Im Zeitalter der Empfindsamkeit
maß man dem Todeserlebnis nicht nur eine existentielle, sondern auch eine
ästhetische Bedeutung zu. So kann das Grab- und Erinnerungsmal als ein
Hauptsymbol dieser Zeit gelten. Die in den Gärten aufgestellten Denkmale wurden
zum wichtigsten Bestandteil der Landschaftsgestaltung. Gerade die
Grabmalplastik nimmt in Oesers Œuvre eine zentrale Bedeutung ein. Sein Ziel war
es nicht nur die Erinnerung an Verstorbene wach zu halten, sondern auch auf das
Vergängliche alles Irdischen zu verweisen und allgemeine Inhalte zu vermitteln.
Im Zusammenhang mit der Emanzipation des Bürgertums und der Würdigung ihrer
„Helden“ verbindet sich in der Denkmalplastik mitunter auch ein patriotischer
Gedanke. Hagedorn nimmt bei der Denkmalfrage bezug auf antike Vorbilder:
„Allein sollte es den bildenden
Künsten darum an Mitteln fehlen, das Andenken des Tugendhaften zu verewigen ?
den Reiz der Tugend und den Reiz der Kunst empfand der würdige Römer zugleich
bey dem Anblick der aufgestellten Bildnisse seiner verdienstvollen Vorältern.“
Sulzer schrieb über Denkmäler
allgemein, daß sie nicht nur der Platzverschönerung dienen sollen,
„sondern Schulen der Tugend und der großen patriotischen
Gesinnung sein möchten.“
Neben der Vaterlandsliebe wurden ebenso Melancholie
und Ehrfurcht vor den Gedanken und Leistungen der teuren Toten an den
Grabmotiven und Gedächtnisurnen angeregt. Ab den 1770er Jahren werden solche
Erinnerungsgräber in die ersten Landschaftsgärten übernommen. Lessings
Abhandlung „Wie die Alten den Tod gebildet“ (1769)
hatte den Weg zur Rezeption antiker Todes- und Trauermotive im deutschen
Frühklassizismus geebnet und zu den ersten Denkmalgräbern in Leipzig, Wörlitz
und Weimar geführt.
Der Gartentheoretiker Hirschfeld, der die Gedanken des Trauerdenkmals in seinen
Theorien gleichfalls aus patriotischer Gesinnung heraus erfolgreich propagierte,
forderte energisch deutsche Inschriften und Widmungen für Vertreter der
nationalen Kultur und Geschichte .
Bei der Gestaltung von
Gartendenkmalen läßt sich bei Oeser eine interessante Entwicklung beobachten.
Die Entwicklungsphase verläuft von der reinen allegorischen barocken
Formensprache hin zu einer natürlichen bzw. symbolischen Zeichensprache. Der
Bruch mit der plastischen Allegorie kann exakt für das Jahr 1775 festgestellt
werden.
Oesers Grab- und Erinnerungsmäler reduzierten sich in der Folgezeit dann meist
auf einen profilierten Sockel mit einer porträtgetreuen Profilsilhouette des
Verstorbenen. Als Schmuckmotive dienten klassizistische Vasen oder
Blattgirlanden. Häufig verwendet er das Motiv einer abgebrochenen Säule, zur
Assoziation an ein plötzlich abgebrochenes Leben.
In einem arbeitsteiligen
Verfahren brachte er die meisten seiner plastischen Arbeiten zur Anwendung. Er
lieferte vielfach nur die Entwürfe, manchmal auch ein Modell zu seinen Ideen,
die dann vorwiegend von den Unterlehrern der Leipziger Akademie wie z.B.
Friedrich Schlegel (1732-1799), bzw. dem Weimarer Hofbildhauer Gottlieb Martin
Klauer (1742-1801) ausgeführt wurden.
Im nachfolgenden Teil wird an einer Auswahl von Werkbeispielen der
Entwicklungsverlauf in der Motivwahl bei Oesers Denkmalplastik aufgezeigt.
Einer der frühesten bekannten
Denkmalentwürfe entstand für den 1768 ermordeten Winckelmann (Abb. 59). Auf
seinen Tod schuf Oeser eine Allegorie. Eine trauernde weibliche Gestalt steht
hinter einem Postament. Das durch ein Tuch verhängte, nur angedeutete Gesicht
stellt die Sonne des Ruhmes dar. Die Trauernde hält eine Medaille in der Hand,
derentwegen Winckelmann gewaltsam getötet wurde. Das Denkmal, für das Oeser
lediglich ein Modell fertigte, wurde von seine Zeitgenossen, obwohl es nicht zur
Ausführung kam, anerkennend gewürdigt.
Der Leipziger Schauspieler Gustav Friedrich Wilhelm Grossmann (1743-1796)
schreibt über das Modell in einem Brief von 28. Sept. 1772 an Knebel:
„Dem verstorbenen Winckelmann,
seinem gewesenen Schüler, hat er ein vortreffliches Denkmal gestiftet, oder
vielmehr nur erst das Modell dazu verfertigt. Es würde unter meiner Beschreibung
verlieren, man muß es sehen.“
1775 erhielt Oeser von der
Ritterschaft des Fürstentums Lüneburg den Auftrag, ein Denkmal für die Königin
Karoline Mathilde von Dänemark (1751-1775) zu entwerfen (Abb. 60).
