goethe


Empfehlungen der Redaktion

27.10.2013

Georg Rietschel: Das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar. Zur Geschichte seiner Entstehung. Mit Briefen Rietschels, Rauchs, König Ludwigs I. von Bayern, Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar und andern. Mit sechs Abbildungen und einer Briefbeilage des Großherzogs Karl Alexander von Sachsen-Weimar nach der Originalhandschrift

Goethe Schiller Denkmal

Georg Rietschel (1842-1914), Sohn des Bildhauers, stellt die Geschichte des Doppeldenkmals detailliert und mit ausführlichen Zitaten der zeitgenössischen Diskussion dar - wobei er auf Briefe aus dem Besitz der Familie zurückgreifen kann. Er unterrichtet über die Denkmalsidee und die verschiedenen Ideenskizzen, die Wahl des Aufstellungsplatzes, die Kostümfrage (antike oder zeitgenössische Gewandung, Hofanzug oder Hauskleid), Finanzierung, Gussort (Berlin oder München) u.a.m. Diskutiert wurde, wie das Doppeldenkmal die beiden Dichter charakterisieren und zueinander in Beziehung setzen sollte. Dabei kommen neben den Bildhauern der Großherzog Karl August von Sachsen-Weimar, König Wilhelm IV. von Preußen sowie König Ludwig I. von Bayern mit seinen Forderungen zu Wort, die dazu führten, dass Rauch zurücktrat und Rietschel die Aufgabe übertragen wurde. Wie aus einem Schreiben an König Ludwig hervorgeht, wollte Rietschl "in Goethe die selbstbewusste Größe und klare Weltanschauung in möglichst ruhiger und fester Haltung, sowie Schillers kühnen, strebenden, idealen Geist durch mehr vorstrebende Bewegung und etwas gehobenen Blick" charakterisieren.

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18.10.2013

Waltraud Maierhofer:
 Die Reineke-Fuchs-Radierungen von Johann Heinrich Ramberg

Reineke FuchsDas Epos vom schlauen Fuchs Reineke reicht bis ins Mittelalter zurück. Der Fuchs wird wegen seiner Bosheiten, Streiche und Übeltaten vor dem König der Tiere angeklagt, rettet sich aber durch Tricks und Lügengeschichten und wird am Ende vor seinen Anklägern sogar ausgezeichnet. 1794 hat Goethe die heute bekannteste Bearbeitung des Epos geschaffen. Der Hannoveraner Hofmaler Johann Heinrich Ramberg hat 1826 im Selbstverlag eine eigene Bilderfolge Reineke Fuchs publiziert, 30 Radierungen und ein Titelblatt. Es ist wenig bekannt, dass Rambergs Radierungen ursprünglich nicht Goethes Versepos, sondern die einfachere, volkstümlichere Übersetzung in Knittelversen von Dietrich Wilhelm Soltau (1803) ergänzen sollte, die ebenfalls Reineke Fuchs betitelt ist. Die 3. Auflage von Rambergs Stichen (1873) enthielt im unteren Plattenrand Hinweise auf die zum Bild gehörenden Textstellen in den Bearbeitungen von Soltau und Goethe, da sich in der Zwischenzeit Goethes Hexameter-Epos als weit populärer erwiesen hatte. Nach dieser Ausgabe (Exemplar in Privatsammlung, Fotos ©Waltraud Maierhofer) wurden die folgenden Abbildungen reproduziert.

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6.10.2013

Klaus H. Kiefer: «C’est incroyable» ‒ Goethe et la gravure satirique du Directoire, ou: La comparaison infinie

La campagne d’Italie du général Bonaparte contrarie le second « Voyage italien » de Goethe. Faisant halte à Francfort au mois d’août 1797, Goethe découvre une collection de 200 gravures satiriques françaises. Goethe en choisit 55, datées entre 1795 et 1797, et en dicte à son secrétaire Geist de courts commentaires, très spontanés, en vue d’une future publication qui pourtant ne se réalisera pas. Images et textes s’éclaircissent réciproquement, et Goethe apprécie en particulier les gravures « symboliques » telle « L’inconvénient des perruques » de Carle Vernet. Au contraire du « Carnaval romain » que Goethe vécut en chair et en os, les gravures ne lui servent que de reportage télévisé, mais lui permettent une vue approfondie et unique pour cette époque de la France postrévolutionnaire. Au carnaval « liberté et égalité » avaient encore besoin de masques, tandis que modes et loisirs du Directoire promettent à Goethe une société moderne libérale.

