goethe


Timo John

Adam Friedrich Oeser 1717-1799
Studie über einen Künstler der Empfindsamkeit

X. Oeser und die Allegorie

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Abb.70
Adam Friedrich Oeser: Deckengemälde im Gohliser Schlößchen
Leipzig, 1779

1.    Von der Personifikation zum natürlichen Zeichen

Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde bereits als Umbruchsphase dargestellt. Deut­lich wird dieser Wandel auch an den verschiedensten Positionen gegenüber der Barock-Allegorie - von der Ablehnung bis zur Anerkennung als höchste Aufgabe des Künstlers - erkennbar und bringt die Krise einer überkommenen Ikonographie zum Ausdruck.

Am Beispiel Oesers kann dieser Tiefpunkt in der Kunst deutlich rekonstruiert werden. Oeser galt bei den Befürwortern der Allegorie als einer der bedeutendsten Künstler der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dies belegt unter anderen sein unmittelbarer Vor­gesetzter Hagedorn, der an den Dresdener Hof über Oeser schrieb, seine „Stärke ist Geschmack, Belesenheit, Allegorie, und nicht sowohl die Staffelei, die Dekorationsmalerei für Deckenstücke und Theater.[1] Wenn Winckelmann in seinen „Erläuterungen...“ seinen Freund als „Nachfolger des Aristides, der die Seele schilderte, und für den Verstand malete,[...].[2]. charakterisiert , wird Oeser durch diesen Vergleich als ein zeitgenössischer Maler vorgestellt, der am ehesten in der Lage war, die Gedanken des Altertumsforschers über die Allegorie umzusetzen. Demzufolge geht Herder davon aus, daß in Winckelmanns Erstlingsschrift auch „Oesers feiner Geist [...] bis auf die hohe Liebe zur Allegorie in ihr bemerkbar“ ist.[3] Und die „Deutsche Bibliothek...“ befindet, Oeser sei „unter den jetztlebenden Malern vielleicht auch der größte Meister der Allegorie“.[4] Das von Kreuchauf 1782 verfaßte Buch über „Oesers neueste Allegoriegemälde“[5] verweist ebenso auf eine weitere zeit­genössische Wert­schätzung Oesers zu diesem Genre. Daß Kreuchauf solch umständliche, detaillierte Beschreibung von Oesers Allegoriegemälden herausgibt, geschieht nicht nur allein, um den Inhalt der Oeserschen Deckengemälde genau zu protokollieren, sondern zeigt auch, wie wichtig jene Zeit, solche poetisch malerische Ausschweifungen nahm, die im übrigen auch mancherlei von der geistigen Einstellung und Ausdrucksweise der Zeit verraten. Noch zu Beginn des 19. Jahrhundert empfiehlt der bereits genannte ehemalige Oeser-Schüler Hoffmann in seinem 1817 erscheinen Buch Versuch einer Geschichte der mahlerischen Harmonie..., daß in den Allegorien „Oesers Geist“ wehen müsse.[6]

Die Anerkennung Oesers als Darsteller von Allegorien durch seine Zeitgenossen und das Unverständnis seiner Kritiker aus dem 19. Jahrhundert, zeigen, daß sich das Verständnis für die allegorische Figurensprache gewandelt hat. Oeser wird dabei ein Festhalten an dieser alten Formensprache unterstellt. Das folgende Kapitel soll klären, ob dieser Vorwurf auf Oeser tatsächlich zutrifft und ob Oeser es nicht doch versucht hat, wie schon bei der Plastik gezeigt, sich einer vereinfachten Zeichen- und Symbolsprache zu bedienen[7].

 

 

 

2.    Die Krise der Allegorie im 18. Jahrhundert

Auch wenn sich die an der Antike orientierte mythologische Allegorie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch größter Beliebtheit erfreute, fand sie dennoch gegen Ende des Jahrhunderts ihr endgültiges Ende. Bedingt wurde diese Entwicklung durch die Periode der Empfindsamkeit und einer durch den ästhetischen Sensualismus erhobenen Forderung nach emotioneller und sinnlicher Wirkung der Kunst.[8] Damit war gleichzeitig auch eine Ablehnung einer nur abstrakt und verstandesmäßig vermittelten Idee durch das Kunstwerk verbunden.[9] Letztendlich richtet sich diese Strömung gegen die von Winckelmann ver­tretenen Ansichten.[10]

Die neu entstandenen Themenkreise und Gedanken der Aufklärung erforderten eine Neue­rung der allegorischen Formensprache. Die versuchte Anpassung an neuartige Motive führte aber paradoxerweise zum Ende dieser Sinnbildkunst. Die Allegorie, losgelöst vom lebensgestaltenden Geschmack des Rokoko, sollte nun als Mittler von Wissen und Nachfühlen fungieren.[11] In dieser Doppel­funktion war sie aber überfordert. Neue Begriffe mußten mit neuen bzw. alten mythologi­schen Figuren dargestellt werden, was nicht immer zu einer eindeutigen Sprache führte. Die Kunsttheortiker waren zuerst noch darum bemüht, eine neue sinnbildliche Sprachordnung zu schaffen, was an den zahlreichen Neuerscheinungen emblematisch-allegorischer Werke deutlich wird. Angefangen bei Winckelmanns 1766 erschienenem „Versuch einer Allegorie, besonders für die Kunst“[12] bis hin zu Karl Wilhelm Ramlers (1725-1798) mit kritischen Anmerkungen versehene „Kurzgefaßte Mythologie oder Lehre von den fabelhaften Göttern, Halbgöttern und Helden des Alterthums“[13] (1792).

Bereits kurz nach Erscheinen von Winckelmanns „Gedanken über die Nachahmung...“, in der er sich leidenschaftlich für die Allegorie der „Alten“ einsetzt, tun sich Zweifel an der Richtigkeit der antiken mythologischen Allegorie auf. Einer der Skeptiker an Winckel­manns Ideen war der Philosoph Moses Mendelssohn:

Wenn man die Gebete, wie Winckelmann vorschlägt, nach dem Homer malen sollte, wer weis, ob sie nicht ebenfalls [...] Fehler haben möchten?“[14]

Zu Winckelmanns unternommenen „Versuch einer Allegorie...“ von 1766 äußert sich Johann Jakob Volkmann (1732-1803) ebenso kritisch:

„Es bleibt aber allemal viel undeutliches bey solchen allegorischen Figuren, weil mancher einen anderen Begrif mit der Sache verknüpft, als des Künstlers Absicht gewesen, und vieles auch so unbekannt und schwankend ist daß sich die Absicht der Vorstellung schwerlich errathen läßt.“[15]

Ramler faßt am Ende des Jahrhunderts den nicht mehr zeitgemäßen Zustand der Allegorie zusammen. Er sieht in der Beibehaltung der griechischen und römischen Fabellehre und die Rückbesinnung auf deren Gedichte und Kunst lediglich ein Anliegen von Liebhabern der Künste.[16] Das Problem stellt sich für ihn aus der Beliebigkeit der Deutung antiker Stoffe, die sich sowohl aus Historie, Naturgeschichte, Staatskunst, als auch der Sittenlehre zusam­mensetzen. Durch die Veränderung der ursprünglichen Bedeutung im Laufe der Jahrhun­derte, oblag es allein dem Künstler, welche Eigenschaften er den Göttern zuordnete und in welchen Kontext er sie stellte.[17] Durch die willkürliche Handhabung geriet das allgemeine Verständnis für die mythologische Allegorie in die Krise. Es gab keine verbindliche Zeichen­sprache mehr. Das selbe galt auch für die Verwendung von Attributen, deren Bedeutung sich mit der Zeit veränderte und somit laut Ramler vom Künstler variabel, je nach Bedarf, eingesetzt werden konnten.[18] Allegorien sind laut Ramler bloße Gleichungen, tiefere Wahr­heiten weisen sie für ihn nicht mehr auf:

„Aus übertriebenen Hochachtung für das Alterthum haben sich Einige bemüht in jede alte Fabel, und wenn sie auch ein Ammenmärchen währe, Lehren der Weltweisheit und Staatskunst hineinzulegen. So viel kann man aus ihr wider herausnehmen; sehr oft aber legt ein politischer oder philosophischer Kopf eine Lehre hinein, woran die ersten Erzähler in diesem rohen Weltalter gar nicht gedacht hatten.“[19]

 

 

 

3.    Die Kritiker äußern sich zu Oesers Allegorien

Es wird wenig beachtet, daß sich aus dem Verlust der eindeutigen allegorischen Bilder­sprache sich im 18. Jahrhundert ein neuer Umgang mit Bildern ergibt. Es entsteht Freude an freier Assoziation oder spielerischer Andeutung des Gemeinten. Die Bilder erfüllen ihren Sinn in erster Linie im Vorgang ihrer Entzifferung. Die verklausulierten und nur den Eingeweihten vertrauten Ereignisse und Gestalten der allegorischen Bilder­sprache kommen einer Geheimsprache gleich. Es ist schwer zu sagen, was Oeser und letztendlich seine bürgerliche Auftraggeberschicht mit der humanistischen Allegorie und ihrem unausgesprochenen Hinweis auf umfassende Zusammenhänge eigentlich erreichen und aussagen wollten. Die Neigung zur Verschlüsselung der Gedanken läßt an die Praxis der damals weit verbreiteten Freimaurerbünde und Geheimlogen denken. Oeser, der selber Freimaurer war, war somit in die esoterische Geheimsprache dieser Verbindungen eingeweiht.[20] Eine Untersuchung der Allegorie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter diesem Aspekt blieb bislang aus.

Diese Art des Umgangs mit einer Bildersprache war den Oeserkritikern nicht mehr geläufig. Und so entwickelten sie ihre nicht ganz berechtigten kritischen Positionen gegenüber Oesers allegori­schen Gemälden. Wenn Chodowiecki Schwierigkeiten hatte, Oesers Ausmalungen und Personifikationen im Tanzsaal des Gewandhauses in Leipzig zu „entziffern“, verweist er gerade auf das gewollt Zeitgemäße in Oesers Bildersprache:

„Es ist eine alegorie, aber waß sie vorstellt hab ich nicht errathen, und auch nicht darnach gefragt. Es ist in diesem Plafont ebenso wenig Colorit, Zeich­nung, Charakter und Attribute als in den andern.“ [sic][21]

Chodowieckis Äußerung macht den Auflösungsprozess der alten allegorischen Ordnungen deutlich. Nach seinen Worten kann für ihn die Allegorie seiner rationalen Überprüfung nicht mehr standhalten. Nicht nur die darzustellenden Inhalte waren schwer entzifferbar, auch die Attribute waren für ihn unverständlich. Die barocke Bildersprache befand sich sowohl im Inhaltlichen als auch in ihrer Zeichensprache in der Krise. Wie Chodowiecki zu erkennen gibt, verliert für ihn die Figur den Ausweis ihrer Eindeutigkeit. Für ihn war bei Oeser das Verhältnis von allegorischer Figur und Attribut gestört. Aus diesem Grund sieht auch Ramler die Bedeutung der antiken Götterlehre in einem völlig belanglosen Zusammenhang:

„Am brauchbarsten ist die Mythologie für diejenigen, deren Zweck die Belustigung der Einbildungskraft ist, für die Dichter nehmlich und die bilden­den Künstler, und für diejenigen, die sich an den Werken derselben vergnügen wollen.“[22]

Auch der strengste Oeser-Kritiker, der Klassizist Meyer, macht in seinen Äußerungen über Oeser auf die allgemeine Strukturkrise der allegorischen Kunst aufmerksam:

„In der Erfindung zeichnen sie sich [Oesers Arbeiten] nicht durch hohe Gedanken, wohl gewählten poetischen Schmuck oder glückliche Allegorie aus.“[23]

Aus derselben Richtung wie Meyer kommend entwickelte Goethe seine Kritik an Oesers Allegorie:

„Weil er nun dabei eine eingewurzelte Neigung zum Bedeutenden, Allegori­schen, einen Nebengedanken Erregenden nicht bezwingen konnte noch wollte, so gaben seine Werke immer etwas zu sinnen und wurden vollständig durch einen Begriff, da sie es der Kunst und der Ausführung nach nicht sein konn­ten.“[24]

Meyer und Goethe erkennen nicht, daß die Eröffnung unendlicher Gedankengänge nicht das ausschließliche Ziel dieser Kunst war, sondern die Arbeiten waren bewußt auch auf eine spielerische Verhüllung klarer Bedeutungen angelegt. Diese Position wurde von Ludwig von Hagedorn vertreten, der meint: „nur ein mässiges verhülltes, nicht aber ein verstecktes Geheimnis hat die Gabe, uns zu gefallen. Dessen Auflösung reizet unsern Verstand, [...]“.[25]. Für Hagedorn sollte die Allegorie in erster Linie „empfunden“ werden, denn, „Was braucht man zu fühlen, wenn man erklären kann ?“[26] Hagedorn nimmt mit seiner Einstellung gegenüber der Alle­gorie zwischen den Befürwortern und Gegnern eine Mittlerrolle ein. Er versucht, die Ten­denzen des Sentimentalismus und des Rationalismus der Aufklärung in dieser Kunstform zu verbinden.

 

 

 

4.   Oeser zwischen Innovation und Tradition und die Bewältigung der Strukturkrise in der Kunst

Auch wenn sich Oeser als Allegorienmaler größter Beliebtheit erfreute, ging die Struktur­krise dieser Ausdrucksform nicht problemlos an ihm vorüber. Oeser versuchte sie auf seine Weise zu bewältigen, was im folgenden Abschnitt zu zeigen sein wird.