Diese plastische Entwurfsarbeit war das letzte allegorische Großprojekt Oesers,
zu dem er noch im selben Jahr den Entwurf anfertigte, die Aufstellung erfolgte
allerdings erst 1784 im Französischen Garten am Schloß in Celle. In dem Gesuch
an den Bruder der Königin hieß es über das Denkmal:
„[...]
auf daß es an
diesem Orte ein Andenken gebe an die allgemeine Devotion, womit die großen und
edelen Eigenschaften der verstorbenen Königin von Dänemark unter ihnen verehret
worden seien und um den fernsten Nachkommen Gelegenheit zu geben, mit stiller
Rührung das Andenken und den Nachruhm der besten und liebenswürdigensten Königin
zu feiern.“
Das
Schlüsselwort in diesem Antrag mußte für Oeser die „stille Rührung“
gewesen sein, dem Leitgedanken der Empfindsamkeit. Genau so sieht es auch
Knebel, mit dem sich Oeser über das Mathilden-Denkmal austauscht. Knebels
Zustimmung für den Entwurf des Monuments, ist in erster Linie darauf
zurückzuführen, daß Oesers Plastiken auf „Wirkung und Empfindung“
angelegt waren.
Das Denkmal
gestaltet sich aus einer Kombination von einer Urne, Allegorien und Attributen.
Oeser legte dem Werk nach seinen Worten folgende Idee zugrunde:
„Die Wahrheit krönt den
Aschenkrug der Königin mit dem Sternenkranze der Unsterblichkeit und läßt
geschehen, daß die wahre, aufrichtige Liebe der Nation mit ihren Kindern
herzutritt, das Bild der der Königin zu küssen.“
In der
Gothaer „Gelehrten-Zeitung“ von 1784 ist eine interessante ausführliche
Beschreibung des Denkmals nachzulesen:
„Ein rundes um und um mit
Stuffen unterlegtes altarförmiges Piedestal, an dem die Inschrift (Carol.
Mathildi. Dan. Et Norw. Reg. Nat D. XXII. Jul. MDCCLI, den. D. X. Maii MDCCLXXV.
O. E. L. P. C.) auf einem mit Kron und Hermelingewande geschmücktes Schilde sich
befindet, trägt die Urne, zu welcher sich die Wahrheit, im Schooße einer Wolke
herabgelassen hat. Aus der Mitte ihrer Brust beginnt eine nur in der Nähe zu
bemerkender Sonnenkreis zu entbrennen, welcher sanftwallend mit ihr stärker
durchzubrechen, und sich weiter zu verbreiten scheint.
Daß die Liebe, welche hier wie
gewöhnlich in Gestalt einer Mutter mit ihren Kindern hinzutritt, die Liebe der
trauernden Provinz sey, wird durch ihr zu Füßen liegendes Wappenschild
kenntlicher. Sie trägt einen erwachenden Säugling im Arme zur Urne, beut in
bescheidener Entfernung, dem Bildnisse den Kuß treuestre Verehrung, und ihr
heranwachsendes Kind streut neben ihr mit voller Hand der Asche seiner Fürstin
Rosen, die es in seinem Gewande sammelte. Das von langen leichten Locken
umschlossene Haupt der Wahrheit, welche mit Palmen im Schooße sitzet, neigt sich
seinen Händen zu, die zu Kennzeichnen des Sieges und der Verewigung gewundene
Lorbeern und Schlangenkronen, zwischen den Palmen des Ruhms, und der Urne in
einander zu ordnen beschäftigt sind.
Ein edles Lächeln verräth dieser
Tochter des Himmels still entfallenen Blick auf Mutter und Kind, und stärkt den
Ausdruck ihres Wohlgefallens an so thätigen Beweisen der Liebe des Volks. Aber
nichts entgeht dagegen ihrer allenthalben würksamen Wachsamkeit. Denn jenseits
ihres Antlitzes findes der welcher ihrem Auge entwichen, hinter sie tritt, auf
dem Saume des ihr im Rücken heranwallenden Gewölkes den Doppelspiegel der
Selbsterkenntniß.“
In den zeitgenössischen
Besprechungen wird das Denkmal überaus positiv bewertet.
In den „Miscellaneen artistischen Inhalts“ wird das Monument
folgendermaßen charakterisiert:
„[...]
wie der Geist des
Dichters der Würde des Gegenstandes getreu allemal vorwirkt
[...]
im Geist Ausdruck hoher Einfalt, in Wahl der Theile, in geschmackvoller und
leichter Verbindung des Ganzen.“
Besonders betont wird, daß das
Denkmal von jedem Betrachtungspunkt aus den Blick fesselt. Dies bezieht sich
allerdings nicht auf die räumliche Gestaltung der Plastik, sondern auf die
erzählend-inhaltlich angelegte Struktur. Das Denkmal erfährt eine ethisch
literarische Interpretation, ohne daß die Form dabei berücksichtigt wurde.
Im selben Jahr, in dem Oeser den
Auftrag für das Mathilden-Denkmal erhielt, bekam er von dem Reichsfürsten Joseph
Alexander Jablonowsky (1712-1777) den Auftrag, ein Denkmal für Kurfürst
Friedrich August III. von Sachsen (1750-1827) zu entwerfen. Das Denkmal des
Kurfürsten wurde als erstes öffentliches Denkmal Leipzigs 1780 auf der Esplanade
vor dem Petershof aufgestellt (Abb. 61).
Der Herrscher steht in römischer Imperatorentracht auf einem hohen Sockel, in
der rechten Hand hält er einen Lorbeerkranz. In einem ersten Entwurf wird der
Kurfürst der Pallas Athene auf dem Sockel dargestellt. Dieser Entwurf wurde
allerdings später vom Rat der Stadt Leipzig abgelehnt, der nach dem Tod des
Fürsten Jablonskis den Auftrag übernahm. Statt dessen wurde zu Füßen des Fürsten
als Standessymbol ein Helm und auf der Rückseite ein Schild hinzugefügt.