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6.10.2013

Maximilian Nutz:  Das Beispiel Goethe. Zur Konstituierung eines nationalen Klassikers

Die Etablierung Goethes als „Klassiker“ im 19. Jahrhundert ist Teil einer komplexen Wirkungsgeschichte, in der die Deutung des Werks mit dem Interesse an der Person aufs engste verknüpft ist. Noch im Untertitel einer jüngst erschienenen Goethe-Biografie wird ein zentrales Denkmuster der Rezeption aufgegriffen, dass das „Leben“ des Dichters sein eigentliches „Kunstwerk“ gewesen sei. Goethe wird zur Projektionsfigur eines scheinbar autonom gestaltbaren Lebens in einer immer komplexer werdenden modernen Gesellschaft, zum Lehrmeister einer humanen Bildung des Individuums, das vor allem nach 1945 noch als Rettung angesichts einer beschädigten Identität noch einmal beschworen wurde.

Der Aufsatz skizziert diskurs- und mentalitätsgeschichtlich Stationen eines Rezeptionsprozesses von der frühromantischen Inthronisation Goethes als „Statthalter des poetischen Geistes auf Erden“ (Novalis) bis zur Bedeutung der „Goethe-Philologie“ für die Institutionalisierung einer Wissenschaft von der deutschen Sprache und Literatur in der Bismarckzeit und im Wilhelminismus. Untersucht werden dabei die zentralen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster in der Rezeption von Werk und Leben eines Dichters, in denen sich auch politisch-gesellschaftliche Entwicklungen des 19. Jahrhunderts spiegeln, die in der Kritik der Jungdeutschen am „Fürstenknecht“ Goethe ebenso deutlich werden wie in der Instrumentalisierung Goethes für die Aufwertung des nationalen Selbstwertgefühls.

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25.09.2013

Walter Hettche: Mit dem zärtlichsten Gefühle. Karl Ludwig von Knebel im Briefwechsel mit Johann Wilhelm Ludwig Gleim

Karl Ludwig von Knebel (1744-1834) ist als der Weimarer "Urfreund" Goethes in die Literaturgeschichte eingegangen, sein Leben vor der Begegnung mit Goethe ist dagegen weniger bekannt. Der Beitrag zeigt ihn als jungen Schriftsteller im Briefwechsel mit dem anakreontischen Lyriker Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), der ihn zum "zweiten Kleist" stilisierte, also einem literarischen Erben des in der Schlacht bei Kunersdorf gefallenen Dichters Ewald Christian von Kleist (1715-1759). Knebel hat sich allerdings kaum als eigenständiger Autor hervorgetan; seine literaturgeschichtliche Leistung sind die Übersetzungen der Elegien von Properz und des Lehrgedichts "De rerum natura" des Lukrez.

 

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29.04.2013

Klaus H. Kiefer: Weltliteratur zu Pferde - Philipp Stölzls Film "Goethe!"

Philipp Stölzls 2010 erschienener und auch auf DVD erhältlicher Film „Goethe!“ gehört zur neueren Gattung des „Biopictures“. Die Entstehung von Goethes „Leiden des jungen Werthers“ wird im Rahmen der Liebesbeziehung von Lotte und Johann ‒ so werden die beiden Protagonisten genannt ‒ erzählt. Anders als frühere Filmadaptionen des Romans u.a. von Egon Günther 1976 oder Uwe Janson 2008, die stärker historisieren bzw. aktualisieren, behauptet Stölzl eine „Identität“ von Werther und Goethe, und er unterstreicht die kühne Konstruktion durch ein Ausrufezeichen im Filmtitel. Dieses steht aber ohne Zweifel auch für die Begeisterung des Regisseurs und seines Teams für Goethe, den jungen Goethe insbesondere, und der mit großem Elan gedrehte Film vermag auch diese Begeisterung gerade an ein jugendliches Publikum weiterzugeben, während Goethe-Kenner das Wechselspiel von Fakten und Fiktionen genießen mögen. Stölzls Verfahren ist, grob skizziert, das folgende: er „kopiert“ Werthers Leidensgeschichte über die Vita des Straßburger, Wetzlarer und Frankfurter Goethe und brilliert da, wo die beiden Erzählstränge nicht zu Deckung kommen können ‒ z.B. „darf“ der spätere Erfolgsautor natürlich nicht Jerusalems Freitod sterben ‒ mit so witzigen wie durchaus authentischen Erfindungen. Besonders gelungen ist die Einbindung von Lessings „Emilia Galotti“ in die Filmhandlung. Ästhetisch, und nicht zuletzt dank hervorragender Schauspielerleistungen, entwickelt der Film eine bemerkenswerte Authentizität. Er wirkt „wahrscheinlich“.

