Bis in die jüngste Zeit genießt Adam Friedrich
Oeser (1717-1799) ein zweifelhaftes Ansehen. Obwohl man Oeser eine
entscheidende Einflußnahme auf die Schriften Winckelmanns, die Kunstanschauung
Goethes sowie eine herausragende Stellung bei der Verbreitung der
klassizistischen Kunsttheorie für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts
zugestanden hat, waren sich die Kunsthistoriker lange Zeit nicht einig, wenn es
um die Bewertung des Ranges von Oesers künstlerischer Arbeit selbst ging.
Der Vorwurf, die Oeserschen
Arbeiten seien „nebulös“, hat seit Anfang des 19. Jahrhunderts Tradition. Die
zum Gemeinplatz gewordene Charakterisierung läßt den Verdacht aufkommen, daß es
sich dabei weniger um eine am Werk selbst überprüfte Wertung handelt. So gilt es
die Ursache nach der nicht mehr in Frage gestellten Kennzeichnung zu klären.
Allein die Divergenz zwischen zeitgenössischer Beurteilung und Einschätzung des
19. Jahrhunderts gibt Anlaß, diese Kritik zu hinterfragen. Wie ist es zu
erklären, daß ein Künstler, der eine derart uneingeschränkte Beliebtheit und
Wertschätzung bei seinen Zeitgenossen erfahren hat, dem heutigen Urteil so wenig
standzuhalten vermag? Oder anders gefragt: haben die damaligen Kritiker die viel
zitierte „Mittelmäßigkeit“ des Künstlers nicht gesehen, oder hat die
Kunstgeschichtsschreibung Oesers eigene Form von „Originalität“ nicht mehr
entsprechend würdigen können? Sicherlich ist diese Frage nicht mit einem
einfachen „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten. Die vorliegende Untersuchung soll das
sich wandelnde Meinungsbild gegenüber Oesers Werk aufzeigen und damit zu einer
möglichen Antwort beitragen.
Der Bruch in der Bewertung Oesers vollzog sich
mit seinem Tod. Die Frage, wie es dazu kam, kann nur beantwortet werden, indem
man die Kritiker und deren Jahrhundert, bzw. deren Intentionen und Blickwinkel,
aus dem die Beurteilungen heraus geäußert wurden, berücksichtigt. Manches
Wesens- und Stilmerkmal, das von seinen Zeitgenossen noch als lobenswert
eingestuft wurde, konnten die späteren Generationen nicht mehr als positiv
bewerten. Bei manchem Kunstrichter vollzog sich selbst ein Wandel in der
Kunstauffassung, der dann folgenschwer für die Beurteilung Oesers wurde.
Signifikante Beispiele hierfür stellen Goethe und Winckelmann dar. Und so gibt
es außer Oeser wohl kaum einen zweiten deutschen Künstler der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts, dessen Beurteilung in der Kunstgeschichtsschreibung so sehr
von diesen beiden Geistesgrößen seiner Zeit geprägt wurde. Die vielfach
geäußerte Ansicht „der Freund Winckelmanns und Zeichenlehrer Goethes“
gewesen zu sein, sei der einzige Grund für Oesers Nachruhm,
läßt deutlich werden, daß eine Analyse von Oesers Œuvre aus der Sicht des 18.
Jahrhunderts bislang ausblieb und die verschiedensten Meinungen über ihn kaum
überprüft wurden. Die noch am Ende des 20. Jahrhunderts ungebrochene Autorität
Goethes und Winckelmanns führte dazu, daß bis heute das Urteil des Dichters und
des Theoretikers Adam Friedrich Oeser gegenüber völlig unkritisch übernommen
wurde. Bei keinem anderen Kunstrichter kommen dessen sich wandelnden
Kunstanschauungen so deutlich zum Ausdruck wie bei Goethe in seinem Urteil über
Oeser. Diese Tatsache blieb in der Kunstgeschichtsschreibung oft
unberücksichtigt. Wenn es um die Beurteilung Oesers geht, ist in gleicher Weise
wie sein Name mit dem Goethes verbunden ist, der Name des Dichters mit dem des
Schweizer Kunstgelehrten Johann Heinrich Meyers (1760-1832) vereint. Unter
dessen Einfluß geriet Goethe während seines ersten Romaufenthalts 1786-1788.