Wie weit ein Künstler die kunsttheoretischen Forderungen seiner Zeit umsetzen konnte, liegt im Falle der Allegorie auch am allgemeinen allegorischen Sprachverständnis. Publi­kumsgeschmack und allegorisches Sprachverständnis der Kunstrezepienten waren für Oeser letztendlich entscheidend für die Wahl des Motivs und die Gestaltung eines Kunst­werkes. Aus diesem Zwiespalt entstanden die ihm oft zum Vorwurf gemachten unverständ­lichen „Oeserschen“ Eigenheiten, die nicht, wie es ihm seine Kritiker unterstellten, aus Faul­heit oder künstlerischer Schwäche entstanden.[27] Welche Schwierigkeiten sich für einen Künstler ergeben, wenn seine Sprache inzwischen eine andere geworden ist, wie die, die das Publikum versteht, wird selten erörtert. Das Problem der Eindeutigkeit der Aussagekraft der Allegorie und die Frage nach dem Verstehen bereiten Oeser bei der Kon­zeption seiner Arbeiten die meisten Schwierigkeiten. Diese Hauptfragen sollen im folgenden Abschnitt an zwei bislang unbeachteten Textbeispielen von Oeser aufgezeigt werden, die auch deutlich die Krise in der Kunst der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und die damit für einen Künstler verbundenen Probleme veranschaulichen. In zwei Briefen Oesers von 1755 an den Verwalter des Grafen Bünau, Jakob Friedrich Freiherr von Fritsch nach Weimar, haben sich die Beschreibungen zweier allegorischen Arbeiten erhalten. Es handelt sich dabei um die Konzeption eines Deckengemäldes und eines Reiterporträts auf Leinwand. Die Briefe zeigen Oesers Verlegenheit in der Anwen­dung und Findung einer verständlichen Formen­sprache und belegen anschaulich, welchen Ver­ständnisschwierigkeiten seitens des Publikums er sich bereits im Jahr 1755 gegenüber sah.

 

 

-      Konzeption eines verschollenen Deckengemäldes von 1755

Der erste Brief handelt von einer ausführlichen Beschreibung eines nicht mehr erhaltenen Deckengemäldes. Oeser schreibt an den Freiherrn von Fritsch[28]:

„Beygehend übersende ich die Zeichnung zum Saal, ich habe verschiedene Versuche mit Scheuchtzers Bibel gewaget,[29] aber sie hat mir wenig Hülfe geleistet, weil die Objecte darselbst zu klein sind, und mein Saal bekam (?) das Aussehen einer Apotheke, also verließ ich dergleichen Dinge, und suche das ganze Thema durch Figuren auszudrücken.“

Naturwahrheit war ein Losungswort der Aufklärung. Und so ist es wenig erstaunlich, daß Oeser zuerst auf die Motive der von Jakob Scheuchzer illustrierten biblischen Naturphä­nomene aus der sog. „Scheuchzer-Bibel“ zurückgreifen wollte. Demnach orientierte er sich hier bereits an der von Lessing und Mendelssohn in der ersten Jahrhunderthälfte formulier­ten Theorie vom „natürliche Zeichen“,[30] die die Kunst als Imitation der Natur auffaßte. Schon hier beginnt sich eine Entwicklung abzuzeichnen, die in ihrem Fortgang vom „natürlichen Zeichen“ Lessings und Mendelssohns über Herders „symbolischen“ Naturbe­griff bis hin zum pantheistischen Natursymbolismus der Romantik führt.

Der Rückgriff auf „Scheuchzers-Bibel“ deutet auf die Krise der darstellenden Allegorie hin. Wie Oeser angibt, waren es in erster Linie formale Gründe, die ihn von seinem ursprüng­lichen Vorhaben abbrachten und ihn wohl widerwillig auf die konventionelle Figurenmalerei zurückgreifen ließen. Seine zweite gültige Fassung des Deckengemäldes beschreibt er wie folgt:

„Oben im Plafonds ist die Betrachtung der Natur nebst dem Studio derselben; an einer Seite die Winde wie sie die Wolken zusammentreiben, welche Gewitter verursachen; auf der anderen Seite die Elemente. Und unten im Perspective einige neu erfundenen Instrumente in der Physic zum ei[nen]: die Electricitäts Maschine die dadurch erklärte Bewegung des Weltgebäudes; auf dem Gelän­der liegen einige Bücher, die zur Sache gehören, darunter Scheuchtzers Bibel mit ist. Ich glaube auf diese Art und Weise wird die Architectur nicht verstellet, und der sicherste Weg ist unstreitig das Reelle zu wählen.“[31]

Deutlich tritt bei dieser neuartigen Konzeption des Deckengemäldes, die im ersten Teil des Kapitels angesprochene Problematik zu Tage. Oeser unterliegt dem Druck eines aufgeklär­ten Rationalisierungsdrangs und sucht eine Verbindung zwischen den Natur­phänomenen und den modernen Ingenieurwissenschaften einzugehen.

Letztendlich liegt in beiden Entwürfen für das geplante Deckengemälde eine religiöse Dimension zugrunde. Die Vorstellung einer natürlichen Religion wurde im 18. Jahr­hundert als Zeugnis der menschlichen Vernunft aufgefaßt. Diese Idee resultierte aus der unmittelbaren Beschäftigung mit der Natur und den Naturgesetzen („Scheuchzers-Bibel“, „Elektrizitätsmaschine“, „Geräte der Physik“). Kennzeichnend für diese neue Auffassung war der häufig unternommene Versuch, die Existenz Gottes aus der Ordnung der geschaffenen Welt und der sie steuernden Naturgesetze abzuleiten. Diese natürliche Religion wurde dann auch über den christlichen Glauben gestellt.

Für Oeser hatte die klassi­sche Mythologie zu diesem frühen Zeitpunkt ebenso ausgedient. Durch die zunehmende Säkulari­sierung der „spätbarocken“ Deckenmalerei, geht Oeser hier rationalistischen Tendenzen der Aufklärung nach. „Neu erfundene Geräte der Physik“ und eine „Elektrizitätsmaschine“ waren zwar „natürliche Zeichen“, mit Sicherheit aber keine gängigen Motive für Attribute in der Deckenmalerei. Die Schwierigkeiten über das Verständnis solcher neuartigen Schöp­fungen und die sich daraus ergebende Problematik wurden bereits angesprochen. Sein päda­gogisches Programm, das er mit seinen Allegoriekreationen verfolgte, war, die aus der Natur zu gewinnende Erkenntnis, durch die Allegorie der „Betrachtung“ und das „Studium derselben“ zu versinnbildlichen. Dieses für die Aufklärung typische Thema kehrt in den Deckenmalereien des Gohliser Schlosses in Leipzig und dem Weimarer Wittumspalais wie­der. An entsprechender Stelle wird ausführlich auf das Motiv einzugehen sein.

Oeser verhält sich bei der Wahl des Themas für das Deckenstück völlig gegensätzlich zu Winckelmanns Erneuerungsbestrebungen, der ein ständiges Schöpfen aus der Kunst der „Alten“ forderte:

[...] der erste [Weg] ist, alten Bildern eine neue Bedeutung zu geben und bekannte Allegorien in neuem und eigenem Verstande zu gebrauchen. [...] Der zweite Weg ist, Allegorien aus Gebräuchen, Sitten und Sprichwörtern des Altertums, wenn dieselben nicht sehr unbekannt sind zu ziehen. [...] Der dritte Weg zu neuen Allegorien ist die alte sowohl heroische als wahre Geschichte, aus welcher ähnliche Fälle auf die vorzustellende Begebenheit, oder die auf den Ort, wo sie stehen sollen, ein Absehen haben, angebracht werden. Es muß jenes Bild aber entweder ein einziger Fall sein, welcher nicht seinesgleichen hat, oder es muß die Hauptfigur des Bildes aus alten Denkmalen bekannt sein.“[32]

Oeser verwendet eigene Bildthemen. Er ordnet keiner mythologischen Person einen allge­meinen Begriff zu, sondern richtet seine Bildthemen bewußt auf zeitgemäße Aktualität aus. Mehrere Stellen aus seiner Korrespondenz verweisen auf ein kritisches Verhältnis zu den Verteidigungsschriften über die mythologische Allegorie der „Alten“ Winckelmanns. Bereits 1768 schreibt Oeser an Goethe:

„Wie vergnügt bin ich, da Sie mir in Ihren Brief sagen, wie Sie sich mit der Kunst beschäftigen, und Ihr gutes fühlbares Herz daß das Schöne empfindet, wird Sie für Ihren Eifer belohnen. Laßen Sie uns immer dieses Vergnügen erweitern, laßen Sie uns über die witzigen Köpfe von Hertzen lachen, welche glauben, es sey schon genug nur viele Sprachen zu wißen und durch Nach­schlagung, und angeführte Stellen der Alten gründlich entscheidente Urtheile, ohne die geringste practische Kenntnis fällen zu können.“[33]

Oeser lehnt offenbar die Theorien der Buchgelehrten ab. Wie es Mendelssohn als Kritiker Winckelmanns empfahl, kreierte Oeser seine eigenen allegorischen Schöpfungen nach fol­gendem Prinzip:

„Mann sammelt Eigenschaften und Merkmale eines abstrakten Begriffs, und bildet sich daraus ein sinnliches Ganzes, das auf der Leinwand durch natürliche Zeichen ausgedrückt werden kann.“ [34]

 

-      Ein allegorisches Herrscherporträt

In dem zweiten bereits angekündigten Werk, einem Herrscherporträt, tritt Oesers Unsicherheit bei der Verwendung von „Personalitäten“ noch deutlicher zu Tage als bei dem bereits vorgestellten Deckengemälde. Für ihn scheint es bereits zur Selbst­verständlichkeit geworden zu sein, der Allegorie aus dem Fun­dus der „Alten“ das „natürliche Zeichen“ vorzuziehen. Letztendlich war aber entscheidend für die Wahl der Motive, der Publikumsgeschmack bzw. die Sprache, die es zu verstehen vermochte.

Wenn die Allegorie - vor allem zur Propagierung gemeiner humaner Ziele und zum Lob­preis „aufgeklärter“ Fürsten - für die frühklassizistische Kunst eine besondere Rolle spielte, so stand dabei für die Theoretiker ebenso wie für die Künstler das Streben nach klarer Les­barkeit solcher bedeutungsvoller Sinnbilder im Vordergrund. Schwer oder kaum erschließ­bares Allegorisieren war verpönt. Wie sehr sich Oeser in Schwierigkeiten befand, wird aus einem weiteren Brief an von Fritsch deutlich.[35] Während ein zuvor erwähntes Kniestück (Abb. 68a) und ein weiteres lebensgroßes Poträt (Abb. 68b) [36] des späteren Herzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach Ernst August Constantin (1737-1758) noch völlig ohne ein allegorisches Figurenprogramm auskommt, beschreibt er im fol­genden Text ein Reiterporträt desselben (Abb. 69)[37] und die Probleme, die sich für ihn aus der Anlage des Bildes ergaben. Der im Brief erläuterte ursprüngliche Entwurf wurde scheinbar von einem Laienpublikum heftig kritisiert. Oeser hatte ihn so lange verbessert und verändert, bis er allgemein für gut befunden wurde. Anfänglich entwarf er das Reiterporträt Ernst August Constantins in einer, wie er schrieb „angenehmen Gegend“. Der Prinz sollte in Begleitung eines „Oberhofmeisters“ und eines „Oberstallmeisters“, die hinter ihm ritten, und eines weiteren Pagen sein. Es ist durchaus bemerkenswert, daß es für Oeser nicht als selbstverständlich galt, bereits in einem ersten Entwurf Allegorien zu verwenden. Er stellt den jungen Prinzen lediglich in seiner natürlichen Umgebung, begleitet von „realen“ Figuren dar. Dennoch kamen Zweifel an der Richtigkeit der Wahl der den Prinzen umge­benden Personen. Die Bedenken lassen sich wohl aber in erster Linie auf den Publikums­ge­schmack einer solchen Darstellung zurückführen. Oesers Unsicherheit bestand darin: „...was wird die Welt urtheilen?“, „Was wird man in Gotha zu diesem Bild sagen?“. Über eine kriti­sche negative Beurteilung würde er sich in seiner Künstlerehre getroffen fühlen, und er fürchtete, es könnte der Eindruck entstehen, [...] der Maler muß nichts wißen und keine Gedanken haben !“.

