden des „sittlich
Schönen“ konnte sich eine moralische Kraft entwickeln. Hierzu schreibt der
Leipziger Popularphilosoph Platner:
„Die Gegenstände, welche
entweder wirklich vorhanden in der Natur und Kunst, oder erst erschaffen in der
Phantasie, sinnlich starke Ideen erregen können, thun es entweder durch eine
ästhetische, oder durch eine leidenschaftliche, oder durch eine moralische
Kraft.“
Oeser war
ein erklärter Gegner einer mathematischen Zergliederung des Denkens, was wohl
als eine der Ursachen dafür anzusehen ist, daß sich eine am Vorbild der Pariser
École Polytechnique orientierte technische Hochschulbildung in Leipzig auf
Dauer nicht etablieren konnte.
Emotionen anschaulich machen,
war laut Hagedorn die größte Begabung eines Künstlers. In der „Gabe zu sehen
und zu fühlen...“ leiteten sich für ihn weiterer Grundsätze für die Malerei
ab, denn:
„[...]
durch Zeichnung
und Farbe giebt der Künstler seinen Gedanken die Wirklichkeit, und durch den
Ausdruck der Bewegung der Seel, dem ganzen das Leben.“
Der Künstler soll die Fähigkeit
besitzen:
„[...],
die schöne Natur mit Empfindung zu sehen
[...],
den Werth der edlen Einfalt und Ungezwungenheit zu kennen, und sie zu
Gegenständen des Rührenden, oder auch des Erhabenen, anzuschicken, das Herz zum
Gefühl eines jeglichen Charakters zu heben, und von denjenigen Regungen selbst
durchdrungen zu seyn, die durch des Meisterhand in uns erweckt werden soll
[...].“
Daß Oeser hierzu in der Lage
war, bestätigt wiederum Goethe in seiner frühen Beschreibung des Porträts von
Schubart (vgl. Abb.12) in dem „Oesers tiefe Empfindung“
zum Ausdruck gebracht wurde. Daß gerade in diesem Punkt Oeser bei seinen
Auftraggebern in der Porträtzeichnung geschätzt wurde, bezeugt auch die Herzogin
Anna Amalia, die sich in einem Brief über eine Zeichnung mit mehreren
Porträtdarstellungen bedankt:
„Die Zeichnung hat mich
außerordentlich gefreut ich glaube Sie haben Phisionomik studiret den jeder
Person Carakter ist so vollkommen ausgedrückt
[...]
ist vollkommen der Natur gemäß.“
Wie ernst Oeser das
Porträtzeichnen nahm, um beim Betrachter „Regungen“ über den Charakter eines
Dargestellten zu erwecken, belegt die Tatsache, daß er das Porträt des
Predigers und Abts Jerusalem 19 Mal zu malen begann (Abb. 16),
um die treffenden Charakterzüge richtig zu erfassen. Wie auch die beiden
Zeichnungen „Zwei Besessene“ und eine „Alten Frau“ zeigen (Abb. 17, 18),
wird hier gleichfalls ein spezifisches Interesses an einer inneren wie äußeren
Physiognomie erkennbar. In zahlreichen weiteren Akademiestudien werden Oesers
Intentionen beim Porträtzeichnen mehrfach deutlich. Alle sind sie darauf
ausgerichtet den Charakter, die inneren Wesensmerkmale und den Gemütszustand zu
erfassen und in der Physiognomik zum Ausdruck zu bringen.
Die Ansichten Hagedorns wurden nicht nur in Oesers Unterricht vermittelt,
sie spielten als theoretischen Voraussetzungen ganz allgemein für die Kunst der
Empfindsamkeit im 18. Jahrhundert eine wichtige Rolle:
“Soll aber die Kunst ihre volle
Stärke zeigen: so arbeitet sie für höhere Empfindungen. Oft wird alsdann eine
sanfte Stille in dem Gemählde herrschen müssen. Der Reiz wird uns in seiner
edlen Einfalt rühren: die Schönheit unsere Aufmerksamkeit mit wenig Gegenständen
ungleich theilen: und die Majestät der Handlung wird Ernst und Nachsinnen über
unsere Seele gebieten.“
Was für die Kunst im allgemeinen
gilt, wird im besonderen an der Oesers deutlich. Dessen theoretischen
Grundintentionen waren ebenfalls, wie bereits erwähnt: „Empfindungen erregen
und mit wenig viel sagen“
und gleichzeitig „den denkenden Geist zu beschäftigen“.