Die Frage, wie weit seine Einflußnahme auf Goethes Oeserbild ging, wurde in der
Forschung bislang kaum geklärt. Das sich wandelnde Oeserurteil Goethes unter
Berücksichtigung des Einflusses Meyers soll im Verlauf der Arbeit untersucht
werden.
Geboren wurde Oeser 1717 im ungarischen
Pressburg, dem heutigen Bratislava.
In den ersten 30 Jahren seines Lebens wurde er in seinem künstlerischen Schaffen
im Wesentlichen von den barocken Residenzstädten Wien und Dresden geprägt. Nach
einem längeren Aufenthalt in Wien, wo er eine für den kaiserlichen Hof
ausgerichtete Kunstakademie besucht haben soll,
zieht er 1739 in die sächsische Kapitale Dresden. Dort gerät er in den Umkreis
der Hofmaler Louis de Sylvestre (1675-1760), Anton Raphael Mengs (1728-1779) und
Christian Wilhelm Dietrich (1712-1774) und lernt über den Reichsgrafen Heinrich
von Bünau (1697-1762) auf Schloß Nöthnitz bei Dresden dessen Bibliothekar
Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) kennen.
Die Kunstgeschichtsforschung des 19. Jahrhunderts hat aus der gemeinsamen
Dresdener Zeit und den namentlichen Erwähnungen Oesers in Winckelmanns Schrift
„Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und
Bildhauerkunst“ von 1755 geschlossen, daß Oeser mitunter der geistige Vater
der Winckelmannschen Programmschrift gewesen sein soll.
Sogar die Worte von der „Edlen Einfalt und stillen Größe“ werden Oeser in
ihrer ganzen Bedeutung zugeschrieben.
Diese Annahme hat sich bis zum heutigen Tag gehalten. Inwieweit ein Einfluß
Oesers auf Winckelmann tatsächlich gegeben war, gilt es im weiteren Verlauf der
Arbeit nachzugehen.
Oeser verläßt 1755 Dresden,
ein Jahr vor der Besetzung durch Friedrich II. während des siebenjährigen
Krieges (1756-1763) und nutzt das Angebot des Grafen Bünau mit seiner Familie
auf Schloß Dahlen bei Leipzig zu gehen. Die Unterbringung erfolgte
unentgeltlich und so malte er statt dessen das Schloß im Inneren aus. In Dahlen
blieb die Familie Oeser bis 1759.
Es waren Meinungsverschiedenheiten mit dem Grafen und sein Unbehagen, innerhalb
einer höfischen Gesellschaft zu leben, was dazu führte, daß Oeser, sich eher der
neu emporsteigenden Klasse des Bürgertums zugehörig fühlend, die Adelsresidenz
Dahlen mit der protestantischen bürgerlichen Universitäts- und Handelsstadt
Leipzig tauschte.
In Leipzig war das
wohlsituierte, selbstbewußte und finanzkräftige Patriziat wichtigster
Auftraggeber und Käufer von Werken der bildenden Kunst. Einzelne Kaufleute
beschränkten sich nicht auf die bloße Dekoration ihrer Wohnräume. Sie sammelten
systematisch, so daß bedeutende private und öffentlich zugängliche Galerien
entstanden, wie z.B. die Sammlung Gottfried Win(c)kler (1731-1795) oder die des
Verlegers Thomas Richter (1728-1773). Demzufolge beschreibt Johann Gottlieb
Fichte (1762-1814) den Zustand des Kunstschaffens in der Messestadt treffend:
„Leipzig hat Kunstwerke genug, aber wenig Künstler, der Sitz derselben ist in
Dresden.“
Dieser Umstand sollte sich mit der Neugründung der Kunstakademie und der
Berufung Oesers zum Direktor ändern. Von nun an entwickelte sich zwischen
Dresden und Leipzig eine Bipolarität in der sächsischen Kulturlandschaft.