In der „Neuen Bibliothek“
wird besonders darauf hingewiesen, daß der Kurfürst im römischen Kostüm
dargestellt ist und die Gesichtszüge ihm sehr ähnlich seien. Der Zeiterwartung
der Aufklärung gemäß, zeige die Statue den „allgemein geliebten Regenten
[...] im Charakter der Vaterlandsliebe“.
Typisch für die Epoche ist die anerkennende
Beurteilung der Darstellung der Charaktereigenschaften des Kurfürsten.
Am Beispiel von Oesers einzigem
Denkmal für eine öffentliche Platzanlage, können in einem Vergleich mit
Chodowieckis Auffassung zu Herrscherdarstellungen nochmals die
unterschiedlichen Standpunkte der beiden Künstler aufgezeigt werden. Diese
veranschaulichen, wie es zu der Negativbewertung Chodowieckis gegenüber Oeser
kam, der die Statue als „nicht schön und mit dem hohen Piedestal sehr
unproportioniert“ beschreibt.
Daß die Entwicklung in der Darstellung von Herrschern anderswo bereits weiter
vorangeschritten war, zeigen z.B. die zahlreichen radierten Blätter
Chodowieckis. Der Berliner Kupferstecher, der die „Antike“ für sich ablehnte,
stellte 1758 Friedrich II. nicht mehr in einer römischen Imperatorenuniform dar,
sondern zeigt ihn in einer zeitgenössischen preußischen Felduniform und einem
Dreispitz.
In diesem Zusammenhang entsteht über einen Denkmalentwurf für König Friedrich
II. in Berlin 1792 der sogenannte „Kostümstreit“. Hierbei wurde unter führenden
Berliner Bildhauern diskutiert, ob der König. in einer römischen oder
preußischen Felduniform dargestellt werden sollte. In der Haltung zur
Kostümfrage wird Chodowieckis Modernität erkennbar.
Seine Auffassung zeigt, daß er den Klassizismus überwunden hatte und er bereits
als ein Vordenker des bürgerlichen Realismus des 19. Jahrhunderts gilt. Dies
kann für Oeser in der monumetalen Denkmalplastik nicht behauptet werden.
Chodowiecki war in Bezug auf den Realismus der Fortschrittlichere, obwohl sie
beide derselben Generation angehörten. Dennoch ist anzuerkennen, daß in Oesers
Bildhauerarbeiten seine Humanität und Fähigkeit, die Verdienste andere
anzuerkennen, am deutlichsten hervortritt. Das Neue und der wertvollste Gewinn
für seine Kunst war dabei die „Wärme des Persönlichen“..
Das 1774 für
den Leipziger Verleger Johann Wendler (1713-1799) geschaffene Gellert-Denkmal
veranschaulicht den Übergang von der rein allegorischen figürlichen Komposition
hin zu einer symbolischen, einfachen, ruhigeren und geschlossenen Formensprache
(Abb. 62).
Es war Hirschfeld, der ein mythologisches Allegorisieren ablehnte und somit auch
die Lehren Winckelmanns, statt dessen empfahl er aus seiner patriotischen
Anschauung heraus Statuen „der Helden, der Gesetzgeber, der Erretter und
Aufklärer des Vaterlandes“ sowie Landschaftsmaler und Dichter, „welche
die Schönheit der Schöpfung besangen.“
Hier denkt er offenbar an Geßner, Hagedorn, Oeser, Haller und Kleist, durch die
die Gärten endlich den Deutschen gerecht werden würden, nachdem sie „so lange
Nachahmungen und so selten Werke unseres Genies“ waren.
So verwundert
es nicht, daß Hirschfeld dem Gellert-Denkmal Oesers eine ausführliche Würdigung
widmete. Gellert galt schon zu Lebzeiten als Nationaldichter Deutschlands und
stand zwischen 1750 und 1770 auch im übrigen Europa -vor allem in Frankreich- in
hohem Ansehen. Für den Gartentheoretiker vermittelte das Denkmal deutlich den
Umstand, daß der Dichter vor Vollendung seines literarischen Lebenswerkes
verstarb. Diese Gedanken zu verbildlichen, ist Oeser besonders geglückt, indem
er die Urne auf einen unvollendeten Säulenschaft stellt und die ursprünglich
geplanten drei Grazien in Gestalt von jungen Frauen als Kinder erscheinen läßt.
Die „sanfte Rührung“, die der Betrachter beim Anblick der Kinder empfindet,
sieht Hirschfeld als äußerst gelungen an:
„Diese Idee, die ein so wahres
und gemäßigtes Lob auf Gellert und den wesentlichen Hauptzug aus seinem
schriftstellerischen Charakter enthält, leitete den Künstler.
[...]
Der Ausdruck des Schmerzes ist der Würde solcher Kinder gemäß, die über gemeine
Kinder erhaben sind. Kein wilder Ausdruck der Thränen entstellt ihr Antlitz, und
ihre Traurigkeit scheint ihre Reizungen zu erheben.“
Es waren
mitunter die gemäßigten Gefühlsregungen, auf die das Denkmal angelegt war, die
Hirschfeld zu seiner Stellungnahme veranlaßten. Oeser, der sehr häufig auf
Kindermotive zurückgriff,
sieht das Kind als ein „natürliches Zeichen“ der Einfalt und Unschuld. Am
Gellert-Denkmal stehen sie für eine unbefangen empfundene und auf ungezwungene
Weise zum Ausdruck gebrachte Form der Trauer. Die Besprechung des Denkmals in
der „Neuen Bibliothek“ lobt gerade deshalb, daß das „Trauerdenkmaal“
[sic] die Fröhlichkeit dieses „schicklichen“ Ortes, an dem es
aufgestellt wurde, nicht trübe. Anerkennend werden die Kinder als Grazien
erwähnt, ebenso wird auf die Einfachheit der Ausführung des Monuments aufmerksam
gemacht.