In diesem Punkt lassen sich Ansatzpunkte eines romantischen Selbstverständnisses
finden, sich ursprunghaft im Geist der Empfindsamkeit wiederzuerkennen. Wie es
in der Verschränkung von Denken und Empfinden bei Klopstock der Fall war.
Die „sanfte Stille“ und
„edle Einfalt“, sollten in Oesers Bildern und Zeichnungen die eigene
Gemütslage ausdrücken und beim Betrachter innere Regungen erzeugen. Bei der
Vermittlung eines persönlichen Gefühlsausdrucks treffen für Oeser die folgenden
Worte Hagedorns zu:
„Durch Zeichnung und Farbe giebt
der Künstler seinen Gedanken die Wirklichkeit; und durch den Ausdruck der
Bewegungen der Seel, dem ganzen das Leben.“
Die Darstellung eines
Gemütszustandes verlangte von Oeser eine bestimmte Zeichen- und Malweise. An
diesem Punkt knüpfen die Kritiker, die inzwischen einem „Sturm und Drang-
Klassizismus“ erlegen waren, in ihrem Urteil an Oeser an. Vor allem Meyer
bemängelt, daß es in seinen Arbeiten in der Verwendung der Zeichnung und Farbe
an „Ausdruck [...] Lebendigkeit und Kraft“ fehle.
Bedingt wird dies mitunter auch, wie Goethe ausführt, durch Oesers bewußt
angelegte „skizzenhafte“
und „unbestimmte“
Zeichnung und für Winckelmann stellt dies das Fehlen einer strengen
„Richtigkeit der Alten“dar.
Im folgenden Abschnitt soll,
unter Hinzuziehung von weiteren Werkbeispielen speziell aus Oesers Malerei der
Versuch unternommen werden, zu belegen, daß sich in seinen Bildern speziell die
Kunsttheorie Hagedorns der „Betrachtungen über die Mahlerey“ von 1762
niederschlägt. Gleichzeitig soll belegt werden, daß sich gerade an den Regeln
Hagedorns, denen Oeser folgte, sich die Kritik an Oeser entzündete.
Einer der Hauptkritikpunkte an
Oesers Bildern, war die fehlende Kontur. Gerade aber Hagedorn war es, der nicht
die strenge Kontur der Alten empfahl, wie sie Winckelmann forderte.
Für ihn zeichnete sich die Malerei vielmehr dadurch aus, daß sie die Umrisse
durch ein sogenanntes „Sfumato“, wie es die Natur vorgibt, verschwimmen
läßt:
„Das sanfte und verblasene (Sfumato)
in den Umrissen wird dem Mahler nicht etwan, als ein blosser Kunstgriff
empfohlen. Vermöge der Haltung und Luftperspektiv sowohl, als nach der Wendung
und Linienperspektiv, wir sie ihm von der Natur selbst, als eine Nothwendigkeit
aufgeleget werden.“
[...]
„Eben weil die Theile, die gegen die Luft im Gemählde abweichen,
dieser Lindigkeit und gewisser massen der Luftfarbe theilhaft werden; so muß es
bey den feinsten gestellten Bildern die hervorragenden Theile, der Stirn, die
Nase, das Kinn, die ausgestreckten Hände u.s.f. vorzüglich treffen. Man darf
vermuthlich den Schmelz der Farben an den Aussenlinien der gegen den Himmel
erhobenen Hände der entführten und Hülfe rufenden Dejanira nicht erst empfehlen.
Dadurch erlangte aber auch die blühende Wange einer von Manyoki geschilderten
weiblichen Jugend etwas von der angenehmen Pfirsichfarbe.“
In der Tat sind Oesers Arbeiten
mit weichen verschwommenen Umrissen gemalt, so daß die Bilder wie durch einen
zarten Dunstschleier gesehen erscheinen. Das Inkarnat des hier gezeigten
„Porträt eines Mädchens“ (vgl. Abb. 5) weist eine rote, gelbe und
violett-grüne Farbigkeit, wie die eines „Pfirsichs“, auf. Die scheinbar
fehlende „Linie“, die von Oesers Kritikern immer wieder bemängelt wurde, war
gewollt abgeschwächt. Wie das Bild zeigt, folgte der Maler hier eindeutig den
Empfehlungen Hagedorns: „Der Schmelz der Farben soll
den genauesten Umriß nicht verbergen, sondern verhüllen.“
Die sich daraus für Hagedorn ergebenden abgeschwächten
Farben beschreibt er mit einer „angenehme Pfirsichfarbe“. Dies veranlaßte
Winckelmann wohl zu wiederholter harschen Kritik: „[...] sein [Oesers]
Colorit ist nicht reif genug; es ist ein Rubenscher Pinsel, [...].“
Das o. g. Porträt (vgl. Abb. 5)
kann als eine typische Erscheinung einer „empfindsamen klassizistischen“
Bildniskunst gelten, die sich aus einer „natürlichen Empfindung“
definiert, wo jedes Bild zu einem „Abbild“ und „Porträt“
wird.