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09.04.2013

Wolfgang Herrmann: Julius Nisle und seine Casanova-Galerie

Wolfgang Herrmann: Julius Nisle und seine Casanova-GalerieDer Zeichner und Illustrator Julius Nisle (1812-1850) hat sich in seinem kurzen Leben ausschließlich der künstlerischen Umrisszeichnung als Vorlage für Reproduktionen verschrieben. Schon am Anfang seiner Laufbahn gelang ihm mit der Illustrierung von J. P. Hebels "Allemannischen Gedichten" der große Wurf, den er mit Illustrationsserien zur deutschen klassischen und zeitgenössischen Literatur ausbaute und dabei große Bekanntheit erwarb. Dann bebilderte er erotische Literatur: zunächst Boccaccios "Dekameron" und ab 1845 als Erster die Memoiren Casanovas. Die "Casanova-Galerie", durch die er heute vor allem bekannt ist, wurde seinerzeit konfisziert. Mit zahlreichen Bildbeispielen gibt der Artikel einen Überblick über das Werk.

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03.04.2013

Waltraud Maierhofer: Vom bestraften Amor zum Triumpf der Liebe. Angelika Kauffmanns Grazien-Zyklus und das Motiv in Lyrik, Oper und Buchillustration des 18. Jahrhunderts

Ende der 1770er Jahre malte Angelika Kauffmann in England sechs liebenswerte Tondi um Amor und die Grazien. Dieser Aufsatz geht dem bisher nur behaupteten Einfluss von Metastasios (italienischem bzw. ins Französische übersetzten) Libretto "Die gerächten Grazien" nach und zeigt das Motiv vom bestraften bzw. triumphierenden Amor ferner in weiteren Gedichten, Buchillustrationen und Opern der Zeit auf.

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03.04.2013

Sabine Fastert: „Wenn man nur nicht so beständig von Besuchern belästigt wäre!“. Die Nazarener in Rom

Lange galt es in der kunsthistorischen Forschung als ausgemacht, dass die Nazarener im Frankreich des 19. Jahrhunderts vor allem durch ihre Stiche bekannt gewesen seien, sehr wenige Franzosen aber wirklich ihre Werke gesehen hätten. Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass der nazarenische Einfluss auf die Pariser Kunstszene vernachlässigt werden könnte. Demgegenüber betont die Studie, dass die Lukasbrüder rege am römischen Kunstleben teilnahmen und selbst auf großes Interesse in den Kunstkreisen und unter den Rombesuchern stießen. Tiefe Einschnitte in den gesellschaftlichen Umgang markierte der Nationalismus der Befreiungskriege 1813/15. Dass die Kontakte mit französischen Künstlern, welche besonders die Freskomalerei der Nazarener studierten, jedoch nicht abbrachen, wird in dieser Arbeit nachgewiesen. Von besonderer Bedeutung waren dabei 'Grenzgänger' zwischen deutschen und französischen Zirkeln in Rom wie Abbé Martin de Noirlieu. Detailliert nachgezeichnet wird die Bedeutung Overbecks für den Ingres-Schüler Hippolyte Flandrin.

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12.12.2012

 Siegfried Schödel: Blumröder ? 