Für einen Künstler der Stadt Leipzig, deren Bewohner ein neues bürgerliches
Zeitalter mitbegründeten, stellt sich konkret am Beispiel Oeser die Frage: wie
kann ein Kunstschaffender seine Position in der Theorie, ebenso wie in seiner
künstlerischen Aussage in einem derartig neu ausgerichtetem Umfeld finden?
Nachdem der siebenjährige Krieg das Land
verwüstet hatte, wurden zum Aufbau und zur ökonomischen Wiederherstellung
Sachsens 1764 drei neue Kunstakademien gegründet: Dresden, Leipzig und Meißen.
Die Anstalten waren in erster Linie darauf ausgerichtet, Handwerker für die
neuzuerrichtenden Manufakturbetriebe auszubilden. Der geheime Legationsrat und
Generalintendant der sächsischen Kunstakademien Christian Ludwig von Hagedorn
(1713-1780) schätzte Oesers künstlerische Begabung außerordentlich. Seine
Lehrfähigkeit und sein Diensteifer waren es, die ihn veranlaßten, Oeser 1764 zum
ersten Direktor und Professor der neu gegründeten Leipziger „Zeichnungs-,
Mahlerey-, und Architectur- Academie“ sowie zum „Sächsisch-Churfürstlichen
Hofmaler“ zu berufen.
Für die Verbindung von Kunst und Handwerkerausbildung schien Oeser wie
geschaffen. Oeser strebte eine Synthese von bildkünstlerischem Gestalten und
Zielen einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik an.
Das Tätigkeitsfeld in Leipzig, wo ein solches Ineinandergreifen handwerklicher
und künstlerischer Aufgabenstellungen funktionieren konnte, war die
Buchillustration. Dank einem bürgerlichen Lesepublikum stieg die Buchproduktion
im Bereich der „Schönen Künste und Wissenschaften“, der Erziehungsliteratur und
des empfindsamen bürgerlichen Romans stetig an. Die Buchillustrationen Oesers
gelten als seine bedeutendste künstlerische Leistung. Unter den von ihm
illustrierten Büchern befanden sich unter anderen die Werke Goethes, Wielands,
Gellerts und Winckelmanns.
Da die Akademie auch Studenten
der Leipziger Universität kostenlos Zeichenunterricht gewährte, ergab sich für
den Direktor Oeser neben der Kunst und Handwerkerausbildung eine weitere
Aufgabe. Der bekannteste Zeichenschüler war der bereits erwähnte damalige
Jurastudent Johann Wolfgang Goethe (1749-1832). Über den Unterricht bei Oeser
schreibt der Leipziger Kreissteuereintreiber Christian Felix Weiße (1726-1804)
an Ludwig von Hagedorn:
„Oeser ist willfähig genug allen zu dienen, verspricht,
korrigiert, zeichnet vor und zerstreut sich darüber so, daß er an eine eigene
Ausarbeitung nicht denkt. Indessen stiftet er dadurch Nutzen, daß er brave Leute
zieht und selbst dabei weniger groß wird.“
Einige dieser Schüler wurden
später professionelle Künstler, wie der Wiener Akademiedirektor Heinrich Füger
(1751-1818), der spätere Leipziger Akademiedirektor und Nachfolger Johann
Friedrich August Tischbeins (1750-1812) Hans Veit Schnorr von Carolsfeld
(1764-1841) oder die Landschaftsmaler Christian Reinhart (1761-1847) und
Friedrich Rehberg (1758-1835), die sich beide ab 1790 in Rom aufhielten.