Als weiteren Beleg für die
„Richtigkeit der Argumentation“ der Kritiker, daß eine tatsächliche Umsetzung
der Hagedornschen Theorien bei Oeser stattfand, kann eine Gegenüberstellung der
Kopie eines Oelgemäldes von Oeser mit dem erhaltenen Original angeführt werden.
Hierbei wird Oesers Vorgehensweise klar veranschaulicht. (Abb. 19, 20). Es
handelt sich dabei um die Wiedergabe des vermutlich von Sebastiano Ricci
(1659-1734) gemalten Bildes „König Salomon beim Götzendienst“. Der
Vergleich mit der Kopie zeigt deutlich, wie Oeser in seiner Reproduktion
jeglichen Kontrast des Originals, sei es in der Licht und Schattenführung oder
in der Kontur in seinem Bild herausnimmt (vgl. Abb. 14). Oeser negiert sämtliche
Spannungsmomente, die Umrisse werden abgeschwächt, die Gewänder in großen
Farbflächen angelegt, der Faltenwurf wenig differenziert gezeichnet.
Am ausgestreckten Arm der
mittleren Frauengestalt wird deutlich, wie dessen Kontur durch den „Schmelz
der Farben an den Aussenlinien“ (s.o.) und die Luftperspektive sich mit dem
Hintergrund verbinden. Oeser verzichtet in seinen Kompositionen auf die
Ausarbeitung von Einzelheiten und Nuancen. Goethe stellt folglich zutreffend
fest, sie waren „auf Licht, Schatten und Massen“
berechnet. Goethe schloß sich hier offensichtlich dem Meinungsbild Meyers an,
der ebenfalls erkannte:
„Licht und Schatten hat Oeser
zwar oft willkürlich vertheilt, sie sind aber doch meistens, so wie die
Gewänder, in Breiten Massen angelegt und zur gefälligen Wirkung benutzt.“
Daß die „gefällige Wirkung“
einstmals auf Empfindung ausgelegt war, konnte Meyer nicht mehr sehen. Ebenfalls
war es Chodowiecki nicht klar, daß Oeser den antiken Faltenwurf zwar studiert
hatte aber nicht kopieren wollte.Die
von Oeser übrig gebliebenen Ansätze einer antiken Formensprache erkannte
Chodowiecki, bemängelte aber ihre unpräzise Ausführung: „In seinen gewändern
ist antiquer wurf, aber weder antique noch wahre Falten“ [sic].
Obwohl Chodowiecki kein
Parteigänger Winckelmanns und der Romfahrer war, legte er bei Oeser größten Wert
auf die Ausführung der Kontur und strengen Linienzeichnung. Daß für Chodowiecki
als Stecher und Radierer die Linie eine besondere Bedeutung hatte, versteht
sich von selbst. Vielleicht erklärt sich hieraus die scharfe Kritik an seinem
Leipziger Kontrahent, wenn er am Beispiel von Oesers Altarblatt in der
Leipziger Nikolaikirche bemängelt, daß „die Köpfe wie in der Skieze mit
unausgeführten Liniamenten angelegt“ sind.
Was bei den Kunstrichtern über
Oeser Beanstandung fand, wurde bei Hagedorn als gewollt und natürlich angesehen.
