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Jutta Assel | Georg Jäger

Antonio Canova
Werkauswahl in lithographierten Umrissen 

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Theseus über den Centaur triumphirend, kolossale Gruppe.
Sie wurde 1819 vollendet und nach Wien gebracht.
1805

 

Es scheint der Künstler habe den Gedanken dieser kolossalen Gruppe in dem Augenblicke gefasst, wo seine Phantasie voll war von der Erinnerung an die Marmorbilder im Theseustempel, an die Metopen und Basreliefs des Parthenons. Wenn wir, auf den Anblick dieses Werkes hin entscheiden müssten, mit welchem der alten Meister der Styl unsres Bildhauers die unmittelbarste Analogie habe, so würden wir Phidias nennen. Die majestätische Einfalt und die Natürlichkeit, sind Eigenschaften, die beiden Bildnern gemein sind.

Der Held drückt das niedergeworfne Ungeheuer mit seinem Knie. Ein letzter Streich ist im Begriff ihm den letzten Seufzer zu nehmen. Schon ist die mächtige Hand gehoben; und die Keule, die so viele Feinde niedergeschlagen, kann sie uns zweifelhaft lassen über das Loos das den Nebenbuhler des Theseus erwartet?

Canova verstand die Hilfsmittel seiner Kunst so gut zu berechnen, dass er den Ausgang eines Kampfes den ein Gott oder Halbgott gegen ein sterbliches Geschöpf unternimmt, nie zweifelhaft lässt.

Mögen Götter unter sich kämpfen, mag ein Heros den andern angreifen, ein Mensch seine Kräfte mit menschlichen Kräften messen: immer ist der Sieg unentschieden; aber wenn Hercules den Lichas ergreift, wenn Ariadne's Geliebter die gereizte Rechte gegen den Centauren erhebt: - da ist jeder Widerstand vergebens, und der Sieger ist schon ausgesprochen.

Anders verhält es sich mit Hektor, der bereit ist, sich mit Ajax zu messen, anders mit den zwei Athleten, die mit dem Cestus kämpfen, und deren Bilder wir später sehen werden.

Die ganze Gestalt des Theseus hat männliche und kräftige Proportionen , doch nicht jenes Gewaltige das nur Hercules angehört; und nur einen Halbgott in der Kunst bezeichnen darf. Die Schönheit des Kopfes und der Extremitäten ist des Lobes werth. Die Anstrengung des Centauren, der sich wieder aufrichten will, ist mit einer Wahrheit und Natürlichkeit gegeben, die den Künstler lange Forschungen u nd tiefe Studien kosten mussten. Kein antikes Modell konnte ihn bei diesen Einzelheiten unterstützen; er musste oft wiederholte Erfahrungen machen, um die Wahrheit in diesem Grade der Vollendung aufzufassen.

Alle sterbende Kraft des Centauren hat sich in die Klauen seiner hintern Füsse wie geflüchtet, aber vergebens gräbt er mit gespannten Muskeln in die Erde; die Vorderfüsse vermögen schon nicht mehr, diese Bewegung zu unterstützen. Er ist am Sterben.

Der Kopf des Ungeheuers hat eine ganz eigenthümliche Schönheit. Es war leicht, in Uebertreibung und Hässlichkeit zu verfallen; der Künstler hat die Bangigkeit eines so schrecklichen Todes ausgedrückt, ohne sich vom heroischen Styl zu entfernen. Man hat den sterbenden Centauren mit Laokoon verglichen; Canova ist nicht unter der Antike geblieben, wenn man den Adel der sich natürlicherweise mit der Figur eines trojanischen Priesters verbindet, gegen die Schwierigkeit hält, die Züge eines Wesens, das halb Mensch und halb Ross ist, würdig und doch charakteristisch darzustellen.

Der Sohn des Aegeus zeigt keine Erbitterung in seinem Siege. Ruhig, die Stirn mit einem Helm bedeckt unter welchem einige Locken auf seinen Hals fallen, hat er einen flatternden Mantel behalten, dessen Wurf alle Linien des Körpers aufs glücklichste begünstigt. Er ist ohne Mitleid, aber auch ohne Zorn. Der Totaleffect der Gruppe gewährt einen reizenden Anblick. Die beiden Stellungen sind mit viel Glück und Energie verbunden.

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