Wenn Oeser selbst seine künstlerischen
Ausführungen stark vernachlässigte, fand er dennoch Zeit neben dem
Akademiebetrieb dem Verlangen der Leipziger Bürgerschaft nach Kunst
nachzukommen. Es entstanden Deckengemälde in der Wincklerschen Gemäldesammlung,
in den Villen der Verleger Philipp Erasmus Reich (1717-1782) und Thomas Richter,
im Gerhardschen Haus oder im Haus des Geheimen Kriegsrates und Bürgermeisters
Dr. Carl Wilhelm Müller (1728-1801) im Brühl. Für die Stadt Leipzig entstanden
der Bühnenvorhang zum neuen Theater auf der Ranstädter Bastei (1766), auf dem
die Geschichte der dramatischen Dichtkunst dargestellt war. Ferner malte er drei
weitere Deckengemälde für das Gewandhaus (1781). Städtisch bürgerliche
Wohlhabenheit fand überdies ihren Ausdruck in architektonischer Pracht. Das
Leipziger Bürgertum gab sich selbstbewußt, in dem es adelige Bauformen und deren
Wohnkultur übernahm. Ein herausragendes Beispiel stellt das heute noch
vollständig erhaltene Gohliser Schloß dar.
1770 gelangte das Schloß in den Besitz des kurfürstlich-sächsischen Hofrats
Johann Gottlob Boehme (1717-1780). Er ließ das Gebäude umgestalten und
beauftragte um 1779 Oeser mit der festlichen Ausmalung der Gesellschaftsräume.
Fast sämtliche der oben genannten Wand- und Plafondgemälde der Bürgerhäuser der
Stadt sind inzwischen zerstört oder nur noch in zeitgenössischen Kopien bzw.
als Beschreibungen überliefert.
Obwohl Oeser 1739 der höfischen Gesellschaft
Dresdens den Rücken gekehrt hatte, war er von ca. 1755 bis 1785 auf Vermittlung
des Freiherrn Jakob Friedrich von Fritsch
(1731-1814) fast dreißig Jahre zuerst für die Grafen Bünau in Oßmannstedt und
Eisenach und später für den Weimarer Hof tätig.
Oeser war vor allem ab 1775 ständiger Gast am Musenhofe zu Weimar. Er zählte
unter dem Patronat der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach
(1739-1807) zu einer bürgerlichen Aufstiegsschicht, die ihn im Dienste der
Kunst zu einem bürgerlichen Hofkünstler und schöpferischen Berater aus dem
nicht adeligen Milieu beförderte. Die Kultur von Weimar, wie sie Elias als
einzig wirklich bedeutende höfische Kultur charakterisiert, wurde getragen von
den „Idealen der Gelassenheit, der Mäßigung der Affekte, Ruhe und
Besonnenheit, [...].“,
die ganz dem persönlichen Wesen Oesers entsprachen. In Weimar war die Formel
von der „Edlen Einfalt und stillen Größe“ und des „Zurück-zur-Natur“
die Brücke zum Naturalismus. In der Frühphase des Klassizismus hatte Oeser
an der Einlösung dieses Paradigmas mit der Ausmalung des Wittumspalais und der
Gestaltung des „empfindsamen“ englischen Landschaftsgartens in Tiefurt
maßgeblichen Anteil. Auch in der Orientierung an der Antike in der
Garten-Denkmalplastik steckt ein Bedürfnis nach Ruhe und Harmonie, das an den
Werken Oesers deutlich nachzuspüren ist. Überprüft werden soll in diesem
Zusammenhang, welchen theoretischen Grundlagen er dabei folgte.
Oeser nahm aktiv am Prozeß der
bürgerlichen Emanzipation teil. In seiner Kunst kommen die verschiedensten
soziokulturellen Umbrüche zum Ausdruck. Seine Landschaftszeichnungen drücken
ein neues Naturgefühl und die Sehnsucht nach Natürlichkeit aus. Die
übersteigerte Hinwendung in die sagenhafte antike Welt zeugt letztendlich von
einem bürgerlichen Religionsbedürfnis, das die orthodoxe Kirche nicht mehr
einlösen konnte.