Am folgenden Beispiel führt er aus, wie sich feine Strukturen, die aus der
Ferne betrachtet werden, innerhalb eines Bildes zu einer gleichmäßigen Farbmasse
verschmelzen sollten:
„Nicht zu viel, wollen wir
lieber sagen. Nehmen wir an nur etwan fünf Fuß für die Entfernung des Vorbildes
an: so vereinigen sich schon unendlich getheilet Haarlocken in Massen, und
rechtfertigen die gleichmäßig verschmolzene Farbe gegen allen Ausdruck jener
unendlichen Theile. Allein je näher der Gegenstand, je leichter der Beweis für
das sanfte an den Aussenlinien.“
Aus der weiteren Beschreibung,
wie ein Gesicht und seine Mundpartie ausgeführt werden sollen, ergeben sich beim
Vergleich mit den von Oeser gemalten Gesichtern erstaunliche Parallelen. Wie ein
anderes Beispiel zeigt (Abb. 21; vgl. Abb. 5), sind hier die Haare gleichmäßig
verschmolzen, die Augen, die Nase und der Mund stehen kaum im Kontrast zum
Inkarnat des Gesichts. Die Gesichtszüge sind nur angedeutet modelliert. Hagedorn
beschreibt über die Darstellung von Gesichtern weiter:
„Der Mund verbindet sich durch
keinen scharfen Abschnitt mit der benachbarten Haut, unter welcher oft, bey dem
mindesten Unterschiede sanft angezogener Muskeln, bestimmende Züge der
Schönheit spielen. Mit gebrochenen Mittelfarben verschmelzet hier der Künstler
den Umriß des Mundes. Ein mit dieser Farbe mässig genährter Pinsel schwinget
sich von dem Abhang der sanft erhöhten Lippe und verlieret sich, von der Grazie
geleitet, in die nächste Grenze der weisen Haut. Hier schließt die (?)
Weichlichkeit (morbidezza) alle Härte auf einmal aus.“
Vermutlich nimmt Hagedorn in
seiner Beschreibung den Schönheitsbegriff der Farben von Edmund Burke auf, der
fünf Jahr zuvor Ähnliches über die Anlage der Gesichtsfarben schrieb:
„Bei einer hüpschen
Gesichtsfarbe gibt es nicht nur eine gewisse Mannigfaltigkeit der Färbung,
vielmehr dürfen auch von den Farben weder Weiß noch das Rot grell und glänzend
sein. Außerdem müssen sie so allmählich ineinander übergehen, daß es unmöglich
ist, feste Grenzen zu bestimmen.“
Wie das o. g. Beispiel zeigt
(Abb. 5), Oeser meidet bewußt eine kräftige Lokalfarbigkeit, die Verschmelzung
der „weichen“ und „sanften“ Farben waren seine typischen stilistischen Mittel,
mit denen er größte Harmonie in seinen Bildern erzeugen konnte.
Goethe
wie Chodowiecki
bestätigen Oeser eine gute Komposition in seinen Bildern. Seine gängige
Dreieckkomposition entsprach den klassizistischen Vorstellungen eines
Bildaufbaus, was sie als seine Kritiker noch zu würdigen wußten. Das Kolorit
empfindet Chodowiecki beim ersten Anblick sogar als angenehm, bemängelt aber,
daß die Farben „ohne Wahrheit“ seien, die lichten Stellen, mit „grau
schattiert oder gebrochen“ ausgefüllt wurden. Dennoch gesteht er ein, daß
dies „keine üble Wirkung thut“.
Gleich wie Meyer erkannte Chodowiecki nicht mehr die
eigentliche „Wirkung“, auf welche die Bilder Oesers angelegt waren. Das „Sfumato“,
das zu den unrealistischen, gebrochenen Farben führte, sollte zu einer
„empfindsamen“ Wirkung beitragen. Zuerst wurde diese Charakteristik von Meyer
als „nebulistisch“ abqualifiziert, später dann auch von Goethe.
Bei den angeführten Bildern
Oesers legt sich über jedes Bild ein „Sfumato“, wodurch es wie durch
einen „Schleier“ betrachtet erscheint. Für Hagedorn ergeben sich die Weichheit
der Umrisse und die abgestuften Farben aus dem sinnbildlichen „Flaum einer
Pfirsichhaut“:
„Es klebt nämlich das Weiche des
Umrisses, dieser gelinde Duft, wie die sanfte Wolle der Pfirsich, auf gewisse
Maasse allen Körpern oder deren Fläche an.“
Goethe erkennt sogar die sich
hieraus ergebende Harmonie in Oesers Bildern. Diese Tatsache fand selbst im
historischen Teil zu seiner Farbenlehre Erwähnung. Er benützt die
abgeschwächten Farben in Oesers Arbeiten als Beispiel für die Harmonisierung
eines Bildes:
„Friedrich Oeser, wenige Jahre
später geboren als Dietrich, war allerdings ein Künstler von großen Talenten und
man kann ihm eine Neigung zum Übereinstimmenden nicht abläugnen; doch hat er
solches nicht durch kunstmäßige Vertheilung der Farben, sondern durch Dämpfung
ihres natürlichen Glanzes zu erreichen gesucht, so daß die Harmonie seiner
Bilder eigentlich aus dem schwachen Colorit derselben entspringt.“
Die Farben abzuschwächen, war
für Goethe, als er seine Farbenlehre verfaßte, aber ohne Bedeutung. Er spricht
Oeser die Kunstfertigkeit, eine Farbharmonie im Bild anzulegen, ab. Seiner
Einschätzung nach entstand sie rein zufällig aus Oesers Unvermögen, die Farbe
richtig zu behandeln. Im Gegensatz zu Goethes bei Oeser bemängeltem
„schwachen Colorit“ führen bei Hagedorn gerade erst die gebrochenen,
gedämpften Farben zu einem gelungenen Bild.