Gustav BlumröderMit Gustav Blumröder (Nürnberg 1802 - Nürnberg 1853) wird an einen vielseitigen Schriftsteller, Mediziner / Psychiater, Politiker des frühen 19. Jahrhunderts erinnert. Lediglich seine „Vorlesungen über Esskunst“ (1838) finden bis heute ein breiteres Interesse. Sein einziger Roman („Morano“, 1823) gehört in den Zusammenhang der Schauerliteratur des ausgehenden 18. / beginnenden 19. Jahrhunderts. Selbst in seinen Schriften zur Psychiatrie (Hauptwerk: „Über das Irreseyn“, 1836) wird er, unabhängig von der medizinischen Diskussion, von den Zeitgenossen nicht zu Unrecht auch in der Spur von E. T. A. Hoffmann und Jean Paul gesehen. Seine Dissertation „De Hypnoticis“ (1826) kann sogar teilweise als eine Art von Übersetzung von Jean Paul in das akademische Genre aufgefaßt werden. Ganz zu schweigen davon, daß die „Vorlesungen über Esskunst“ die Zeitgenossen mit Jean Paul rühmend in Verbindung brachten. Seine späte politische Tätigkeit, er war Abgeordneter der Nationalversammlung in Frankfurt (1848/49), war wenig erfolgreich, machte ihn schließlich auch 1849 zum Opfer der Reaktion.

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18.11.2012

 Maximilian Nutz: Restauration und Zukunft des Humanen. Zur westdeutschen Goethe-Rezeption von 1945 bis 1949 

Mit Hilfe einer mentalitätsgeschichtlichen Diskusanalyse werden Formen und Funktionen des Redens und Schreibens über Goethe im historischen Kontext der ersten Nachkriegsjahre untersucht, und auf der Basis historisch-gesellschaftlicher und sozialpsychologischer Zusammenhänge interpretiert. Vorträge auf Veranstaltungen von Ortsgruppen der Goethe-Gesellschaft, Festreden bei Goethe-Feiern, Vorworte zu Goethe-Anthologien, Artikel in den kulturellen Zeitschriften werden als symbolische Handlungen eines Bewältigungs-Diskurses sichtbar, mit dem vor allem im Westen des geteilten Deutschland eine durch die „Katastrophe“ der Niederlage und die Verbrechen des Nationalsozialismus beschädigte Identität wiederhergestellt werden sollte. Goethe wird dabei vor allem im Westen nicht nur durch das in seinen Dichtungen gestaltete Humanitätsideal zum Repräsentanten eines „besseren Selbst“ der Deutschen, sondern auch durch das Kunstwerk der personalen Ganzheit seines Lebens, das in der von Zivilisationskrise und Kulturzerfall geprägten Gegenwart zum Vorbild der immer noch möglichen Autonomie des Individuums wurde. Der Diskurs war aber nur ein Ausweichen vor der notwendigen kollektiven „Trauerarbeit“ und der „Aufarbeitung der Vergangenheit“ (Adorno) durch Flucht in die schönen Bilder des Humanen.

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06.10.2012

 Maximilian Nutz: »Nur ein vernünftig Wort». Lernprozesse des Herzens in Goethes «Stella» 

Die Lösung einer Ehe zu dritt, die der Schluss der ersten Fassung von Goethes „Stella“ scheinbar anbot, empörte nicht nur die moralischen Normen der zeitgenössischen Leser, sondern wurde auch in der Forschung oft als billige männliche Wunschfantasie abgetan. Der utopische Gehalt des Dramas, indem die Widersprüchlichkeit verschiedener Liebeskonzeptionen im Spannungsfeld von Gefühl und Verstand durchgespielt werden, besteht aber weniger in dem Modell einer Doppelehe, sondern in den kommunikativen Möglichkeiten, mit Verletzungen und Besitzansprüchen umzugehen.  Mit dem Instrumentarium der Gesprächs- und Kommunikationsanalyse wird hier die Utopie eines Lernprozesses untersucht, von der redenden Beschwörung des entschwundenen Glücks als Trauerarbeit über die Grenzen des „vernünftigen Worts“ bis zur heilenden Macht einer poetischen Lösung. Provokativ ist das Modell einer Ehe zu dritt bis heute, weil es die Besitzansprüche in Beziehungen problematisiert, die gerade mit der „Erfindung“ der personalen Liebe in der bürgerlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts verbunden sind.