Die mythologische Allegorie der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts wird zum Ersatz religiöser Malerei, sieht sich aber bald
in dieser Funktion überfordert. Die Verwendung dieser „Sinnbildkunst“ wird vor
der Problematik zu untersuchen sein: In wie weit fallen in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts theoretische Lehrmeinung in Bezug auf die Allegorie und
ihre künstlerische Umsetzung auseinander und wo gehen sie Hand in Hand? Die
Frage, die sich hierbei in Bezug auf Oeser stellt, lautet: Liegen in Oesers
Arbeiten selbst entwickelte Bildthemen vor, die aus dem Geist der Aufklärung
entsprungen sind oder sind seine Arbeiten lediglich ein Ausdruck der Überwindung
konventioneller Bildthemen? Anhand der im 18. Jahrhundert geführten
Auseinandersetzung um die Allegorie als künstlerisches Ausdrucksmittel soll der
Versuch einer Positionierung von Oeser als Allegorienmaler unternommen werden.
Aus dieser „Sinnbild-Diskussion“ erwachsen scheinbar paradoxerweise neue
religiöse Strömungen. Christus wird als Allegorie für eine „tugendhafte
Heldengestalt“ entdeckt. Die religiöse Malerei nimmt demzufolge für die
bürgerlichen Protestanten im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine immer
bedeutendere Rolle ein. Neben zahlreichen Einzelaufträgen dieses Genre zählt
Oesers Christuszyklus in der Leipziger Nikolaikirche, die sogenannte „Oeser-Bibel“,
zu seinem Spätwerk und kann als eine seiner wichtigsten Arbeiten betrachtet
werden. Inwieweit Oeser in der religiösen Malerei zeitgenössische theologische
Intentionen zum Ausdruck bringt, soll in diesem Zusammenhang untersucht werden.
Autoren wie Winckelmann, Hagedorn, Klopstock,
Gellert, Lessing, Herder, Spalding oder Jerusalem entwickelten Konzepte
kultureller und geistiger Selbstbestimmung, die zusammengenommen einer
Neufundierung des deutschen Geisteslebens gleichkamen.
Denkmalplastiken für die Heroen des deutschen Geisteslebens, die Entdeckung der
heimischen Landschaft als Naturerlebnis und die religiöse Neuorientierung für
die seelische Erbauung und moralische Läuterung entwickelten sich nicht nur aus
dem Motiv emotionaler Erhebung. Die nach dem siebenjährigen Krieg einsetzende
Suche nach einer kulturellen Identität des Bürgertums ging Hand in Hand mit dem
Streben nach einer nationalen Identität und kulturellen Zugehörigkeit. Getragen
wurde dies im wesentlichen vom bürgerlichen Mittelstand, der zum wichtigsten
Repräsentant von Protestantismus und Aufklärung und damit zum Hauptvertreter
der neuen Geisteskultur überhaupt wurde,
die sich in sämtlichen Lebensbereichen wie der Religion, der Gefühlskultur, den
Sitten, dem Geschmack, im Naturverständnis und der Kunst niederschlug. Gegen
Mitte des 18. Jahrhundert wurde der rein verstandesorientierte Rationalismus
der frühen Aufklärung durch einen subjektiven Sensualismus ergänzt. Die
dialektischen Verhältnisse aus Verstand und Emotion, Vernunft und
Irrationalismus wurden zum Glaubenssatz für die zweite Hälfte des Jahrhunderts.
Es entfaltete sich eine neuartige Gefühlskultur, die fast gleichermaßen vom
Bürgertum wie vom Adel getragen wurde. Das „Fühlen“ wurde zum subjektiven
Erleben des eigenen empfindenden „Ichs“ in einer sakralisierten und
ästhetisierten Lebenswelt. Die Folge dieses Umstandes waren die Anfänge einer „Erlebnis“-Kunst
und Erlebniswelt.