Neben einer kräftigen Farbgebung
lehnt Hagedorn ebenso eine zu detailgetreue Ausführung der Malerei ab. In diesem
Punkt bezieht er sich auf Gerard de Lairesse (1641-1711), der ein „mässiges
Bestäuben“ eines Bildes empfiehlt:
„Allein was Lairesse ein
mässiges Bestäuben des Gegenstandes nennt, fehlet an solchen Gemählden, wo die
Sauberkeit zu weit gesucht, und die Deutlichkeit zu vollkommen ist, um schön zu
bleiben.
[...]
Die zärteste Haut würde bey der äussersten
Deutlichkeit verlieren, wenn unser Auge jegliche Fäserchen derselben sollte
unterscheiden können. Angenehmer erscheinen gefällige Gesichtszüge zuweilen
unter einem dünnen Flor, der uns, wo nicht die Mängel der Haut zu verbergen hat,
doch noch mehr Schönheit errathen läßt. Diesen Flor haben wir gewisser masen in
der Mahlerey dem oft erwehnten Zwischenstande der Luft zu verdanken. Unsere
Neugier will oft mehreren Anreiz vergnügt, aber nicht gesättiget seyn.“
Das Verborgene, bzw. „Nebulöse“
gaben für Hagedorn erst den Reiz eines Bildes, das für eine „empfindsame Seele“
ein weiteres Interesse für ein Bild auslöst. Legt man Hagedorns Definition
weiter aus, könnte er neben einem gesteigerten Interesse an der verborgenen
Gegenständlichkeit ebenso das Verbergen einer Inhaltlichkeit andeuten.
Das Wissen um die inhaltlichen
und sittliche Qualitäten des „empfindsamen Stils“ ging bereits um die
Jahrhundertwende verloren. In der Folge vermehrt sich die Kritik, die in erster
Linie an der Technik ansetzt und zu solch harten Urteilen wie Meyer gelangt:
„Seine
[Oesers]
besten, ausgeführtesten Arbeiten haben noch zu viel schwebendes, unbestimmtes,
zu leichten Sinn und halb aufgelösten Gestalten. Im übrigen sind es meist
anmuthige Bilder, Ergießungen, einer harmlosen kindlichen Seele,
[...].“
In ähnlicher Weise wie Goethe
von Oesers „gefälligen Frauen“ und „naiven Kindern“ und Männern in
abbrevierender Manier
spricht, beklagt der Oeser Biograph Dürr das „weichliche Element“ in den
Figuren. Besonders bei den biblischen Kompositionen bemängelt er:
„Sein Christustypus, seine
Aposteltypen sind verzärtelte, kraftlose Wesen, denen, wie überhaupt seinen
Männern, ein unangenehm sentimentaler Zug eigen ist.“
Im Gegensatz zum 18. Jahrhundert
wirkt das Sentimentale auf das 19. Jahrhundert unangenehm. Ganz den
Empfindungen seiner Zeit entsprechend, beschreibt Oeser gegenüber Hagedorn den
Christustypus von Guido Reni, den er später in seinen eigenen Arbeiten nachahmte
(Abb. 22):
“Die stille Größe in allen
Zügen; das ruhige, weisheitsvolle Auge; der zum sprechen bereit scheinende Mund;
die edle Einfalt des über die Schultern herabrollenden Haares; mit andern über
die Beschreibung erhabenen Gesichtszügen, mögen hier als eine schwache
Schilderung des Eindrucks stehen, den dieses Bild auf das Auge und die
Empfindung jedes Menschen machen muß“
Die Beschreibung von Oesers
Eindruck entspricht den Intentionen der Figurenausführung bei Hagedorn. Der
Reiz der Empfindung wird über die Enträtselung des Verborgenen und den feinen
Geschmack erlangt.
