goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Antonio Canova
Werkauswahl in lithographierten Umrissen 

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Modell einer sitzenden Statue von Washington,
mit einer Tafel in der Hand, wie er seine letzten Rathschläge der Versammlung der vereinigten Staaten schreibt. 1818

 

Von allen Kriegern der neuern Zeit mahnt Washington nach Charakter und Thaten am meisten an die Helden des Alterthums. Diess ohne Zweifel hat unsern Künstler bestimmt, den Befreier der neuen Welt in der Tunica und dem römischen Mantel unsern Augen vorzuführen. Er wollte in ihm den doppelten Charakter des Feldherrn und des Gesetzgebers darstellen. Er hat ihn mit einem reichen Panzer bedeckt, und die Gesetztafeln ruhen in seinen Händen. Der Sieger sitzt mit ernster und edler Einfalt auf einem Sessel, den die vier Füsse eines Löwen tragen; die Würde seiner Haltung verbindet sich mit dem Ausdrucke tiefen Nachdenkens und die Aehnlichkeit mit dem Original fällt allen Americanern auf. Die Tunica, von leichtem Gewebe, bedeckt einen Theil der Kniee: der Panzer lässt, mitten durch seine Elasticität, die Muskeln und Formen des Leibes errathen. Ein wallendes Pallium, mit goldner Agraffe an die Schulter geheftet, umhüllt den Helden und seinen Sitz, kreuzt sich auf der Brust und fällt in langen Falten zur Erde nieder.

Washington's Füsse ruhen auf einem Schwert und einem Scepter: das Schwert, in der Scheide, deutet an, dass der Krieg zu Ende ist; das niedergelegte Scepter, dass die errungene Freiheit keines Dictators mehr bedarf. Das linke Bein, auf sich selbst zurückgelehnt, hebt sich, um die bronzene Tafel zu tragen, auf welcher Washington schon zu schreiben angefangen. Die leserliche Schrift bezeichnet den Inhalt seiner Gedanken: Georg Washington dem Volk der vereinigten Staaten. 1796. Freunde und Mitbürger ... Die rechte Hand hält den Griffel schwebend; eine Stellung, die beredt genug andeutet, welch' tiefes Nachdenken der Gesetzgeber den Satzungen widmet, die das Heil seiner Mitbürger sichern sollen. Die Heiterkeit eines guten Gewissens ruht auf der ganzen Figur des Helden. Er flösst Ehrfurcht und Liebe ein. Man fühlt, dass der Künstler den ganzen Charakter seines Originals studirt hat, um mit der Aehnlichkeit des Mannes die moralische Wirkung zu verbinden, welche die Geschichte seines Lebens hervorbringt. Diess Marmorbild ist im Senat zu Carolina aufgestellt.

Welcher Mensch hat von der Dankbarkeit der Völker mehr eine Bildsäule verdient, als der Held von York-Town, der Vertheidiger Philadelphia' s, der Feldherr, der nie an dem entstehenden Freistaat verzweifelte, und an der Freiheit, die seine Krieger würdig waren zu erobern? Der Congress hatte ihm schon ein Bronzebild geweiht, in dem die öffentliche Dankbarkeit sich verewigt hat. Und in der That, ist nicht er es, der den Oberbefehl angenommen, ohne ihn zu verlangen; der bat, ihn zu ersetzen, sobald sich ein Bürger gefunden, der tauglicher wäre, den Staat zu regieren, der im Jahr 1781 nach beendigtem Krieg dem Heer für seine Dienste, dem Congress für sein Vertrauen dankte, und in die friedlichen Hallen seines Hauses zu Mont-Vernon in einem Winkel Virginiens zurückkehrte?

Wenn dem Ruhme des grossen Mannes etwas mangelte, fände es sich nicht in den letzten Worten Franklins, seines unsterblichen Landsmanns: "Ich vermache, sprach er, meinem Freunde, dem Freunde des Menschengeschlechts, dem General Wasbington, den Stab aus wildem Apfelbaumholz, auf den ich mich bei meinen Spaziergängen zu stützen pflegte, wäre es ein Scepter, er würde ihm nicht weniger zukommen." 

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