Goethe fand 1774, gleichfalls lobende Worte über das Denkmal:
„Gellerts Monument von Oeser“:
„Als Gellert, der geliebte,
schied,
Manch gutes Herz im Stillen weinte,
Auch manches matte, schiefe Lied
Sich mit dem reinen Schmerz vereinte,
Und jeder Stümper bei dem Grab
Ein Blümchen in die Ehrenkrone,
Ein Schärflein zu des Edlen Lohne
Mit vielzufriedner Miene gab:
Stand Oeser seitwärts von den Leuten
Und fühlte den Geschiednen, sann
Ein bleibend Bild, ein lieblich Deuten
Auf den verschwundnen werten Mann,
Und sammelte mit Geistesflug
Im Marmor alles Lobes Stammeln,
Wie wir in einem engen Krug
Die Asche des Geliebten sammeln.“
Eine ausführliche Beschreibung
widmet der Leipziger Kunstschriftsteller Kreuchauf dem Gellert-Denkmal, der sich
froh darüber äußert „[...], daß ein Oeser lebt, der ihm ein würdiges
Monument errichten kann!“. Weiter sieht er in der Idee zum Gellert-Denkmal
einen „patriotischen Entschluß“ für „den um
Deutschland so verdienten Mann“.
Das Denkmal erinnert noch an die
Idylle; doch der Französische Garten, in dem es aufgestellt wurde, und die
ikonographische Aufladung zielen eindeutig auf nationale Repräsentanz. Der
Charakter eines Trauermonuments haftet Hirschfelds Beschreibung an, nicht mehr
aber dem tatsächlich errichteten Denkmal. Nicht der Erbauungsschriftsteller,
sondern eine Dreieinigkeit aus literarischer und gesellschaftlicher
Wertschätzung, poetischer Grazie und unterschwelligem Patriotismus sollten
gefeiert werden. Aus dem Gartendenkmal als topographischer Markierung des
empfindsamen Dichtergedenkens war ein öffentliches Monument von
nationalliterarischer Repräsentanz geworden.
Manchmal - so scheint es - wird
Rührung zum Selbstzweck des sentimentalen Gefühlskultes. Am Beispiel eines
Denkmals für den gerade verstorbenen Kunstphilosophen Johann Georg Sulzer
beschreibt Hirschfeld die Wirkungsweise des Erinnerungsmals auf den empfindsamen
Betrachter, der am Ende von wehmütiger Betrachtungen ergriffen, in Tränen
ausbricht. Hirschfeld beschreibt den Eindruck folgendermaßen:
„[...]
Selbst das Monument scheint sich seiner sanften Erheiterung zu freuen; das Bild
der Unsterblichkeit, der Schmetterling, wird sichtbar, und der Gedanke des Todes
gemildert. Kein Laut wird gehört; ringsumher tiefe Stille und Feyer. Von dem
Eindruck dieser Scene beherrscht, in seine Betrachtungen und seine Wehmuth
versenkt, lehnt sich der empfindsame Betrachter an eine gegenüberstehende Eiche,
sieht hin, wo das Mondlicht den Namen Sulzers erhellet, sieht wieder weg, und
eine Thräne fällt.“
Ein auf ähnliche Absichten
ausgerichtetes Denkmal schuf Oeser seinem Freund Sulzer, das er zusätzlich dem
Andenken an Gellert widmete.
Das sog. Sulzer-Gellert-Denkmal.
(Abb. 63),
wurde 1781 von dem Leipziger Verleger Philipp Erasmus Reich (1717-1787) in
Auftrag gegeben und im Park auf seinem Landgut bei Leipzig „unter
babylonischen Weiden, auf einem mit Epheu und Rosen bepflanzten Hügel“
errichtet.
Oeser hatte bereits die figürliche Form der Darstellung überwunden. Das hier
geschaffene Denkmal kommt ohne allegorische Figuren aus. Lediglich eine Urne und
zwei Medaillons mit den Bildnissen der Gelehrten an einer Säule, ein
aufgeschlagenes Buch, Lorbeerzweige und die Inschrift: „Gellerts und Sulzers
Andenken gewidmet. 1781“ genügten, um unter einer patriotischen
Betrachtungsweise eine sanfte Rührung zu erreichen.
Das Denkmal ist das erste
Doppelmonument, das dem Andenken zweier, auch im Leben verbundener Männer -dem
Dichter und dem Philosophen- gewidmet ist. Gedanklich hat Oeser hier den Typus
des Doppeldenkmals vorweggenommen, der im 19. Jahrhundert, unter den
Voraussetzungen eines entschlossenen Realismus, weit verbreitet war. Als eine
Weiterführung der Idee Oesers kann das von Johann Gottfried Schadow (1764-1850)
geschaffene Doppelstandbild der Prinzessinen Luise und Friederike von Preußen
und das von Ernst Rietschel (1804-1861) 1857 in Weimar aufgestellte
Goethe-Schiller-Denkmal gelten.
Nicht nur in Leipziger
Bürgerkreisen schätzte man Oesers Denkmalentwürfe. Auch in Weimar liebte man es,
wenn in den Gärten überall „ein Oeser prangte.“
Dieser Wunsch Knebels ging insofern in Erfüllung, als Oeser im Jahre 1785 im
Auftrag der Herzogin Anna Amalia ein Erinnerungsmonument für ihren in der Oder
ertrunkenen Bruder Herzog Leopold von Braunschweig (1752-1785) für den
Tiefurter Park entwarf und das von ihm und dem Weimarer Hofbildhauer Gottlieb
Martin Klauer ausgeführt wurde (Abb. 64). Das Denkmal für den Fürsten war
bereits am 21. September 1785 in Leipzig fertig und erfreute sich allseits
größter Beliebtheit.
