goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Antonio Canova
Werkauswahl in lithographierten Umrissen 

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Drey Tänzerinnen
[Reihenfolge nach unten stehendem Text.]

 

Die Stellung der ersten, ist am wenigsten belebt. Sie hebt die langen Falten eines Gewandes, das ihren Füssen lästig fiel. Die beiden Hände an den Leib gehalten, als suchte sie ein vollkommeneres Gleichgewicht, schickt sie sich zu einem Tanze an. Schon öffnen sich ihre Lippen zu einem leisen Lächeln. Ihr Kopf ist mit der Blume geschmückt, die der Terpsichore heilig ist.

Die zweite hat die Bahn durchlaufen. An einen Baumstamm gelehnt, sucht sie einen Augenblick Ruhe; aber ihre Füsse, die man gleichsam noch sich regen sieht, und deren einer den Boden noch nicht berühren will, der Kranz, den sie in den einen Arm geschlungen hält, die halb kindische, halb wollüstige Bewegung, die sie mit der rechten Hand macht, deuten an, dass sie sich neuer Lust entgegenschwingen, neues Lob einärnten will.

Die dritte ist in all der hingebenden Freude aufgefasst, die sich nur nach den Tönen der Leyer oder der leichten Cymbeln abmisst, die in ihren Händen ertönen. Glänzende Cothurnen scheinen ihre Füsse mehr zu schmücken als zu schützen. Die kräftige Spannung der Muskeln schadet der Grazie ihres ganzen luftigen Körpers nicht.

Canova hat drei Tänzerinnen ins Leben gerufen, wie er drei Grazien geschaffen hatte. Er verlieh ihnen verschiedne Attribute und Reitze; denn er wollte gefallen, und allen Gattungen von Geschmack gefallen. Die Ruinen von Pompeji und Herculanum haben uns zahlreiche Bilder griechischen und römischen Tanzes wiedergegeben; bieten sie welche dar, die würdiger sind, aufbewahrt zu werden?

Der Tanz ist ein Vergnügen aller Völker; man hält die Neigung dazu für angeboren; und je milder die Natur gegen die verschiednen Gegenden ist, je mehr entwickelt er sich. Man könnte, sagt ein Weltweiser, nach den Graden der Breite die Nationen zählen, bei welchen der Tanz am meisten zur Vollkommenheit gediehen ist. Ein strenges Clima, ein unfruchtbarer Boden zwingen den Menschen, einzig an seine Bedürfnisse zu denken. Der Grönländer in seiner Einöde tanzt wenig, während für die Südseeinsulaner diese Uebung eine Leidenschaft ist.

Eine sehr geistreiche Frau hat über diesen Gegenstand ein Buch voll interessanter Forschungen geschrieben. Sie leiht dem Tanz alle die Grazie, die er durch ihr Geschlecht erhält. Eine solche Materie, ex professo behandelt, schliesst weder Philosophie noch Tiefe aus; und die Feder der Madame Voïart [Élise Voiart: Essai sur la danse antique et moderne. Paris 1823] besitzt die anmuthvolle Leichtigkeit eines Batyllus. In ihren harmoniereichen Blättern muss man nach dem Ursprunge, den Entwicklungen, den verschiedenen Characteren dieser Kunst forschen, welche Simonides die stumme Poesie genannt hat. Seit Homer bis auf unsre Zeit wird man dort alle Musen den Tanz verherrlichen und den Göttern für diese Wohlthat danken sehen. Man wird mit der liebenswürdigen Verfasserin lernen, was die Orchestrik und die Palästrik war, was der heilige und der weltliche Tanz, was der Hormus, die Erfindung des grossen Lycurg, was endlich jener lustige Cordax, der nicht der abgemessne Lauf war, den die Spartaner darstellten, wenn sie zum Gefechte flogen. Ohne Anstrengung folgt man hier den anmuthigen Verwandlungen, die der Tanz erlitten, und der Geschichte von Wundern, die er bewirkt hat. Bald schwingt er, in Gestalt einer mit Weinlaub bekränzten Mänade den Thyrsus, und schreit Evoe, die Cymbel am Dionysosfest schlagend; bald trägt er als keusche Canephore, die Stirn mit heiliger Binde umwunden, ehrfurchtsvoll die Kiste des Jacchus, die heiligen Opfer, die geheimnissvolle Wanne.

Von den Aegyptiern und Hebräern werden wir zu den modernen Völkern geführt. Wir machen einen Kurs von Menuetten, Gavotten, Contretänzen. Von der ländlichen Bourrée gehen wir auf den etwas gebildetern Walzer über; von den plumpen Passe-pieds der Bretagne zu den leichten Fandango's. Ohne zu ermüden durchmessen wir in diesem Buch allen Raum und alle Zeit, welche Trenitz von Pylades, dem Pantomimen, und den römischen Circus von der Pariser Oper scheidet.

Die Politik. hat sich zuweilen dieses Vergnügens bemächtigt, um es zu leiten; aber sie hat es noch nicht zu verderben vermocht; der Ursprung des Tanzes ist zu genau mit unsrer Natur verbunden. Der Urmensch fasste einst die Hand der Umstehenden, und fing an mit ihnen im Kreise zu hüpfen; der Ringeltanz ist der ursprüngliche: er ist das glückliche Symbol der Eintracht, der erste Schritt zur Gesittung.

Als Dollmetscher der raschesten Bewegungen des Gedankens, der geheimsten Regung des Herzens bedarf der Tanz keiner Neuerung um die unbeständige Mode zu fesseln; er wird den alten Vorzug geniessen, so lange die Gefühle, die seine ersten Schritte gelenkt, nicht aus der Welt verbannt werden. 

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