goethe


Jutta Assel | Georg Jäger

Antonio Canova
Werkauswahl in lithographierten Umrissen 

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Kolossale Büste, Canova selbst darstellend.
1812

 

Diese Büste, von colossaler Grösse, ward im Jahre 1812 begonnen und vollendet. Nur der erlauchte Bildner selbst konnte seine eigenen Züge uns auf eine würdige Weise wiedergeben. Wohl hundertmal war sein Bild von geschikten Künstlern auf Leinwand oder in Marmor entworfen worden, und dennoch wollte es nicht genügen. Ausser der grossen Schwürigkeit, seine Züge auch nur materiell aufzufassen, zeigte sich immer nach Beendigung der Arbeit, dass sich auch noch ein anderer verrechnet habe: und das war der Zuschauer, der erwartet hatte, einen erhabenen Ausdruk in der Physionomie des grossen Meisters zu finden, und jezt über den Ausdruk gemeiner Güte, zuweilen sogar übelverstekten Verdrusses, traurig betroffen stand.

Gewöhnlich lag die Ursache hievon in einer gezwungenen Hingebung von Seiten des Modells, und in den Schranken eines Talents, das nur die Linien, die Umrisse, die Form eines Kopfes wiederzugeben wusste, in dem sich keine Muskel regt, wo keine Leidenschaft spricht.

Was Canova unternahm, war nichts leichtes. Ermüdet von so viel unglüklichen Versuchen wollte er den moralischen Theil seines Wesens abbilden, ohne dem physischen zu schmeicheln. Er studirte sich daher in dem Augenblicke, wo die Kunst ihn begeisterte. Er beseelte seine Gestalt mit dem Feuer, das Jupiter allein dem Menschen des Prometheus mittheilen konnte.

Und wirklich, jeder Zug dieser Physionomie hat ein neues Leben, und eine inspirirte Bewegung. Seine Augen scheinen die ganze Zukunft von Talent und Ruhm gemessen zu haben, die ihm vorbehalten war. Die Form von jedem Zuge ist auf einen grossen Character, auf die höchste Erhebung des menschlichen Gedankens gegründet. Dabei hört die Aehnlichkeit nicht auf vollkommen zu seyn.

Dieser halboffne Mund, diese halb vom Athem geschwellten Nasenlöcher deuten den Schwung einer beweglichen Einbildungskraft an. Alle Seele, die Canova seinem Marmor geliehen hat, ist in dem Ausdruke dieses Kopfes enthüllt. Der Hals verdient die besondere Beachtung der Künstler, durch die Feinheit mit der er behandelt ist, durch die Art, wie er aufsizt und wie er sich dreht.

Andere haben unsern Meister mitten in den eiteln Gedanken der Welt dargestellt, höchstens mit den Tugenden des gemeinen geselligen Lebens; aber er allein konnte sich auffassen, sich selbst wiederholen. Er hat es mit jenem Zauber gethan, der das Genie umgiebt, wenn es zum Schöpfer wird. 

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