Das Monument steht aus einem mit Natursteinen
aufgefüllten Hügel, auf dem eine mit Schlangen und Efeu umwundene Urne
aufgestellt ist. Unterhalb der Urne ist ein Profilbild des verstorbenen Fürsten
angebracht. Die Inschrift, die ebenfalls von Oeser stammen dürfte, lautet
„Dem verewigten Leopold Anna Amalia“. Bezugnehmend auf den Tod in der Oder
wird das Denkmal am Ufer der Ilm aufgestellt, die gleichfalls auch symbolisch
den mythischen Totenfluß Styx darstellt. Oeser verzichtet auch hier ganz auf
allegorische Personifikationen. Statt dessen setzte er symbolische Zeichen, die
für Jedermann verständlich waren. Fürstenhut und Degen reichten als Attribute
aus, um den Stand des Verstorbenen anzuzeigen.
In einem
Reisehandbuch von 1797 wird das Denkmal ausführlich beschrieben, dort heißt es:
„[...]
das Fundament besteht aus einem Haufen unordentlich über einander geworfener
Steine, welche einem viereckigten Sandstein mit der Inschrift: Dem verewigten
Leopold Anna Amalia. Gleichsam zur Einfassung dienen. Gleich darneben erhebt
sich das eigentlich Monument, welches, [...] aus einem Sandsteinwürfel besteht,
und an der vordersten Fronte das Brustbild des hier Verewigten in Basrelief
trägt; die östliche, westliche und südliche Seiten desselben aber haben weder
eine Inschrift, noch ein allegorisches Bild. Dafür steht noch eine mit
Trauerflor umflossene Urne darauf, an deren Fuß ein Schild, Helm und
Commandostab liegen, und um deren Kopf sich eine Schlange windet, die mit ihrem
Rachen den Schwanz faßt und das gewöhnliche Symbol des Ewigkeit ist.“
Eine einzige, vermutlich in
Zusammenhang mit dem Leopold-Denkmal entstandene Entwurfszeichnung, hat sich
aus Oesers Hand erhalten (Abb. 65). Das Blatt zeigt einen auf einem Hügel
errichteten Sarkophag, auf dem eine Urne mit einem Profilbildnis des Herzogs
angebracht ist. Die Inschrift lautet: „V.B. ward ich geliebt“. Sieht man
das Blatt in Bezug auf das o. g. Monument für den Herzog Leopold von
Braunschweig in Weimar, wäre zu vermuten, daß die Initialen „V.B.“ mit
„Vom Bruder ward ich geliebt“ aufzulösen sind. Stützen läßt
sich diese These damit, daß sich im Landschaftsgarten Seifersdorfer Tal bei
Dresden, der den Prototyp eines empfindsamen Gartens darstellt, ebenfalls ein
wie auf der Zeichnung ausgeführtes Grabmal zum Andenken an den verstorbenen
Herzog errichtet wurde.
Vermutlich war Oeser auch hier an der Ausgestaltung der Parkanlage oder
wenigsten mit einem Denkmal beteiligt. Aus einem früheren Brief ist zu
entnehmen, daß Oeser bereits 1776 plante, in Tiefurt einen Stein mit ähnlicher
Aufschrift zu errichten. An Knebel schreibt er hierzu:
„Ich sehe schon einen Stein dessen Aufschrift „Von Kleist ward
ich geliebt“, in uns edle Empfindungen zuwege bringt.“
Offenbar besteht zwischen dem Brief und der Zeichnung
ein Zusammenhang. Oeser war also nicht ganz unberührt von den melancholischen
Stimmungen des Dichters Ewald von Kleist, dem Prototyp unter den Dichtern des
Zeitalters der Empfindsamkeit.
Die o. g. Zeichnung für das
Leopold-Denkmal im Seifersdorfer Tal bei Dresden folgt deutlich dem Bildtopos
„Et in Arcadia ego“ nach dem Vorbild Poussins. Mit dem Entwurf knüpft Oeser
erneut an die ikonographische Tradition der Hirten in Arkadien an, die vor einem
Grabmal stehen und auf die Inschrift weisen (vgl. Abb. 38). Betrachtet man das
Blatt nicht nur als einen Entwurf sondern als ein eigenständiges Kunstwerk, so
kann es als eine typische Form des Sentimentalismus den Tod zu thematisieren
gesehen werden. In der Landschaftsmalerei wie der künstlichen
Landschaftsgestaltung wird dem elysischen Arcadien-Motiv aus der antiken
Dichtung ein literarisierender Zug verliehen. Wenn Goethe von Wörlitz als den
„Elysischen Feldern“ spricht und Oeser Tiefurt, zu einem „Elysium“
entstehen lassen möchte, so sprechen beide von einer Verschmelzung des
Arkadienmythos, mit dem des Elysiums, das bei der Gestaltung ihrer
Gartenanlagen von große Bedeutung war.