Um den höfischen Geschmack der Auftraggeber zu treffen, greift er schließlich auf die alt­bewährte Formensprache zurück, indem er den Prinzen mit lauter weiblichen allegorischen Figuren als Begleitpersonal umgibt. In der Einleitung zu seiner Bilder­klärung faßt er die Grundprinzipien seiner gewählten allegorischen Sprache zusammen:

„Erklärung“: „Die Haupt Absicht bey diesem Bilde ist eigentlich auf das Por­trait Ihro Hochfürstl. Durchlaucht dem Herzog welcher hier zu Pferde erscheint. Das übrige sind allegorische Figuren, die aus einem ungezwungenen Einfall entstanden sind neben den Zügen des Gefühls auch zugleich Züge der Rede und der hohen Eigenschaften, welche aus jenen hervor leuchthen, und den künftigen Zeiten die glücklichste Regierung versprechen, auf eine ruemliche und zur Verschönerung der Wahrheit dienende Art vorzustellen. Ihre Bedeutung wird aus folgenden erläutert werden.“[38]

Erneut wird offenkundig, daß Oeser seine Allegorien selber kreiert hat. Die „Züge des Ge­fühls“ kommen der von Hagedorn aufgestellten Forderung nach dem auslösenden Empfin­dungen der Allegorien nach. Mit den „Zügen der Rede“ greift Oeser den von Hagedorn und Winckelmann vertretenen Horazischen „ut pictora poesis“ Topos auf. Durch die „Verschönerung der Wahrheit“ spielt Oeser auf die in der Aufklärung geforderte Natür­lichkeit an. Oeser ist weit weg von der traditionellen barocken Allegorie, er vollzieht hier eine gemäßigte Transformierung des Gedanklichen ins Sinnliche. Beide Gegenpole sind gleichberechtigt in seiner Komposition vorhanden. Bei der Beschreibung der Hauptallegorie gibt Oeser als erstes an, daß er, wie Winckelmann forderte, letztendlich gezwungenermaßen wieder auf den Fundus der Antike zurückgreift:

„Die alten bildeten die Fama[39] geflügelt und gaben ihr 2 Trompeten, die eine von Gold und die andere von Silber in die Hände. Mit der ersten sollten die Preißwürdigen und großen Thaten, und mit der 2ten die schlechten ausgebrei­tet, überhaupt aber damit angezeigt werden, daß keine Handlung, sie mögen beschaffen seyn wie sie wollten verborgen bleibe. Dieses SinnBild nun schwebt gantz aufmerksam hinter Ihro Durchlaucht dem Hertzog, und von dem Gegen­wärtigen auf das Zukünftige schließend, ergreift sie mit einer Art von Überzeu­gung die goldene Trompet. Die Hoffnung mit einem blühenden Zweig in der Hand bekräftiget der Fama ihre Meynung. Vor dem Hertzog stehen 2 Figuren die vorderts mit einem Diadem auf dem Kopf und mit dem Hertzoglichen Mantel umkleidet hält in beyden Händen ein Küßen, auf welchem 2 Hertzogs­hüthe liegen, um die 2. Herzogthümer Weymar und Eisenach anzudeuten, zur Seite stehet die Regierung gleichfalls mit einem Diadem auf dem Haupt, mit Hermelin gekleidet und mit einem Commando Stab welcher mit Ranken umwunden ist, und den sie auf das Küßen legen will, ehrfurchtsvoll stehen sie gleichsam wartend auf den herrannahenden ZeitPunkt der anzutretenden Regierung.“[40]

Oeser ist bemüht, eine Sprache zu sprechen, die keiner zusätzlichen Erklärung mehr bedarf. Seine Maxime war: Was ich sagen will, steht da: das andere interessiert mich nicht.[41] Dabei befindet er sich in einer paradoxen Situation. Auf der einen Seite erkennt er, daß sich die klassische ideale Bildsprache nicht mehr aus sich selbst heraus trägt, auf der anderen Seite sieht er sich gezwungen, sich dem Publikumsgeschmack unterzuordnen und über Jahrhunderte geprägte Formen anzuwenden, obwohl die Ikonographie aus der antiken Mythologie keine allgemeinverständliche Zeichensprache mehr war.

Ein weiteres Beispiel dafür gibt Oesers Beitrag zu den alljährlichen Akademie­ausstellungen aus dem Jahr 1766 in Dresden. Oeser schreibt klagend, daß seine vereinfachte allegorische Sprache nicht mehr verstanden wird:

[...] weil es eine Sache der hohen Landes Herrschaft ist, dieses hat mich verlei­tet allegorisch zu dichten, ich sehe aber es ist dieses Feld noch zu frühe berührt, denn so lange man bey der Allegorie nicht sich gewöhnet allgemein zu denken, und man Personalitäten suchet, so wird man ins kleine und verwirrte fallen, und weil die Allegorie selbst noch nicht bestimmt genug ist, so möchte man mit einem Stäbgen dabey stehen, und es den gantzen Tag absingen, aber was hat die Kunst übrig, als das Portrait mahlen sich über ungeschehene Dinge ausdrücken, und in den Portraits muß man den Schneider studieren, wodurch es das Erhabene verliert.“[42]

Oeser rückte von der altbekannten Formensprache ab, die es dem Publi­kum nicht mehr erlaubte, mythologische Gestalten zu suchen, vielmehr fordert er „allgemein zu denken“. Oeser hatte offenbar einem allgemeinen Begriff eine Allegorie zugeordnet, deren Verbindung dem Publikum noch nicht geläufig und noch zusätzlich erklärt werden mußte. Wenn er als Beispiel den „Schneider“ anbringt, verweist dies durchaus auf die An­forderung an die Allegorie, wie sie Goethe bzw. Meyer in den Propyläen formuliert haben, daß der Dargestellte auf allgemein-menschliche Wesenheiten verweist und die Handlung sich anschaulich in ihrem bloßen Vollzug ausdrücken muß.[43]

Berücksichtigt man die allge­meine Allegoriediskussion, die immer wieder die Forderung nach Allgemeinverständlichkeit erhob, kann Oesers Forderung nach einer Deutung für den Betrachter nicht aus künstle­rischem Unvermögen verstanden werden, sondern aus der Tatsache heraus, daß das Publi­kum eine antik-mythologische Denkungsart nicht mehr und das neuartige Begriffsvermögen der „natürlichen“ Zeichen noch nicht verstand. Oeser gibt zuvor unmißverständlich zu ver­stehen, daß der Künstler eine zeitgemäße Sprache sprechen muß und dabei auch eine distanzierte Haltung gegenüber Winckelmanns antiquiertem Allegoriebegriff einnimmt.[44] Oeser versuchte, wie gezeigt, schon seit 1755 eine vereinfachte, verständliche Zeichen­sprache darzustellen und stieß dabei auf Verständnisschwierigkeiten. In seinem Bestreben orientierte er sich eher an der nach Mendelssohn und Lessing definierten Forderung nach einem „natürlichen Zeichen“.[45]

 

 

-      Die Sprache des Künstlers muß zeitgemäß sein

Über das Verständigungsproblem zwischen Künstler und Betrachter war sich Oeser durch­aus bewußt, ebenso, daß dabei die Sprache aus der Antike eine nicht förderliche Rolle für die Kunst spielen würde:

„Nicht nur der tiefe Denker, oder Altertumskenner, muß [...] befriedigt werden, der Mündige, muß auch darbey empfinden können, und aus dieser Ursache, thun die simpelsten Ideen die meiste Wirkung. Wir müßen auch nicht mit unse­ren Empfindungen hin und herwanken, und das Volk irre machen, sondern nur gleichförmige Sprache führen, damit es uns verstehet, und mit unseren Vor­stellungen so bekannt wird, daß es endlich weiß was wir wollen. Der Sinn eines Aschekruges ist zu uns herüber gekommen, das versteht ein jeder, [...].[46]

Oeser macht gegenüber Knebel auf die Sprachverworrenheit in der Kunst aufmerksam und fordert eine verbindliche vereinfachte allgemeinverständliche Sprache in der Kunst. Wenn er den „Aschekrug“ als vereinfachtes Zeichen anspricht, so verweist dies erneut deutlich auf Mendelssohns Definition von einem „natürlichen Zeichen“.[47] Allerdings räumt er ein, daß, wenn man sich von der überkommenen Antike abwendet und sich zeitgenössischen Themen bzw. Motiven, zuwendet, man noch „Anleitungen zu denken und empfinden [...] nach der Denkungsart, der Sitten, und Begriffe der jetzigen Menschen“ geben muß. [48] Diesem Umstand zur Folge sind auch die ausführlichen Beschreibungen Kreuchaufs verfaßt worden. [49]

Am Beispiel für eine Grabmalplastik mahnt Oeser darüber hinaus an, daß die Gedanken, die dabei zum Ausdruck gebracht werden sollen, in Einklang mit der Sache an sich, oder wie hier mit Taten des Verstorbenen stehen müssen:

„Es ist verhältnismäßig wahr, daß dem guten Bürger ein Stein mit ein paar guten Worten gehört, aber nicht immer bleibt es das Beste, das Schicklichste, sondern wird es nur, wenn sich der Gedanke zu seiner That schickt [...].[50]

In dem hier zitierten Brief werden genau zwei Eigenschaften der Allegorie kritisiert, die auch Lessing anmahnte. Für Lessing sagt die Allegorie der Alten etwas anderes aus als man landläufig zu meinen glaubte, so daß aufgrund dieser Fehldeutung ihr Sinn schwer zu entschlüsseln ist. Der Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem darf nicht allein aus dem reinen Verstandesdenken zu erschließen sein sondern aus intuitiver Erkenntnis.[51] Oeser erläutert Knebel seine Vorstellungen, die sich denen Lessings und Mendelssohns anschließen, am Beispiel eines Gleichnisses:

„Als unterm Victor Amadeus Turin belagert wurde, kam die Rettung der Stadt, auf die Sprengung einer Bastion an, die der Feind inne hatte, man unter­minierte dieselbe, und bedete einen gemeinen Soldaten, die Mine anzuzünden. So bald er glaubte daß die meisten Feinde auf der Bastion wären, wie dieser brave Soldat den rechten Zeitpunkt zu haben glaubte, wandte er sich unerschrocken zu seinem Ofizier, und sagte zu ihm: Der König sorge für meine Kinder! und sprengte sich mit in die Luft. Verdiente dieser gemeine Soldat, der so edelmüthig seine Vaterstadt rettete, nicht etwas mehr als einen Stein. Gelehr­samkeit ist nicht zureichend, die Wirkung zu beurteilen, die Werke der Kunst auf die Menschen machen, ein gewißes inneres Gefühl, Liebe und Beschäf­tigung damit, sind sichere Mittel.“[52]

Für Oeser reicht die am Verstand orientierte Sprache der Kunst eines Winckelmanns allein nicht aus. Oeser möchte in Verbindung mit dem Verstand über eine verinnerlichte Reflexion zu einer erweiterten Erkenntnis gelangen. Aus den formalen Anforderungen, die Oeser an ein Kunstwerk stellt, müssen die Empfindungen wahr und dem Gegenstand adäquat sein. Wenn er das Beispiel vom allgemeinverständlichen „Aschekrug“ anführt, so heißt dies, die Empfindungen müssen vom Objekt selbst ausgehen und nicht gedanklich in das Objekt hineingelegt werden. Herz und Kopf haben dabei dennoch in einem harmonischen Wechsel­verhältnis zu stehen. Verliert durch eine falsche Sprache die Empfindung das natürliche Verhältnis zur Realität, wie er an der Grabinschrift zu erläutern versucht, dann artet sie in das aus, was der Empfindsamkeit in der späten Aufklärung heftige Kritik eingebracht hatte. Die natürliche Empfindung wird nämlich dann zur Schwärmerei, oberflächlich, äußerlich, modisch und unnatürlich.

 

 

-      Das Gohliser-Schlößchen

Als ein weiteres Beispiel für den Umgang mit der alten Formensprache und den Versuch einer zeitgemäßen Auslegung können die Ausmalungen des Festsaales im Gohliser Schloß bei Leipzig gelten. Der bürgerliche Landsitz[53] vor den Toren Leipzigs gelangte 1770 in den Besitz des kurfürstlichen-sächsischen Hofrats Johann Gottlob Boehme. Er ließ das Gebäude umgestalten, und Oeser wurde die festliche Ausge­staltung der Gesellschaftsräume aufgetragen. Das Deckengemälde entstand um 1778. Anhand einer Analyse des Bildprogrammes soll nochmals die Problematik der Bildfindung und einer damit verbundenen verständlichen allegorischen Sprachregelung verdeutlicht wer­den. Das Deckenbild des Festsaals im Gohliser Schloß mit dem Thema „Der Lebensweg der Psyche“ wurde von Kreuchauf ausführlich beschrieben.[54] (Abb. 70).

Über den Plafond verteilen sich insgesamt vier mythologische Personengruppen.[55] Auf der ersten Wolkenbank lagert Apoll mit einer Lyra, von einem Glorienschein umgeben. In Rückenansicht ist ein muskulöser Herkules dargestellt. Die zweite Gruppe links von den beiden Göttern zeigt ca. sechs Musen mit den Attributen einer Himmelskugel, einem aufgeschlagenen Buch und Schreibzeug. Ihnen ist Apoll als Gott der Kün­ste und der Weissagung zugeordnet und gilt somit als der Führer der Musen. Oberhalb der Musen formiert sich eine Dreiergruppe, die die „Entschleierung der Natur“ durch die „Betrachtung“ darstellt. Ihr zur Seite ruht eine Allegorie der Architektur mit einem Kapitell als Attribut. Sie verkörpert die Idee einer Baukunst, die sich an der Natur orientiert. Am rechten Rand des Bildes befinden sich noch einige Putti, die ein Medaillon des Landesherrn emportragen und die Kunst der Malerei symbolisch darstellen, die vom Kurfürsten gefördert wurde. In der Mitte dieser Dreieckskomposition befindet sich die Hauptgruppe des gesam­ten Bildes. Zweifelsfrei ist auf den ersten Blick die Gestalt der Psyche zu erkennen, die im weiteren, falls sich der Betrachter an das überlieferte Märchen von „Amor und Psyche“ erinnert, auf eine weitere ihr zugedachte Figur eines Amor schließen läßt. Oeser hält sich nicht an die literarische Vorlage, denn die zweite Figur kann nicht als Amor identifiziert werden. Statt von einem Amor wird die Psyche von einer weiblichen Gestalt, die ein Stundenglas in Händen hält, begleitet. Er verbindet Figurengruppen aus verschiedenen mythologischen Stoffen und der Poesie zu einem neuen zusammenhängenden Figurenpro­gramm. Die Komposition basiert somit im Einzelnen auf bekannten Figurenvorlage mit geläufigen Inhalten, die Oeser gemäß den Bedürfnissen seiner Zeit abwandelt und uminterpretiert[56]. Der Reiz solcher Bilder lag beim Betrachter im Vergleichen von Bekanntem und neu Gestaltetem. Um das Bild allerdings annähernd vollständig zu enträtseln, mußte man noch laut Oeser „Anleitungen zu denken und empfinden [...] nach der Denkungsart, der Sitten, und Begriffe der jetzigen Menschen.“ geben. [57] Diese Aufgabe übernahm Kreuchauf in seinen Bild­beschreibungen. An den Beginn seiner Ausführung stellt er ein Motto, das den Inhalt des Bildes knapp zusammenfaßt:

„Nimm, edle Seele,“ sagt das Gemälde, „des Lebens rechten Zeitpunkt wahr, in welchem du am fähigsten bist, Wahrheiten zu erforschen und durch deren Erkenntnis weise und glücklich zu werden.“[58]

Den Grundgedanken, die Psyche als eine Allegorie der Seele darzustellen, behält Oeser bei, die weiteren Teilnehmer an der „Geschichte“ werden ausgetauscht, ebenso wie eine neue inhaltliche Aussage kreiert wird. Oeser beschreibt den Lebensweg der Psyche als einen alle­gorisch angedeuteten Tagesablauf. Apollo steht als Repräsentant der Sonne und des Mor­genlichts. Als Führer der Musen repräsentiert er ein „an den Künsten orientiertes pädagogi­sches Bildungsprogramm“.[59] Die Psyche wird zu Beginn ihres Lebens, der durch den „Morgen“ versinnbildlicht ist, durch die Künste gelehrt. Herkules stellt den zweiten wichtigen erziehe­rischen Punkt in der Unterrichtung der jungen Psyche dar:

 

[...] da Verstand und Tugend, die sich ihr früh mitteilen, in Apollos und Herkules Gestalt die Musen herbeiführten, in welcher Umgang sie gebildet ward, und nun die Aufgeklärte zur glücklichsten Stunde dem Schoße ihrer Lehrerinnen entriefen.“[60]

Die vorgestellten mythologischen Personen wurden zwar in einen neuen Kontext gestellt, konnten aber aufgrund ihrer eindeutigen Lesbarkeit im einzelnen vom zeitgenössischen Betrachter entschlüsselt werden. Spätestens bei der Begleiterin der Psyche stellt sich ein Bruch mit der Konvention dar. Von Kreuchauf wird diese Figur ausführlich beschrieben. Er spricht allerdings von einer männlichen Person, die die Psyche begleitet. Die Begleitung ist eindeutig als weibliche Gestalt auszu­machen. Mit ihrem Attribut, einem Stundenglas, verkörpert sie als Chronoide, einer Tochter des Chronos [Saturn], die verrinnende Zeit.

