goethe


Jutta Assel

Johann Evangelist
Scheffer von Leonhardshoff:
Romantische Allegorie

Stand: Februar 2015
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Johann Evangelist Scheffer von Leonhardshoff, Romantische Allegoeie, um 1820

 

Romantische Allegorie. Um 1820

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Gliederung

 

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Feder in Graubraun über Bleistift, mit der Feder über Bleistift gerändert. – 30 x 37,5 cm. – Bezeichnet r. u. (auf Steinblock): JS (ligiert); rücks. Sammlerzeichen E.-J. O. (F. Lugt, Les marques des collections de dessins et d'estampes, Amsterdam 1921, Supplément Den Haag 1956, 873 b) und alte Zuschreibung: J. Schnorr v. Carolsfeld: Der Tod und die (unleserlich) Sterbende.

Inv.Nr. Gr 297. – Erworben 1958 bei Karl und Faber, München. Vorbesitzer: Sammlungen L. v. Donop; G. Geisberg, Berlin; E.-J. O.

Literatur: Verst. Kat. Karl und Faber, Auktion 66, München 3./4. Nov. 1958, Nr. 430 (m. Abb.); Verst. Kat. Amsler u. Ruthardt, Berlin 20. X. 1913, Nr. 487 (m. Abb.); Clemens-Sels-Museum Neuss, Braunschweig 1984 (Reihe Museum), Abb. S. 62/63.

Mit dieser bedeutenden Komposition kann für die Scheffer-Forschung ein "missing link" publiziert werden 1, das nunmehr die sichere Zuordnung einiger Studien des Künstlers erlaubt. Schon M. Krapf 2 bezweifelte 1977 K. Andrews 3 und R. Bachleitners 4 Zuweisung einiger Scheffer-Zeichnungen mit liegenden Frauenfiguren zum "Cäcilien"-Werkkomplex 5, doch kam auch er zu keiner richtigen Deutung 6. Nach Andrews und Bachleitner sind die zwei undatierten Zeichnungen des Historischen Museums der Stadt Wien (Inv. Nr. 80356 und 115075) Vorstudien zu Scheffers Hauptwerk "Die tote heilige Cäcilie" von 1820/21, während Krapf die erste richtig als hl. Magdalena deutet.

Nun findet sich aber diese einprägsame, auf dem Rücken mit zurückgebogenem Kopf liegende Frauengestalt in Scheffers Werk schon 1817 auf seinem Aquarell "Schlafende Familie" 7, wo sie im Bett vom Gatten umarmt und von Engeln bewacht schläft. Auch aus Scheffers römischem Freundeskreis der Lukasbrüder gibt es eine Komposition, welche eine überraschend ähnliche Mädchengestalt zeigt: die scheintote Julia auf einer Zeichnung des Romeo-Julia-Zyklus von Peter Cornelius 8, den er als Ergänzung zu seinen Faust- und Nibelungenfolgen in Rom zwischen 1811 und 1819 komponierte. Die schöne Julia liegt, todesgleich schlafend, in der Gruft auf ihrem Sarg, schräg an den eben durch einen Gifttrank gestorbenen Romeo gelehnt. Ihre Beine sind starr ausgestreckt, die Arme – seitlich um den Leib gelegt – schließen sich im Schoß in ihren gefalteten Händen, die ein kleines Kreuz halten; ihr Haar ist mit einem Kranz geschmückt. Die vergleichbare Mädchengestalt ist auf Scheffers einer Zeichnung des Wiener Historischen Museums (s. o., Inv. Nr. 80356) dargestellt; diese Studie übernahm er dann für die Neusser Komposition 9.

Die gegenseitige Beeinflussung Cornelius' und Scheffers ist kaum zu klären; vielleicht zeichneten beide bei Scheffers Romaufenthalt 1814/15 nach demselben Modell und verwerteten ihre Skizzen später – oder einer übernahm des anderen geglückte Studie, wie es im römischen Nazarenerkreis häufig vorkam 10.

Die Datierung des Neusser Blattes um 1820 empfiehlt sich nicht nur wegen des komplexen, schwierigen Bildprogramms, sondern auch die Technik ist für Scheffers späte Zeichnungen typisch 11: Die mit der Tuschfeder sorgfältig überarbeitete Bleistiftzeichnung gibt die Binnenmodellierung der klar umrissenen Formen durch z. T. lang durchgezogene Kreuzlagen-Schraffen; eine Technik, die an altdeutsche Graphik wie auch an Zeichnungen Julius Schnorrs aus jener Zeit erinnert. Die Komposition mit ihrer im Dreieck aufgebauten Figurengruppe vor vielgestaltiger Landschaft wurde von Scheffer bildmäßig – d. h. als autonome Darstellung – ausgeführt 12. Sie entstand wohl nach dem "Votivbild Vargemont", zur Zeit seiner Arbeit an der "Orgelspielenden hl. Cäcilie" 13 oder wenig danach, als er durch Karoline Pichler (1769-1843) 14 in Kontakt mit einem Kreis von Dichtern, Literaten und Malern kam und durch Büchergaben wie Ludwig Tiecks "Sternbalds Wanderungen" zur Beschäftigung mit romantischer Literatur angeregt wurde.