Der Auffassung der Kunstgeschichtsschreibung,
Oeser sei ein „Klassizist“, steht die Ansicht gegenüber, Oeser sei lediglich
„der“ Vorläufer des „Klassizismus“ bzw. Vertreter eines „Rokokoklassizismus“.
Solche Begriffszuweisungen und Pauschalisierungen verfehlten bislang das Ziel
einer differenzierten Beurteilung des Künstlers. Allerdings scheint eine
Zuordnung von Epochenbegriffen, aus der sich ein Stilbegriff für Oeser ableiten
läßt, äußerst schwierig. Gerade weil sich die zweite Hälfte des 18.
Jahrhunderts, im Politischen, Künstlerischen, Gesellschaftlichen, Religiösen,
Philosophischen oder Pädagogischen im Umbruch befindet und als „Achsenzeit“
bezeichnet wird, läßt dies zum Wagnis werden. Für die Analyse von Oesers Werke
soll ein Begriff zur Anwendung gebracht werden, der vornehmlich in der Literatur
Verwendung findet, nämlich der Terminus „Empfindsamkeit“.
Die Kategorisierung einer
empfindsamen Literatur als Gattung prägte weitgehend die Literaturauffassung in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Diese Klassifizierung geht mit der
Periode des „Sturm und Drang“ weite Strecken parallel. Der zu Beginn des
achtzehnten Jahrhunderts von englischen Aufklärungsphilosophen definierte
Begriff wurde anschließend vor allem von den Literaten in Deutschland rezipiert.
In der Literaturwissenschaft wurden Geschichte und Bedeutung der
„Empfindsamkeit“ bereits eingehend erörtert; viel zu wenig wird dabei
berücksichtigt, daß der Sinngehalt der „Empfindsamkeit“ ebenso auch auf die
bildende Kunst ihren Einfluß ausübte und im Wesentlichen das Kunstverständnis
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts prägte. In der Kunstgeschichtsforschung
wurde die „Stilstufe“ des „empfindsamen Klassizismus“ bislang viel zu wenig
beachtet. Die Frage, die sich hierbei in Bezug auf Oeser stellt, lautet: Kann
die Kritik gegenüber Oeser aus dem 19. Jahrhundert bis hin in unsere Zeit
aufrechterhalten werden, wenn sein Œuvre an den Eigenschaften eines
„empfindsamen Klassizismus“ überprüft wird?
Eine heute angemessene
Beurteilung der Kunst im Zeitalter der Empfindsamkeit muß zunächst vor dem
Hintergrund der im 18. Jahrhundert geführten Diskussion vorgenommen werden.
Hierbei bieten die Schriften des Philosophen Alexander Gottlieb Baumgarten
(1714-1762), des Kunstgelehrten Christian Ludwig von Hagedorn, des
Kunsttheoretikers Johann Georg Sulzer (1720-1779) und des Gartentheoretikers
Christian Cay Lorenz Hirschfeld (1742-1792) wertvolle Einsichten in die
Geschmacksdiskussion dieser Zeit. Viele der geistigen Wegbereiter des
Zeitalters der „Empfindsamkeit“ gingen aus der Universitätsstadt Leipzig hervor,
wie z.B. die Popularphilosophen Ernst Platner (1744-1818) und Karl Heinrich
Heydenreich (1764-1801) oder die Literaten und Dichter Christian Fürchtegott
Gellert (1715-1769) und Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819). In vielerlei
Hinsicht sah sich auch die Kunst mit ihren ästhetischen Mitteln verpflichtet,
dem Bedürfnis nach Emotionalität nachzukommen. Oeser, der über Jahrzehnte das
künstlerische Leben der Stadt Leipzig bestimmte, kam in der künstlerischen
Umsetzung und Verbreitung dieses Phänomens eine zentrale Rolle zu. Es wird
überdies der Versuch unternommen, den Terminus der „Empfindsamkeit“ als
kunsthistorischen Epochenbegriff, als einen Teil des „Klassizimus“, zur
Anwendung zu bringen, um damit die spezifischen Beziehungen zwischen Oeser und
den zeitgenössischen popularphilosophischen und ästhetischen Theorien
untersuchen zu können. Am Beispiel Oesers soll außerdem geprüft werden, ob der
Begriff der „Empfindsamkeit“, als eine wesentliche Qualität der frühen
klassizistischen Kunstauffassung zu sehen ist. Die Beantwortung der Hypothese,
daß diese „Eigenschaft“ sowohl mit dem intellektuellen Anspruch als auch mit der
ästhetischen Struktur der Arbeiten Oesers verbunden ist, wird das Ergebnis der
Arbeit zum Ausdruck bringen.