„Sie wird über ihnen [den Musen] himmelan steigend vom Mittage des Lebens, ihrem fähigsten Führer, gelenkt [...]. Psyche strebt fort mit ihrem holden Führer, der, selbst jung und edel, als Beförderer des anwachsenden Vorglanzes ihrer jungfräulichen Würde, nicht sondern Sorgfalt kühn, sie auf eine lichtvolle Bahn leitet. Sein Haupt blüht neben dem ihrigen mit ebenso frischen Wangen und offner Stirn, ohne bezeichnende Zierden in den Locken, und seine ganze Figur bis zu den Fersen hinab blieb frei davon, als sei er schon in dem aus der Natur selbst genommenen Bilde völlig erreichter Reise des menschlichen Lebens kenntlich. Deutlicher kündigt er sich ihr als Saturns rastlosen Sohn an, der vom greisen Urvater nichts als das Hauptattribut der Zeit bekam. Das unabgelaufne Stundenglas in der Hand, empfiehlt er ihr den weislichen Genuß seines schnell hinschwindenden Daseins. Obschon von beiden nur sie auf leichten Fittichen sich hebt, er aber von unsichtbaren Kräften fortgetrieben wird, scheint es doch, daß er stärker beflügelt sei und den Flug der Forschen­den beschleunige.“[61]

Der eigentlich als Begleiter der Psyche zu erwartende Amor wird zu einer Chronoide, einer Göttin des Tages, umfunktioniert. Somit kann die Psyche auch nicht mehr ihrer traditionelle Deutung als Verkörperung der göttlichen Liebe entsprechen. Obwohl Oeser hier eine Neuschöpfung in der Zusammenstellung der Figuren vornimmt, bleibt das Gesamtprogramm verständlich[62]. Die Chronoide erhält ihre Funktion, indem sie die Abfolge der Tageszeiten als Ordnungsprinzip und als Gleichnis den Lebensweg der Psyche verkörpert. Die Psyche, die nun nicht mehr die göttliche Liebe personifiziert, schwebt mit ihrer Begleiterin der Figurengruppe der „Entschleierung der Natur“ entgegen, die Kreuchauf folgendermaßen beschrieb:

„Die Betrachtung zieht der Natur vor der denkenden Seele den Schleier ab. Der Rest des leichten Gewandes entfließt eben dem sichtbar werdenden Haupte im Angesichte der emporgehobenen Psyche, [...]. Keine künstelnde Hand hat ihr in ihrem bekannten Bilde einigen Schmuck gegeben oder etwas umher zu ihrer Verherrlichung gethan, und die Baukunst ruht, des Studierens müde, auf gehäuften Büchern am Fuße der aufgedeckten Bildsäule.“[63]

Obwohl der Personifikation der Natur keine Attribute zugefügt wurden, veranschaulicht sie aufgrund ihres nackten Körpers, ihre Grundeigenschaft als Figur der Natur und erklärt sich somit aus sich selbst heraus. Die personifizierte „Betrachtung“, die die „Natur“ entschleiert, repräsentiert das Sehen als einen bewußten Akt des Nachdenkens. Der Vorgang der Enthüllung hat seine Parallele in der Ent­rätselung der einzelnen Personifikationen durch den Betrachter und entspricht im Zeitalter der Aufklärung dem Prozeß der Wahrheitsfindung durch den Menschen.[64] Angesichts der großen Popularität dieses Motivs, kann davon ausgegangen werden, daß der zeitgenös­sische Betrachter auch ohne begleitende Lektüre das Thema „Natur-Wahrheit-Vernunft“ verstanden haben müßte. Die Natur als Vorbild im Ausbildungsgang des Menschen, den die Psyche hier repräsentiert, ist allgemeines Ziel der Aufklärungszeit in Deutschland. An diesem Prozeß, dem Menschen die Natur zu erschließen, sieht sich Oeser als Künstler maßgeblich beteiligt. In seinen bereits 1764 verfaßten moralphilosophischen Aufzeichnungen sah er seine Funktion als Künstler durch die göttliche Gabe sanktioniert.[65]

Der in seinem Gohliser Deckengemälde vertretene Topos der „Naturenthüllung“ verweist in seiner humanistischen Tradition auf die unerschöpfliche Naturwahrheit und Naturer­kennt­nis. In diesem Zusammenhang schreibt er: „Wer der Natur nachlebt, kan selten arm seyn; wer der Einbildung nachlebt, kann nimmer reich sein.“[66] Um die Natur dem Betrachter zu erschließen, bedurfte es nach seiner Auffassung des Künstlers und der Kunst, mit deren Hilfe man zur „Erkenntnis“ gelangte. Diesen Zusammenhang stellt Oeser in einem Decken­gemälde im Vorraum zum Musiksaal im alten Leipziger Bibliotheks­gebäude dar. Kreuchauf schildert es folgendermaßen:

„Das Deckenstück schildert des gesunden und bescheidenen Beurtheilers der Kunst treueste Führerin, die Erkenntnis, im Schoße einer Wolke, von welcher sie, im gemilderten Glanze ausgegoßner Klarheit, leicht umdämmert wird. Tief in forschenden Gedanken zur Prüfung versenkt, sammelten sie alle ihr verliehenen Kräfte, bey aufgethanem Buch und brennendem Lichte. Daneben verräth sich, unbemerkt von ihr, der wachsende Aufklärungstrieb, im Bilde eines muntern Knaben, welcher mit der Schere die Flamme reinigt: daß das Licht der Erkenntnis allen Augen heller leuchte.“[67]

Durch die Umsetzung der mythologischen Themenkreise in „allgemeine Begriffe“ hat Oeser einen Versuch unternommen, tradierte Stoffe einem sich wandelnden, rational denkenden Publikum in neuer Form zu vermitteln. Durch das Wegfallen des Amors und sämtlicher erzählerischer Elemente im Gohliser Deckenbild nimmt er eine Umdeutung des klassischen Stoffes vor. Die Verbindung läßt den Schluß zu, daß Oeser hier ein Konstrukt geschaffen hat, um einen zeitgemäßen aufklärerischen Gedanken darzustellen. Der Grundgedanke des Lebenswegs der Psyche als Entwicklungs­geschichte der Seele im platonischen Sinne wurde beibehalten. Die klassischen Embleme können zwar über den reinen Intellekt enthüllt wer­den, dennoch bleibt in manchen Verknüpfungen ein unenthüllbarer tiefsinniger Rest, der nur in seiner literarischen Fassung entziffert werden kann. So zum Beispiel die Frage nach der Verbindung zwischen der Psyche und der Allegorie der Natur. Oeser gibt die Antwort für ein im Hagedornschen Sinne formuliertes „mäßiges Verhüllen“ denn,

„Gelehrsamkeit ist nicht zureichend, die Wirkung zu beurteilen, die Werke der Kunst auf die Menschen machen, ein gewißes inneres Gefühl, Liebe und Beschäftigung damit, sind sichere Mittel.“[68]

 

 

-      Das Wittumspalais in Weimar

Das selbe Thema, das Oeser für einen bürgerlichen Auftraggeber wählte, formulierte er 1775 für das Deckengemälde des Ballsaales im Wittumspalais der Herzogin Anna Amalia in Weimar.[69] Das Wittumspalais war ihr Witwensitz, gelangte durch den literarischen Zir­kel der Herzogin, der sogenannten „Tafelrunde“ zu Berühmtheit und wurde zum Inbegriff des Musenhofes Weimar. Das Palais stellte gleichzeitig auch einen Musentempel dar. Die privaten Gemächer der Regentin im Westflügel des Palais umfaßten neben dem Grünen Salon, ein Musikzimmer und ein Malzimmer. Bis 1785 bringt Oeser in jedem der Räume ihrer Funktion entsprechend allegorische Deckenmalereien an.[70] Es kann vermutet werden, daß sich hinter den dargestellten Musen der Literatur, der Malerei und der Musik eine Personifikation Anna Amalias zu sehen ist.

Die Hauptgruppe des „Grünen Salons“ stellt eine Athena dar, die von drei leichtbekleideten Frauenfiguren umlagert ist, eine davon überreicht ihr Blumen. Die zweite gegenüberliegende in Untersicht dargestellte Hauptfigur eilte der Athena entgegen. Sie hält ebenfalls in beiden Händen Blumen. So stehen sich in dem Figuren­programm die Athena als Schutzgöttin der Künste und vier Allegorien als „Naturwahrheiten“ gegenüber.[71] Seine Fortführung erfährt das ikonographische Programm in den beiden neben dem Grünen Salon liegenden Mal- und Musikzimmer.

Den Höhepunkt bilden die Ausmalungen des Hauptraumes, dem ein Stockwerke höher liegenden Ballsaal (Abb. 71). Das allegorische Personal setzt sich hier aus zwei Gruppen zusammen. Oben links lagert eine Gruppe von drei weiblichen Gestalten, wobei die eine mit dem Attri­but eines Kapitells die Architektur vorstellt und somit in Ergänzung zu den bereits drei genannten Musen der Literatur, der Malerei und der Musik im unteren Stock tritt. Die bei­den weiteren Figuren Mildtätigkeit und Gerechtigkeit tragen als Attribut ein Rutenbündel und eine Reitgerte. Sie dürften auf Anna Amalias milde Strenge und gerechte Gesinnung während ihrer Regentschaft und der Zeit danach anspielen. Die Hauptgruppe des Decken­gemäldes stellt erneut eine Athena mit einem Helm und eine Personifikation der Natur mit entblößtem Oberkörper und einem Füllhorn als ihr Attribut dar. Die Frauen lagern auf einer Wolkenbank. Die Gruppe wird von einem baldachinartigen Tuch, das von Putten getragen wird, bekrönt. Daß auch hier die Athena als Göttin der Künste Anna Amalia zugedacht war, liegt auf der Hand. Oeser bezeichnete die Herzogin in einem Brief als „durchlauchtigste Schutzgöttin der Kunst“[72], einige Jahre zuvor schrieb er an Knebel, er wolle eine Marmor­büste der Herzogin anfertigen, er wünschte das Bildnis der Herzogin „als Minerva oder Muse aufzustellen“[73]. In Anna Amalias Sommerschloß in Tiefurt wurde aus Porzellan eine Figur der Pallas Athena aufbewahrt, die wohl symbolisch die musischen Neigungen der Herzogin symbolisierte. Christoph Martin Wieland schrieb 1784 an Johann Heinrich Merck (1741-1791):

„Unsere Herzogin-Mutter scheint an allen Qualitäten, die eine Fürstin allen Mensche, die Zutritt bei ihr haben, lieb und verehrenswert machen müssen, mit jedem Jahre zuzunehmen. Sie ist unsere Pallas und unser Palladium zugleich, und ich begreife nicht, wie wir ohne sie existieren wollten.“[74]

Der eigentliche Bedeutungsinhalt des Gemäldes im Wittumspalais ist auf dieselbe Formel zu bringen, wie beim Gohliser Deckengemälde. Die Nacktheit der Natur symbolisiert den Begriff der „Naturwahrheit“. Ihre Entschleierung, die durch das aufgehobene Tuch dargestellt wird, führt zu einer weiteren Erkenntnis über die Natur, was nur mit den Mitteln der Kunst erreicht werden kann.[75] „Athena“ umarmt die „Natur“ schwesterlich, beide weisen sie in die Richtung der Räume im unteren Stockwerk, dem Tafelrundenzimmer, dem Mal- und Musikzimmer, was auf ihre untrennbare Einheit und den gemeinsamen zu beschreitenden Weg hindeutet.