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27.09.2012

 Gerhard Lauer: Das Schöne und die Republik. Politische Klassik in Weimar um 1800 

Gab es eine politische Theorie der Weimarer Klassik? In seinem Aufsatz „Das Schöne und die Republik“ versucht Gerhard Lauer erstmals zu zeigen, dass es eine Politische Klassik gab. Sie geht aus den Traditionen des Florentiner Bürgerhumanismus hervor und wird über die Schottische Moralphilosophie nach Weimar vermittelt. Lauer zeigt, dass zentrale Stellen etwa in Schillers „Wilhelm Tell“ oder in Goethes „Hermann und Dorothea“ nicht zu verstehen sind, ohne die Politische Klassik einzubeziehen.

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21.08.2012

 Jörg Schönert: Satirische Aufklärung. Konstellationen und Krise des satirischen
Erzählens in der deutschen Literatur der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 

Diese bislang unveröffentlichte Habilitationsschrift, die 1977 am Fachbereich 14 der LMU München zum Erlangen der ‚venia legendi’ im Fach ‚Neuere deutsche Literaturgeschichte’ angenommen wurde, ist in der digitalisierten Fassung nur in wenigen stilistischen Details  verändert worden. Sie möge in methodologiegeschichtlicher Hinsicht für die 1970er Jahre als Beispiel für das Verfahren einer an funktionalen Perspektiven der literarischen Kommunikation orientierten Textinterpretation im sozialgeschichtlichen Kontext angesehen werden. Da für die genregeschichtliche Studie nicht nur Erzähltexte des Literaturkanons ausgewählt wurden, sondern der Gegenstandsbereich unter dem Aspekt des seinerzeitigen Publikumserfolgs konstituiert ist, sind zahlreiche Texte einbezogen, die in der heutigen Forschungsdiskussion wenig oder gar nicht beachtet werden, so dass der Wissensstand zu Erzählprosa und Satire in der deutschsprachigen Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts auch mit dieser ‚bejahrten’ Untersuchung bereichert werden kann.

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21.08.2012

 Maximilian Nutz: Die Sprachlosigkeit des erregten Gefühls. Zur Problematik der Verständigung in Goethes "Werther" und seiner Rezeption 

Die Faszinationskraft und das Identifikationspotential von Goethes „Werther“ bestand für seine „Fangemeinde“ darin, dass der Held ein „Genie“ der Empfindungs- und Gefühlsfähigkeit ist. Das fühlende Herz ist für ihn die Basis seiner Identität, die Quelle für Lust und Schmerz, Lotte liebt ihn wegen seiner emotionalen Sensibilität und die empfindsamen Leser rezipierten den Roman wie eine „Gefühlsdroge“. Auch die Literaturwissenschaft hat den Roman oft als Ausdruck einer epochenspezifischen „Gefühlskultur“ gesehen, ohne die Probleme genauer zu untersuchen, die mit einer Fundierung von Literatur und ihrer Rezeption auf dem „Gefühl“ verbunden sind. 

Der Aufsatz untersucht solche Probleme unter vier Aspekten: (1) Die Kommunikation der zeitgenössischen Werther-Leser über ihre Leseerfahrungen wird auf den Austausch von Gesten der Gefühlserregung reduziert. (2) Literaturkritik der „fühlenden“ Rezensenten hat nur noch eine Vermittlungsfunktion zwischen dem emotionalen Potential des Textes und seiner Realisation in der Gefühlsbewegung der Leser. (3) Goethes «Werther» thematisiert und problematisiert die epochale Hoffnung, im Rückgang auf die unmittelbare Gegebenheit des Gefühls könnte das Subjekt seine Identität innerhalb der Widersprüche zwischen gesellschaftlichen Rollenzwängen und subjektiven Entfaltungsansprüchen finden. (4) Die Erzählstrategie lockt den Leser in eine Beziehungsfalle, weil die vom Text angebotene Leserrolle das Bedürfnis nach einer emotionalen Selbsterfahrung gleichzeitig suggestiv befriedigte und in Frage stellt.