Meyer und Winckelmann machten
Oeser immer wieder zum Vorwurf, da er „nicht in
Italien studiert hatte“,
er nur so viel von der Antike wissen konnte, wie „man
außer Italien wißen kann“.
Diese Kritik erging auch an Hagedorn, der ebenfalls
nie in Italien gewesen war. Es scheint deshalb folgerichtig, daß Winckelmann
Hagedorns Kenntnisse über die Malerei aus denselben Gründen anzweifelte, wie er
Oeser kritisierte:
„Hagedorn hat eine große
Kenntnis in der Malerei, welche er sich zu Wien, Düsseldorf, München und Dresden
erworben hat. Es muß aber seine Kenntnis teils mangelhaft, teils nicht richtig
sein, weil er Italien selbst nicht gesehen hat.“
Hagedorn räumt der Antike zur
Naturnachahmung eher eine dienende Stellung ein. Er bemerkt:
„Die Antike soll uns lehren, die Natur wählen, und die sogenannte
idealische Schönheit zur Wirklichkeit zu bringen.“
Die Nachbildung der Antike wirkt demzufolge korrigierend auf die Naturnachahmung
im Sinne einer ästhetischen Idealisierung.
Verlangt wird ein Zusammenspiel von Naturnachahmung und dem Ideal der Antike.
Ganz ähnlich folgt Oeser Hagedorns Meinung wenn er schreibt:
„die Alten studieren, und copieren ißt nach meinen Begriffen
zweierley.“
Oeser lehnte das bloße Kopieren nach antiken Vorlagen
ab. Für ihn stellte die Antike lediglich ein Maßstab dar, an dem es sich bei der
eigenen Naturnachahmung zu orientieren galt. Herder dagegen, der Hagedorns
Kunstanschauungen ablehnte,
und sich ganz den Leitideen Winckelmanns verschrieben hatte, stieß demzufolge,
wie der Entwurf zu einem Grabmalsentwurf für den Weimarer Hof zeigt, auf
heftigen Widerstand Oesers:
„[...],
die Erwartung des Hauses, und des Publikums, mit nichts beßerem zu befriedigen
müßten als daß er aus einem alten Autor, eine Stelle herläse, und ich ihm das
Buch dazu vorhielte, anstatt daß er, und ich was neues sagen sollten. Mit Recht
müßten wir uns den Vorwurf des Publikums gefallen laßen, wenn es sagte, daß es
die Stelle selbst aufschlagen und lesen könnte, ohne daß es nöthig hätte dorthin
zu gehen um sie aufzusuchen.“
Oeser lehnt das strikte
Reglement der Nachahmung, wie es Winckelmann forderte, in gleicherweise ab wie
Hagedorn. Er spricht sich gegen die reine vernunftbestimmte Verwendung von
Regeln in der Kunst aus, denn zwanghafte „Regelhaftigkeiten“ geometrischer
Muster waren Formen, wie sie der absolutistische Barock hervorgebracht hatte.
Und eben aus diesem Grund beklagt er: „Gerade als ob blosse Lehrsätze, ohne
Zuziehung und eigenes Gefühl der Natur, daraus sie genommen worden, jene
Kenntnis des Schönen mitteilen könnten.“
Oeser folgt hier den Ansichten Hagedorns und erstmals in der Kunsttheorie
versuchten sich ein Theoretiker in seinen Schriften und ein Künstler in seinen
Arbeiten über die Intentionen Winckelmanns hinwegzusetzen. Was bei Winckelmann
noch als unvereinbar galt, wurde bei Hagedorn und Oeser miteinander verknüpft,
nämlich mit den kunsttheoretischen Forderungen der Antike, die Wahl für das
Schöne in der Natur zu treffen. Hagedorn schränkt im Kapitel „Grenzen der
Nachahmung“ ein, daß nur eine Verbindung aus der „idealischen und
einfachen“ Wahrheit die Kunst ausmacht:
„Das edelste idealische Wahre
ist blos dichterisch
[...].
Die Verbindung des
idealischen und des einfältigen Wahren ist in den allereinfältigsten und
erhabensten Gegenständen gleich notwendig.“
Ebenso wie Winckelmann,
lehnte auch der Winckelmannbiograph Carl Justi Hagedorns „Anmerkungen...“
ab und bescheinigte ihm einen „beschränkten Kunstsinn“ und eine
„geringe geistige Originalität“.