 

 

 

5.    Naturwahrheit und natürliches Zeichen

„Naturwahrheit“ und „natürliche Empfindung“ sind, wie die besprochenen Decken­gemälde zeigen, zwei Grundmaxime der Aufklärung, die seither in umfangreichen allegori­schen Bildprogrammen veranschaulicht werden. Diese komplexen Konstrukte wurden von Oeser mitunter auch in einer zusammenfassenden Form eines natürlichen symbolhaften Zeichens dargestellt. Als künstlerisches Motiv gab es hierfür nur eine Lösung, nämlich das Kind als „natürliches Zeichen“. Oft als überkommene Form der barocken Putti abquali­fiziert,[76] gewinnt es bei Oeser eine eigene Bedeutung, aus der heraus eine Entwicklung bis hin zur Romantik ihren Lauf nimmt. Oeser, der „Kinderfreund“[77], denkt bei seinen Kinderszenen in erster Linie an „reale“ Kinder anstatt an barocke Engelskinder nach dem Vorbild antiker Eroten. Eine Ausstellungskritik aus dem Jahr 1755 schreibt: „Oeser hat sich dieses Jahr in Kinder verliebt, und diese macht er immer aus­nehmend schön“.[78] Dem „Kind“ als künstlerisches Ausdrucksmotiv kommt in Oesers Werk eine besondere Bedeutung zu, da sie in allen Kunstgattungen zu finden sind. Die früheste bekannte Kinderdarstellung ist das Rezeptionsbild für die Dresdener Akademieausstellung von 1766. Oeser stellt hier seine eigenen vier Kinder als Allegorie der Künste dar (vgl. Abb. 6), am signifikantesten sind die Kindermotive des Gellert-Denkmals (vgl. Abb. 2), die als ein Zeichen einer natürlich empfundenen Trauer stehen.

Daß Oeser auch von der aktuellen zeitgenössischen Aufklärungspädagogik nicht unberührt blieb, zeigen folgende Beispiele. Kindern das freie Spiel zu ermöglichen, war eine Grund­maxime der Reformpädagogik, der Philantropen Basedow, Campe und Pestalozzi. Diese Gedanken beschreibt Oeser in einem Entwurf für ein nicht ausgeführtes Deckengemälde:

„Die Belohnung sitzet in dem Wolcken, und theilet ihre verschiedenen Gaben aus. Ich glaubte daß dieser Gedancke sich in das Ringel-Rennen schicken möchte, und machte einige Kinder die zum Spiel gehen vorn noch dazu [...].[79]

Oeser beschreibt mit der Allegorie der „Belohnung“ ein weiteres, von der Aufklärungs­pädagogik neu entdecktes Mittel der Kindererziehung. Ursprünglich ausgehend von Basedow, war dies auch eine von Gellert propagierte Maßnahme der Kindeserziehung.[80] Kreuchauf beschreibt in einem weiteren Deckengemälde nochmals Kinder, die hier in ihrer Natürlichkeit die zwangfreie Natur verkörpern:

„Hier versammelte sich ein kleiner Haufen ungeschmückter, gewandloser Kinder, edle Geschöpfe, die gesellig und mutvoll; so wie sie aus der Hand der guten Mutter Natur hervorblühten, sich der ersten Empfindungen des Lebens freuen.“[81]

Im Sinne Novalis´ (Friedrich von Hardenberg 1772-1801) entsteht eine Gegenwelt zur zivilisatorischen Welt. Der Dichter schreibt: „Wo Kinder sind, da ist ein goldnes Zeit­alter.“[82] Natürlichkeit, Unbefangenheit, aufklärerische Neugier waren die wichtigsten Eigenschaften, die Kinder verkörperten. Frei von jeglicher zivilisatorischer Konditionierung waren sie in der Lage, sich natürlich zu geben und zu empfinden.

Das Ziel „Natürlichkeit“ darzustellen, wurde auf unterschiedliche Weise verfolgt. Ende der 70er Jahre erschien Chodowieckis Bilderserie „Natürliche und affectirte Handlungen des Lebens“[83]. Das von Oeser wie Chodowiecki verbildlichte „Sozialisationsideal“[84] und auch die damit verbundene Kritik an der gekünstelten Zivilisation ist bei beiden Künstlern dasselbe. Ihre Formensprache kann allerdings nicht unterschiedlicher sein. Chodowiecki konnte aus naheliegenden Gründen an Oesers Kindern nichts finden. Die völlig verschieden­artige Herangehensweise an ein und dasselbe Thema, veranlaßte Chodowiecki sogleich auch am Formalen Kritik zu üben. In ihren Darstellungen waren seiner Meinung nach Oesers Kinder zu leblos „der Leib ist wie ein Sack, der Hinterste mager, und die Beine immer Paralel gestellt.“ [sic][85]

In seinen moralphilosophischen Aufzeichnungen, widmet Oeser den Kinder einige Zeilen, was auf deren tiefergehende Bedeutung für ihn schließen läßt:

„Viel Gelehrsamkeit zeigt, wie wenig die Sterblichen wissen;/           
viel Güter zeigen, wie wenig die Welt Kinder genießen/        
können. Aufs höchste belustigen sie uns mit unendlichen Pup-      
penspielen, und erhalten uns in der Kindheit, bis wir zu/       
Staub zerfallen.“
[86]

Oeser sieht neben der Empfindung einer Natürlichkeit im kindlichen Verhalten noch einen anderen Aspekt, dessen sich die damals „zivilisiert“ Welt nicht mehr bewußt war. Kinder können durch ihr Verhalten dem Erwachsenen Vergnügen bereiten und in ihm die „kindliche Seele“ im Sinne einer natürlichen Reaktion bewahren. Das Streben nach Wissen und Besitztum hat den Menschen unfähig gemacht, mit Freude Kinder zu genießen. Deutlich tritt hier eine bürgerliche Zivilisationskritik hervor. Im selben Zusammen­hang bemerkt Schiller in seiner Schrift „Über naive und sentimentalische Dichtung“ zur kindlichen Natur:

„Besonders stark und am allgemeinsten äußert sich diese Empfindsamkeit für Natur auf Veranlassung solcher Gegenstände, welche in einer engern Verbin­dung mit uns stehen und uns den Rückblick auf uns selbst und die Unnatur in uns näherlegen, wie z.B. bei Kindern und kindlichen Völkern.“[87]

Das Kind steht als Hoffnungsträger für die Zukunft einer besseren Welt und gleichzeitig als Diesseitsbejahung. Mußten sich die mythologischen Allegorien Winckelmanns zwangsläufig in erster Linie an den Verstand wenden, so richteten sich die Kinder­gestalten Oesers in ihrem Symbolgehalt an das Gefühl.

Das künstlerische Interesse, Kinder darzustellen, beschreibt Oehler anhand der zahlreichen Kinderdarstellungen in Oesers´ Buch-Vignetten (vgl. Abb. 3 u. 4), die fern jeglicher antikisie­rende und allegorisierende Formensprache waren, denn:

„Der Beweggrund zu dieser häufigen Verwendung des gleichen Motivs kann nur die gesunde Künstlerfreude an der unverfälschten Natur, an der köstlichen Naivität des künstlichen Körpers gewesen sein.“ und diese realistischen Ele­mente, schreibt Oehler weiter, sind „aus dem selben Quell hervorgequollen wie das große Interesse für alle Naturgegenstände“.[88]

Als weiteres Beispiel aus Oesers Werk kann hier der Jahreszeitenzyklus mit Kindern ange­führt werden (Abb. 72-75). Die hier gezeigten Kinder blicken nicht aus dem Bildraum hinaus, sondern sind völlig von ihrem Spiel erfüllt, von dem sie, wie der Wirklichkeit ent­rückt, völlig absorbiert zu sein scheinen. Die kleinen halbnackten, molligen Kinder, verwei­sen auf den Satz von Ovid [43-18 n. Chr.]: „omnia mutantur nihil interit“[89] und somit auch auf das Wesen des Zyklischen. Nicht Anfang und Ende, keine Endstation Winter, die in Kohle und Feuer das Gewesene repräsentiert, sondern die Kinder vollenden im winterlichen Bild den Wechsel von Wachsen, Blühen und Reifen. Ihre Blumen, Insekten, Ähren, Trauben und Kastanien stellen nicht die Negation von Verblühen dar, sondern veranschaulichen den Zyklus von Heranreifen und Gedeihen bis hin zur Ernte (Ähren, Kastanien). In ihrem Zusammenhocken stellen die wie aus Porzellan geschaffenen Kinder die Jahreszeiten dar, deren Früchte sie gemeinsam betrachten und einander reichen.

Der Jahreszeitenzyklus entspricht in mehrfacher Weise den Intentionen der Aufklärung und verbildlicht zwei Grundlagen aus Pestalozzis Reformpädagogik: die Erziehung in freier Natur und das sich gegenseitige Unterrichten der Kinder.[90] Die Kinder erkunden im Spiel die verschiedensten Wahrheiten der Natur. Im Frühling untersuchen sie mit einer Lupe Insekten, der Sommer läßt sie mit dem Spiel der Flöte (den Künsten) beschäftigen, im Herbst lesen sie aus den Idyllendichtungen des Theokrits, im Winter beschäftigen sie sich mit den Früchten der Natur (Kastanien) und dem Naturelement Feuer. Das Kind wird zum Symbol des natürlichen Verhaltens und Umgangs mit der Natur, es erfährt Erkenntnis aus der Beschäftigung mit der Natur und ihrer Beobachtung. Ein Hilfsmittel dazu war die Kunst, die die Natur näher erklären konnte.

Bei der Betrachtung dieser Kinderdarstellungen ist man geneigt, den Herderschen „Natursymbolismus“ zu erproben. War das natürliche Zeichen bei Mendelssohn und Lessing noch als reine Naturimitation aufgefaßt, können die Oeserschen Kinder bereits nach Herders Definition als „Symbole“ einer Naturerscheinung aufgefaßt werden, was zu dem späteren Begriff eines religiösen „Natursymbolismus“ führt,[91] der erst in der Romantik voll ausgebildet und bei Philipp Otto Runge zu einem Motiv naturmystischen Christentums wurde.[92] Schiller beschreibt das Kind bereits im Sinne der Romantik als einen „heiligen Gegenstand“:

„Das Kind ist uns daher eine Vergegenwärtigung des Ideals, nicht zwar des erfüllten, aber des aufgegebenen, und es ist also keinesweges die Vorstellung seiner Bedürftigkeit und Schranken, es ist ganz im Gegenteil die Vorstellung seiner reinen und freien Kraft, seiner Integrität, seiner Unendelichkeit, was uns rührt. Dem Menschen von Sittlichkeit und Empfindung wird das Kind deswegen ein heiliger Gegenstand sein, ein Gegenstand nämlich, der durch die Größe einer Idee jede Größe der Erfahrung vernichtet; und der, was er auch in der Beurteilung des Verstandes verlieren mag, in der Beurteilung der Vernunft wieder in reichem Maße gewinnt.“[93]

Herder schildert die Eindrücke der Natur während der Kindheit und Jugend als die, die am nachhaltigsten wirken. Nur Kinder sind es, die in ihrer naiven natürlichen Unbefangenheit die Natur wahrnehmen können. In ihrem Naturerleben spiegelt sich die innere Gemütshaltung in ihrem äußeren Ausdruck wieder:

„Wenn der Lenz erwacht, erwachen wir und fühlen in ihm den Lenz unsres Lebens; mit jeder Blume spriessen wir auf, wir blühen in jeder Blüthe. Uns klappert der wiederkommende Storch, uns singt die Nachtigall und die Lerche. An der Munterkeit und dem neuen Frühlingsleben jedes Geschöpfs nehmen Kinder brüderlich=schwesterlich Antheil. Idyllen sind die Frühlings= und Kinderpoesie der Welt, das Ideal menschlicher Phantasie ihrer Jugendunschuld. Aber auch jede Scene der Natur in allen Jahreszeiten hat für gesunde Men­schen ihr Angenehmes, ihr Schönes; Sommer und Herbst, selbst der rauhe Winter. Thätigkeit ist die Seele der Natur, mithin auch Mutter alles Genußes, jeder Gesundheit.“[94]

 

 

 

6.    Das Leipziger Komödienhaus: Ein „Tempel der Wahrheit“

Als ein herausragendes Beispiel für Oesers Allegorienkunst gilt der Theatervorhang (Abb. 76) für das 1766 neu eröffnete Leipziger Komödienhaus (Altes Theater), das auf eine nahezu zweihundertjährige ruhmvolle Vergangenheit zurückblickte. Kein Leipziger Kunstwerk dürfte im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts besser bekannt gewesen sein.[95] Über den Vorhang verfaßte der Leipziger Dichter und Professors der Philosophie Christian August Clodius (1738-1784) folgende Zeilen:

„Mit Hagedorns Geschmack und Raphaels Genie/ Und Rubens kühner Meisterhand/ Trägt Oeser, unterstützt von der Allegorie/ Das Schicksal des Cothurns auf beredt Gewand;/ Die Wahrheit giebt ihm Stoff, und ordnet sein Gedicht/ Zum Ruhm des Tempels, den er weyht,/ Die Grazie den Reiz, Empfindung, Feinheit, Licht;/ Er krönt den Sophokles [497/96-406 v. Chr.], ihn die Unsterblichkeit.“[96]

Selten wurde ein Gemälde während dieser Zeit häufiger beschrieben, gedeutet, auch mißverstanden und war deshalb Gegenstand entsprechender Kontroversen. Der Theater­vorhang wurde auch von dem Oeserfreund Kreuchauf nach einer Skizze des Theatervorhangs im Wincklerschen Kabinett, beschrieben. Kreuchauf verfaßte allerdings keine eigenen Text, sondern er übernimmt den von dem Leipziger Dichter Clodius gehaltenen Eröffnungsprolog zur Veranschaulichung des perspektifisch-illusionistischen Kunstwerkes.[97] Daß Kreuchauf die von Clodius verfaßte umständliche, detaillierte Beschreibung erneut wiedergibt, geschieht nicht nur allein um den Inhalt der Oeserschen Vorhangmalerei so genau zu protokollieren, sondern zeigt auch, wie wichtig jene Zeit solche poetisch malerische Ausschweifungen nahm, die im übrigen auch mancherlei von der geistigen Einstellung und Ausdrucksweise der Zeit verraten. Clodius beschrieb den Vorhang mit:

„Zween Säulengänge, nach Dorischer Ordnung, umstellen den runden Vorhof des Tempels der Wahrheit, welchen man entfernt in der Mitte siehet. Er ist von allen Seiten offen, und läßt die von aller Bedeckung entblößte Bildsäule der gefälligen Göttin sehen, die den Herzutretenden die offenen Arme zeigt. Beym Eingange des Vorhofes, mitten auf dem Gemälde, stehen die in Bronze gegossenen Bildsäulen des Sophokles und Aristophanes [445-385 v. Chr.], der größten dramatischen Dichter [...]. Auch die andern großen Dramatiker des Altertums sind vertreten. Hinter den alten Dichtern [...] stehen einige ihrer deutschen und französichen Nachahmer. Im Vorhofe sieht man den unnachahmenden Shakespear, welcher die alten Originale vorbeygegangen ist, gerade dem Tempel der Wahrheit zu eilen.“[98]

Den zentralen Gedanken Oesers, einen „Tempel der Wahrheit“ vorzustellen, griff Clodius in seiner Eröffnungsrede bereits bei der Charakterisierung des Komödienhauses mit folgenden Zeilen auf:

„Du, Tempel des Geschmacks, der Wahrheit aufgestellt,/ Die lachend, durch den Reiz der Grazien, gefällt;/ Ehrwürdig Monument, geschaffen, künft´gen Zeiten/ Empfindung und Geschmack und Künste zu verbreiten; [...].[99]

Das Leipziger Theaterpublikum nahm die ersten deutschen Aufführungen von William Shakespeares (1564-1616) Dramen begeistert auf, und Oeser war einer der ersten bildenden Künstler in Deutschland, der sich dem von den Literaten neuentdeckten englischen Poeten annahm.[100] Der Umschwung, der sich nun auf den Bühnen Leipzigs durch die Dramen und Dichtungen Shakespears vollzog, wird in Oesers Theatervorhang signifikant.[101] Shakespeare galt als ein Dichter fern jeder Regelstrenge, seine Dichtungen ermöglichten die Ablösung von der am antiken Versmaß orientierten Poesie und den antiken Dichtern, was von den Stürmern und Drängern der Geniezeit begeistert aufgenommen wurde. Der Künstler sollte von nun an aus seiner eigenen natürlichen Begabung heraus schöpferisch tätig sein und so Werke schaffen, die der Natur am ähnlichsten werden. Wenig wird beachtet, daß Oeser dieses zukunftsweisende Leitmotiv für die Kunst 1766 in seinem Vorhang bereits verbildlichte.

Der Vorhang zeigt links im Vordergrund einen Putto, der auf eine Theaterdekoration einen Baum bzw. Zweig malt. Bei genauerer Betrachtung ist festzustellen, daß der gemalte Zweig nach oben wächst und bereits über die Malfläche hinaus ragt. Oeser stellt hier den Gedanken eines dialektischen Kunstprinzips vor. Zum einen, daß die Natur nur mit den Mitteln der Kunst erklärt und nachgeahmt werden kann, zum anderen, daß eine vollendete und wahre Kunst nur aus einer inneren Natürlichkeit heraus zu erreichen ist. Der von Oeser dargestellte Putto versinnbildlicht, als reales gedachtes Kind, daß er in seiner ganzen Ungezwungenheit nicht den akademischen Grundsätzen unterliegt, sondern frei und unbefangen in seinen künstlerischen Ausführungen ist. Oeser vertritt hier eine Kunstanschauung, die bei der ab 1785 erfolgten Umgestaltung der Nikolai­kirche zum Programm werden sollte. Das Motiv der Palmzweige, die aus den Kapitellen der Säulen herauswachsen, unterliegen demselben Grundgedanken[102], wie er fast zwanzig Jahre zuvor auf Oesers Theatervorhang in einem „Nebengedanken“[103] dargestellt wurde. Es kann davon ausgegangen werden, daß Oeser nicht nur die malerische Ausgestaltung der Nikolaikirche oblag, sondern er auch die architektonische Umgestaltung maßgeblich mitbeeinflußte.

Goethes Beschreibung des Theatervorhanges im 8. Buch von Dichtung und Wahrheit war nicht ganz frei von Ironie und Kritik, er schrieb:

„Doch machte die Erbauung des neuen Theaters zu meiner Zeit das größte Aufsehen, in welchem sein [Oesers] Vorhang, da er noch ganz neu war, gewiß eine außerordentlich liebliche Wirkung that. Oeser hatte die Musen aus den Wolken, auf denen sie bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich schweben, auf die Erde versetzt. Einen Vorhof zum Tempel des Ruhms schmückten die Statuen des Sophokles und Aristophanes, um welche sich alle neueren Schauspieldichter versammelten. Hier nun waren die Göttinnen der Künstler gleichfalls gegenwärtig und alles würdig und schön. Nun aber kommt das Wunderliche! Durch die freie Mitte sah man das Portal des fernstehenden Tempels, und ein Mann in leichter Jacke ging zwischen beiden obgedachten Gruppen, ohne sich um sie zu bekümmern, hindurch, gerade auf den Tempel los; man sah in daher im Rücken, er war nicht besonders ausgezeichnet. Dieser nun sollte Shakespearen bedeuten, der ohne Vorgänger und Nachfolger, ohne sich um die Muster zu bekümmern, auf seine eigne Hand der Unsterblichkeit entgegengehe.“[104]

Diese Schilderung des Theatervorhang gibt eine leisen, aber doch deutliche Spöttelei zu erkennen, daß Goethe Oesers künstlerische Lösung für nicht mehr ganz gelungen erachtete. Bei einem genaueren Vergleich der beiden Beschreibungen von Clodius´ und Goethe fällt auf, daß Goethe mit seiner Veranschaulichung des Vorhangs aus der Erinnerung heraus mit der Clodius´ nicht ganz übereinstimmt. Während Clodius die architektonische Illusionsmalerei Oesers als einen „Tempel der Wahrheit“ bezeichnet, sieht Goethe darin einen „Tempel des Ruhmes“. Die erste zeitgenössische Beschreibung kommt wohl eher den Vorstellungen Oesers entgegen, zumal er das Thema der Wahrheit bzw. Wahrheitsfindung durch die Künste mehrfach in Deckengemälden des Gohliser Schlosses oder im Wittumspalais darstellte.

Der Oeserschen Shakespearedarstellung als Rückenfigur konnte Goethe ebenfalls nur eine spöttische Bemerkung abgewinnen. Über die Bedeutung und Popularität Shakespeares in England lieferte Voltaire eine äußerst bildhafte Deutung, die gerade für einen Künstler des 18. Jahrhunderts reizvoll gewesen sein mag, sie auf Leinwand darzustellen. Oeser dürfte bei seiner Shakespearedarstellung Voltaires Gedanken gefolgt sein. Der französische Philosoph bescheinigt Shakespeare die Bedeutung eines Genies, was es ihm erlaube, sich über sämtliche Regeln und Traditionen der antiken Dichtung hinwegzusetzen. Voltaire schreibt hierzu:

“Das ist die Freiheit des Erfindergenies: Er bahnt sich einen Weg den niemand vor ihm beschritten hat, er eilt kunstlos ohne Leitlinien; er verliert sich in seinem Lauf, indessen läßt er alles weit hinter sich was nur Vernunft und Genauigkeit ist.“[105]

Nicht nur aus mangelnder physiognomischer Kenntnis mußte Oeser Shakespeare als Rückenfigur darstellen, auch aus der Voltairschen Vorstellung heraus, daß Shakespeare sämtliche antiken Dichtervorbilder hinter sich läßt und über Seitenwege seinen eigenen Weg zum Ziel, dem Tempel der Wahrheit findet.

Der Vorhang vereinigt drei verschiedene Stilepochen, die den Stilpluralismus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts deutlich werden lassen: „das malerische Grundgefühl ist klassizistisch, die architektonische Anlage ist barock empfunden und im Detail finden sich rokokohafte Züge.“[106] Oeser sah sich hier zwar in seiner Formensprache noch alten Traditionen verbunden, orientierte sich aber inhaltlich an einer zukunftsorientierten Kunstanschauung. Der Vorhang macht einmal mehr deutlich, daß sich noch lange bevor der Höhepunkt der klassizistischen Antikenrezeption um 1800 erreicht war, bereits eine Gegenströmung in der Kunst und Literatur sich abzeichnete, der sich auch Oeser verpflichtet sah. Mit seinem am Naturalismus orientierten Kunstprinzip, die erstmalige Verwendung der Figur Shakespears in einem groß angelegten öffentlichen Kunstwerk, war Oeser an der Verbreitung dieser neuen Kunstanschauung beteiligt und sah sich nicht mehr ausschließlich der Winckelmannschen Antikenrezeption verpflichtet. Vielmehr verhalf Oeser mit den Leitgedanken: „Kunst aus der Natur“ und „Natur aus der Kunst“, einen Naturalismus vorbereiten, wie er in seiner reinsten Ausprägung dann erst im 19. Jahrhundert erreicht wurde.


 

[1] Geheimer Vortrag, SHStAD, Loc. 859 Vol. III; hier erstmals veröffentlicht

[2] Winckelmann, Uhlig, 1991, S. 127.

[3] Teutscher Merkur, 1781, 3. u. 4. Vierteljahr, S. 199

[4] Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften, Leipzig, 1770; zit. nach: Winckelmann, Hrsg. Rehm, Bd. 4, 1952-57, S. 204f.

[5] Kreuchauf, 1782, a.a.O.

[6] Hoffmann, 1786, §. 62. S. 63. Das Leipziger Kunstblatt befindet über Oesers allegorischen Malereien „Oeser hegte stets eine große Liebe zum Allegorischen, sei es nun, daß ihm die Neigung dazu angeboren war, oder daß sie durch den vertrauten Umgang mit verständigen Freunden, vorzüglich durch die häufigen gegenseitigen Mitteilungen mit Winckelmann in ihm erweckt und durch fleißiges Plafondmalen genährt wurde. In dieser Gattung zeigte sich besonders seine leichte Erfindungsgabe und sein Gedankenreichtum. Er war in seinen Allegorien, welche nicht selten den Charakter eines Scherzes und der Satyre annehmen, fast immer glücklich und treffend.“, Leipziger Kunstblatt, 1817, S. 37

[7] s. auch Wenzel, 1999, S.69ff.

[8] Erst die Nazarener des 19. Jahrhunderts verhalfen der Allegorie zu einer erneuten Blüte. Ihnen gelang es trotz ihrer gefühlsbetonten Weltanschauung vornehmlich die christliche Allegorie als künstlerisches Ausdrucksmittel neu zu beleben; Schindler, Herbert, Nazarener, romantischer Geist und christliche Kunst im 19. Jahrhundert, Regensburg, 1982, S. 77

[9] Soerensen, Bengt Algot, Allegorie und Symbol, Texte zur Theorie des dichterischen Bildes im 18. und frühen 19 Jahrhundert, Frankfurt, 1972, S. 262f.. Die Grundlage für das folgende Kapitel bildet der Text von Werner Busch, Das Ende des Mythos im 18. Jahrhundert, in: Busch, Werner, Das sentimentalische Bild, Die Krise des Helden im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, München, 1993, S. 181ff.

[10] Winckelmann stimmte nicht mehr mit dem Geschmack der Zeit überein. Mit dem strikten Festhalten an der antiken Allegorie spricht er sich auch gegen Neuschöpfungen aus; Gadamer, 19754, S. 70

[11] Hamann, 1925, S. 38

[12] Winckelmann, Johann Joachim, „Versuch einer Allegorie, besonders für die Kunst“, Dresden 1766. Das Werk sollte die „Iconologia“ von Ripa ersetzen. Bereits in den „Gedanken über die Nachahmung“ wurde das Fehlen eines Kompendiums für die zeitgenössische Allegorienlehre angemahnt: „Der Künstler hat ein Werk vonnöten, welches aus der ganzen Mythologie, aus den besten Dichtern alter und neuerer Zeiten, aus der geheimen Weltweisheit vieler Völker, aus den Denkmalen des Altertums auf Steinen, Münzen und Geräten diejenigen sinnlichen Figuren und Bilder enthält, wodurch allgemeine Begriffe dichterisch gebildet worden.“, ebd. S. 37. Letztendlich aber ist das eigentliche Kompendium keine Neuerung sondern lediglich eine Fortführung der „Iconologia“ von Ripa. Oeser besaß eine deutsche Ausgabe des „Ripas“, von 1732, s. Rost, 1800

[13] Ramler, Karl Wilhelm, Kurzgefaßte Mythologie oder Lehre von den fabelhaften Göttern, Halbgöttern und Helden des Alterthums, Berlin, 1792

[14] Mendelssohn, Moses, Ästhetische Schriften in Auswahl, Hrsg. Best, Otto F., Darmstadt, 19943, S. 188. Mendelssohn nimmt Bezug auf J. J. Volkmanns, Neuausgabe von Sandrats „Teutscher Academie“ von 1675, s. u.

[15] Volkmann, Johann Jakob, Neuausgabe von Sandrats „ Teutscher Academie“, 1675, o. O.,
S. 209

[16] Ramler, 1792, S. VIIf.

[17] Ramler, 1792, S. IX-XIII

[18] Ramler, 1792, S. XVI

[19] Ramler, 1792, S. XIII

[20] Oeser ist in der Mitgliederliste der Leipziger Freimaurerloge „Balduin zur Linde“ unter der Matrikelnummer 20 aufgeführt; in: Die Freimaurerloge Balduin zur Linde in Leipzig, Leipzig, um 1926, Geheimes Staatsarchiv Preussischer Kulturbesitz Berlin (GStPKB) 5.2.L 18, Nr. 68. Dem Protokoll vom 11. 6. 1776 ist zu entnehmen, daß „nahmentlich, Adam Friedrich Oeser, der Zeichnungs-, Mahlerey- und Architecturakademie in Leipzig Direktor, und Professor der Academie in Dresden, evangh. Luth. Religion, bey derselben nach geleistetem Handschlag als rechtes und würkliches [sic.] Meistermitglied angenommen“ wurde. Die Aufnahme erfolgte „einstimmig von allen anwesenden Logenbrüdern“; GStPKB 5.2. L 18 Nr. 220, Protocoll 1776-79 Bd. I). Ab dem 25. Juli 1783 wird Oeser laut Protokoll nur noch als Ehrenmitglied geführt (GStPKB 5.2. L 18 Nr. ?), in den folgenden Mitgliederlisten fehlt sein Eintrag (GStPKB 5.2. L 18 Nr. 223, Protokolle 1787-88 Nr. V). Oeser war folglich nur von 1776 bis 1783 Mitglied der Leipziger Freimaurerloge „Balduin zur Linde“; vgl. Lit.: Schlesinger, Joachim, Die Freimaurer in der Stadt Leipzig, Leipzig, 1993,
S. 66

[21] Chodowiecki, 1789, S. 43f.