Das künstlerische Œuvre Oesers
ist im wesentlichen auf seine drei Wirkungsstätten Dresden, Leipzig und Weimar
verteilt. Bei der Fülle des umfangreichen Materials war es notwendig, eine
kritische Auswahl typischer Beispiele zu treffen, um den sentimentalistischen
Stil Oesers veranschaulichen zu können. Ebenso befinden sich in den Archiven und
Bibliotheken der o. g. Stätten zahlreiche Autographen von bzw. an Oeser. Die
schriftlichen Quellen umfassen die Verwaltungsakten der Leipziger Kunstakademie,
die sich in Dresden und Leipzig befinden. Aus Oesers Nachlaß ist eine
umfangreiche Briefkorrespondenz erhalten, die sich zum Großteil in der
Autographensammlung des Oeser Biographen Alphons Dürr befindet. Um eine genaue
Beurteilung des Künstlers vornehmen zu können und die vorformulierten
Fragestellungen ausführlich zu beantworten, wurden die zahlreichen
Originalquellen neu bzw. zum Teil erstmals gesichtet und ausgewertet.
So soll für die Kunstgeschichte
am Beispiel des Künstlers Adam Friedrich Oeser, dessen Schaffensperiode die
gesamte zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ausmacht, ein Beitrag zur näheren
Bestimmung des Begriffs der „Empfindsamkeit“ innerhalb der Kunst geleistet
werden. Außerdem gilt es, Verbindungen zwischen seinem künstlerischen Œuvre, den
verschiedensten zeitgenössischen geistesgeschichtlichen Strömungen und
kunsttheoretischen Schriften herzustellen und zu untersuchen. Darauf aufbauend
ist im Anschluß danach zu fragen, worin das eigentliche zeitgebundene Moment der
Malerei, der Graphik, der Zeichnung sowie der Plastik Oesers besteht. Anhand
eines Auswahlkataloges soll exemplarisch aus allen Gattungen seines Œuvres die
Charakteristik der Arbeiten sowohl inhaltlich als auch formal untersucht werden.
Es soll darüber hinaus der Versuch unternommen werden, dem Künstler Adam
Friedrich Oeser unter Berücksichtigung der zeitlichen Umstände, eine
angemessene Stellung in der Kunstgeschichtsforschung zuteil werden zu lassen.
Unter anderem gibt hierzu der bevorstehende 200. Todestag Oesers (1999) Anlaß,
seine Position aus geistesgeschichtlicher Sicht neu einzuordnen.
Oeser schreibt über die Gründe seines Weggangs aus Dresden bzw. Sachsen an
den Verwalter des Grafen Bünaus, den Freiherrn
Jakob Friedrich von Fritsch
nach Weimar; Goethe-Schiller Archiv Weimar (GSAW) 20/I 3, 10, s.
Quellentext Nr.5. Einem weiteren Brief vom 15. Juni 1752 ist zu entnehmen,
daß Oeser in Bayreuth gewesen war. Es kann nur vermutet werden, daß er dort
mit dem Hof in Verhandlung stand. Universitätsbibliothek Leipzig/
Handschriftenabteilung (UBL) Rep. VI 25 zh 2.