Durch seine sich seit 1815 immer wieder lebensbedrohend äußernde Krankheit (Lungenschwindsucht) beschäftigte sich Scheffer in Tagebuchaufzeichnungen und Bildern häufig mit Todesgedanken und -motiven, wie er auch seine Liebessehnsucht vielfältig ausdrückte 15. Zu diesen Ängste und Wünsche verarbeitenden Äußerungen gehört auch die Neusser Komposition, deren romantisch empfundener Inhalt von Scheffer in eine allegorische Darstellung umgesetzt wurde, die in Bilderfindung und Stil sich von seinen früheren nazarenischen Werken deutlich unterscheidet und z. T. auf seine "Tote hl. Cäcilie" vorausweist 16.

Hier kann nur eine vorläufige Beschreibung der mit romantischem Gedankengut befrachteten Darstellung gegeben werden, als deren Prinzip erkannt werden muß, daß ihre Vieldeutigkeit nicht im einzelnen und restlos aufgelöst werden kann. Scheffer verarbeitete hier in der Weise der Frühromantiker offensichtlich zahlreiche literarische und theologische Wissensbestände zu einer eigenständigen chiffrierten Komposition, deren Gesamtsinn je nach Deutung der in ihr in Beziehung gesetzten Einzelelemente variiert. Vielleicht folgt das Werk auch darin frühromantischen Mustern, daß sich der Gesamtzusammenhang – je nachdem von welchen Elementen die Deutung ausgeht – je anders und neu stellt.

Eine Deutung steht aus. Ideengeschichtlich läßt sich ein Zugang zur Komposition z. B. von Novalis' "Heinrich von Ofterdingen" her finden. Auffällig ist, daß der Sinn der Darstellung von christlichen Bildern her entwickelt wird, ohne daß Christus selbst erscheint; vermutlich wird die Kreuzestheologie existentiell ausgelegt.

Um ein im Todesschlaf liegendes Mädchen, dessen Körper in einer leichten Kurve (bildparallel nach links abfallend) im Vordergrund ausgestreckt ist, gruppieren sich im Halboval vier Figuren, von denen die beiden mittleren stehen, die linke im Profil zu ihren Füßen sitzt, die rechte sich kniend von hinten über sie beugt, sie mit beiden Armen umfassend. Der rosenbekränzte Kopf der Liegenden ruht erhöht am Fuße eines parallel zum rechten Bildrand stehenden Kreuzes, auf dem die kleine Statue einer Mater dolorosa angebracht ist; die bloßen Arme der jungen Frau rahmen ihren Leib und sind im Schoß gefaltet; ihr weites Kleid ist in reichen Falten hochgerafft und läßt ihre Beine frei. Der seinen Kopf schmerzerfüllt auf ihre Brust legende Jüngling ist als ein – von seiner Reise zurückkehrender – (Lebens-)Pilger gekennzeichnet. Die beiden Gestalten (ein zusammengehöriges Paar) sind so ineinander verflochten, daß sie gemeinsam eine Kreisform bilden 17.

Im Bildzentrum steht, aufrecht und alle überragend 18, der gewappnete Tod; er als einziger ist frontal gegeben und blickt den Betrachter aus hohlen Augenhöhlen an – ein gleichartig appellatives Moment wie das Memento-mori-Zeichen auf seinem Helm ("Gedenke, daß du sterben wirst"). Als Helmzier trägt er die Dornenkrone; seine Linke hält einen Pilgerstab mit Kreuz und Band als Auferstehungs- und Erlösungszeichen, seine Rechte liegt auf dem knapp vor ihm an seiner rechten Seite stehenden Erzengel.

Der ebenfalls gerüstete und beflügelte, jugendlich-schöne Erzengel Michael, die Symbolfigur der ecclesia militans, trägt auf der Brust die Zeichen (Kreuz mit INRI), in deren Namen er für den Sieg kämpft(e). Sein Schwert steckt in der Scheide, er stützt sich auf seine Lanze und blickt sinnend nieder auf das junge Paar zu seinen Füßen 19.