[22] Ramler, 1792, S. XIV

[23] Propyläen, 3. Bd., 1800, S. 125ff.

[24] W. A., Dichtung und Wahrheit, Bd. 31, Abth. 1, Bd. 27, S. 153ff. Goethe und Meyer haben zu diesem Zeitpunkt längst ihre eigene Position für die Beurteilung der Kunst bezogen. In ihrem gemeinsam verfaßten Aufsatz „Über die Gegenstände der bildenden Kunst“ kommen sie zu einer generellen Ablehnung des Attributes, die somit zu einer generellen Absage an die allegorische Bildersprache führte. Für sie mußte sich das Kunstwerk „ohne äussere Beyhülfe, ohne Nebenerklärung, die man aus einem Dichter oder Geschichtsschreiber schöpfen müßte“ erklären. Propyläen, 1. Bd., 1798, S. 21; vgl. Soerensen, 1963, S. 110

[25] Hagedorn, Bd. I, 1762, S. 459

[26] Hagedorn, Bd. I, 1762, S. 460

[27] Marx, 1988, S. 49f.

[28] Brief Oesers vom 3. Juli 1755 aus Dresden an den Freiherrn von Fritsch, GSAW 20/I 3, 10; hier erstmals veröffentlicht, s. Anh. Nr. 5. Der Brief nimmt Bezug auf Oesers Tätigkeit bei dem Grafen Bünau auf Schloß Dahlen, das er zwischen den Jahren 1755-1759 ausmalte. So läßt sich vermuten, daß das Deckengemälde hierfür konzipiert worden ist. Die Decken- und Wandmalereien sind nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten 1973 einem Schloßbrand zum Opfer gefallen. Anhand der schlechten Fotodokumentation der Malereien läßt sich eine Übereinstimmung des Deckengemälde für Dahlen und der Beschreibung des Briefes nicht feststellen. Der Restaurator Peter Paul Gabriel aus Dresden konnte sich nicht daran erinnern, ein solches Gemälde von Oeser während der Restaurierungsarbeiten nachgemalt zu haben. Allerdings wäre auch zu vermuten, da Oeser zu einem späteren Zeitpunkt für den Grafen Bünau auf Gut Oßmannstedt (1758) bei Weimar tätig war, daß er von Fritsch bereits für Oßmannstedt einen Vorschlag zur Ausmalung der Decke macht. Am 24. Februar 1758 schreibt Oeser aus Oßmannstedt an seine Frau: „[...] ich lebe noch in Weimar als ob ich erst angekommen wäre, ich habe erst einmal das Glück gehabt bey der Herrschaft zu bleiben. [...] ich arbeite an dieser Meublement nach Oßmannstedt, und was fertig ist, gefällt, [...]. GSAW, Abth. II, 96, 2115. Aufgrund des späteren Besitzwechsels an die Herzogin Anna Amalia wurden über die Jahre umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen, so daß sich auch hier, soweit momentan bekannt ist, von Oesers Hand nichts mehr erhalten hat.

[29] Bei der sog. „Scheuchzer Bibel“ bezieht sich Oeser auf den Schweizer Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer, der in einer Kupferbibel, der „Physica sacra“(4 Bde., Ulm, 1731-1735), Illustrationen zu Naturphänomen, die in der Heiligen Schrift vorkommen, beschreibt. Scheuchzer gilt als Begründer der Erforschung des Schweizer Hochgebirges. Er verfaßte ein „Itinera per Helvetia alpinas regiones facta annis 1702-11“ (2 Tle. London, 1708), die unter dem deutschen Titel „Naturhistorie des Schweizerlandes“ Zürich 1716-18, erschien. Das „Neujahrsblatt ab der Chorherrn auf das Jahr 1796“ empfahl noch gegen Ende des Jahrhunderts die Schriften Scheuchzers als Gegengewicht zu den „heutigen Modeschriften, die Euern Geist nur ermüden, Euch zur Empfindeley führen, oder gar zu traurigen Schwindelköpfen machen.“; zit. nach: Kruse, Joachim, Johann Heinrich Lips, 1758-1817, Coburg, 1989, S. 242

[30] Soerensen, 1963, S. 32ff.. Der Schüler Mendelssohns Georg Friedrich Meier (1718-1777) definiert in den „Anfangsgründen aller schönen Wissenschaften“ (2.Teil, 1749, S. 609) den Begriff wie folgt: „Durch ein Zeichen verstehen wir alles dasjenige, welches ein Mittel ist, die Wirklichkeit einer Sache an der Sache zu erkennen - es ist also zwischen einer jeden bezeichneten Sache und ihrem Zeichen, eine Verknüpfung, ein Zusammenhang. Dieser Zusammenhang beruht entweder auf der Natur des Zeichens und der bezeichneten Sache, und alsdann ist das Zeichen ein natürliches Zeichen (signum naturale), oder es beruht auf der willkürlichen Wahl eines denkenden Wesens, welches die Sache zu einem Zeichen einer andern gemacht hat, und alsdann heißt es ein willkürliches Zeichen (signum arbitrarium artificale).“; zit. nach: Soerensen, 1972, S. 48ff.

[31] Das Programm, das dem Deckengemälde zu Grunde liegt, deutet auf die Vorstellung hin, daß nun die Welt bzw. die Natur mit Hilfe der Wissenschaft, hier der Physik, erklärt werden könne; s. Quellentext Nr. 5

[32] Winckelmann, 1960, S. 139

[33] Brief Oesers aus Leipzig vom 25. November 1768 an Goethe, GSAW 28/672; vgl. Mandelkow, Hamburger Ausgabe, Bd. I, 19883, S.9f.

[34] Mendelssohn, Moses, Über die Hauptgrundsätze der schönen Künste und Wissenschaften, 1757, zit. nach: Gesammelte Schriften in 7 Bänden, Leipzig, 1843, Bd. I, S. 290ff.. Daß Oeser seine Intentionen nicht aus theoretischen Schriften schöpfte, belegen auch seine, wie Goethe schreibt, „wenigen Bücher“, die er besaß. W. A., 8. Buch, Dichtung und Wahrheit, Bd. 31, Abth. 1, Bd. 27, S. 153ff., s. Rost, 1800, S. 34ff.

[35] Brief Oesers vom 15. August 1755 aus Dresden an den Freiherrn von Fritsch, GSAW 20/I 3, 10; hier erstmals veröffentlicht, s. Anh. Nr. 6. Zu dieser Zeit arbeitet er an einem Reiterporträt, einem Kniestück des Herzogs von Weimar, welche er in Dahlen nach einem Original korrigieren und sie anschließend innerhalb sechs Wochen nach Eisenach schicken wollte. Bei den beiden Bildern handelt es sich um Porträts des späteren Herzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach Ernst August Constantin. Die Arbeiten waren offenbar für den Grafen Bünau bestimmt, der seit 1754 Statthalter in Eisenach war. Ihm oblag unter anderem die Erziehung des verwaisten Prinzen auf Schloß Friedenstein in Gotha.

[36] Oeser erwähnt bereits in dem Brief zuvor ein lebensgroßes Porträt eines jungen Prinzen Ernst August Constantin (vgl. Quellentext Nr.5), s. Auch Wenzel, 1995, S. 48f.; Wenzel, 1999, S. 70f.

[37] Ob sich das Bild erhalten hat, kann zum heutigen Zeitpunkt nur vermutet werden. Im Wittumspalais zu Weimar befindet sich ein ähnliches Reiterporträt von Prinz Ernst August Constantin, wie es der Brief beschreibt. Auf dem Bild sind drei Reiter und vier Pferde zu sehen, das Schloß Belevedere bei Weimar bildet die Hintergrundkulisse am rechten Rand. Das Bild scheint an den Rändern beschnitten zu sein. Die Arbeit wird ebenfalls Johann Friedrich Löber zugeschrieben. Löber war in Gotha der Zeichenlehrer des Prinzen und übernahm 1756 nach der Rückkehr nach Weimar die Aufsicht der Bilderkammer. Der Schluß, das Bild Löber zuzuschreiben, liegt nahe. Es könnte sich hierbei aber auch um eine abgeänderte Kopie des ursprünglichen Gemäldes von Oeser handeln. Allerdings weist das Bild Retuschierungen und Übermalungen auf. Es wäre denkbar, daß die Oeserschen Allegorien später übermalt wurden. Da Oeser erwähnt, er wolle das Bild nach einem Original korrigieren, könnte dies nach einem ähnlichen Gemälde auf einem Ofenschirm, das sich heute im Schloß zu Eisenach befindet geschehen sein; vgl. Lit. Lehfeldt, Paul, Bau und Kunstdenkmäler Thüringens, Bd. 4, Jena, 1915, S. 175. Ständige Inventarverschiebungen zwischen den Bünauschen Residenzen Dahlen und Eisenach könnten erklären, daß sich die Vorlage ursprünglich in Dahlen befunden hat. Sollte sich das Bild in Weimar nach einer noch ausstehenden Röntgenuntersuchung als ein Bild von Oeser erweisen, so wären dies, neben dem bereits erwähnten Kniestück des Prinzen (Abb. 68), die beiden frühesten bekannten Arbeiten Oesers.

[38] Brief Oesers aus Dresden vom 15. August 1755 an v. Fritsch, GSAW 20/I 3, 10

[39] Die Fama verweist deutlich auf die Allegorie-Konzeption Winckelmanns. Winckelmann sieht in der Malerei und hier besonders in der Allegorie die Möglichkeit gegeben, unsichtbare, vergangene und zukünftige Dinge darzustellen; vgl. Winckelmann, „Gedanken...“, 1755, S. 38

[40] Brief Oesers aus Dresden vom 15. August 1755 an v. Fritsch, GSAW 20/I 3, 10; hier erstmals veröffentlicht

[41] Allgemeine Musikalische Zeitung, Nr. 27, Leipzig, 1813, S.454

[42] zit. nach: Geiger, Ludwig; in: Zeitschrift für bildende Kunst, 21. Jhg., Hrsg. Lützow v., Carl, Leipzig, 1886, S. 141; Geiger vermutet, der Brief stammt von ca. 1766.

[43] Propyläen, 1. Bd., 1798, S. 23ff.

[44] Selbst Winckelmann erkannte die Zeichen der Zeit und war versucht im selben Jahr, in dem Oeser seinen Bericht zur Dresdener Akademieausstellung abgab, sein eigenes Allegorieverständnis zu erneuern. 1766 erscheint sein „Versuch einer Allegorie“. (Oeser erhielt eines der vier für Deutschland vorgesehenen Freiexemplare; Justi, Bd. III, 19565, S. 299). Die Einleitung verweist auf eine Veränderung der Allegorieauffassung in Bezug mit der in den „Nachahmungen...“ von 1755 aufgestellten Thesen. Wickelmann schreibt hier: „Ein jedes allegorische Zeichen und Bild soll die unterscheidenden Eigenschaften der bedeuteten Sache in sich halten, und je einfacher dasselbe ist, desto begreiflicher wird es. [...] Die Allegorie soll folglich durch sich selbst verständlich seyn, und keine Beischrift vonnöthen haben.“; zit. nach: Winckelmann, „Versuch ...“, 1766, S. 2f. Die wenigen Zeilen lassen erkennen, daß sich ein Wandel von der komplizierten mythologischen gedanklich überladenen Allegorie zur einfachen, verständlichen Figurenkomposition vollzogen hat. Eine Veränderung ist ebenfalls auch dahingehend zu beobachten, daß sich Winckelmann vom ursprünglichen Gebrauch der Allegorie, der Darstellung geistig-seelischer Eigenschaften hin zu einer emblematischen Kunst für die nüchterne Umschreibung trockener Begriffe wendet, was allerdings der auf Sinnlichkeit abzielenden Kunstauffassung der Zeit erneut entgegenläuft.

[45] Soerensen, 1963, S. 32ff.