Bei der Gestaltung von
Gartendenkmälern war Oeser allerdings skeptisch, ob die erforderlichen
Kenntnisse aus antiker Dichtung, Mythologie und der Geschichte des Altertums bei
den Rezepienten überhaupt noch vorhanden waren. Aus dieser Schwierigkeit heraus
wählte er für sämtliche seiner plastischen Arbeiten Themen mit Bezug auf
heimische Ereignisse oder Personen, die von allen Betrachtern gleichermaßen
verstanden werden konnten. Oeser wollte, daß sich das Publikum mit dem Denkmal
und dem dargestellten Ereignis identifizieren konnte. Somit war er darauf aus,
mit wenigen Mitteln etwas zum Ausdruck zu bringen und damit der Betrachter
keiner weiteren umständlichen Erklärung bedurfte. Bereits Sulzer verwies darauf:
„Der Künstler trifft am
gewissesten den Weg zum Herzen, der einheimischen Gegenstände schildert, und er
das Allgemeine der Empfindung durch Localumstände fühlbarer und reizbarer
macht.“
Hirschfeld formuliert seine
Gedanken über Denkmäler weiter aus:
„Die Wirkung der Monumente
können sehr abwechselnd seyn, nach der Verschiedenheit der Personen oder
Sachen, deren Andenken sie erneuern. Sie erwecken interessante Erinnerungen oder
Empfindungen der Verehrung, der Freundschaft und der Liebe; Bewegungen eines
sanften Vergnügens, oder einer süßen Schwermuth. Man verweilt, wenn die
Schönheiten der Natur unser Auge gesättigt haben, gerne bey Monumenten, wo das
Herz Nahrung findet.“
Diese von Hirschfeld geäußerte
Vorstellungen löste Oeser auf geniale Wiese beim Leopold-Denkmal ein. Ein
zeitgenössischer Betrachter schreib beim Anblick dieses Trauermonuments:
„Mit Rührung erinnere ich mich
bei dieser Steinmasse des edlen Mannes, dessen Andenken schwesterliche Liebe
hier zu verewigen suchte, sah im Geiste wie er von Menschenliebe gedrungen, sein
eignes schätzbares Leben zur Rettung seiner armen, nach Hülfe seufzenden
Nebenmenschen, wagte, und konnte mich des Wunsches nicht erwehren, daß doch alle
Große dieser Erde seinem Beispiel folgen und bedenken möchten, daß Gott sie erst
zu Menschen schuf, ehe er ihnen den Vorzug über andere zu herrschen ertheilte,
und daß folglich eine glänzende Geburt nicht von Obliegenheiten der Menschheit
frey spreche.“
Über ein weiteres Gedächtnismal
für den Hof in Weimar korrespondierte Oeser erneut mit Knebel. Dabei ging es um
die Errichtung eines Denkmals in der Weimarer Stadtkirche St. Peter und Paul für
ein totgeborenes Kind des Herzogspaares. Daß Oeser seine Gedanken über Grabmäler
zum Teil aus der Theorie Hirschfelds ableitet, macht ein weiters Mal eine
Äußerung im Zusammenhang mit dem nicht zur Ausführung gebrachten Denkmalentwurf
deutlich:
“Hier folgt nach reiflicher
Überlegung
[...],
daß bey diesem Steine, eine eben so große Seele (als vormals diesen hier
ruhenden Körper bewohnte) ihre gefühlvollen Gedanken, der kindlichen Liebe und
Dankbarkeit, ausdrücken könnte; und der Wanderer hätte etwas, das bey Verlaßung
des Hügels in ihm zurückbliebe.“
Wie beim Leopold-Grabmal sollten
dem Grab der Prinzessin die selben symbolischen Attribute ein Fürstenhut und
ein Degen zum Ausdruck ihres Standes beigegeben werden.
Oeser plante für das Kindergrab ebenfalls nur eine Urne als
allgemeinverständliches Grabmonument und verzichtete auf allegorische Figuren.
Denn „Je einfacher ein Monument ist, desto weniger kann
es das Auge zerstreuen, desto sicherer und schneller ist sein Eindruck.“
Goethe nahm gegenüber der
Allegorie und der Verwendung von Attributen eine ablehnende Haltung ein, woraus
sich später für Oeser eine kritische Beurteilung ableitet. Im gleichen
Zusammenhang mit der Ablehnung der empfindsamen Landschaftsgärten übte Goethe
auch an den Gedenkmonumenten heftige Kritik. 1779 spottete er in einem Brief an
den Schweizer Prediger Johann Caspar Lavater (1741-1801) über „die leeren
Hülsen und Bäuche“ von antikisierenden sentimentalen Gedenkvasen und
Trauerurnen, mit denen man jetzt überall in den Gärten spiele.
Auf Oeser trifft dieser Vorwurf bei der Gestaltung der Landschaftsgärten nur
bedingt zu. Sein Formenrepertoire beschränkte sich nicht nur auf Gedenkvasen und
Urnen. Der Verlauf seiner eigenen Entwicklung in der Plastik führt von der
Allegorie zum „natürlichen Zeichen“, die in der Plastik bis hin zum abstrakten
Symbol reicht. Diese Tatsache wurde bei der Beurteilung von Oesers plastischen
Arbeiten bislang nicht beachtet.
Einen Beleg für Oesers
Fortschrittlichkeit geben seine Ideen zu dem von ihm und Goethe gemeinsam
entworfenen Denkmal „Agathé Tyche“, dem „Stein des guten Glücks“
(Abb. 66). Den Plan, in seinem Gartengrundstück in Weimar ein solches Monument
aufzustellen, faßte der Dichter im Dezember 1776. Das Denkmal, das nur aus einem
Würfel und einer Kugel besteht, gilt als eines der ersten nichtfigürlichen
Denkmäler in Deutschland, an dessen Entwicklung Oeser einen nicht unbedeutenden
Anteil hatte. Allerdings konnte eine solche Arbeit nur in einem mehr oder
weniger privaten Rahmen realisiert werden.