Justi erkennt dennoch sehr wohl die Intentionen Hagedorns, die für ihn
allerdings keine anerkennenswerte Bedeutung mehr hatten. Justi faßt aus seiner
kritischen Sicht in wenigen Sätzen die für Oeser zum Leitmotiv gewordenen
Vorstellungen Hagedorns zusammen:
„Leugnen läßt sich nicht, daß
diese Gedankenreihe Hagedorn viel mehr am Herzen liegt, als die
eklektisch-akademische oder antikisierende. Er für seine Person sucht in der
Kunst viel weniger Vollkommenheit der Form, als Empfindung. Er betrachtete die
Malerei, wie die Erneuerer unserer Literatur die Poesie betrachten, als Mittel
zur Bildung des Herzens, d.h. der feineren Empfindungsfähigkeit, als Hilfe
gegen die Verknöcherung und Unwahrheit, die über unseren Lebensverhältnissen
lag.“
„Antikisierend-akademisch“ waren
die Leitmotive der „Klassizisten“ und „Italienfahrer“, diesen standen die
Theorie der „Daheimgebliebenen“ gegenüber. Hagedorns Gedanken entstanden aus
einer Symbiose mit der heimischen Literatur, der „nordischen“ Natur (die Antike
diente dabei nur als Vorbild, das Schöne an der Natur zu erkennen) und den
emanzipatorischen bürgerlichen Idealen. Die künstlerische Umsetzung von
Hagedorns Ideen fand in den Arbeiten Oesers statt. Moral, Sittlichkeit und
Tugendhaftigkeit wurden durch Inhalte vermittelt und nicht durch eine perfekte
Nachahmung der antiken Formensprache. 1780 äußert Oeser eine distanzierte
Haltung gegenüber der Antike, nationales zeitgenössisches Denken lassen sich für
Oeser nicht mit der Formenwelt der Griechen ausdrücken:
„Allein nicht durch diejenigen
Kennzeichen, die die Alten
[...]
wählten, können wir es in unseren neuen Zeiten und Sitten thun. Der Endzweck
ist bey ihnen und uns einerley, aber die Mittel, sind verschieden.
[...]
es war keine That ohne Endzweck, es war bey ihnen das schicklichste Mittel,
allgemein zu würken. Wir können nicht mehr ihre Begriffe damit verbinden,
und so fällt Absicht und Wirkung weg.“
Der Einklang von Absicht und
Wirkung war doch gerade eine der Grundmaximen für die Kunst der Aufklärung.
Zwanzig Jahre später bezieht der Romantiker Philip Otto Runge (1777-1810) eine
ähnliche Position wie Oeser und rechnet mit den Weimarer Kunstkritikern ab.
1801 schreibt Runge über die Weimarer Preisaufgaben:
„Die Kunstausstellung in Weimar
und das ganze Verfahren dort nimmt nachgerade einen falschen Weg, auf welchem
es unmöglich ist, irgend etwas Gutes zu bewirken
[...]
wir sind keine Griechen mehr, können das Ganze schon nicht mehr so fühlen,
[...]
und warum uns bemühen, etwas Mittelmäßiges zu liefern? entsteht nicht ein
Kunstwerk nur in dem Moment, wann ich deutlich einen Zusammenhang mit dem
Universum vernehme
[...].“
Runge, der in seinen
Vorstellungen eine romantisch-pantheistische Position bezieht, lehnt den
Antikenkult der Weimarer gleichfalls wie Oeser ab. Zu einer Differenzierung
zwischen dem strengen akademischen Klassizismus und dem empfindsamen
Klassizismus gelangte Runge jedoch nicht, um die gemeinsamen geistigen und
inhaltlichen Wurzeln der Romantik und der Empfindsamkeit zu erkennen.
Oesers kunstheoretische
Position, die bereits an einigen Beispielen veranschaulicht wurde, läßt sich ein
weiteres Mal an der Gegenüberstellung zweier Arbeiten veranschaulichen, an dem
der Generationsunterschied zwischen dem Lehrer und dem Schüler deutlich wird.
Hierbei handelt es sich um das von Oeser für die Leipziger Nikolaikirche
eigenhändig gemalte Bild mit dem Thema „Lasset die Kindlein zu mir kommen“.