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25.06.2012

 Stefan Grosche: „Wenn in Poesie das arme Leben sich abspiegelt“. Der Tod des Kindes und die künstlerische Selbsttherapie bei Carl Gustav Carus

Carl Gustav Carus (1789-1869) erstaunte bereits Goethe, mit dem ihn ein zehnjähriger Briefwechsel verband, durch seine besondere Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Am 18. Februar 1822 antwortete dieser dem mit Caspar David Friedrich befreundetem Dresdner Mediziner auf die Übersendung von vier Landschaftsbildern und einigen osteologischen Tafeln: "Ew. Wohlgeb~. geneigte Sendung hat mir und den sämmtlichen Kunst und Naturfreunden große Freude gemacht; fürwahr! Sie vereinigen so viel Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten, deren innigst lebendige Verbindung theilnehmendes Bewundern erregt". Wiederholt hat sich Carus in seinen psychologischen, philosophischen und medizinischen Schriften mit einer Lebenskunstlehre (Diätetik) beschäftigt, die auch die Kunst des Sterbens sowie die Kunst-, Biblio- und Kulturtherapie umfasst. Von den elf Kindern des Ehepaares Carus haben nur zwei den Vater überlebt. Der Aufsatz betrachtet die wiederholten Todeserlebnisse der geliebten Kinder und das eindrucksvolle Bemühen einer künstlerischen Selbsttherapie des Dresdner Leibarztes und Landschaftsmalers im Kontext seiner in der Zeit der Todeserlebnisse entstandenen Landschaftsbilder und der biografischen Zeugnisse.

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10.05.2012

 Gunter E. Grimm: Goethes Selbstinszenierungen und ihre Funktion

Dichter-Inszenierungen gab es bereits vor dem Einsatz von Fernsehen und Internet. Stefan George etwa hat mit dem Medium Fotografie seinen Anspruch als Dichter-Seher visuell untermauert. Doch gerade, wenn man George nennt, stellt sich die Assoziation „Pose“ oder bewusstes „In-Szene-Setzen“ ein. Aber passt dieser Begriff auf Goethe?

Die meisten Zeitgenossen waren von Goethes Erscheinung und Auftreten fasziniert, zum Teil sogar stärker von seiner Persönlichkeit als von seinen literarischen Werken. Freilich gab es auch zeitgenössische Besucher, die von Goethes förmlichem Auftreten enttäuscht waren. „Erbärmlich steif und zurückhaltend“ hat ihn ein Besucher in Erinnerung. Charlotte von Kalb stimmte 1796 den Besucher Jean Paul auf Goethes Kälte ein: „zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse – er habe etwas steifes reichstädtisches Stolzes“. Auch andere Besucher berichten von Goethes steifem und zeremoniösem Verhalten. Noch 1811 beschreibt Karl Ludwig von Knebel seiner Schwester von Goethes „Kaltsinn“.

Als Paradebeispiel wird immer wieder Goethes Zusammentreffen mit Gottfried August Bürger im Jahr 1789 aufgeführt. Der frostige Empfang, den Goethe Bürger bereitet hat, veranlasste diesen zu einem bissigen Epigramm:

Mich drängt’ es in ein Haus zu gehn, 
Drin wohnt’ ein Künstler und Minister. 
Den edlen Künstler wollt’ ich sehn 
Und nicht das Alltagsstück Minister. 
Doch steif und kalt blieb der Minister 
Vor meinem trauten Künstler stehn, 
Und vor dem hölzernen Minister 
Kriegt’ ich den Künstler nicht zu sehn. 
Hol ihn der Kuckuck und sein Küster!

Wie kam es zu dieser merkwürdigen Diskrepanz in der Wirkung des berühmten Autors? Goethe hatte bereits in jungen Jahren mit dem Drama Götz von Berlichingen und dem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers zwei Bestseller-Erfolge. Wie sollte ein solcher Dichter in der Öffentlichkeit auftreten?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich vorliegender Beitrag von Gunter E. Grimm.