Für Goethe war dieses Denkmal
zweifach von großer Bedeutung. Zum einen war es ein Bekunden seiner Liebe zu
Charlotte von Stein, zum anderen sollte es seinem Glück am eigenen Haus und
Garten Ausdruck verleihen. Es war ein Zeichen des Dankes für Wohlergehen. Daß
Goethe bei dem auf sein inneres Empfinden bezogene Denkmal seinen ehemaligen
Leipziger Lehrer um Rat fragt, ist bezeichnend. Offenbar war Oeser am ehesten im
Stande, die Gefühlslage Goethes zu erfassen und bildhaft darzustellen. Wie die
Tagebuchnotiz Goethes vom 25. Dezember 1776 verrät:
„Zu Oesern. agathe tyche, Zu Frau von Stein. ...“
wollte er von Beginn an seinen ehemaligen Leipziger Lehrer an den Planungen zu
dem Denkmal beteiligen.
Vier Monate später war das Denkmal vollendet, und Goethe vermerkt in sein
Tagebuch am 5. April 1777 „Agathe Tyche gegründet!“.
Ein bislang unbeachteter Brief
zeigt Oesers Gedanken zu dem Denkmal auf, denen Goethe später bei der Ausführung
des Denkmals in weiten Teilen auch folgte. Zu einen nach mathematischen
Berechnungen angefertigten ersten Entwurf Goethes äußerte Oeser einige Bedenken
und verweist auf einen von ihm selber gefertigten Vorschlag:
„[...],
da helfen die strengen mathematischen Wahrheiten nichts, erdenken sie lieber
etwas mit ihrer strengen, Mathematic daß die Kugel gantz frey in der Luft
schwebet, so erreichen Sie das, was bey jedem Bilde die erste Pflicht seyn muß:
den denkenden Geist zu beschäftigen,
[...],
bleiben Sie bey der kleinen Idee so ich entworfen, so wird ihr Bild gut
ausfallen, und die Kugel ist nach ihrem Platz wo sie aufgestellet wird, groß
genug, wenn sie 16 bis 18 Zoll im Durchschnitt ist, die Flügel bereichern das
Bild genug, und vermuthlich sehen Sie warum ich die Wolke gemacht habe.“
Die Antwort des Leipziger
Lehrers zeigt, daß Oeser einen feinsinnigeren künstlerischen Geist besaß als
Goethe. Dieser dagegen, obwohl das Denkmal Emotionen seines Glücksempfinden
verbildlichen sollte, stellte sich als ein von Vernunft geleiteter und nach
mathematischen Regeln arbeitender Kopf dar. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt
machen sich unterschwellig Divergenzen in beider Kunstanschauungen bemerkbar.
Oeser wie
Goethe schienen sich über die Verwendung von einem Kubus und einer Kugel einig
zu sein. Unterschiedliche Vorstellungen gab es darüber, in welchem effektvollen
Zustand die Kugel aufgestellt werden sollte. Die im Vorschlag Oesers angeführten
Wolken, die Empfehlung eine „Pöschung“ um den Kubus zu pflanzen,
verweisen darauf, daß er, um „den denkenden Geist zu beschäftigen“ die
Kugel in einen scheinbaren Schwebezustand zeigen möchte. In diesem Punkt hat
sich Goethe nicht an Oesers Vorschlag gehalten, was für Oeser ein
Auseinanderfallen von „Absicht und Wirkung“
bedeutete. Oeser sieht hier auch ein
allgemeines Problem in der zeitgenössischen Kunst. Als Negativbeispiel für das
Auseinanderfallen von Form und Inhalt führt er, wohl auch verärgert darüber, daß
seine Idee von Goethe nicht ganz umgesetzt wurde, den „Stein des guten
Glücks“ an:
„Ich berufe mich auf
Erfahrungen, die ich nur zu oft gemacht, daß gewiße Vorstellungen, bey ihrer
Ausführung keine Wirkung thaten. Hr. Ghr. Goethens Kugel, und Würfel, ist neuer
Beweis davon. Jedermann sieht es für eine Kugel von einem alten Thorweg an; wäre
meine Idee, die nur Scherz war, ausgeführt worden: so wäre doch der Beobachter
in so fern zum Nachdenken gereizt worden, was es wohl bedeuten sollte.“
Oeser sah
für sich kein Problem in der Verwendung von Kubus und Kugel. Viel mehr sah er
darin eine Schwierigkeit, nicht allgemein genug zu wirken, was zeigt, daß er
sonst für eine breite bürgerliche Auftraggeberschicht arbeitete, die es
anzusprechen galt. Problematisch wurde es für ihn, wenn eine individuelle
Symbolsprache sich in ihrer Bedeutung einem allgemeinen Verständnis entzog. Zu
abstrahieren und sich das „Glück“ nur als eine auf einem Würfel liegende Kugel
vorzustellen, schien nach Oesers Meinung einem allgemeinen Publikum nicht
möglich. Eine allgemeinverständliche Darstellung des Glücks bei Oeser nach
bürgerlichen Vorstellungen beschreibt Kreuchauf anhand eines vor 1778
geschaffenen Deckengemäldes in Leipzig:
„[...]
Ihnen folgt das Glück, ein blühender Knabe, auf einer geflügelten Kugel. Er hält
in jeder Hand eines der beiden Enden einer roten Wimpel, die fliegend über
seinem Haupte sich wölbt, und wiegt sich auf seinem schwebenden Sitze, als wolle
er dem ungewissen Fortschwunge der Kugel Sicherheit geben.“
Für Oeser - und hier folgte er
dem Publikumsgeschmack- diente die Kugel in diesem Beispiel lediglich als
Attribut des in einem Knaben personifizierten Glücks. Der Knabe schwebt wie an
einem Fallschirm auf einer Kugel sitzend. Oeser hatte persönlich keine
Schwierigkeit zu abstrahieren, vielmehr zeigt die allegorische Ausführung des
Glücks, daß er sich dem bürgerlichen Verständnis und Geschmack anzupassen
wußte. Dieser scherzhafte Versuch, ein „Glücksmotiv“ darzustellen, zeigt auch,
daß die traditionelle Allegorie als Formensprache mittlerweile ausgedient hatte
und bereits Trivialisierungstendenzen im bürgerlichen Kunstgeschmack eingesetzt
haben.