(Abb. 23). Das Bild weist sämtliche besprochenen charakteristischen Merkmale
Oesers bzw. Hagedorns auf. Flächig angelegte Gewänder, „pfirsichfarbenes
Inkarnat“, die bereits gebrochen pastosen Farben werden durch ein „Sfumato“
zusätzlich abgemildert.
Dem Vergleichsbild, das dem Oesers gegenüber gestellt werden soll, liegt
dasselbe Thema zu Grunde. Es handelt sich dabei um das Altarblatt für die Kirche
im sächsischen Wolkenburg (Abb. 24), die zwischen den Jahren 1794-1804 vom
Grafen Einsiedel erbaut wurde. Die Bedeutung dieses Bildes liegt darin, daß es
von Oeser begonnen wurde und nach dessen Tod 1799 von seinem Schüler Hans Veit
Schnorr von Carolsfeld zu Ende gemalt wurde. Deutlich weist das Bild zwei
verschiedene Hände auf, die gleichzeitig auch eine unterschiedliche
Malauffassung erkennen lassen.
Die für den Klassizismus
typische Dreieckskomposition ist mit Sicherheit auf die Anlage Oesers
zurückzuführen. Die Gruppierung der Personen kann ebenfalls von Oesers Hand
stammen, gleichfalls der „nebulistisch“ angelegte Hintergrund, vor dem die
Figuren beginnen sich aufzulösen. Carolsfeld berichtet, daß Oeser das
„Bild zur Hälfte nur erst dünn untermalt hinterlassen hatte.“
Die Ausführungen der Christusfigur und die der Mutter als Caritas dürften
eindeutig aus der Hand Carolsfelds stammen. Dafür sprechen die strenge
klassizistische Ausführung des Lineaments der Gesichtskonturen und die
Modulierung des Inkarnats durch Schattenpartien. Für eine typische Figur Oesers
steht dagegen die Figur des Mittelgrundes zwischen den beiden Hauptpersonen.
Ihre halbgeöffneten Augen und Mund und dem nach oben gewandten Blick weisen auf
Oeser. Der Umriß und die Konturen der Figur sind kaum zu erkennen. In der
Gegenüberstellung dieser drei genannten Personen wird einmal mehr der
Generationenunterschied deutlich. Neben dem sentimentalen Klassizismus beginnt
sich hier ein reifer Klassizismus abzuzeichnen. Der Schüler löst den Stil seines
Lehrers ab und führt ihn weiter.
Der spätere Leipziger
Akademiedirektor und Nachfolger Johann Friedrich August Tischbeins war Hans Veit
Schnorr von Carolsfeld. Dieser vertrat bereits einen frühen Nazarenerstil, den
er bei Oeser erlernt hatte. Sein Sohn Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872),
der unter anderen auch von seinem Vater unterrichtet wurde, war der bekannteste
Leipziger Vertreter eines ausgereiften Nazarenerstils. Berühmtheit erlangte er
unter anderem durch seine „Bibel in Bildern“, die ab 1860 erschien.
Oesers empfindsame Malerei war
immer von einer eigenen Grazie begleitet. Das Vermeiden eines hart
konturierenden Lineaments führte zu einer weichen Strukturierung von Figuren und
Formen, verbunden mit dem Hang zur koloristisch fahler und unplastischer
Gestaltung. Damit gehört Oesers Kunst einer stilgeschichtlichen Übergangsphase
an, die den Klassizismus in unterschiedlicher Ausprägung, meist durch Betonung
inhaltlicher Momente, mit vorbereiten half, aber aufgrund der
Traditionsgebundenheit noch in stilistisch-formalem Vokabular des Spätrokoko
verharrte. Diese neben anderen - zwischen den Jahren 1760-1780/90 - in der
bildenden Kunst anzutreffenden Stilrichtung läßt sich in Bezug auf analoge
Absichten und Inhalte mit der literarischen Empfindsamkeit vergleichen, deren
formale Kennzeichen hauptsächlich in „einem empfindsamen Gefühlsausdruck“ sowie
„graziöser Anmut“ bestehen.
Der dargestellte Kritikverlauf
anhand einiger repräsentativer Beispiele hat gezeigt, daß Oeser Vertreter einer
nur kurzen Kulturepoche war, die schnell in die Kritik geriet. Auch wenn die
Periode der „Empfindsamkeit“ kaum eine Generation Bestand hatte, brachte der
künstlerischer Ideenreichtum dieser Zeit ganz eigene Sujets hervor. Ein Beispiel
hiervon gibt das Œuvre Oesers, das im folgenden in einer Auswahl vorgestellt
werden soll.