In der linken unteren Bildecke sitzt – in Profilansicht – in weitem Umhang und gelöstem Haar eine Frauengestalt, deren mit Gesetzestafeln und Kreuz versehene Krone sie als Ecclesia ausweist. In ihrer Rechten hält sie, flach auf den Boden gelegt, ein Schwert, auf dem "Lex" zu lesen ist; ihre Linke umfaßt die Kette mit den Fußschellen, die um die Fesseln des vor ihr liegenden Mädchens gelegt sind. Sie blickt hinauf zur Mater dolorosa am Kreuz, mit der sie (obwohl ihr entgegen-gesetzt) durch Blick und Kompositionsanordnung verbunden ist.

Auch die überlegt komponierte Landschaft ist im romantischen Sinn Bedeutungsträger; Scheffer gab auch hier opposite Elemente, die – miteinander und mit den Figuren in Beziehung gesetzt – vielfältiger Deutung offen sind. Die stillebenhafte Figurengruppe im Vordergrund der Darstellung hebt sich wie ein Relief vor der Landschaft ab. Sie befindet sich innerhalb eines eingegrenzten Geländes (zivilisierte Natur, evtl. Kirchhof) mit sanftwelligen Wiesen; links schließen Kirchengebäude (ein heimisch romanisch-gotischer und ein italienisch frühchristlicher Bau) das Bild ab, rechts führt eine Mauer in den Hintergrund, wo diesseits die nördlichen Laubbäume, außerhalb (in der freien Natur) südländische Zypressen zu sehen sind; eine Gebirgslandschaft (erhabene Natur) bildet den Abschluß. Nur wenige Pflanzen wachsen; links hinter der Ecclesia ein Gewächs unfruchtbaren Bodens, die Agave; rechts beim Kreuz – über dem Haupt der Liegenden – treibt üppig ein alter Strauch.

 

Anmerkungen

1 Als eine der bedeutendsten Zeichnungen des Clemens-Sels-Museums wurde sie während der Vorarbeiten zu diesem Katalog bereits als Abbildung für den eben erschienenen Museumsführer ausgewählt. zurück

2 Kat. Ausst. Wien (Österr. Landesgalerie) 1977, Johann Evangelist Scheffer von Leonhardshoff 1795-1822. Ein Mitglied des Lukasbundes aus Wien (M. Krapf), S. 185, Nrn. 85 u. 86. M. Krapfs Beiträgen verdanke ich wertvolle Informationen. zurück

3 Scheffer v. L., in: Kat. Ausst. Schloß Laxemburg 1968, Romantik und Realismus in Österreich. Gemälde und Zeichnungen aus der Sammlung Georg Schäfer, Schweinfurt, S. 54. zurück

4 Die Nazarener, 1976, S. 117. Wie für Andrews ist für ihn besonders die erste der mit zurückgeworfenem Kopf liegenden Frauengestalten "mit Kranz und Kreuz ... schon fast eine hl. Cäcilie". zurück

5 Scheffer arbeitete 1820/21 an seinem Hauptwerk "Die tote hl. Cäcilie", zu der er zahlreiche Studien anfertigte; Cäcilie wurde von ihm nicht auf dem Rücken, sondern gekurvt auf ihrer linken Seite liegend dargestellt, vgl. Kat. Ausst. Wien 1977, Nr. 93, Abb. 31. zurück

6 s. Anm. 2, ebenda S. 185. zurück

7 ebenda Nr. 41, Abb. 12: Dieser Zusammenhang wurde bisher nicht gesehen; in idealer Bildung erscheint die junge Frau auf dem Neusser Blatt als allegorische Gestalt im Todesschlaf, umfangen von der idealen Gestalt eines jungen Pilgers. zurück

8 nach Shakespeare; Fr. v. Bötticher, Malerwerke des neunzehnten Jahrhunderts, Dresden 1891-1901, hier I, 1, S. 191, Nr. 27/5; ausgeführte Federzeichnung von 1819 im Städelschen Institut, Frankfurt; gestochen von E. E. Schäffer 1837 für den Münchner Kunstverein. zurück

9 Die Liegende Scheffers hat im Unterschied zu Cornelius' Julia nackte Beine, wie sie – in anderer Stellung – seine "Magdalena" (Wien, Hist. Mus., Inv.Nr. 115075) zeigt. zurück

10 Eine weitere Möglichkeit ist, daß Scheffer bei seinem Münchenbesuch im Juni 1821 bei Cornelius die Romeo-Julia-Komposition gesehen hat und sich davon anregen ließ; das Blatt wäre dann 1821 zu datieren. zurück