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15.04.2012

 Theo Elm
Der Mensch als Nase. Ästhetik der Karikatur in J. M. R. Lenz: Der Hofmeister 

Lenz‘ Dramen entwerfen eine Anthropologie aufklärerischer Defizite. Dazu gehört im „Hofmeister“-Stück die zeitgenössische Pädagogik als einer Schlüsselfunktion der Aufklärung (Kant: „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung“). Lenz‘ Kritik der Pädagogik äußert sich in der komischen, weil unangemessenen Normabweichung seiner drei Hauptfiguren, bei denen ein nebensächliches Moment die ganze Person vertritt (Fr. G. Jünger: „Der Mensch als Nase“): der Lehrer Wenzeslaus mit seiner pietistischen Pädagogik besteht nur aus Linienziehen und Geradeschreiben, der Räsoneur von Berg trägt ständig die philanthropische (= menschenfreundliche) Erziehungslehre als menschenfeindliches „Principium“ vor sich her, und der Hofmeister ist, in Übertreibung seiner Funktion als Hauslehrer, der unentwegt überstrapazierte Alleskönner im Haushalt des Majors Berg. Im Unterschied zur zeitgenössischen Typenkomödie, deren Figuren als unpsychologisch-plane „Typen“ (der Geizige, der Misanthrop etc.) nur verlacht werden, weicht das Verlachen der Lenz-„Charaktere“ einer gemischten Empfindung. Hinter den komischen Figuren des Hofmeisters, von Bergs und des Majors, die die Mängel der zeitgenössischen Pädagogiken hyperbolisch ausstellen, ist noch ihr eigenes Existenzproblem erkennbar: Lebensenge, familiäres Unglück, Demütigung. – Als ‚Karikaturen‘ werden Lenz‘ Stücke von der klassischen Ästhetik verdrängt und erst hundert Jahre später von der Moderne neu entdeckt.

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15.01.2012

 Julia A. Schmidt-Funke 
Kommerz, Kultur und die ‚gebildeten Stände‘. Konsum um 1800

Das adlig-bürgerliche Milieu der ‚gebildeten Stände‘, das sich im deutschsprachigen Raum während der Aufklärung formierte, verstand sich um 1800 als Avantgarde gesellschaftlicher Reformen. Julia A. Schmidt-Funke stellt diese Sozialformation in ihrem Beitrag als Konsumgemeinschaft vor und arbeitet damit die programmatische Bedeutung heraus, die Fragen der Kleidung, der Einrichtung oder des ‚Kulturkonsums‘ zukam.

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06.01.2012

 Gunter E. Grimm
 
Schwächling und Despot. Süleyman der Prächtige im deutschen Drama des 18. Jahrhunderts

Der Aufsatz untersucht die Ikonographie des türkischen Herrschers im deutschen Drama des 17. und 18. Jahrhunderts am Beispiel Solimans (Süleymans II.), des berühmtesten der osmanischen Sultane. Vor allem zwei Komplexe aus der Regierungszeit Solimans haben zu dramatischen Gestaltungen angeregt: Der Sturz des allmächtigen Großwesirs Ibrahim und die Hinrichtung des eigenen Sohnes Mustapha. Im Zentrum der Untersuchung stehen die spätbarocken „Soliman“-Dramen Daniel Caspers von Lohenstein und August Adolph von Haugwitz’, das Dramenfragment „Giangir“ (1748) von Gotthold Ephraim Lessing und das Drama „Mustapha und Zeangir“ (1761) von Christian Felix Weiße (1726-1804), Beispielen für die Weiterentwicklung von Mentalität und dramaturgischer Technik. Wie die abschließende Reflexion zeigt, war die Gestaltung des Türkenherrschers immer von der jeweiligen politischen Konstellation abhängig: Je größer die reale Gefahr einer Türkeninvasion war, desto negativer fiel das Bild des Herrschers aus. Die am Ende des 18. Jahrhunderts so beliebte Türkenoper zeigt dagegen bereits, dass die militärische Gefahr als überwunden gegolten hat: Aus dem Gewaltherrscher wurde nun ein geradezu humanistisch handelnder Fürst, der den europäischen Königen und Fürsten als Vorbild dienen konnte. Insofern fügt die Literatur der historischen Dokumentation immer eine intentionale Interpretation hinzu: Imagologie und Alteritätsforschung zeigen, dass Völkerbilder keineswegs bloße Abbilder von Realität, sondern eine Mixtur aus traditionellen Klischees und wenigen empirischen Daten sind, die sich – in Pro und Contra – am herrschenden Paradigma bzw. dem dominanten Diskurs orientierten. Dies gilt umso mehr für das Türkenbild, da diese deutschen Dichter des 18. Jahrhunderts keine empirischen Kenntnisse von Türkei und Türken bzw. dem osmanischen Reich und seinen Bewohnern hatten.

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