Bei dem
folgenden zu erwähnenden Denkmal zeigt sich nochmals Oesers Neigung zur
Abstraktion und zum Symbolhaften außerhalb einer bürgerlichen Lebenswelt, wie
der in Leipzig. Goethe trat ein weiteres Mal an Oeser heran, um ein nicht
allegorisches Denkmal im Ilm-Park zu Weimar einzurichten. Es sollte vor Goethes
Abreise nach Italien, gleichzeitig auch Oesers letzte Arbeit für Weimar
überhaupt sein. Es handelt sich hierbei um das erste Denkmal des Parks, den
sogenannten „Dessauer Stein“ (Abb. 67), das in Bewunderung für den
Wörlitzer Park und zu Ehren Leopold III. Fürst Friedrich Franz von Anhalt-Dessau
errichtet wurde. Um einen Felsblock wurden einige kleine Felsbrocken gruppiert.
Die unbehauenen Steine bringen die Verbindung zur Natur zum Ausdruck.
Goethe schreibt dann im Januar des folgenden Jahres an Oeser: „große Steine
sind auch zu dem berühmten Felsen hingeschafft und warten nur auf ihre
schöpferischen Befehle, um sich zu einem schönen Ganzen zu bilden.“
Oeser sollte nun auch die kleinen Felsblöcke um den großen Stein arrangieren
und eine Schrifttafel entwerfen,
darüber hinaus dürfte er auch für die Bepflanzung um das Monument verantwortlich
gewesen sein. In einem Reisehandbuch von 1797 wird das Monument folgendermaßen
beschrieben:
„Dieser Stein ist ein ganz
gewöhnlicher, ungefähr 5 Fuß hoher und kögelförmiger [sic] Tuffstein, der
weiland im Steinbruche jenseits der schönen Allee die nach Belvedere führt, in
träger Ruhe lag, vor mehreren Jahren aber blos durch Menschenhände hierher
geschaft worden ist, wo er auf einem Postament von unordentlich aufeinander
geworfenen Felsenstücken, aus deren Fugen Königskerzen, Malven, Epheu u. dergl.
Mehr hervorwachsen, aufrecht steht, so daß die Fronte desselben, (an welcher man
die Worte: Francisco Dessauiae Principi mit schönen vergoldeten Buchstaben auf
einer eingelassenen rothbraun gefirnißten Marmorplatte ließt,) nach der Stadt
zugerichtet ist und von Bäumen, Strauch- und Buschwerk gleichsam eingefaßt, der
Parthie ein ganz artiges Ansehen giebt.“
Oeser
konnte sich durchaus im Sinne Goethes über Tugendallegorien, Attribute und
Trauervasen hinwegsetzen. Bei beiden Denkmalen, an deren Planung und Gestaltung
er mitbeteiligt war, der „Stein des guten Glücks“ in Goethes Garten am
Stern von 1777 und dem Monument des „Dessauer Steins“ von 1783 im Park an
der Ilm, gingen des Schülers und Lehrers Vorstellungen weitgehend Hand in Hand
und ergänzten sich.
Mit wenigen Ausnahmen, wie z. B.
dem Winckelmann-Denkmal, handelt es sich bei Oesers Plastiken um Auftragswerke.
Oeser arbeitete für adelige und bürgerliche Auftraggeber. Der Hinweis darauf,
daß auch Angehörige des Bürgertums als Auftraggeber auftraten und bereits
Denkmäler zur Würdigung bürgerliche Persönlichkeiten errichten ließen, verdient
hervorgehoben zu werden. Oeser entwickelte an seinen Denkmälern eine klare und
einfache Formensprache. Der Weg führte dabei von der Bevorzugung figürlicher
Kompositionen zu immer schlichteren Formen. Dabei dürfen die Einflüsse der
protestantisch-sächsischen Kunst, speziell auch die Besonderheit der Leipziger
Lokaltradition nicht ohne Wirkung auf Oeser gewesen sein. Denn die plastischen
Arbeiten, die in Leipzig seit 1650 geschaffen wurden:
„entfalteten sich stets aus dem
Geist des Bürgertums und verdanken ihr Dasein nicht einer Protektion eines
Herrscherhofes.
[...]
Sie sind schlicht und einfach in Stil und Gestalt.
[...]
Er herrschte bis zum
Auftreten Oesers 1764. Die Gründung der Kunstakademie war für Leipzig - und
nicht nur für diese allein - eine Manifestation des klassizistischen Geistes.“
Während in Oesers frühen
Denkmälern Personifikationen von Eigenschaften und Empfindungen in figürlichen
Kompositionen ausgedrückt werden, gewinnen Attribute und Symbole in den späteren
plastischen Arbeiten immer mehr an Bedeutung. Als Beispiele seien hier das Buch
sowie die Palmen- und Lorbeerzweige am schlichten Sulzer-Gellert-Denkmal und
Helm und Degen am Leopold-Denkmal in Tiefurt genannt. Diese
entwicklungsgeschichtliche Tendenz, die am klarsten in den Denkmalsentwürfen
ausgeprägt ist, ist auch bei Oeser in der Malerei zu beobachten.