[46] Brief Oesers aus Leipzig vom 9. Februar 1780 an Knebel, GSAW 54/235, Düntzer, 1858,
Brief 35, S. 70

[47] Soerensen, 1963, S. 37

[48] Brief Oesers aus Leipzig vom 9. Februar 1780 an Knebel, GSAW 54/235, Düntzer, 1858, Brief 35, S. 70. In gleicher Weise wie Oeser empfiehlt Sulzer unter sub voce „Empfindung“: „Wir rathen keinem Künstler, für alle Völker und sogar für alle nachfolgenden Zeiten zu arbeiten; dies wäre der Weg, bey keinem Volk in keiner Zeit nützlich zu seyn. [...] Der Künstler trifft am gewissesten den Weg zum Herzen, der einheimischen Gegenstände schildert, und er das Allgemeine der Empfindung durch Localumstände fühlbarer und reizbarer macht.“ Über die Verwendung allgemein verständlicher Zeichen und den eindeutigen Zusammenhang zwischen Zeichen und Aussage schreibt Sulzer: „Die Empfindung, die recht würksam werden soll, muß einen ganz nahen und völlig bestimmten Gegenstand haben. Es giebt freylich allgemeine Empfindungen der Menschlichkeit, die in allen andern Ländern, in allen Zeiten und unter allen Völkern gleich gut sind. Aber auch diese müssen bey jedem Menschen ihre besondere, seinem Stand und den näheren Verhältnissen, darinn er ist, eine angemessene Bestimmung haben.“; Sulzer, Bd. 2, 17922, S. 59

[49] Kreuchauf, 1782. In der Einleitung schreibt Kreuchauf zu den Allegoriegemälden im Hause des Herrn Geheimen Kriegsrats Müller zu Leipzig: „Man geht durch alle in drei Reihen über einander liegende Gemächer, die mit Geschmack und ohne Pracht dekoriert sind, unter fünfzehn Deckengemälden hin. Jedes bezeichnet seines Zimmers Bestimmung, die nicht immer des Erklärers genauere Anzeige bedarf. Wer sieht und nachdenkt, der findet überall durch die Wahl der Kunst die Fragen beantwortet, wo und bei wem man sich befindet.“, S. 67

[50] Brief Oesers aus Leipzig vom 9. Februar 1780 an Knebel, GSAW 54/235, Düntzer, 1858,
Brief 35, S. 70

[51] Soerensen, 1964, S. 38

[52] Brief Oesers aus Leipzig vom 9. Februar 1780 an Knebel, GSAW 54/235, Düntzer, 1858,
Brief 35, S. 70. Für die Besprechung des Deckengemäldes im Gohliser Schloß liegen die Ausführungen Wenzels zugrunde, s. Wenzel, 1999, S.89ff. Ausführlich wurde das Motiv „Amor und Psyche“ bearbeitet bei: Steinmetz, Christel, Amor und Psyche, Studien zur Auffassung des Mythos in der bildenden Kunst um 1800, Diss., Köln, 1989.

[53] Hocquél-Schneider, Sabine, Wiedereröffnung eines Kulturdenkmals, Gohliser Schlößchen; in: Leipziger Blätter, H. 33, 1998, S. 4

[54] Kreuchauf, 1782, S. 100ff.

[55] Wenzel, 1999, S.89ff.

[56] Wenzel, 2000, S.90f.

[57] Brief Oesers aus Leipzig vom 9. Februar 1780 an Knebel, GSAW 54/235; Düntzer, 1858,
Brief 35, S. 70f.

[58] Kreuchauf, 1782, S. 101

[59] Oeser wollte mit seinen Allegoriegemälden erzieherisch wirken; vgl. Marx, 1988, S. 49; Wenzel, 2000, S. 91

[60] Kreuchauf, 1782, S. 102

[61] Kreuchauf, 1782, S. 102f.

[62] Wenzel, 1999, S.92f.

[63] Kreuchauf, 1782, S. 101ff.

[64] Im Frontispiz eines der beiden Bände der Encyclopédie von Diderot und Álembert (1765) [Diderot, Denis; Álembert, Jean, LeRond d' Encyclopédie, ou dictionnaire raisonné des sciences des arts et des métiers [mis en ordre & publié par M. Diderot ... par M. d'Alembert ...]., Nouv. impr. en facs. de la première éd. de 1751 - 1780, Stuttgart/Bad Cannstatt] findet sich das Motiv der Entschleierung der „Wahrheit“ durch die „Vernunft“ und „Philosophie“, Wenzel, 2000, S.93f.. Das Motiv hat seine Blütezeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Es wurde von Kant, Schiller und Goethe literarisch rezipiert und stand im Mittelpunkt verschiedener Feierlichkeiten der Französischen Revolution, so dem Kult der Vernunft (Raison); Kemp, Wolfgang, Natura. Ikonographische Studien zur Geschichte und Verbreitung einer Allegorie, Diss., Tübingen, 1973, S. 17-25

[65] Oeser, 1764, s. Quellentext Nr. 1

[66] ebd., S. 3a, s. Quellentext Nr. 1

[67] Kreuchauf, 1782, S. 89f., Chodowiecki merkt zu diesem Deckenstück kritisch an: „Auf dem einen [Plafond ist] eine Frauensperson, die in einem Buche ließt, ein Genius löscht ihr das Licht aus, aber es ist nicht finster, sondern heller lichter Tag, sie kann´s also entbehren [...]; zit. nach: Chodowiecki, 1789, S. 42

[68] Brief Oesers aus Leipzig vom 9. Februar 1780 an Knebel, GSAW 54/235, Düntzer, 1858,
Brief, Nr. 35, S. 71

[69] Erste Ausmalungen für das spätere Wittumspalais, das vormals dem Staatsminister von Fritsch gehörte, fertigte Oeser bereits 1769; vgl. Brief Oeser vom 22. November 1769 an von Fritsch GSAW 20/I, 3, 10

[70] Goethe äußert sich lobenswert über diese Plafondgemälde. An Frau von Stein schreibt er: „Tu sauras déja que le vie Oeser est ici pour peindre les petits apartements de Mdme de la Duchesse Mere, mais personne t´aura dit combien son ouvrage est beau. C´est comme si cet homme ne devroit pas mourir tant ses talents paroissent toujours aller en s´augmentant. Les idees des planfonds sont charmantes, elles sont executées avec un gout que l´age et le travail seuls peuvent epurer a un si haut degré, et en même temps avec une vivacité que la jeunesse croit etre exclusivement son partage.“; W. A., Bd. 6, Abth. 4, Bd. 43, S. 358

[71] In diesem Deckengemälde wird das Hauptthema des Ballsaales bereits vorformuliert.

[72] Brief Oesers vom 15. März 1780 aus Leipzig an Herzogin Anna Amalia, ThHStW, Hausarchiv, Abth. A XVIII No. 82 10/11

[73] Brief Oesers vom 16. Januar 1777 aus Leipzig an Knebel, UBL Rep. VI 25 zh 2; vgl. Düntzer, Brief 22, 1858, S. 51. Von den Römern wurde die Pallas Athena mit der Minerva gleichgesetzt.

[74] zit. nach: Werner, Charlotte Marlo, Goethes Herzogin Anna Amalia, Fürstin zwischen Rokoko und Revolution, Düsseldorf, 1996, S 187

[75] Kreuchauf beschreibt in einem ersten Zeichnungsentwurf von Oesers Gellert-Denkmal ein nahezu ähnliches Thema: „Sein [Oesers] erster Entwurf zu dem für eine Kirche bestimmten Bau des Monuments war ein prachtloser Sarkophag, den eine Console trägt und ein leichter Schleier bedeckt. Eine menge Genien eilen mit allen Attributen der Künste herbei, die sich bei Gellerts Tode zu seiner Verewigung geschäftig erzeigten; sie werden aber alle von der Wahrheit zurückgewiesen, die ihm selbst eine Blume reicht. Ein Jüngling, der die Nachwelt vorbildet, hebt den Schleier wißbegierig auf und entdeckt darunter statt alles Ruhmes den Namen des verewigten Dichters.“, Kreuchauf, 1774, S. 56

[76] Krüger, 1972, S. 131

[77] Carolsfeld, Lebensgeschichte, o. O., o. S..

[78] Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, Bd. XVII (1775), S. 149

[79] Brief Oesers vom 20. April 1757 aus Dahlen an Freiherr von Fritsch; SLBD, Mscr. Dresd. Aut. 834a; zit. nach: Perk, Loesch, „Die Belohnung sitzet in dem Wolcken...“, Die Landesbibliothek erwarb Briefe von Adam Friedrich Oeser, in: Nachrichten aus der Sächsischen Landesbibliothek Dresden, H. 1, 1995, o. S.. Oeser besaß umfangreiche Literatur zur Aufklärungspädagogik: „Anfang der Arbeit zum Elementarbuch [Basedows] mit Kupfern, Berlin 1769, (Rost, 1800, S. 477, Nr. 75), Basedows vierteljah. Nachr. v. Elementarw. Viertes St., Des[sau]. 1772, Einiger, v., Dess[auer] abgeg. Lehrergedanken etc., Leipzig, 1779, (ebd., S. 485, Nr. 178, 181), Pädagogische Unterhaltungen von Based. und Campe. 4s St., Dessau, 1777 (ebd., S. 486, Nr. 198)

[80] Koch, Friedrich, Christian Fürchtegott Gellert, Poet und Pädagoge der Aufklärung, Weinheim, 1992, S.59

[81] Kreuchauf, 1782, S. 85f., Kreuchauf beschreibt ein Zimmer im Hause des Kriegsrates Müller

[82] Novalis, Blütenstaub; in: Athenaeum. Hrsg. Schlegel, August Wilhelm, Schlegel, Friedrich, Bd. I, Berlin, 1798, S. 101

[83] Bauer, 1982, S. 95, 12 Blätter. Natürliche und affectierte Handlungen des Lebens, zweite Folge, 1779, Im: „Almanac de Goettingue pour l´année 1780, chez J. C. Dietrich, Mit 9 Monatskupfern und Erläuterungen der 12 Monatskupfer von G. Chr. Lichtenberg.“; Ba. 565-576

[84] Wenzel, 2000, S. 94f.

[85] Chodowiecki, 1789, S. 40. Wenn Börsch-Supan die „Schlaffheit der Körper“ bemängelt, schließt er sich der zeitgenössischen Kritik Chodowieckis an, 1988, S. 108

[86] Oeser, 1764, s. Quellentext Nr. 1

[87] Schiller, Friedrich, Über naive und sentimentalische Dichtung, 1795, Nachdr., Stuttgart, 1997,
S. 6

[88] Oehler, Richard, Adam Friedrich Oeser, Goethes Lehrer als Buchillustrator; in: Gutenberg Festschrift, Mainz, 1925, S. 221

[89] „Alles im Wandel, nichts geht zu grunde“, Ovid, Metamorphosen, XV. Buch, S. 199-213, zit. nach: Fuhrmann, Manfred, Die vier Jahreszeiten bei den Griechen und Römern, in: Die vier Jahreszeiten im 18. Jahrhundert, Colloquium der Arbeitsstelle 18. Jahrhundert Gesamthochschule Wuppertal Universität Münster, Heidelberg, 1986, S. 16

[90] Jensen, Jens Christian, Philipp Otto Runge, Leben und Werk , Köln, 1977, S. 22f.

[91] Soerensen, 1963, S. 55ff.

[92] vgl. Kat. Runge und seine Zeit, Hrsg., Hofmann, Werner, Hamburg, 1977, S. 20ff.; Stubbe, Wolf, Philipp Otto Runge, Bild und Symbol, München/Zürich, 1977, S. 10ff.

[93] Schiller, 1795, S. 7

[94] Herder, Bd. 23, 1967, S. 299

[95] Oeser verhalf mit dem Leipziger Bühnenvorhang der Bühnenbildnerei zu einer allgemeinen Aufwertung. Er inspirierte seinen prominenten Schüler und späteren Wiener Akademiedirektor Heinrich Friedrich Füger zu zahlreichen Bühnenbildentwürfen. Mildenberger, Hermann, Heinrich Friedrich Füger, Theatervorhang-Entwürfe für Wien und Hamburg; in: Weltkunst, Heft 6, München, 1987, S. 826ff; Mildenberger, Hermann, Im Blickfeld der Goethezeit I, Aquarelle und Zeichnungen aus dem Bestand der Kunstsammlungen zu Weimar, Berlin, 1998, S. 34

[96] Clodius, Christian August, „An Herrn Oeser, auf sein allegorisches Gemälde von der dramatischen Dichtkunst, in: Nachrichten von der Eröffnung des Neuen Theaters in Leipzig, Leipzig, 1766, S. 108.

[97] Clodius, Christian August, Beschreibung des Vorhangs und Deckenstücks, Leipzig, 1766,
S. 105ff.; vgl. Kreuchauf, 1768, S. 32ff.

[98] Kreuchauf, 1768, S. 32ff.. Es kann wohl eher davon ausgegangen werden, daß Kreuchauf seine Beschreibung von Clodius übernahm. Richter dagegen geht noch davon aus, daß der Eröffnungsprolog von Kreuchauf stamme, s. Richter, Kurt Albrecht, Beiträge zum Bekanntwerden Shakespeares in Deutschland, 3. Th., Oppeln, 1912, S. 22f.

[99] Clodius, „Nachricht von...“, 1766, S. 2

[100] Kat. Mozart in Sachsen, Hrsg. Richter, Brigitte; Oehme, Ursula, Leipzig, 1991, S. 66

[101] Richter, 1912, S. 22f

[102] Für diesen Hinweis danke ich Herrn Prof. Dr. Reinhard Wegner; vgl. Wegner, Reinhard, Architektur um 1800, (erscheint vorauss. in München, Sommer 1999)

[103] W. A., Bd. 31, Abth. 1, Bd. 27, S. 156f.

[104] W. A., Bd. 31, Abth. 1, Bd. 27, S. 156f.

[105] Tel est le privilège du génie d’invention: il se fait une route où personne n’a marché avant lui, il court sans guide, sans art, sans règle; il s’égare dans sa carrière, mais il laisse loin derrière lui tout ce qui n’est que raison et qu’exacitude.“, Voltaire, Œuvres Complètes (Paris, 1877-85), VIII, 318, zit. nach: Price, Lawrence Marsden, Shakespeare as pictured by Voltaire, Goethe, and Oeser, in: The Germanic Review, Ed. Columbia University Press, Bd. XXV, New York, 1964, S. 83f.

[106] Bachler, Karl, Gemalte Theatervorhänge in Deutschland und Österreich, München, 1972,
S. 42. Der Leipziger Vorhang war bis 1798 in Gebrauch und wurde wegen Schadhaftigkeit später - nach einem Bericht aus dem Jahre 1799 - als kostbares Inventar der Bühne nur noch während der Messe-Zeit benutzt (Bachler, 1972, S. 40). Der alte Vorhang existiert inzwischen nicht mehr, lediglich eine Aquarellkopie des Oeserschülers Christian Friedrich Wiegand (1752-1832) aus dem Jahr 1819 hat sich erhalten, Kat. „Leipzig Stadt der Wa(h)ren Wunder...“, Leipzig, 1997, S. 272, Abb. S. 320








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