11 vgl. dazu Kat. Ausst. München (Staatl. Graphische Sammlung)1979/80, Von Dillis bis Piloty. Deutsche und österreichische Zeichnungen, Aquarelle, Ölskizzen 1790-1850 aus eigenem Besitz (G. Scheffler, B. Hartwig), Nr. 99. M. Krapf setzte die im Duktus ähnliche Münchner Darstellung "Grabender Mönch" um 1819 an. zurück

12 Die rechte untere Ecke, wo er sein Monogramm anbrachte, blieb unbearbeitet, wie häufig auf seinen Zeichnungen (vgl. Kat. Ausst. Wien 1977, Nr. 80., S. 182). zurück

13 Kat. Ausst. Wien 1977, Nr. 62, Abb. 19 u. S. 94 f. zurück

14 ebenda S. 96. zurück

15 ebenda S. 78 ff., 90, 97 ff; Nr. 80, 86, 89 ff. zurück

16 Der Erzengel Michael des Neusser Blattes ist z. B. dem linken Engel auf der "Toten hl. Cäcilie" verwandt. zurück

17 vgl. Piaton, Symposion, Rede des Aristophanes, Die ursprüngliche Natur des Menschen (Sämtl. Werke II, Hamburg 1957, S. 221). Danach gab es ursprünglich ein mannweibliches Geschlecht, dessen Gestalt rund (= vollkommen) war. Scheffer wird diesen populären Gedanken gekannt haben. zurück

18 Der Tod bildet die Spitze des Dreiecks, zu dem die Figuren angeordnet sind; er ist die "Einstiegsfigur" für die Interpretation der Darstellung. zurück

19 Michael, der auch als Schutzpatron der Sterbenden gilt, wurde von Scheffer eng mit der Gestalt des Todes verzahnt (buchstäblich unter seine Hand gegeben). Auch mit der Figur der Ecclesia steht er in engem Kontakt: die Beine berühren sich. zurück




Johann Scheffer von Leonhardshoff, Selbstbildnis mit aufgeblasenen Backen

Johann Scheffer von Leonhartshof
Scherzhaftes Selbstbildnis
mit aufgeblasenen Backen

Vorlage:
Hans Geller: Curiosa. Merkwürdige Zeichnungen aus dem 19. Jahrhundert. Leipzig: E. A. Seemann 1955, S. 58.

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1795-Wien-1822. Studium an der Wiener Akademie unter Hubert Maurer; seit etwa 1811 unter dem Einfluß des in Wien verbliebenen Lukasbruders Joseph Sutter Abkehr vom akademischen Kunstbetrieb; 1812 Reise nach Venedig; neben der Kopiertätigkeit nun Naturstudien und religiöse Kompositionen. Sein Gönner Fürstbischof Xaver Salm-Reifferscheidt ermöglichte ihm 1814-16 einen Studienaufenthalt in Italien, wo er in engem Anschluß an Friedrich Overbeck im Kreis der Lukasbrüder lebte und arbeitete; im Oktober 1815 Aufnahme in den Lukasbund. 1816 Rückkehr nach Klagenfurt; Krankheit und finanzielle Not; 1819-20 Übersiedelung nach Wien, es entstanden Werke wie das "Votivbild Vargemont" und die "Orgel spielende h. Cäcilie", die ihn bekannt machten. Nach kurzem Aufenthalt in Klagenfurt, wo ihn Cäcilie Bontzak in schwerer Krankheit pflegte, 1820-21 wieder in Rom, wo er sein Hauptwerk, die "Tote hl. Cäcilie" malte. Im Sommer 1821 wieder in Wien, wo er am 12. Januar 1822 starb.

Literatur: Kat. Ausst. Wien (Österr. Landesgalerie) 1977, Johann Evangelist Scheffer von Leonhardshoff 1795-1822. Ein Mitglied des Lukasbundes aus Wien (M. Krapf); R. Bachleitner, Die Nazarener, München 1976, S. 109-118; M. Krapf, J. E. Scheffer v. L, Ein Beitrag zur Rolle der Nazarener innerhalb der Kunst der Romantik, in: Wiss. Ztschr. d. Greifswalder E. M. Arndl Univ., XXVIII, 1979, S. 79-84.




Deutsche und österreichische Handzeichnungen und Aquarelle 1785-1860. Bestandskatalog in Auswahl 1. Ausstellung 10. März bis 2. Juni 1985. Auswahl u. Katalogbearbeitung: Jutta Assel. Redaktion u. Ausstellung: Dr. Gisela Götte. Clemens-Sels-Museum Neuss 1985, S. 31-33. Bibliographische Angaben ergänzt nach den Verzeichnissen S. 44-46.




Prof. Dr. Georg Jäger
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Deutsche Philologie
Schellingstr. 3
80799 München

E-Mail:
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